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Popkultur

Was wird eigentlich aus Poetry SlammerInnen?

Trotz Idealismus reicht eine Flasche Whiskey nicht zum Leben. So verdienen die Wortkünstler ihr Geld, wenn sie erwachsen werden.
Foto von EF Fotography

Als nichts weniger als die Wiedergeburt der Poesie wurde er Mitte der Nuller-Jahre gefeiert: der Poetry Slam. Von den USA über Deutschland ploppte die moderne Version des antiken Dichterwettstreits plötzlich auch in Zürich, Bern, Basel und ja sogar in Olten aus dem Boden. Junge Damen und Herren (leider vor allem Herren) werfen während maximal sechs Minuten mit Worten um sich, die das Publikum bzw. eine daraus ausgewählte Jury mit Punkten von 1 bis 10 bewertet, ähnlich wie beim Kunstturnen, Synchronschwimmen oder dem System von Krankenkassen-Umfragen.

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Trotz all der schlechten Seiten dieses Phänomens, dem Reduzieren der Literatur auf Unterhaltung, dem Reduzieren der Reflexion über Literatur auf 10 Punkte und dem von Frauen wie Männern nachgebeteten Soft-Deutschrap-Blumentopf-Poeten-Duktus (den ich, ganz ehrlich, niemals wieder in meinem Leben hören will) haben Poetry Slams auch etwas Gutes: Im Gegensatz zu klassischer Literatur und ihren Wasserglas-Lesungen bringen die Slam-Poeten Hunderte vor allem junge Leute zum Zuhören (und dann sogar auch noch zum Johlen).

Foto von Henrik Störm; Flickr; CC BY-SA 2.0

Das traditionelle Preisgeld dafür: eine Flasche Whiskey. Eigentlich ein hübscher Preis und auch ein passender für junge, wortbegeisterte Leute am Anfang ihrer Karriere, die noch zuhause wohnen und meistens studieren, sprich private oder staatliche Unterstützung erhalten. Doch auch die werden irgendwann alt. Und spätestens mit 25 kann man sich das Leben auch mit einem Vollzeit-Job eigentlich sowieso nicht mehr leisten. Von was also leben Slam-Poeten? Und wie füllen all die Laurin Busers und Gabriel Vetters, die Simon Chens und Etrit Haslers ihr Portemonnaie?

Die Ideologie über Bord werfen: Bezahlte Auftritte

Wenn man etwas gern tut, warum dann nicht dasselbe einfach für Geld tun? Es ist ein offenes Geheimnis, dass an manchen Slams längst nicht mehr nur Flüssiges, sondern auch Bares über die Theke geht. Denn wie soll man sonst all die von jungen, enthusiastischen Kanti-Lehrern präsentierten und für einen Schul-Workshop am Nachmittag engangierten Slammer nach Brugg oder Baar, nach Herisau oder Uster locken? Gesprochen wird darüber natürlich nicht gerne, genauso wenig brüstet sich kaum jemand damit, dass er am Firmenanlass der ABB oder bei der Mitgliederversammlung des Rotary Clubs für einen würdigen Unkostenbeitrag eine halbe Stunde lang Texte zum Besten gegeben hat.

Die „wahren" Künste: Literatur und Musik

Rapper meinen über Slammer: „Die Leute, die slammen, tun das nur, weil sie zu schlecht sind, um zu rappen." Schriftsteller sagen das gleiche, halt einfach aus literarischer Sicht. Dass bei beiden Szenen dabei auch etwas Neid mitschwingt—wegen dem Zeitungsjubel auf der einen, dem Publikumsjubel auf der anderen Seite—kann man nicht bestreiten. Trotzdem ist es auffällig, wie viele Slammer früher oder später versuchen, in einer „echten" bzw. „wahren" Kultursparte ihr Glück zu finden: Simon Libsig hat ein Kinderbuch verfasst, Lara Stoll studiert Film und hat ihre eigene, verdrehte TV-Sendung und Laurin Buser macht jetzt 90er-Jahre Deutsch-Rap. Dass es gelingen kann zeigen Pedro Lenz, Jürg Halter (R.I.P. Kutti MC) oder Pablo Haller, die sich mit ihrem ganz eigenen Sound in die Herzen der Feuilletonisten geschrieben und performt haben. Dass aber bei weitem nicht alle diesen eigenen Klang besitzen, habe ich schon erwähnt.

Zu dem, was man macht, stehen: Kabarett & Comedy

Pressefoto von slamgallen.ch

Wer die besten Pointen hat, gewinnt. Das war nicht immer so, ist vielleicht auch jetzt noch nicht immer so—der letztjährige Schweizermeister Christoph Simon ist ein wunderbares, dabei leider viel zu seltenes Gegenbeispiel, aber meistens. Infantile Wortspiele und Schenkelklopfer siegen über Tiefgang, Story und Sprachgefühl. Dagegen ist nichts einzuwenden, doch nennt es dann bitte nicht „Dichterwettstreit". Slam Poetry ist zu grossen Teilen, ob geschrieben oder improvisiert, nichts anderes als Kabarett. Und mit abendfüllenden Programmen, denen sich nicht nur Gabriel Vetter oder Kilian Ziegler verschreiben, lässt sich gutes Geld verdienen: Lachen tut man nicht nur in der Stadt, sondern auch im Hinterland.

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Ein Hoch auf die Billag: SRF

Pressefoto von slamgallen.ch

Und hat man dann mal ein paar Säle zum Wiehern gebracht, kommt der Ritterschlag: ein Engagement beim SRF (meistens beim ersten Kanal und nicht bei SRF 2). Denn die Eidgenossen lieben Satire und Comedy. Ob es nun nur ein Auftritt bei Giacobbo/Müller ist oder ob man gleich eine Anstellung als Witzeschreiber beim meistgehörten Radiosender der Schweiz erhält wie Simon Chen: Dank der Billag ist kein Gag zu teuer. Wer hätte gedacht, dass die jungen Wilden, die früher in verrauchten Kellern und Kulturlokalen ihr adoleszentem Stürmen und Drängen in Worte fassten, am Ende in die Fusstapfen von Walter Andreas Müller treten?

Ob Slam-Poeten nun Kabarettisten werden, Alleinunterhalter, Rapper oder Deutschlehrer: Das mit der Wiedergeburt der Poesie, das hat nicht so wirklich geklappt.

Daniel Kissling auf Twitter: @kissi_dk

Vice Switzerland auf Twitter: @ViceSwitzerland


Titelbild von EF Fotography; Flickr; CC BY 2.0