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Was ich von meiner Arbeit in der Rüstungsindustrie mitgenommen habe

Wie ticken eigentlich Mitglieder einer oft gescholtenen Industrie, die am liebsten unsichtbar wäre? Eigen, aber herzlich, musste ich erfahren.
Foto von Pixabay

Wenn du morgens in Zürich-Oerlikon unterwegs bist, um mit deinen Kollegen aus der Rüstungsindustrie in Meetings zu sitzen, erkennst du, wie viel mehr die Schweiz zu bieten hat als Brezelkönig und lustig gestanzte Autobahnvignetten.

Ob biometrische Technologie zur Zutrittserfassung, Soft- und Hardware zur Überwachung, Einsatzroboter, Panzerteile, Raketenwerfer oder Munition—„Der Markt hier bietet fast alles", wie mir schon am ersten Arbeitstag eröffnet wird und ich finde mich schlagartig in einer Art Paralleluniversum wieder, das von aussen nur schwer fassbar und permanent Gegenstand kontroverser Debatten ist—angeheizt meist durch Intransparenz und Verschwiegenheit der staatlichen Kontrollinstanzen sowie kleinere und grössere Skandale, die es an die Öffentlichkeit schaffen.

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Foto von Pixabay; Public Domain

Dass jene Industrie dabei viel lieber technikbegeistert über Systeme und Lösungen spricht, statt über Waffen und Rüstungsgüter, ist die eine Seite. Dass das „Rapid Action Battalion", eine Anti-Terroreinheit aus Bangladesch , die für ihre Foltermethoden und immensen Kollateralopfer bekannt ist und deren Heimatland von der Schweiz keine Bewilligung zur Ausfuhr bekam, als Kunde einer Zürcher Firma enttarnt wurde eine andere.

Foto von Pixabay; Public Domain

Unterwegs im Zürcher Stadtzentrum, um IMSI-Catcher zu kaufen, werden solche Geräte dazu eingesetzt, um Daten und Standorte von Handys auch aus mehreren hundert Metern Entfernung auszulesen und erfüllen dabei den Zweck eines „vorgetäuschten" Mobilfunkmastes. Dabei passt so ein Gadget auch in jeden türkisen Herschel-Rucksack. Eine grosse Hilfe bei der Vermisstensuche, argumentieren Befürworter. Dass sie auch bei der Überwachung von Demonstranten, Dissidenten und allen anderen nützlich sind, entgegnen die anderen. „Dual-Use eben" , meint der nette Herr unserer Rechtsabteilung knapp.

Ob Anbieter solcher Produkte (notwendigerweise) eine „Dual-Morale" pflegen, hatte ich mich bis dahin schon länger gefragt. Meine Antwort(en) bekam ich während einer Sicherheitsmesse in Dubai.

Foto von Dirk Vorderstraße; Flickr; CC BY 2.0

Als Präsentationsplattform für Produkte der Sicherheits-, Überwachungs- und Rettungstechnik ist die Intersec eine der grössten Messen ihrer Art und versammelt für wenige Tage tausende Menschen, denen nichts wichtiger scheint als der Schutz und die Sicherheit besorgter Bürger oder unterdrückter Zivilisten.

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Foto von KrisfromGermany; Wikipedia; Public Domain

Gut, solche Verkäufer sind ja einigermaßen austauschbar. Dahinter erwarten einen aber nicht Pinky & der Brain („Dasselbe wie jeden Abend: Wir werden versuchen, die Weltherrschaft an uns zu reissen!"), sondern gut aufgestellte Brian-Ferry-Fans und Katzenliebhaber, von denen ich teilweise den Eindruck erhalte, dass sie gar nicht wissen, wo sie gelandet sind oder wozu ihre Erfindungen verwendet werden. Wer schon einmal durch die ETH gelaufen ist, kennt diese Art Ingenieur.

Auch herrscht hinter den Kulissen ein sehr offener und vor allem nüchterner Umgangston—unter Teilnehmern desselben Kulturkreises. Nicht weit von uns hat ein kleines Unternehmen aus der Bodenseeregion seinen Stand. Der Eigentümer hat sich die persönliche Anreise ebenso nicht nehmen lassen und erzählt mir stolz von seinen neuen Krypto-Handys. Auf die Frage, ob diese denn wirklich sicher seien, antwortet er mit „Pff!". Aber Marketingleute wollen ja auch gebraucht werden.

Auch wurde so manches Klischee auf der Intersecbrav bedient und so waren alle Chinesen im hintersten Teil des Hallensystems einquartiert. (Was sofort zum Smalltalk-Running-Gag des Tages wurde). Offiziell werden zwar alle Aussteller eines Landes räumlich zusammenhängend behandelt, um für Besucher ein „Herkunftsportfolio" der Teilnehmerländer entstehen zu lassen.

Da sich die Portfolios in ihrer Breite aber kaum unterscheiden, konnte durch die Lagezuweisung innerhalb des Hallensystems—zumindest subtil—ein wenig Wirtschaftsrassismus ausgelebt werden.

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Foto von Rudolf Schmidt; Wikipedia; CC BY-SA 3.0

Allgemein ist der alte Graben zwischen Ost und West in dieser Branche noch deutlich ausgeprägt: Unternehmen aus Osteuropa oder vom Balkan scheinen hier und im Büroalltag jedem suspekt. Die Russen haben ihre eigenen Veranstaltungen und sind im Ausland eher schwach vertreten und die Chinesen, na ja—sind eben doch Internationalisten. Amerikaner finden sich hier ebenfalls kaum und das Gerücht geht um, es gäbe da Verstimmungen mit der Königsfamilie. Dafür stellen sie im Nachbaremirat Abu Dhabi—auf der weltweit grössten Rüstungsmesse IDEX —gemeinsam mit Unternehmen aus der Golfregion weit mehr Aussteller, als alle anderen zusammengenommen und sind mit einem Hauptsponsor vor Ort.

Dass sich solche Weltbilder auch in den Verkaufskatalogen und –gesprächen niederschlagen und auf diese Weise westliche Käuferstaaten erreichen, ist leider traurige Grundlage eines Teufelskreises. So gab es stets eine Seite, die es in die Öffentlichkeit brüllt und eine, die diese Nachfrage wieder bedient und damit hausieren geht. Dass entgegen dieser Weltanschauung ausgerechnet ein Spanier an unserem Stand durch „unlauteren Wettbewerb", sprich Spionage, auffiel, kann man getrost als Ironie bezeichnen.

Foto von Cpl. Alfred V. Lopez; Wikipedia; Public Domain

Daneben werden schweizer, deutsche und etliche andere Stammtische ausgerufen, die ich versuchte zu meiden. Ausserdem traf ich auf einen weiteren Schwaben, der sich riesig über seinen Ausbildungsplatz gefreut und Verpflegung aus der Heimat mitgebracht hatte, und werde etwas neidisch auf einen nordamerikanischen Unternehmer, der mir versichert hatte, das Beste an seinen „Armored Cars" sei der Umstand, dass er problemlos darin schlafen könne, da er dort von der Hektik um ihn nichts mehr mitbekäme. Ein gepanzerter und bewaffneter „Carrier" von knapp elf Tonnen, um in sich zu gehen! Ich hielt das für ein klares Statement.

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