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Solange der Islamische Staat sein Gebiet hat, wird es Terror und Flucht nach Europa geben

Die Flüchtlinge mit den Attentaten in Paris in Verbindung zu bringen, ist absurd. Dass der sogenannte „Islamische Staat" schon so lange existiert, ist das eigentliche Dilemma.

Foto: Etienne Laurent/VICE News

Am Tag nach den Anschlägen von Paris kündigte der neue polnische Europaminister Konrad Szymański an, dass man in Polen angesichts der neu entstandenen Gefahr jetzt doch keine Flüchtlinge mehr aufnehmen möchte. Man hatte vereinbart, dass sich Polen mit der Aufnahmen von zumindest 6500 Menschen an einer europaweiten Verteilung beteiligen wird. Andere Länder wie Ungarn, Slowakei und Tschechien haben einer Quote noch gar nicht zugestimmt und fühlen sich durch den polnischen Rückzieher jetzt wohl bestätigt.

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Am Dienstag wurde dann bekannt, dass sich auch fast die Hälfte aller US-Bundesstaaten nach den Anschlägen dagegen ausspricht, syrische Flüchtlinge aufzunehmen. Zuvor wurde von Präsident Obama eine Aufnahme von 20.000 Flüchtlingen in Aussicht gestellt.

Beide Reaktionen, die von rechten Politikern hierzulande wohlwollend aufgenommen werden, sind reine Affekthandlungen. Sie werfen die mühsamen und zähen Verhandlungen rund um eine gerechtere Verteilung von Refugees von einem Tag auf den anderen über Bord. Angesichts der Faktenlage zu Flüchtlingen und dem jüngsten Terror sind diese Reaktionen aber vor allem eins: absurd.

Eine einzelne Spekulation sabotiert das gesamte Refugee-Konzept

Die einzige Verbindung, die bisher in irgendeiner Form zwischen Flüchtlingen und den Anschlägen gezogen werden kann, ist ein syrischer Pass, der bei einem der Attentäter gefunden wurde. Mittlerweile steht fest, dass der Pass gefälscht ist. Wer der Mann wirklich war, weiß man noch nicht. Die Person sei jedenfalls sowohl in Griechenland, Serbien und Kroatien registriert worden, heißt es seitens der zuständigen Behörden.

Kurioserweise widerspricht genau dieser Fall auch dem Argument, Flüchtlinge würden gar nicht oder viel zu selten registriert werden. Dass die Flüchtlingsroute eine einfache und bequeme Art ist, bis nach Paris zu reisen, kann nicht wirklich behauptet werden. Fest steht, dass Terroristen weder in der Vergangenheit noch in Zukunft einfach so mit Kalaschnikov und Sprengstoff über die Balkanroute marschieren werden.

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Die Ressourcen für die Anschläge kommen daher wohl aus Europa selbst—die Planung der genauen Durchführung und die Beschaffung der Waffen erfolgten nicht in Syrien, sondern direkt in Europa selbst. Auch die direkten Täter stammen von hier.

Attentäter sind „homegrown Terrorists"

Die bisher identifizierten Terroristen und Mittäter sind französische oder belgische Staatsbürger. Genau so war es auch bei anderen Anschlägen in der jüngeren Vergangenheit—bei Charlie Hebdo und der Schießerei in Kopenhagen, beim Anschlag in Brüssel auf ein jüdisches Museum, wie auch bei dem Attentat von London im Jahr 2005. Personell wird der Terror nicht von Menschen aus Syrien importiert—wenn schon, wird er nur von dort zurückimportiert.

So stehen dem einen gefundenen syrischen Pass schätzungsweise bis zu 6.000 Europäer gegenüber, die sich bisher der IS-Terrormiliz angeschlossen haben. Diese Rückkehrer sind es auch, von denen letztlich wirklich die Gefahr ausgeht, Anschläge in Europa zu verüben. So abartig die dschihadistische Ideologie an sich bereits ist—es macht einen Unterschied, ob sich jemand nur vor dem Laptop dafür begeistert, oder letztlich wirklich den Schritt macht, militärisch vor Ort aktiv zu werden.

Der Islamische Staat ist Vorbild für den Terror und Ursache für Flüchtlinge

Dass der sogenannte „Islamische Staat" an sich schon so lange existiert, ist sicher ein Hauptdilemma. Sowohl für die Flüchtlingszahlen, als auch für die jüngsten dschihadistischen Anschläge in Europa. Die enormen Flüchtingszahlen mögen Schwierigkeiten mit sich bringen—bezüglich Integration, Bildung, Arbeitsmarkt. Sie sind aber keinesfalls der Grund für mehr Terrorgefahr, sondern das Resultat von Terror.

Anderseits ist die geografische Existenz dieses selbsternannten „Kalifats" ein gefährliches Symbol für radikalisierte Personen. Während es Al-Qaida in unserer westlichen Wahrnehmung (trotz aller konkreten Gefahr, die von dem Netzwerk ausging) nie über den Status einer zerstreuten und dezentralen Organisation hinausgeschafft hat, ist die IS-Miliz ein physisch fixierter Ort und eine Art Showcase für Terroristen, die immer auf ihr real existentes Idealbild verweisen können.

Auf dieser kriegerischen Spielwiese wird die dschihadistische Ideologie endgültig verinnerlicht und findet die Verrohung statt, die es vermutlich erst möglich macht, Taten wie in Paris zu begehen.

Deshalb ist die derzeitige militärische Strategie von Präsident Hollande nachvollziehbar, die sich zum Ziel macht, die Terrormiliz in Syrien endgültig zu vernichten. Eine breite Allianz dafür scheint sich derzeit auch zu formieren. Krieg allein wird die Terrorgefahr in Zukunft sicher nicht lösen; wie schon an mehreren Orten gesagt wurde, liegt es auch an uns als Gesellschaft, Muslime nicht durch Ausgrenzung in die Arme der Extremisten zu treiben.

Gleichzeitig muss aber das kontrollierte Gebiet und die Vorstellung des „Islamischen Staates" von der Landkarte verschwinden. Bis es soweit ist, wird es noch mehr Flüchtlinge und wohl auch mehr Terror geben.