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The Sprinkles of the Sandman Issue

Urlaub in der Ukraine Teil 2

Der zweite Teil des Road Trips durch die Ukraine

Unser Plan ist es, in die Karpaten zu fahren, in unserem Reiseführer haben wir nämlich von dem Bergdorf Ust-Tschorna gelesen, das 1815 von österreichischen Holzarbeitern gegründet wurde und in dem die ganz alten Leute neben ukrainisch einen seltsam verfärbten Tiroler Dialekt sprechen. Unsere Erwartungshaltung ist es also, mitten in der Karpatoukraine von kernigen Greisen in Lederhosen mit „GRIAS EING! WOLLTS A GUADE BORSCHTSCH MIT SPECKKNEDL?“ begrüßt zu werden, und so stoppen wir hungrig los. Ein netter Schnauzbart-Prolo im Lieferwagen nimmt uns mit, an seinem Rückspiegel hängen Bilder nackter Frauen mit aufgeblasenen Duttln an den Schnüren verknotet mit orthodoxen Ikonen. Er erzählt uns einiges auf Ukrainisch, schenkt uns eine Postkarte, auf der irgendein Dorf drauf ist (Als er sie A. zeigt, deutet dieser auf die abgebildete kleine Dorfkirche und fragt auf Russisch „SCHLOSS?“. Wir müssen wirklich lieb wirken.) und verabschiedet uns euphorisch.

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Kurz durchqueren wir ein verschlafenes Dörfchen mit verschreckten Schulkindern und kaufen von einer alten Frau zwei Paprika, für die sie von uns gar kein Geld will, dann steigen wir auch schon in den nächsten Wagen, wieder ein kumpelhafter Kerl, der extra seine THE BEST OF THE 90‘ CD gegen echte huzulische Volksmusik austauscht, während A. sich mit ihm lange unterhält (DAS SCHÖNES LAND. MEIN VATER TSCHECHE. MUTTER VON GROSSMUTTER UKRAINE. WIR IST TOURISTEN. WIR STUDENTI. RUSSISCH WENIG.), betrachte ich verträumt die Landschaft. Bei einer Abzweigung nach Ust-Tschorna steigen wir aus und machen noch ein Foto von ihm, auf dem er unbedingt seinen VW mit oben haben will.

An der nächsten Dorfstraße wollen wir weiterstoppen, stellen uns vor die netten Häuschen, deren Gärten voller Gemüsebeete und Obstbäume sind, und werden neugierig von den Bewohnern begutachtet. Eine Babuschka mit riesigen, gemütlichen Hängeduttln meint so ungefähr, es wäre sinnlos, hier zu stoppen. Sie ist wohlwollend besorgt um uns, während ihr Enkel uns mit waghalsigen Turnübungen am Apfelbaum beeindrucken will. Eine andere Frau kommt gerade so vorbeispaziert, ebenfalls freundlich erstaunt, sie trägt einen Strauß Rosen und drückt mir einfach eine davon in die Hand und spaziert weiter. Wir sind wieder mal total entzückt über die Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft der Leute, denen wir begegnen. Diese Nettigkeiten sind wie ununterbrochene kleine Dosen MDMA, immer wieder auf der Reise wiederholen wir wie im Kanon die Worte :„Er/sie war so lieb. Wie lieb. So lieb!“. Sobald wir nach einer halben Stunde wieder von diesem Glücksgefühl runterkommen, passiert irgendwas Neues und wir vergehen in einer Wolke von Behaglichkeit, fühlen uns gern gehabt und behütet und verfallen in unser Mantra „Lieb, so lieb, wie lieb.“, als hätten wir kein Gehirn mehr. Auch jeder Fahrer, der uns mitnimmt, löst bei uns diese Betörung aus, so trägt uns ein sanfter Liebesrausch von Ort zu Ort. Wir fragen uns, ob es an den Ländern liegt, oder ob das einfach die natürliche Reaktion auf eine ungefährliche (weil nicht tatsächlich mittellose) Hilflosigkeit ist.

Ein Typ mit goldenem Gebiss fährt mit seinem rückenkranken Sohn auf seinem Pferdewagen vorbei und bietet an, uns mit seinem Auto nach Ust-Tschorna für 20 Dollar zu fahren, aber wir lehnen dankend ab. Später kommt ein Bus, der nach Dubove fährt, von dort könnten wir weiter, sagt man uns, und so steigen wir ein und der Fahrer plagt sich die unglaublich schlechten Straßen hinauf, auf denen man für 60 Kilometer bis zu 3 Stunden braucht. Während der Fahrt kommen uns immer wieder mächtige, mit riesigen Stämmen beladene Holztransporter entgegen.

In Dubove, einem 10000-Einwohner-Ort in den Karpaten, angekommen, essen wir einsam in einem verlassenen Hotelrestaurant mit 60 Tischen eine dünne Borschtsch, später setzen sich auch zwei völlig besoffene Typen oben ohne mit Bandanas am Kopf an einen Tisch, trinken Wodka und grölen sich gegenseitig an. Wir gehen Richtung Busstation, hocken uns auf die Wiese, warten, aber der Bus kommt und kommt nicht.

Mit uns wartet ein junger Kerl mit einem bubenhaften Gesicht im Militäroutfit, der uns irgendwann anspricht, A. unterhält sich mit ihm bruchstückhaft auf Russisch. Er heißt Juri, ist 22 Jahre alt und Holzarbeiter. Er meint, der Bus käme nicht mehr, wir müssten mit ihm stoppen, wenn wir nicht vier Stunden auf den nächsten warten wollten. Ust-Tschorna ist 15 km entfernt, nach einer Stunde nimmt uns ein Lieferwagen mit, in dem zwei bier-trinkende Männer sitzen, Techno hören und Slalom fahren, um den Schlaglöchern auszuweichen. An einer aufgelassenen Tankstelle müssen wir nach 20 Minuten Fahrt wieder alle aussteigen und wir warten wieder. Es ist mittlerweile schon stockdunkel und ziemlich kühl, mit uns warten außer dem netten Juri jetzt auch eine schwangere Frau und ihre kleine Tochter Paulina. Ich fühle mich schlecht, während wir das Ganze just for fun machen, sind sie jeden Tag darauf angewiesen, sich Stück für Stück über die beschissensten Straßen bis in die Nacht durchzustoppen, um von der Arbeit nach Hause zu kommen, von der es in dieser Gegend ohnehin wenig gibt, wie die Frau sich beklagt. Sie und ihr Kind werden relativ bald mitgenommen, und nach einer Stunde kommt ein herkömmlicher Bus, der zu unserem Ort fährt, es sind wieder maximal 10 Kilometer, für die wir ewig brauchen. Wir verabschieden uns von Juri und schauen uns im kleinen Ort um, suchen eine günstige Herberge, von der wir gelesen haben, allerdings werden wir, bevor wir die Suche richtig beginnen, von einer Frau gefragt, ob wir Hilfe bräuchten. Als wir sagen, wir seien aus Wien, holt sie ein paar Brocken Deutsch hervor, ihre Tochter lebe in Wien und ihre andere Tochter sei Deutschlehrerin und gerade bei ihr zu Besuch. Sie bietet uns an, für 14 Euro bei ihr im Haus zu schlafen, und wir nehmen das Angebot an.