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Politik

Wie groß Fake News 2016 in Österreich wirklich waren

Vier von 75 News-Meldungen, die 2016 viral gingen, waren eindeutige Falschmeldungen. Was bedeutet das für die Debatte über Fake News?

Foto: Pixel2013 | Pixabay | CC0

Erst Ende November 2016 sorgte eine über Social Media verbreitete Nachricht für Chaos in oberösterreichischen Finanzämtern: 2016 sei zu wenig Familienbeihilfe ausgezahlt worden, hieß es in der vor allem auf Türkisch verbreiteten Meldung. Der letzte Tag für eine Neuberechnung sei der 28. November. Auch der Wiener ÖVP-Politiker Mustafa Iscel teilte die Nachricht, die sich später als Falschmeldung herausstellte. Als der Politiker den Fehler bemerkte, war es aber schon zu spät. Über 40.000 Menschen hatte sein Posting bereits erreicht, bis zu 2000 standen allein im Linzer Finanzamt an, um sich das vermeintlich nicht ausbezahlte Geld abzuholen. Hinzu kamen tausende Anfragen per E-Mail.

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Solche direkt sicht- und spürbaren Auswirkungen von Fake News sind in Österreich eher selten. Dennoch sind wir auch hierzulande vor falschen Nachrichten in unseren Newsfeeds nicht gefeit, wie unsere Auswertung jener 75 vom Social Media Monitoring-Tool Storyclash gesammelten Nachrichten des vergangenen Jahres zeigt, die am öftesten gesharet, geliket, getweetet und kommentiert wurden.

Immerhin 4 der 75 Newsmeldungen, die 2016 viral gingen, konnten wir eindeutig als Fakes identifizieren. Zwei weitere Meldungen suggerierten zumindest im Titel etwas völlig anderes, als im Artikel zu lesen war. Beide stammen vom Nachrichtenportal oe24.

Auch unter den vier eindeutigen Fake News finden sich zwei Artikel von oe24. Thematisch befassten sich beide Artikel mit einem deutschen Kindergarten, in dem die Kinder aufgrund der dort vertretenen unterschiedlichen Kulturen auf Weihnachten und christliche Lieder verzichten müssten. Die beiden Artikel riefen zusammen fast 63.000 Interaktionen im Netz hervor. Wie allerdings Mimikama feststellte, handelte es sich bei den in den Artikeln verbreiteten Informationen zu keinem Zeitpunkt um gesicherte Fakten. Im Gegenteil: Die Zuständigen Behörden erklärten die Aussage, dass in dem Kindergarten Weihnachten nicht gefeiert würde und christliche Lieder verbannt worden seien, für falsch.

"Meiner Meinung nach ist es der falsche Weg, hier in erster Linie Facebook zur Verantwortung zu ziehen."

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Auch die FPÖ-nahe Seite unzensuriert.at verbreitete gleich zwei Falschmeldungen, die es 2016 unter die 75 viral gegangenen Nachrichten schafften. Da wäre zuerst das Märchen eines 14-jährigen Syrers, der einen 15-jährigen Schweden ermordet haben soll, weil dieser eine Mitschülerin vor einem sexuellen Übergriff durch den 14-Jährigen schützen wollte. Tatsächlich gab es aber nie einen sexuellen Übergriff. Wie Mimikama berichtet, soll es vielmehr eine Gerichtsverhandlung gegen den 15-Jährigen gegeben haben, weil dieser den 14-jährigen Syrer gemobbt haben soll. Als der 15-Jährige freigesprochen wurde, soll der 14-Jährige ihn niedergestochen haben. An der Tat waren laut Mimikama außerdem noch weitere Personen beteiligt.

Ebenfalls als falsch entpuppt sich bei genauerer Recherche ein Bericht von unzensuriert.at, wonach ein Frankfurter Schwimmbad in Zukunft nur mehr für Muslima geöffnet sein soll. Tatsächlich wurde überlegt, in besagtem Bad eigene Schwimmzeiten nur für Frauen einzurichten—wie sie es in diversen Bädern und Saunen seit Jahren gibt. Davon, dass das Schwimmbad für Männer generell geschlossen werden soll, beziehungsweise überhaupt nur mehr muslimische Frauen dort ein- und ausgehen dürften, war allerdings nie die Rede.

Diese vier in Österreich am öftesten geteilten Fake News machen mit ihren insgesamt 103.029 Interaktionen ein wenig über 5 Prozent der insgesamt 2.012.362 Interaktionen der von uns analysierten 75 Artikel aus. Ein Prozentsatz, der uns in der Redaktion erstaunt hat. Wir gingen von weit höheren Zahlen aus.

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Screenshot via unzensuriert.at

Dennoch ist es gerade die Debatte über via Social Media verbreitete Falschmeldungen und Hoaxes, die derzeit große Wellen schlägt und zum Beispiel Facebook dazu veranlasst hat, gewisse Inhalte zu blockieren und deren Verbreitung einzuschränken.

Eine Debatte, die laut unserer hauseigenen Social-Media-Expertin Judith Denkmayr falsch geführt wird. "Meiner Meinung nach ist es der falsche Weg, hier in erster Linie Facebook zur Verantwortung zu ziehen", so die Expertin. "Wenn zum Beispiel ein Link von oe24 oder unzensuriert.at in Zukunft geblockt wird, weil er als Fake News eingestuft wird, dann löst das das Problem nicht. Die Originalquelle bleibt ja existent. Das heißt, hier muss eigentlich die Originalquelle zur Verantwortung gezogen werden, nicht Facebook." Ungeachtet dessen müsse natürlich auch Facebook in den Ländern, in denen es operiert, geltendes Recht einhalten, so Denkmayr.

Weiters verweist die Social-Media-Expertin im Gespräch mit VICE darauf, dass Fake News und Hoaxes alles andere als ein neues Phänomen seien. "Seit ich das Internet kenne, gibt es sogenannte Fake News. Früher wurden sie halt als Kettenbriefe per E-Mail versandt. Mit dem Social Web hat sich im Grunde nur die Geschwindigkeit der Verbreitung geändert."

Die Definition von Fake News spielt in der derzeitigen Debatte eine wesentlich Rolle.

Tatsächlich betreibt die TU Berlin bereits seit 1997 eine Info-Seite, die vor Fake News, Hoaxes, Verschwörungstheorien, Kettenbriefen und Urban Legends warnen soll. Die Liste von aufgedeckten Falschmeldungen ist lang und reicht von vermeintlichen Gift-CDs im Briefkasten über Rattenurin auf Getränkedosen bis hin zu falschen Terrorwarnungen.

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Besonders auffällig ist, dass viele der Falschmeldungen kontinuierlich immer wieder aufkommen. So kursierten auch 2016 vor allem auf Facebook und WhatsApp wieder Gerüchte über angebliche neue Tricks von Vergewaltigern, Kindesentführern, der Organ-Mafia und Autodieben, die bereits vor Jahren via E-Mail und SMS verschickt wurden.

Für Judith Denkmayr spielt daher die Definition von Fake News in der derzeitigen Debatte eine wesentlich Rolle. "Derzeit sprechen wir von irreführenden Nachrichten und Clickbait, von gezielter Missinformation aus Propagandagründen und Diskreditierung von Journalisten der sogenannten 'Mainstream-Medien'", so Denkmayr.

Hinzu kämen aber eben auch klassische Verschwörungstheorien, Urban Legends und "Recherche-Seiten", die einfachen Mindestqualitätsstandards nicht standhalten würden. Außerdem würden auch immer wieder Artikel von Satireseiten wie der Tagespresse als Fake News bezeichnet, obwohl inzwischen fast jeder wüsste, dass es sich dabei um Satire handelt.

Ob es in Zukunft dennoch Gesetze gegen Fake News benötigen wird, darauf will sich Judith Denkmayr nicht festlegen. Wohl aber gäbe es Bedarf für Aufklärung. "Es wird mehr Bildung und Sensibilisierung in dem Bereich brauchen. Und ökonomische Folgen für jene Seiten, die Fake News produzieren", so die Expertin.

Paul auf Twitter: @gewitterland

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