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Der erste Tag des NSU-Prozesses: Chaos, Festnahmen, Stylingchecks und dann Langeweile

Wie so viele haben auch wir keinen Platz im Gerichtssaal bekommen, doch zumindest durften wir auf den verwaisten Gängen des Oberlandesgericht München umherstreifen und dem ersten Prozesstag im Presseraum folgen.

Eine Hochsicherheitszone wurde am Montag rund um das Oberlandesgericht München eingerichtet. Trotzdem gerate ich gleich in eine Schubserei, als ich ankomme. Polizisten jagen zwei junge Frauen durch Polizeiketten und Journalistenhaufen rund um das Absperrgitter und versuchen sie daran zu hindern, ein Transparent auszurollen.

Ein gefundenes Fressen für mich und all die unzähligen Kamerateams, Fotografen und Journalisten, die wie ich bei der Münchner Platzvergabe-Lotterie kein Glück hatten, deshalb nicht in den Gerichtssaal dürfen, aber trotzdem Bilder von dem Jahrhundertprozess wollen. Sekunden später sind die Beamten mit den Frauen im Polizeigriff von den Augen der Öffentlichkeit eingekesselt. Die Aktivistinnen winden sich und schreien: „Staat und Nazis Hand in Hand!“.

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Ich hab meine Fotos und wechsle die Straßenseite. Hier achtet die Polizei penibel darauf, dass der Radweg nicht durch rumstehende Demonstranten blockiert wird. Deshalb kann ich aber kaum erkennen, was auf den ganzen Plakaten und Transparenten steht. „Tiefer Staat – derin devlet – in der BRD! – vergessen anzuklagen?“ Interessante Frage, finde ich.

Der Begriff tiefer Staat—auf türkisch eben derin devlet—beschreibt eine konspirative Verflechtung von Geheimdiensten, Politik, Justiz, Verwaltung und Rechten, erklärt mir ein Demonstrant. Man hat ja in letzter Zeit öfter gehört, dass nach der NSU-Geschichte das Vertrauen unsere migrantischen Mitbürger in den deutschen Staat arg gelitten habe. Zugegeben, auch ich halte diesen Verschwörungsglauben zunehmend für vernünftig.

Matthias aus München steht neben einem anderen Transparent gegen Naziterror und Rassismus, bei dem gleichnamigen Bündnis macht er seit Auffliegen des NSU mit. „Aufklärung“ müsse weit über diesen Gerichtsprozess hinaus gehen. „Rassistische Alltagsstereotpye und die rassistische Ermittlungspraxis ändern sich nicht, weil Zschäpe in den Bau geht“, meint er.

„– Vergessen anzuklagen?“ Diese Frage zielt auf die Verantwortlichen von der Polizei über die Geheimdienste bis zum Innenministerium und muss wohl vorerst mit „Ja“ beantwortet werden. Vor Gericht stehen erstmal nur Beate Zschäpe als mumaßliches Mitglied einer terroristischen Vereinigung und vier mutmaßliche Unterstützer des Nationalsozialistischen Untergrunds.

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Gestern sollte also aufgeklärt werden. Eigentlich wollte ich mit in den Gerichtssaal und die Chancen standen gar nich schlecht:

Beim zweiten Durchgang der Sitzverteilung sollten ausländische Medien besonders berücksichtigen werden. Die Gelegenheit wollte ich nutzen und mich um ein Los bewerben. Aber wie? Die Pressestelle des Oberlandesgerichts München verweist mich nach einem munteren „Grüss Gott“ genervt auf die „Verfügung“. Wo man die denn findet, frage ich, und die Frau am anderen Ende hält mich offensichtlich für eine totale Idiotin und schimpft: „im Internet natürlich“. Nur wiederwillig kriege ich noch detailliertere Angaben und finde dank unfreundlicher Unterstützung den Link zur „Verfügung". Man sollte sich in eine Losgruppe einteilen, den Auftraggeber angeben und den Presseausweis einsenden, steht da. Ich gehöre zu der Gruppe „deutschsprachiges Medium mit Sitz im Ausland"—also Gruppe Zwei: hier gibt es vier Plätzen für diese Konstellation, und ich sah meine Chancen vergleichsweise gut: nämlich vier zu rund Eintausend. Am nächsten Tag ruft eine andere wirklich nette Frau aus der Pressestelle an. Sie will nur nochmal nachfragen, deutschsprachiges Medium mit Sitz in New York?—„Ja“, bestätige ich. Bereits vor der Verlosung kann sie mir mitteilen, dass ich immerhin für den Zutritt in die heiligen Hallen des Gerichts akkreditiert bin. Danach höre ich nie wieder was und erfahre nur über die öffentliche Pressemitteilung, dass ich es leider nicht in den Saal geschafft habe …

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Aber ich will wenn schon nicht mit drinnen, dann zumindest möglichst nah dran sein. Ich gehe durch eine Art Bierzelt durch die Sicherheitsschleuse, die man sonst nur vom Flughafen kennt. Eigentlich ist es an Gerichten nicht üblich, Pressevertreter zu filzen, weil die hier aber auch behandelt werden, wie jeder andere potentielle Attentäter auch, büße ich hier leider mein Kindertaschenmesser ein, kann meinen Gürtel aber behalten.

Die Angeklagte Zschäpe im schnöden Bankangestellten-Look sehe ich das erste Mal im Fernsehen. Meine Akkreditierung für das Gerichtsgebäude ist sinnlos, denn selbst im Inneren des Gebäudes ist der gesamte Weg zum Verhandlungssaal durch einen provisorischen Pressspanplattenwall abgeschirmt. Also lande ich im Pressearbeitsraum und kucke ntv.

Hier hätte es auch eine Liveübertragung für die knapp 1.000 Journalisten geben können, die bei der Verlosung der Sitzplätze leer ausgegangen waren. Aber das hatte der vorsitzende Richter des Verfahrens abgelehnt. Um keinen Preis wollte man eine Revision riskieren, hieß es. Das Risiko, dass das Bundesverfassungsgericht die Übertragung verbietet oder das Urteil deswegen im Nachhinein einkassiert wird, ist lächerlich gering. Denn sie ist weder erlaubt noch verboten, die Rechtslage ist einfach nur unklar.

Sehr deutlich hatte der 6. Strafsenat im Vorfeld aber klar gemacht, dass man das Prinzip der Öffentlichkeit im Strafprozess partout nicht als ein elementares Rechtsprinzip anerkennen, sondern vielmehr als einen lästigen Tribut an einen vermeintlich wichtigtuerischen medialen Zeitgeist abtun wollte. Und auch wenn mittlerweile ausländische Medien in dem immer noch zu kleinen Saal Platz nehmen dürfen, hat es das Gericht trotzdem nicht geschafft, eine Lösung zu finden, die dem öffentlichen Interesse und dem Interesse der vielen Opfer und ihrer Angehörigen gerecht wird.

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Noch bevor überhaupt die Anklage verlesen wird, legen Zschäpes Anwälte mit dem berauschenden Nachnamen Heer, Sturm und Stahl  einen Befangenheitsantrag gegen den Richter vor. Ab da herrscht für den Rest des Tages Nachrichtenarmut. Die Menge der Schaulustigen und Demonstranten vor dem Gebäude wird von Stunde zu Stunde kleiner und auch die Polizei hat sich von dem Vorplatz zurückgezogen.

Zurück bleiben arbeitslose Kamerateams; einige haben sich klugerweise Campingstühle mitgebracht und können so bequem ausharren. In angespannter Langeweile wird im Presseraum trotzdem geschäftig weiter getippt und telefoniert – es ist ja trotzdem ein historischer Tag. Mehr oder weniger aus Verlegenheit wird an Zschäpes Auftritt gedeutelt. Ich glaube, sie ist einigermaßen stolz auf ihren Werdegang und schaut voller Zuversicht in eine Zukunft als lebende Ikone des Nazi-Terrors—hinter Gittern.

Auch das Sicherheitspersonal langweilt sich zusehends. „Wenn du einen Gürtel rein machst, sieht's noch geiler aus“, höre ich sie sagen. Eine Frau von einem Privatensicherheitsdienst, die jung, blond und hochgewachsen ist, ist wie ihr wesentlich älterer Kollege, sichtlich beeindruckt von ihrem Outfit. Enge schwarze Jeans, schwarze Stiefel, weisse kurzärmlige Bluse, kugelsichere Weste drüber. So läuft es sich offenbar ganz gut Treppe hoch, Treppe runter und über die Flure des Landgerichts.

Kurz vorm Einschlafen kommt wieder eine richtige Nachricht: Das Gericht verkündet am Nachmittag, dass der Prozess bis zum 14. Mai vertagt ist. Dann postieren sich alle Kameras im Presseraum Raum A 206 und warten auf die Pressekonferenz. Der Bundesanwalt will nur eine Sache klarstellen: Während der Ermittlungen habe es keine Hinweise auf Verwicklungen von Behörden gegeben. Im Presseraum werden stumme Zweifel darüber ausgetauscht. Zu dem Inhalt der Anklage darf vor der Verlesung erstmal auch nicht gefragt werden, auch das wurde klargestellt.

Das Frageverhalten ist also bei dieser ersten Pressekonferenz während des Prozesses verständlicherweise einigermaßen unmotiviert. „Sollen Verfassungsschutzbeamte während des Prozesses als Zeugen vernommen werden?“, bemüht sich ein Journalist. Nein das ist nicht geplant, erklärt der Bundesanwalt, denn es geht ja hier nicht um die Versäumnisse des Staates, sondern um die Taten des Nationalsozialistischen Untergrunds. Immerhin lacht niemand, aber wieder werden vielsagende Blicke ausgetauscht. Offenbar glaubt niemand hier, dass diese kategorische Trennung in diesem Prozess auf Dauer aufrecht erhalten werden kann.