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Kriminalität

Wie ein Grundstück in Berlin zum Zielobjekt von Rockerbanden und Salafisten wurde

Erst kaufen dubiose Geschäftsmänner ein Gebäude, dann sollen Rocker die Mieter rausgedrängt haben. Und plötzlich will die radikale As-Sahaba-Moschee das Gelände kaufen.
Collage: VICE | Pixabay

Kfz-Werkstätten mit ausgeblichenen Werbeschildern und Autohäuser, deren Gelände mit rostigen Gittern abgesperrt sind, Wäschereien und Betriebe für Schrottentsorgung: In der Quitzowstraße in Berlin-Moabit rotten sich Industriehallen, die ihre beste Zeit hinter sich haben, zu einem Gewerbegebiet. Bei den Hausnummern 88/89 blättert der Putz von den Wänden, in den Schaufenstern der leerstehenden Gewerbe nichts als Einschmisslöcher und Risse. Rollläden verdecken die Türen, überzogen mit lieblosen Graffiti-Schmierereien.

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Das Areal, das wirkt, als hätte man es absichtlich sich selbst überlassen, hat in den vergangenen zwei Jahren das Interesse unterschiedlicher Figuren der Berliner Unterwelt auf sich gezogen: Nachdem zwei dubiose Geschäftsmänner die Immobilie 2016 kauften, wurden die Gebäude in der Quitzowstraße 88/89 gezielt angegriffen, die damaligen Mieter und die Hausverwaltung bedroht. Sie vermuten gewaltbereite Rockerbanden hinter den Attacken und Einschüchterungen. Erst vor Kurzem erklärte außerdem eine radikale Moschee, das Grundstück kaufen zu wollen.


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Sachbeschädigungen im Wochentakt

Das Streitobjekt ist etwas mehr als 1.000 Quadratmeter groß, darauf stehen zwei Hallen, Büro- und Ladengebäude und eine Werkstatt; das Grundstück liegt unmittelbar in der Nähe des S- und U-Bahnhof Westhafen. Dort mieteten Anfang 2016 drei Gewerbe Räume an: eine Kfz-Werkstatt, ein Elektronikverleih und ein Fachgeschäft für Autoersatzteile. Im März beschloss die Eigentümergesellschaft, das Grundstück zwangszuversteigern. Hamza und Tarik A. – zwei Cousins, umtriebige Geschäftsmänner und noch keine 30 Jahre alt – erhielten den Zuschlag und sollten etwas mehr als 750.000 Euro dafür zahlen. Die Hausverwaltung hatte einen laufenden Vertrag bis 2023 und musste seitdem monatlich Pacht an die Neueigentümer zahlen.

Kein halbes Jahr nach dem Kauf der Immobilie durch die A.s kam es bei Mietern zu Sachbeschädigungen und Einbrüchen. Die Angriffe folgten immer dem gleichen Muster: Kleine Gruppen von Männern fuhren auf Motorrädern vor, warfen Steine auf Schaufenster, beschmierten die Wände oder brachen in die Läden ein. "Diese Überfälle damals hatten System", sagte ein Mitarbeiter des Geschäfts für Autoersatzteile gegenüber VICE, "die wollten uns raushaben."

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Graffiti-Schmierereien und zerstörte Fassaden: Die Quitzowstraße 88-89 | Alle Fotos: Jan Karon

Mit "die" meint er "breite Schränke arabischer oder türkischer Herkunft", die sich als Rocker zu erkennen gaben. Mit "Übergriffen" meint er Vorfälle wie den von der Silvesternacht auf 2017: Damals schmissen drei Vermummte am späten Abend die Schaufenster in der Quitzowstraße 88/89 mit Pflastersteinen ein. Oder den vom 7. April 2017, als Täter die Außenfassade, Türrahmen und den Eingangsbereich demolierten und insgesamt einen Schaden von etwa 20.000 Euro hinterließen. Vier Anzeigen, erstattet zwischen Oktober 2016 und April 2017, liegen VICE vor, zu Sachbeschädigung kam es nach übereinstimmenden Mieterberichten aber alle paar Wochen. Immer auf dem Grundstück der Quitzowstraße 88/89, nie bei ihren Nachbarn.

"Wenn du zur Polizei gehst, bist du ein toter Mann"

Die Hausverwaltung informierte die Eigentümer immer wieder über die Vorfälle. Doch die A.s kamen für die Schäden nicht auf, verwiesen auf die Gebäudeversicherung und wechselten immer wieder die Bankkonten, wodurch Zahlungen der Hausverwaltung zurückgebucht wurden, wie aus Korrespondenzen hervorgeht, die VICE vorliegen. Einer der Mieter nennt sie "untätig", ein anderer "nicht gerade kooperativ".

"Ich gehe davon aus, dass es sich jedes Mal um dieselben Täter handelt, da man mich von dem Grundstück vertreiben will", gab H., der Geschäftsführer der Hausverwaltung, im Januar 2017 bei der Polizei zu Protokoll. "Man hat mich bereits verprügelt und mir mit dem Tod gedroht." Er vermutet einen Plan hinter den Einschüchterungen, der gezielt vorgesehen habe, die Mieter rauszudrängen. Und der ab Oktober 2016 systematisch und brutal umgesetzt wurde.

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Am 6. Oktober trafen er und Hamza A. sich in einer Pizzeria in Berlin-Charlottenburg, so erzählt es H. gegenüber VICE. Der Neueigentümer habe ihm mitgeteilt, dass er das Gelände "anderweitig nutzen" wolle, und soll ihm 30.000 Euro für die Auflösung des Pachtvertrags angeboten haben. H. verlangte daraufhin 200.000 Euro. Vier, fünf Schränke, alle gepflegt und gut gekleidet, hätten im Anschluss den Raucherbereich der Pizzeria betreten. Einer von ihnen habe H. ohne Vorwarnung ins Gesicht geschlagen. Als H. sagte, er würde die Körperverletzung anzeigen, soll der Satz gefallen sein: "Wenn du zur Polizei gehst, bist du ein toter Mann." H. sei danach mehrfach zurück auf seinen Stuhl geprügelt und ins Gesicht geschlagen worden.

Unmittelbar nach dem Treffen soll ihm Hamza A. gesagt haben, dass die Täter Hells Angels gewesen seien, die in die Immobilie wollen. Aus Polizeikreisen will er später erfahren haben, dass die Beamten ein "türkisches Hells-Angel-Chapter" hinter der Schlägerbande aus der Pizzeria vermuten. Die Hells Angels betrieben in der Tat jahrelang ein Klubhaus namens "Angel Palace" in der Quitzowstraße, das 2005 schließen musste. Das LKA teilte gegenüber VICE jedoch mit, dass weder damals noch heute Aktivitäten der Hells Angels in der Quitzowstraße bekannt seien.

Aus Angst, wie er sagt, erstattete H. erst dreieinhalb Monate später Anzeige, im Januar 2017. Den Pachtvertrag löste er trotz der Erpressungsversuche und Einschüchterungen nicht auf. Wegen eines Formfehlers kündigten die A.s ihm aber schließlich zum Januar 2018, das Landgericht Berlin gab ihnen Recht. Bereits zwischen Oktober und Dezember 2017 waren alle Mieter ausgezogen, weil die systematischen Sachbeschädigungen nicht endeten. Die Immobilie war nun leer.

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Salafisten wollen das Grundstück kaufen

Im Sommer 2018 versuchte die radikale As-Sahaba-Moschee, das Gelände in der Quitzowstraße 88/89 zu kaufen. Der vom Verfassungsschutz beobachtete "Treffpunkt von Salafisten" musste zu Ende Juni aus seinen Räumen in Berlin-Wedding ausziehen. Anfang Mai machte die Moschee bekannt, dass sie nach einer neuen Immobilie suche. Die Hausverwaltung hatte den Mietvertrag nicht verlängert.

Bisher lehrte und predigte deren Imam, Ahmad Abul Baraa, in der Torfstraße 14. Die Besucher und Besucherinnen dort, oftmals deutsche Konvertierte, sind mit durchschnittlich 32 Jahren besonders jung. "Auffällig ist auch der Anteil der jihadistischen Salafisten", schrieb der Berliner Verfassungsschutz 2016, er umfasse fast die Hälfte aller Besuchenden.

Bis zum 31. Juni war die As-Sahaba-Moschee in einem Altbau der Torfstraße in Berlin-Wedding. Die Fenster sind mit Pappe verklebt, islamische Lebensweisheiten sind an den Fenstern angebracht

Doch Abul Baraa hatte bald nach der Gewissheit über den Auszug auch eine frohe Nachricht zu verkünden, am 17. Juni verfasste er einen Facebook-Post: Die Moschee sei auf der Suche nach einer neuen Immobilie fündig geworden, erzählt er darin. Zwei Lagerhallen, Platz für 1.000 Personen, Wohn- und Büroeinheiten. Den Kaufpreis bezifferte er auf 800.000 Euro, die Besitzer nannte er "Brüder von uns". Dazu lud er Fotos des Grundstücks hoch. Ein "Ort, wo man – mashallah – seine Kinder großziehen kann".

Engagierten Tarik und Hamza A. also gewaltbereite Rocker, um ihre Mieter rauszudrängen, und die Immobilie ein halbes Jahr später an Salafisten zu verkaufen? Tarik und Hamza A. bestreiten das vehement.

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"Ich will mit denen nichts zu tun haben"

Mit den Vorwürfen von VICE konfrontiert sagte Hamza A., dass er die Immobilie nicht mehr an Abul Baraa verkaufen wolle. Die Berliner Morgenpost hatte bereits Anfang Juli über den Fall berichtet und das Interesse der radikalen Moschee an dem Gelände öffentlich gemacht. Er selbst habe nie Kontakt zu den Salafisten gehabt, sagte er VICE, die As-Sahaba-Moschee hätte die Infos von einem Immobilienmakler. Dessen Namen will A. nicht nennen. Dass der radikale Imam die A.s "Brüder von uns" nenne, erkläre er sich damit, dass auch er Muslim sei. "Aber ich will mit denen nichts zu tun haben." A. sagte zudem, dass er sich selbst als Opfer sehe. Er berichtet, dass die Rocker sein Zuhause aufgesucht und sein Büro verwüstet, auch ihn eingeschüchtert und zusammengeschlagen hätten. Wegen der Vorfälle befinde er sich aktuell in psychologischer Behandlung. Dokumente, die seine Sicht der Dinge beweisen könnten, wollte er zusenden – brach dann aber den Kontakt ab.

Also alles nur ein Zufall? Eine Erklärung für die Verstrickungen könnte sein, dass Salafisten und Rockerbanden ihre Anhänger aus einem ähnlichen Milieu rekrutieren, sagt ein Kenner der Szene. Diese "Mischmilieus" befänden sich insbesondere in Westberlin, in Stadtteilen wie Wedding, Moabit oder Neukölln. "In einzelnen Fällen können die radikal Religiösen den organisiert Kriminellen helfen, vermitteln oder einen Gefallen tun." Oder anders herum.

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Hat Abul Baraa eine größere Summe in der Hinterhand?

Und die As-Sahaba-Moschee? Laut Abul Baraa hat der Verein Widerspruch bei der Hausverwaltung eingereicht, weil eine Option auf drei weitere Jahre angeblich im Mietvertrag vereinbart gewesen sei. Die Moschee muss vorerst aber weiter nach neuen Räumen suchen. Seit fast drei Monaten sammelt Abul Baraa nun schon Geld dafür. Er wirbt in einschlägig bekannten Moscheen, etwa der Al-Taqwa-Moschee in Hamburg-Harburg, um Spenden und fordert in Internetvideos seine Glaubensbrüder und -schwestern auf, auf eine PayPal-Adresse und ein Konto der Bank Fidor Geld zu überweisen. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Artikels hatte die As-Sahaba-Moschee fast 63.000 Euro auf PayPal eingesammelt. Anfang Juli verkündete Abul Baraa, dass man insgesamt 130.000 Euro zusammen habe.

Wie viel Geld die As-Sahaba-Moschee wirklich hat, ist unterdessen nicht sicher. Der innenpolitischen Sprecher der Linken, Hakan Taş, sagte gegenüber VICE, dass ihm Informationen "von verschiedenen Kanälen" vorlägen, wonach die As-Sahaba-Moschee bereits fast eine Million Euro von Financiers aus den Golfstaaten gesammelt haben soll. Aus Sicherheitskreisen hieß es gegenüber VICE hingegen, dass den Behörden keine Erkenntnisse vorlägen, die dies bestätigten. Was für Taş’ Theorie spricht: Laut Hamza A. soll die Immobilie in der Tat weitaus mehr wert sein als Abul Baraa in den YouTube-Videos und auf Facebook verbreitete. Er nannte gegenüber VICE einen Verkaufspreis von 1,5 Millionen. Ein ehemaliger Mieter bestätigte, dass er das Grundstück in einer Anzeige auf dem Portal Immobilienscout vom März 2018 für den Kaufpreis von 1,8 Millionen gesehen habe.

Auf Anfrage von VICE wollte Abul Baraa sich weder schriftlich noch telefonisch äußern. Er rede nicht mit der "zionistischen Sklavenpresse". Dafür offenbarte er kürzlich seinen Followern und Followerinnen in einem Video, dass das Objekt nicht mehr zur Verfügung stehe, weil die Sicherheitsbehörden die Eigentümer eingeschüchtert hätten. Von jetzt an wolle er bei der Suche konspirativer vorgehen. "Es gibt viele andere Objekte", so Abul Baraa, "und vielleicht finden wir ein Objekt, das nicht ganz so viel kostet."

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