Eine Frau im Bikini kippt Wasser aus Flaschen in einen Pool
Menschen

Diese Wellness-Influencerinnen trinken kein Wasser mehr

Alise und Sophie essen nur noch Gurken und Melonen und das ist – Überraschung – ziemlich ungesund.

Mein Instagram-Feed ist voll von Influencerinnen, die Gesundheitstees verhökern, und Vloggern, die mich mit toten Augen und leuchtend weißen Zähne anschauen, in der Hand ein Bleaching-Kit.

Vielleicht wurde mir deswegen Alise Mikstas Account vorgeschlagen. Er ist voller Fotos von einem Traumleben mit Yoga-Verrenkungen in fernen Ländern, leckerem Obst und gelegentlichem Blankziehen in den Bergen. Soweit so 08/15-Wellness-Influencerin, könnte man meinen. Aber Alise geht mit ihrem Account noch einen Schritt weiter. Neben der obligatorischen Mindfulness und Raw-Vegan-Ernährung trinkt Alise seit Sommer 2019 kein Wasser mehr. Flüssigkeit bezieht sie nur noch aus wasserreichen Früchten.

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Begleitet wird die Wasserabstinenz von ausgedehnten Phasen Trockenfasten, in denen Alise 24 Stunden am Stück nichts isst. In einem Post schreibt sie: "Ich habe zum ersten Mal 24 Stunden gefastet, (abgesehen von fünf Schlucken grünem Tee gegen 11 Uhr, als es zu kalt wurde) und ich bin hin und weg."

Alise ist nicht die einzige, die Wasser abgeschworen hat und immer wieder fastet. Sie selbst folgt einer Reihe Accounts von Frauen, die ähnliche Sachen posten. Sie alle sind gut gebräunt, dünn und leben da, wo andere Urlaub machen. Auf ihren Accounts sieht es so aus, als würde ihre Ernährungsweise ihnen nicht schaden, aber Expertinnen und Experten warnen, dass sie mit den Posts ihre Tausenden Followerinnen und Follower gefährden könnten.


VICE-Video: Wie ich mich 30 Tage nur von Soylent ernährte


Alise ist 30, stammt ursprünglich aus Lettland. Momentan lebt sie in Dubai. Vor fünf Jahren besuchte sie einen Aschram in Indien. Der Guru soll ihr gesagt haben, dass sie nicht ständig eine Flasche Wasser mit sich rumschleppen müsse: "In Europa ist das ein großer Hype."

"Ich glaube, dass Wasser dem Körper keine Flüssigkeit zuführt – Wasser reinigt nur", sagt Alise. "Wenn du ungekochte Nahrung und Obst isst, brauchst du kein Wasser."

Obwohl sie glaubt, dass Flaschenwasser "wahrscheinlich sehr giftig und schmutzig" ist, und die offizielle Empfehlung, zwei Liter am Tag zu trinken, für "ein großes Geschäft und Marketing" hält, verzichtet Alise nicht komplett auf Wasser. Ihren Konsum habe sie allerdings um schätzungsweise 90 Prozent reduziert.

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"Es ist die Wasserindustrie, die uns sagt, dass wir ständig trinken müssen" – Sophie Prana, Influencerin

Die 35-jährige Yogalehrerin Sophie Prana hingegen behauptet stolz, seit einem Jahr keinen Tropfen angerührt zu haben. Die Österreicherin versucht, auch andere vom wasserfreien Leben zu überzeugen. Das tut sie wie Alise über ihren Instagram-Account. Ihre Leidenschaft für das Thema wird auch deutlich, als ich mit ihr über eine schlechte WhatsApp-Verbindung spreche. Zum Zeitpunkt unseres Interviews wohnt sie in Thailand.

"Es ist das Beste, was ich je in meinem Leben getan habe", sagt sie. "Wenn du dich nach einer normalen westlichen Diät ernährst, Salz und gekochte Fette isst, kann es gefährlich sein, kein Wasser zu trinken. Ich habe mich allerdings auf eine rohe, vegane Ernährung umgestellt und beziehe meine Flüssigkeit aus Früchten mit lebendigem Wasser. Ich habe aufgehört, totes Wasser aus Flaschen oder dem Hahn zu trinken. In den Wasserflaschen ist nichts. Es ist die Wasserindustrie, die uns sagt, dass wir ständig trinken müssen."

Auch wenn "lebendiges Wasser" vor allem nach einfältigem Eso-Gedöns klingt, gibt es dafür durchaus wissenschaftliche Belege. "Es ist bekannt, dass wir unser Wasser nicht nur aus Wasser beziehen. Wir erhalten es auch aus Gurken, Melonen und anderen wasserhaltigen Nahrungsmitteln", erklärt Haleh Moravej, Dozentin für Ernährungswissenschaften an der Manchester Metropolitan University.

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In gewissen Situationen, wie nach dem Sport, sagt sie, könne das Wasser aus Pflanzen wieder die Mineralien liefern, die unser Körper beim Schwitzen verloren hat: "Für Elektrolyte eignet sich das Wasser einer Gurke besser als Leitungswasser. Beim Sport verlierst du Salz. Gurken sind eine bessere Kaliumquelle und eignen sich nach dem Sport besser für die Flüssigkeitsaufnahme."

Allerdings, sagt Haleh, müsse der Durchschnittsmensch neben diesen Nahrungsmitteln immer noch Flüssigkeit zu sich nehmen. "Die beiden effektivsten Hydrierungsflüssigkeiten sind Milch und Wasser – das weiß man aus jahrelanger Forschung und Erfahrung", sagt sie. "Ich würde Menschen weiterhin empfehlen, ihre fünf bis zehn Portionen Obst und Gemüse am Tag zu essen, aber dazu auch ausreichend Flüssigkeit zu sich zu nehmen – sei es in der Form von Wasser oder anderen geeigneten Getränken."

Die Vorstellung, dass sich der Flüssigkeitsbedarf allein durch Nahrung decken lässt, ist nicht nur unter jungen Frauen auf Instagram verbreitet. Dr. Howard Murad, Medizindozent an der UCLA und selbsternannter "Vater der modernen Wellness", hat ein Buch mit dem Titel The Water Secret geschrieben. Darin behauptet auch er, dass es besser sei, wässrige Nahrung zu essen, als mehr Wasser zu trinken.

Dr. Murad vertritt die These, dass übermäßiger Wasserkonsum Vitamine und Mineralien aus dem Körper schwemmt. Das Wasser in Nahrungsmitteln hingegen – und die "Vitamine, Mineralien, Enzyme, Antioxidantien und sekundäre Pflanzenstoffe", die sie enthalten – könne langsamer absorbiert werden und bleibe länger in unseren Körpern. Eine Studie von Forschenden der Aberdeen Medical School kam zu ähnlichen Ergebnissen.

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"Ich würde Menschen dringend davon abraten, auf Wasser zu verzichten" – Haleh Moravej, Ernährungswissenschaftlerin

"Wir nehmen Wasser auf, um den Wassergehalt unserer Zellen aufrecht zu halten – und das lässt sich besser machen, indem du dein Wasser isst. Das wird dann langsam im Körper abgegeben, während du die Nahrung verdaust, anstatt alles auf einmal", sagt Dr. Murad. "Solange du nicht durch Hitze, Sport oder Krankheit dehydriert bist, läuft das Wasser nur durch dich durch."

Ich frage Elaine Anderson, eine selbstständige Ernährungsberaterin mit zehn Jahren Berufserfahrung, und Ernährungswissenschaftlerin Haleh Moravej, ob sie Studien kennen, die den Wasserverzicht in irgendeiner Weise unterstützen. Beide verneinen entschieden und verweisen auf die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation, der Harvard Medical School und so ziemlich jeder Gesundheitsseite im Internet.

"Ich würde Menschen dringend davon abraten, auf Wasser zu verzichten", sagt Haleh. "Unser Körper besteht zu 70 Prozent aus Wasser. Die Flüssigkeitsaufnahme ist wichtig zur Konzentration, für unsere Stimmung und unser Wohlergehen – und natürlich auch für körperliche Aktivitäten. Wir brauchen Wasser, um die ganzen Nährstoffe zu verarbeiten, wir brauchen es für unseren Stoffwechsel. Es spricht einfach sehr viel dafür, dass Dehydration schädlich ist."

Trotz allem sagen Sophie und Alise, dass sie noch keine gesundheitlichen Probleme durch ihren Wasserverzicht hatten.

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"Ich habe aufgehört, Salz und Öle zu essen", sagt Sophie. "Ich lebe von wasserhaltigem Obst und Gemüse – und das, kombiniert mit Trockenfasten, ist sehr gesund für den Körper. Die Menschen sind schockiert, wenn sie hören, dass ich aufs Trinken und Wasser verzichte, aber da steckt eine ganze Wissenschaft hinter."

Die schockierten Reaktionen, von denen Sophie spricht, sind verständlich: Elaine sagt, dass jeder Ernährungsberater, mit dem sie über das Thema gesprochen habe, verwundert darüber war, dass jemand überhaupt auf die Idee kommen würde, kein Wasser mehr zu trinken. Sie habe auch noch nie von einer Person gehört, die aus gesundheitlichen Gründen auf Wasser verzichtet hat. Menschen bräuchten Wasser, um Mineralien durch den Körper zu transportieren und Giftstoffe auszuscheiden.

Aber wir haben noch gar nicht über das Trockenfasten gesprochen.

Trockenfasten bedeutet, mindestens 12 Stunden auf Essen und Trinken zu verzichten. Manche tun das bis zu zehn Tage am Stück. Seit Jahrtausenden fasten Menschen aus religiösen Gründen. Wellness-Hungern hingegen ist ein neuer Trend – und nichts, was Expertinnen und Experten als besonders schlau erachten. Vor allem nicht, wenn du deine Flüssigkeitsaufnahme ohnehin nur durch Nahrung abdeckst.

Es gibt zahlreiche Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen Instagram und Essstörungen

Diverse Studien legen nahe, dass Intervallfasten, bei dem man zwischen 16 und 24 Stunden auf Essen und Trinken verzichtet, gesundheitliche Vorteile haben kann. Wenn man ohnehin bei guter Gesundheit ist. Allerdings liefen viele dieser Studien nur über einen kurzen Zeitraum oder wurden an Tieren durchgeführt. Außerdem ist man sich einig, dass Intervallfasten gefährlich sein kann, wenn man untergewichtig ist oder in der Vergangenheit unter Essstörungen litt.

Wenn du planst, 24 Stunden lang zu fasten, raten die meisten Ratgeber, vorher einen Arzt zu konsultieren. Auch wenn längere Fastenperioden für manche Menschen gewisse Vorteile haben können, klagten 72 Prozent der Teilnehmenden einer Studie mit 768 Menschen, die 48 Stunden fasteten, über Nebenwirkungen wie Müdigkeit, Schlaflosigkeit und Schwindel. Zusätzlich zu untergewichtigen und Menschen mit Essstörung sollten auch Personen mit Diabetes vom Typ 1 oder niedrigem Blutdruck nicht länger fasten. Stillende Frauen, Schwangere oder solche, die ein Kind bekommen wollen, sollten ebenfalls nicht auf die Nahrungsaufnahme verzichten.

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Doppelt beunruhigend ist der Fasten-Hype auf Social Media. Es gibt zahlreiche Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen Instagram und Essstörungen. Manche Menschen verstecken ihre Essstörung hinter vermeintlicher Wellness. Auch zwanghafte gesunde Ernährung, sogenannte Orthorexie, kann eine Krankheit sein.

Ernährungswissenschaftlerin Elaine hat gar nicht die Zeit für längere Fastenperioden. Sie beschreibt den Trend als beängstigend und verweist auf die fehlenden wissenschaftlichen Belege für die vermeintlichen Gesundheitsvorteile. Längere Fastenperioden könnten zu Dehydrierung, niedrigem Blutdruck, Müdigkeit und Kopfschmerzen führen. Außerdem seien die Langzeitfolgen für die Nieren bedenklich.

Sophie fastet jeden Tag zwischen 18 und 11 Uhr. Beim ersten Mal habe sie noch das Universum um Hilfe gebeten. Ihr Gesundheitszustand habe sich dadurch extrem verbessert, sagt sie. Alise legt längere Fastenperioden ein. Sie glaubt, dass Essen "totale Ablenkung und großer Ballast" sei. Sie sagt: "Ich glaube, dass es im Leben etwas Größeres gibt als Frühstück, Mittagessen, Abendessen und Arbeit."

Offensichtlich scheinen Sophie, Alise und andere unter ihrem aktuellen Lebensstil nicht akut zu leiden, sonst würden sie ihn wahrscheinlich nicht so lange durchziehen. Problematischer ist allerdings, dass sie aktiv diese Ernährungsentscheidungen als Weg zur besseren Gesundheit anpreisen. Kontext oder Sicherheitsratschläge gibt es dazu in der Regel nicht. Hier wird es problematisch.

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Die meisten Social-Media-User führen ein komplett anderes Leben als die Frauen auf ihren Handybildschirmen

Elaine weist darauf hin, dass der Hashtag #NoWater regelmäßig in Posts über Clean-Eating und Wellness verwendet wird. Die Gefahr sei, dass die Bündelung mit so vielen anderen wohlgemeinten Ratschlägen zur Selbstverbesserung Fehlinterpretationen begünstigt.

Wenn du nicht gerade das Influencerinnen-Traumleben von Menschen wie Sophie und Alise lebst, kommst du nicht immer so leicht an frisch gepressten Wassermelonensaft oder hast morgens die Zeit, dir zum Frühstück ein Kilo Trauben reinzupfeifen. Wasserhaltiges Obst und Gemüse kann dem Körper Flüssigkeit zuführen, aber die meisten Social-Media-User führen ein komplett anderes Leben als die Frauen auf ihren Handybildschirmen.

Als ich beide Influencerinnen direkt frage, ob sie in ihrer Verbreitung der wasserfreien Ernährung irgendwelche Gefahren sehen, zeigt sich keine übermäßig besorgt. Alise sagt, dass jede Userin und jeder User selbst entscheiden müsse, was er oder sie von Instagram mitnehme. "Du hast dieses Tool und du entscheidest selbst, wie du es benutzen möchtest." Sophie betont, dass ihr Account keineswegs den Eindruck erwecken sollte, dass #NoWater und Trockenfasten über Nacht alle Probleme verschwinden lassen. Sie sagt, dass sie allen, die sie um Rat bitten, erkläre, dass eine solch große Ernährungsumstellung langsam und mit Bedacht angegangen werden muss.

Auch Dr. Murad scheint die Sache eher gelassen zu sehen. "Ich mache mir keine großen Sorgen, dass Menschen #NoWater sehen und dann mit dem Trinken aufhören. Das Durstgefühl ihres Körpers wird sie dazu bringen, etwas zu trinken."

Aber machen sie es sich damit nicht zu einfach? Ein paar perfekt komponierte Bilder, Tausende Follower und eine starke persönliche Marke reichen, um den Anschein der Legitimität zu verleihen. Eine Ernährungsweise als Allheilmittel zu predigen, die unter normalen Umständen gefährlich sein kann, bleibt allerdings unverantwortlich.

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