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Die 1. August-Feier der ICF-Kirche ... auf LSD

Die Pop-Christen vom „International Christian Fellowship" boten ein angenehmes Trip-Umfeld aus Patriotismus und Nächstenliebe.

Till: Benj hat seinen persönlichen „Fear and Loathing"-Moment beim „Grüezi"-Schild auf dem Weg ins Zürcher Unterland, etwa eine Stunde nachdem er das LSD genommen hat. Zumindest erinnert sein hysterisches Lachen an den Film. Benj: Als ich beginne, wie ein rolliges Kaninchen durch meine Haare zu fahren, packt mich ein Momentchen Paranoia. Aber dann kann ich mich zurücklehnen, denn eigentlich gibt es keinen sichereren Drogenkonsum als unter der Beobachtung meines persönlichen Obi Wans. Da die Zufahrtsstrasse mit vier Bulldozern und dem Vermerk „Strasse gesperrt" abgeriegelt war, finden wir uns trotz Navigationsgerät auf einem Waldweg wieder. Nach der dritten Verbotstafel halte ich den Wagen an. Von der erzwungenen Pinkelpause bringt Benj etwas Grünzeug mit. Nachdem er ungefähr drei Blätter verspeist hat, fragt er uns: „Ihr schaut schon, dass ich keine giftigen Blätter esse oder so?"

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Zwischen all den Niederglatts und Oberglatts sehen wir Plakate von einer Bundesfeier mit Natalie Rickli. „Ich will Rickli luege! Rickli luege! Rickli luege!"

Leider mangelt es Rickli an dem religiösen Pathos, darum darf LSD-Benj nicht Rickli schauen gehen. Wir fahren weiter.

Als wir mit der mattschwarzen Proleten-Karre am ICF-Hof ankommen, ist die Zufahrt von glücklich-geretteten Menschen versperrt. Der Parkplatzanweiser sieht aus wie ein Pädophiler aus der Konzeptküche von David Lynch. Ich bin froh, dass ich nicht mit ihm sprechen muss. Trotzdem gäbe es unangenehmere Orte zum Trippen. Der Himmel ist blau wie ein Buben-Spielzimmer. Wir fragen uns durch und bekommen „All you can eat"-Armbändchen für 30 Franken pro Nase. Sie wollen wissen, ob wir zum ersten Mal hier seien. Ja, sind wir. Der Helfer um die 60 findet das „easy". In den Leuten suche ich nach dem SVP-ICF-Multimillionär Hans Ulrich Lehmann, aber der scheint noch nicht hier zu sein. In vulgärsoziologischen Beobachtungen stellen wir fest, dass hier die meisten Ehen per Katalog geschlossen wurden.

Als die Band anfängt, freue ich mich auf Jesus-Lyrics, aber sie spielen „Heimweh nach de Bärge", auch Bryan Adams „Summer of '69". Als auch noch Mani Matters „Hemmige" ab Band läuft, macht mich das sauwütend. Das hat Mani nicht verdient, alle Swissness in Ehren. Ich beruhige mich erst wieder als die „fancy young people" (O-Ton) ein Lied mit dem Refrain „Jesus längt mir" anstimmen. Das tönt schön nach Minderwertigkeitsgefühl. Wunderbar.

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Benj steht wie eine Salzsäule vor dem Raclette-Stand. Sein Blick ist stier auf die Holzwand der Scheune gerichtet. Die freiwilligen Helfer wollen uns in Gespräche über Hunger und Käse zu verwickeln, während sie uns Käse auf unsere Pappteller laden.

Allgemein ist die Stimmung sehr angespannt. Nur zwei, drei Gestalten reden drauf los, als ob sie den Dämon Legion im Körper tragen:„Isch jo es schöns Fescht und me chönd üs brav alächle, aber eigentlich macht das alles kei Sinn." „Bruuchts Läbe denn immer en Sinn?", fragt ein Seelsorger/Bauer mit tiefsinnigem Seufzer. „Nei, aber weisch: I ha au min Scheiss erläbt! Dunkli Gschichte, ganz dunkli." Ein (ex-)Junkie auf Selbstmitleidsrundgang? Jedenfalls ist hier der richtige Ort dafür, denn hier fühlen sich alle berufen zuzuhören. Im dritten Satz erwähnen sie dann Gottes Liebe. Ich will lieber ein Eis.

Benj hat das Spiel und Spass-Angebot für sich entdeckt. Wir ermuntern Benj teilzunehmen. Der Typ beim Ballspiel holt sich die Spieler mit Claims wie „Wollt ihr der Ehe etwas Pimp verleihen?" Ich ballere Benj vom Balken, danach jammern wir zwei Kindern den Melkstuhl ab und setzen Benj an eine Plastikkuh. Zur allseitigen Enttäuschung kommt nur Wasser aus dem Plastikeuter. Danach schicken wir Benj auf die Traktorrunde übers Feld.

Ein Moderator kündigt den Wettbewerb an. Wer, wie, warum und wo teilnehmen kann, versteh ich nicht. „Wieviel Mönsche läbed i de Schwiiz pro Quadratmeter? Es giht en Toblerone zgwünne." Der Typ meint eh Quadratkilometer, sage ich halblaut zu Till. So stellt man sich im Zürcher Unterland also Dichtestress vor! Der Typ sagt: „Die korrekti Lösig isch: 198." Ich kann mich nicht halten und schreie: „Das sind Quadratkilometer! Quadratkilometer!" Mit dem Taschenrechner kann ein Teilnehmer dann den Moderator von seinem Fehler überzeugen. Die Toblerone gewinnt am Ende der einzige erwachsene Teilnehmer.

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Beim Singen der Nationalhymne verpasst die ganze Festgesellschaft den Einsatz. Nach der zweiten Strophe geben alle auf. Jemand sagt: „Wie Shaqiri!" Benj versucht, beim Singen seine Finger zu kreuzen. Es will nicht ganz so revolutionär aussehen wie gedacht. Langsam sollten wir trotzdem hier weg.

Die 1. August-Ansprache hält ein Typ im Jack&Jones-Shirt. Er sagt, dass er leider kein Hemd mit Schweizer Kreuz mehr gefunden habe. Ich bin überzeugt, dass er von Jack&Jones gebrandet ist. Bart, Mini-Bäuchlein und sein englischer Akzent müssen das Rolemodel der Marke perfekt treffen. Sein Aufhänger ist so öd wie jede Sonntagsschule: „S Schwizerchrüüz erinneret nid an en christlichi Tradition, sondern an Jesus sälber." Und zudem gebe es viel Schlechtes in der Welt, das er auch nicht verstehe.

Ich war mal ein Pfadfinder-Christ, der mit leuchtenden Augen die Offenbarung des Johannes gelesen hat. Das ist lange her. Mein Weltbild wurde seither sicher drei Mal bei 90 Grad gewaschen. Heute wollte ich ausprobieren, wie weit die Gottesdroge LSD gemeinsam mit dem Keyboard-Gedudel der Popchristen zu mir durchdringen können: Werde ich für die Dauer des Trips bekehrt? Leider nein. Trotzdem war es ein schöner 1. August.