Ein Blut-Crêpe mit Nutella als Topping; das für Florenz typische Gericht wird heute nur noch selten verkauft – wegen strengerer Auflagen und einem verändertem Geschmack der breiten Masse
Ein Roventini mit Nutella | Alle Fotos: PIETRO VITI
Menschen

Vergiss Blutwurst, hier kommen Blut-Crêpes

Roventini waren früher ein typisches Gericht der armen Bevölkerung von Florenz, heute gelten die roten Pancakes als Streetfood-Delikatesse

Vor einigen Jahren erreichte mich eine Nachricht, die mich sofort neugierig machte: Ein kleiner Foodtruck in Florenz verkaufte Crêpes aus Schweineblut – ein für die italienische Stadt typischer Streetfood-Snack.

Roventini, Migliacci, Sanguinacci – die fast schon vergessene Delikatesse hat viele Namen, ist aber immer eine kleine Crêpe-Variante aus Brühe, Mehl, verschiedenen Gewürzen und der Spezialzutat Schweineblut. Das Ganze wird dann in Öl oder Schmalz angebraten. So entsteht der einzigartige Geschmack irgendwo zwischen Pancakes, Innereien und Blutwurst.

Anzeige
Ein Mann mit Brille isst ein Blut-Crêpe

Der Autor isst ein Roventini

Eine Nahaufnahme eines Blut-Crêpes zeigt die poröse Oberfläche

Die Textur der Blut-Crêpes

Schweineblut als Hauptzutat klingt erstmal ziemlich wild. Man muss aber bedenken, dass es nicht nur in der italienischen Küche viele Rezepte gibt, die auf Blut basieren. In Deutschland kennt man Dutzende Blutwurst-Varianten. Auf den Philippinen gibt es mit Dinuguan einen Bluteintopf, in Südkorea isst man Sundae, auch eine Art Blutwurst. In Vietnam steht mit Bún bò Huế eine Suppe aus Schweineblut und Shrimps auf der Speisekarte, in Kolumbien gibt es mit Pepitoria ein Reisgericht mit Innereien und in Blut gekochtem Ziegenfleisch. Und wer könnte den berühmten Black Pudding im Vereinigten Königreich und Irland vergessen, eine Wurst aus gebackenem Schweineblut.

Jahrelang war Sergio Ballerini der einzige Roventini-Verkäufer in Florenz – und damit fast schon eine Legende. Ballerini war so beliebt, dass über seine Entscheidung, in den Ruhestand zu gehen, sogar in den Lokalmedien berichtet wurde. Auch mich stimmte sein Abschied traurig, weil ich dachte, mein Lieblings-Streetfood nun nicht mehr genießen zu können. Vor ein paar Monaten hörte ich dann von einem anderen Foodtruck, der ganz in der Nähe von Florenz Roventini verkauft.

Ein Foodtruck verkauft vor Florenz die typischen Blut-Crêpes

Der Foodtruck in Ginestra Fiorentina

Die Besitzerin des 70er-Jahre-Vans ist Alessandra Arena, sie steht damit jetzt regelmäßig in Ginestra Fiorentina, einem winzigen Dorf an der Hauptstraße nach Florenz.

Laut Arena gibt es genauso viele Zubereitungsarten wie Namen für die Blut-Crêpes. "Jedes toskanische Städtchen hat eine eigene Variante", sagt die Köchin. "Ursprünglich stammen sie aber aus Florenz." Früher waren Roventini vor allem ein Essen der Armen – genauso wie Lampredotto, ein anderes traditionelles Gericht aus Florenz, das aus dem Labmagen von Rindern besteht.

Anzeige

"Die Reichen haben das Blut immer weggeschmissen, also hat das gemeine Volk daraus diese Crêpes oder Blutwurst gemacht", erzählt Arena. Der Begriff "Roventini" stammt vom Wort "rovente" ab, auf Deutsch so viel wie "glühend heiß". Die Crêpes werden nämlich in einer siedend heißen Pfanne zubereitet – und man sollte sie am besten sofort verzehren.

Eine Frau steht vor ihrem Foodtruck, in dem sie Blut-Crêpes verkauft

Alessandra Arena, die Besitzerin des Roventini-Foodtrucks

Die Köchin gießt eine Schöpfkelle voller blutrotem Crêpe-Teig in eine großzügig eingefettete Pfanne

So werden die Blut-Crêpes zubereitet

Während Arena eine Schöpfkelle voller blutrotem Crêpe-Teig in eine großzügig eingefettete Pfanne gießt, erklärt sie das traditionelle Rezept. "Für die Roventini wurde das Schweineblut mit Brühe aus den Abfällen der Schweineschlachtung verdünnt. Danach hat man Mehl und Gewürze dazugegeben", sagt sie. Kalorienmäßig lassen sich Roventini ungefähr mit einer Scheibe Fleisch vergleichen – was die Crêpes damals für die Arbeiterklasse umso begehrenswerter machte.

Arena setzt auch heute noch auf das traditionelle Rezept und fertigt dafür ihre eigene Brühe an. Nur ihre toskanische Gewürzmischung bleibt ihr Geheimnis. Und in ihre Pfannen kommt ausschließlich extra natives Olivenöl. Unterm Strich macht das Blut ungefähr 25 bis 30 Prozent der Zutaten aus, am Ende folgen nur noch eine Reihe an Toppings wie Parmesan, Zucker oder Nutella. Arenas Blut-Crêpes allein schmecken nämlich relativ mild, ein süßer Belag ist also kein Problem.

Arenas Foodtruck erfreut sich großer Beliebtheit. Ein Kunde sagt, dass ihn die Crêpes zurück in seine Kindheit in Florenz transportierten, als seine Mutter ihn immer losschickte, um Roventini fürs Abendessen zu kaufen.

Anzeige
Mehrere Männer stehen vor einem Foodtruck und essen Blut-Crêpes

Die Kunden genießen Arenas Roventini

Vor dem Foodtruck sitzen drei Männer und essen Blut-Crêpes

Nett geplaudert wird natürlich auch

Obwohl das Gericht so beliebt war, war es in Florenz kaum noch erhältlich, nachdem 1992 ein neues Gesetz zum Verkauf von blutbasierten Produkten erlassen worden war. Jetzt braucht man eine besondere, von den lokalen Behörden ausgestellte Lizenz, um Schweineblut kaufen zu können. Wie Arena erklärt, wird Blut schneller schlecht als Fleisch und kann so extrem viele Krankheitserreger enthalten. Die Köchin bekommt ihr Schweineblut direkt aus einem Schlachthaus in der naheliegenden Stadt San Miniato. "Ich nehme immer einen sterilen Behälter mit, den sie mir dort auffüllen", sagt sie. Dabei folge man strengen hygienischen Vorschriften: "Ich darf das Schlachthaus nicht betreten. Einmal bin ich kurz reingegangen, weil es draußen so kalt war, und wurde direkt wieder rausgeschmissen."

Neben strengeren Auflagen hat auch der sich verändernde Geschmack der breiten Masse dazu beigetragen, dass mit Blut gekochte Gerichte heute nicht mehr so beliebt sind. Das ist schade, denn Blut ist an sich sehr vielseitig – es kann zum Beispiel super als Bindemittel eingesetzt werden, früher hat man damit viele Soßen abgebunden. Dazu ist Blut relativ nahrhaft, enthält nur wenig Cholesterin – dafür aber umso mehr Eisen – und besteht fast ausschließlich aus Protein.

All das bedeutet, dass Blut eine verschwendete Ressource geworden ist – vor allem, wenn man bedenkt, dass Blut zwischen 5,5 und 8 Prozent des Körpergewichts vieler Tiere ausmacht. Laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen wird Blut auch oft falsch entsorgt, was der Umwelt schadet.

Unsere Großeltern sind mit einer "bloß nichts verschwenden"-Mentalität aufgewachsen, die es so in unserer Generation leider nicht mehr gibt. Wenn wir das ändern wollen, gibt es auf jeden Fall genügend traditionelle Rezepte mit "ekelhaften" Zutaten, die wir ausprobieren können.

Folge VICE auf Facebook, Instagram, YouTube und Snapchat.