Hat die Glorifizierung der neuen Modedrogen im HipHop ein kritisches Ausmaß erreicht?
Symbolfoto: Eva Luise Hoppe | VICE

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Hat die Glorifizierung der neuen Modedrogen im HipHop ein kritisches Ausmaß erreicht?

Medikamentenmissbrauch ist das neue Ding im Rap. Nach Lil Peeps Tod haben wir Suchtberater, Dealer, Deutschrapfans und Rapper gefragt, wie die neuen Drogen ins Game kamen und wie besorgt wir wirklich sein müssen.

Samstagnacht, Berlin-Kreuzberg, Prince Charles. In diesem Club hatte Lil Peep Mitte September 2017 eines seiner wenigen Deutschland-Konzerte gegeben. Ausverkaufte Show, kreischende Frauen in der ersten Reihe, die sich immer wieder an der Bühne abstützen müssen, weil die tanzende Meute dahinter ekstatisch nach vorne drückt. Ein ganzer Club, der wie aus einer Kehle die Lyrics singt: "Sometimes life gets fucked up, that's why we get fucked up."

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Einige Wochen später, am 15. November, stirbt Lil Peep noch bevor er ein Konzert in Tucson, Arizona spielen kann in seinem Tourbus. Er hatte mehrere Xanax-Tabletten genommen, dazu noch Fentanyl – zusammen eine tödliche Überdosis. Der toxikologische Bericht stellte außerdem noch Spuren von Marihuana, Kokain, Tramadol und weiterer Opiate wie Hydrocodon, Hydromorphon, Oxycodon und Oxymorphon in seinem Blut und Urin fest. Alkohol hatte er keinen getrunken.

Ein Drogentod, wie ihn schon viele Musiker und Berühmtheiten vor ihm gestorben sind – nur haben die eher selten HipHop gemacht. Aber auch da ist er traurigerweise nicht der Erste.

Lil Peeps Tod hatte zwei große Konsequenzen. Außerhalb seiner bisherigen Zielgruppe brachte er ihm plötzlichen Ruhm und Anerkennung. Innerhalb der HipHop-Gemeinde warf sein Tod eine wichtige Frage auf: Hat die Glorifizierung von Drogen im Rap ein problematisches Ausmaß erreicht? Plötzlich waren alle nüchtern – wenn auch nur für einen kurzen Moment.

Zwei Monate später. Lil Peep ist seit über einer Woche tot, im Prince Charles feiern HipHop-Fans. DJs legen von Bausa über 187 Strassenbande bis K.I.Z. alles auf, was die beißende winterliche Kälte aus den Körpern der Besucher treibt.

Auf dem Gang vor den Toiletten erzählen die Freunde Tino (27), René und Danny (beide 24) von ihren Erfahrungen mit Drogen. Marihuana ist im HipHop Konsens, besungen in unzähligen Lines. Aber auch der Hustensaft-Inhaltsstoff Codein ist in vielen Songs ein Thema – auch in ihrem Freundeskreis? "Auf jeden Fall, ich hatte schon immer mal Bock, das zu nehmen, hab' es aber noch nie gemacht", meint René. Tino und Danny haben es sogar schon mal probiert, allerdings sei es ein "komischer Turn" gewesen. Kokain nehmen sie zwar, aber selten. Auf Codein sei Danny erst durch US-Rapper wie Lil Wayne und später Future gekommen: "Es klang halt interessant." Sich den Sirup zu besorgen sei kein Problem, solange man jemanden kenne.

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René, Tino, Danny & Freund | Alle Fotos: Maria Keller

Schon 2015 hatten wir untersucht, ob Codein als Trenddroge aus dem US-amerikanischen HipHop in die Becher von Rapdeutschland geschwappt ist. Hustensaft Jüngling hatte sich damals schon nach dem lilafarbenen Sirup benannt, sonst sprachen nur Künstler wie Money Boy in ihren Songs und Vlogs von der Droge. Da ihr Movement in der restlichen Szene eher als Kuriosum belächelt wurde, war auch deren neuer Lieblingsdrink Lean außerhalb dieser kleinen Blase kein ernsthaftes Thema. Das hat sich geändert.

Hierzulande ist der Trap-Sound 2017 endgültig im Mainstream angekommen und Codein quasi fester Bestandteil in den Texten aktuell schwer erfolgreicher Rapper wie Bonez MC, Raf Camora, Nimo, Bausa oder Ufo361. Das liegt auch am Einfluss amerikanischer Trends, an denen sich die deutsche HipHop-Szene schon immer orientierte – heutzutage vielleicht sogar mehr als je zuvor. Bausa, der Ende 2017 mit einer Single acht Wochen lang auf Platz eins der deutschen Charts war, fasst das im Song "Fegefeuer" ganz schön zusammen: "Mach Codein in meinen Drink, als wär’ ich irgendein Ami."

Dass Codein nicht nur in ihre Double Cups und Texte einfließt, zeigen Rapper wie Ufo361 und Bonez MC in ihren Instagram-Storys. Letzterer hat die Droge schon öfter genommen und wegen seines Konsums laut eigener Aussage sogar fast einmal einen Herzstillstand im Flugzeug erlitten. Kein anderer deutscher Musiker erreicht so viele Fans auf Instagram wie der Kopf der 187 Strassenbande. Eine Million Follower konnte er bis jetzt ansammeln – das ist Rekord im Deutschrap. Folgt mit großer Reichweite auch große Verantwortung?

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Im Raucherbereich des Prince Charles kritisiert Annabel (21), dass Rapper ihren Codein-Konsum derart zur Schau stellen: "Das sind keine Vorbilder für mich." Sie selbst habe zu viel Schiss, die Droge auszuprobieren, aber jüngere Leute seien da eventuell nicht so vorsichtig, fürchtet sie, gerade wenn der Saft so "krass auf Instagram promotet" wird.

Joey Bargeld hat einen anderen Blick auf das Thema. Er ist selber Rapper und außerdem der Neffe von Bonez. Als Teil des aufstrebenden Kreuzberger Musik-Kollektivs KitschKrieg, zu deren Freundeskreis auch Trettmann und Haiyti gehören, rappt er selber nicht selten über Drogenkonsum, aber auch dessen Schattenseiten.

"Uns fehlt die kritische Betrachtung auf alles, was sich negativ auf diesem Planeten auswirkt." Damit meint er einserseits gesundheitsschädigende Substanzen wie Drogen, Alkohol oder Nikotin. Andererseits aber auch die fehlende kritische Betrachtung von sozialer Ungerechtigkeit, Kapitalismus oder der Ignoranz der Gesellschaft gegenüber den individuellen Problemen ihrer Mitglieder. Laut Joey Bargeld sind das alles mögliche Ursachen, weswegen manche Menschen überhaupt den Drang entwickeln, ab und zu der Realität zu entfliehen. Und das geht nun mal mit Alkohol und Drogen besonders gut. "Junkies gibt es überall. In jeder Gesellschaft gab und gibt es Menschen mit einem Hang zum Rausch und es wird sie immer geben. Auch Drogen in der Musik gab es schon immer. Nur die Kommunikation darüber hat sich verändert, die Sprache ist direkter geworden."

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Und dank sozialer Medien eben auch die Darstellung. Worüber früher in Drachen-Metaphern fantasiert wurde, das wird heute klar beim Namen genannt und zusätzlich live und mit Weichzeichner auf Instagram für jeden sichtbar gemacht. Und was einmal in der Welt ist, das kriegt man so schnell nicht mehr aus ihr raus. Joey Bargeld plädiert eher dafür, zu hinterfragen, wie über Drogen gesprochen wird – nicht dass. "Alles ist erlaubt und soll verstanden werden." Dazu gehört auch, mögliche Beweggründe zu reflektieren und Interpretationsspielräume zuzulassen.

Aber steigt die Nachfrage nach Codein und Schmerzmitteln auch im normalen Feiervolk? Nach Fans und Rapper treffen wir Jonas in einem Kreuzberger Café. In den 80er Jahren geboren, wuchs er in der aufkeimenden deutschen HipHop-Szene auf; mitten in ihrem rasendem, aufgeputschten Herzen: Berlin. Heute ist er Kokaindealer. Merkt er was von diesem vermeintlichen Drogentrend?


VICE-Video: "Das neue Kokain Kolumbiens"


"Ich wurde zwar noch nicht direkt nach Codein oder Schmerzmitteln gefragt, aber dass das zunimmt, bemerke ich trotzdem", sagt er. "Das ist von Amerika hier rübergeschwappt – wer nimmt denn Medikamente, um high zu werden? Das ist ein totales Ami-Ding. Und da alles, was aus den Staaten kommt, hier gerade 'in' ist, wird das auch in Deutschland langsam zum Problem."

Auch er sieht also ein Problem und kritisiert die gestiegene Nachfrage. Gleichzeitig dealt er selbst mit Drogen – wie geht das? "Ich sehe das so: Ich könnte auch Pornos drehen und gleichzeitig Verfechter des Jugendschutzgesetz sein. Ich denke sehr wohl, dass die Jugend geschützt werden muss, da sie beeinflussbarer ist." Jugendliche wollten dieselben Schuhe haben, dieselben Klamotten tragen und eben dieselben Drogen nehmen, um auf den gleichen Film zu kommen wie die Leute auf Instagram, meint Jonas. "Aber ich denke auch, dass jeder Mensch für sich selbst verantwortlich ist. Deswegen habe ich da persönlich auch keinen moralischen Konflikt. Ich würde aber auch Kindern nichts verkaufen."

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Er presst den Saft einer Zitronenscheibe mit den Fingern in seinen Ingwertee und nimmt einen vorsichtigen Schluck. "Ich mach das ja auch nicht, weil es meine Erfüllung ist, Leute mit Drogen zu versorgen, sondern weil es Kohle bringt." In einem sind sich Joey und Jonas einig: Natürlich sind Drogen schlecht. Aber den Umgang mit Drogen finden sie scheinheilig.

Etwas naiv ist vielleicht auch Joeys Rechtfertigung: "Ich denk mir immer, dass diese verschreibungspflichtigen Pharmazeutika zumindest sauberer als Heroin oder Koks von der Straße sein müssten", sagt Joey. "Außerdem vergisst man dabei, dass die legalen Drogen mindestens genauso abhängig machen wie die Illegalen. Nikotin zum Beispiel macht dich abhängiger als Heroin. Und von Alkohol wirst du genauso gefickt wie von Lean." Auch Jonas findet: "Meiner Meinung nach, ist Alkohol immer noch das Schlimmste von allem. Der verändert einen auch." Xanax und Codein würden Kranken in der richtigen Dosierung schließlich helfen – aber die meisten der Konsumenten in der Rapszene sind eben keine Patienten. Der Missbrauch von Medikamenten ist etwas ganz anderes als eine ärztlich verschriebene Therapie.

Xanax ist ein verschreibungspflichtiges Medikament, das eigentlich als Angstlöser gegen Panikattacken eingesetzt wird. In den USA ist es zurzeit die moderne Rap-Droge schlechthin. Da gibt es beispielsweise Lil Xan, der sich dem Medikament schon im Namen verschrieben, ihm nach Lil Peeps Tod aber öffentlich abgeschworen hat. Auch Lil Pump will 2018 kein Xanax mehr nehmen. Beide sind mit 21 und 17 noch verdammt jung, hoch gehandelte Newcomer und lassen ihr noch jüngeres Publikum offen an ihrer ambivalenten Beziehung zu Medikamenten teilhaben. In Deutschland sind bisher lediglich die Rapper Sierra Kidd oder Fruchtmax, die ihren Blick stets nach Westen richten, mit Xanax-Lines wie "Bestelle jetzt Xanax, jap tausend Stück" (Fruchtmax in "Droptop") aufgefallen.

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Dass in den USA gerade eine schwere Opioid-Krise wütet und Beruhigungs- und Schmerzmittel die Haushalte dank des leichten Zugangs fluten, ist kein Geheimnis. Logisch auch, dass sich diese gesellschaftliche Entwicklung auch in der Musik widerspiegelt. Aber nehmen auch deutsche Rapper und HipHop-Fans Xanax – ohne Rezept?

Laut dem Apotheker Christoph W. aus Berlin Charlottenburg, wird Xanax neben den Beruhigungsmitteln Valium und Tavor in Deutschland am häufigsten missbraucht: "Normalerweise sollte das etwa drei Wochen genommen werden. Wenn jemand jeden Monat mit einem Rezept kommt, ist das schon fragwürdig … Oder wenn die 100er Packung eigentlich für 50 Tage reichen würde, der aber schon nach 30 Tagen wiederkommt." Dann könne er die Herausgabe verweigern – was den Xanax-Liebhaber jedoch nicht daran hindert, einfach zu einer anderen Apotheke zu gehen. Allerdings musste sich Christoph in seiner Apotheke erst einmal weigern, Xanax raus zu geben – und das war bei einer älteren Dame. Nicht gerade der Prototyp eines modernen Rap-Fans, aber eine der häufigsten Betroffenen bei Medikamenten- und Schmerzmittelmissbrauch. Laut Experteneinschätzungen sind etwa 1.5 Millionen Menschen in Deutschland medikamentenabhängig. Zwei Drittel davon sind Frauen, hauptsächlich fortgeschrittenen Alters. Auch die medikamentenabhängigen Männer in Deutschland sind vorwiegend weit jenseits des jugendlichen Alters.

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An Xanax kommt man aber auch völlig unabhängig von Ärzten und Apotheken. "Du bestellst das im Internet, beziehungsweise im Darknet. Manche Sachen kommen durch, andere nicht", sagt Jonas. Er handelt nur mit Kokain, auch bei großer Nachfrage würde er kein Xanax verticken: "Ich sage mir immer: Schuster bleib bei deinen Leisten", sagt er und lacht.

Ausprobiert hat er es trotzdem schon einmal. Nachdem er schon den zweiten Tag wach war, Koks geballert und Alkohol getrunken hatte, nahm er mit zwei Freunden Xanax: "Ich hatte die Tablette im Mund und dieser Film begann gerade sich aufzulösen, da hat's sofort gescheppert. Kompletter Blackout." Später hatte er eine wütende Nachricht von einem Kumpel auf dem Telefon, der zu diesem Zeitpunkt schon in der gleichen Wohnung geschlafen hatte. Jonas und sein Freund hätten ihn angegriffen und aus der Wohnung vertrieben. Warum, weiß er nicht mehr.

Als im Prince Charles das Gespräch auf Xanax kommt, regt sich Annabel wieder über dessen Verherrlichung von Rappern auf. Verwandte von ihr leiden an Depressionen, sagt sie, und sie könne nicht verstehen, wie jemand es cool finden kann, Xanax zu schmeißen. Außerdem: "Druffis im Deutschrap? Richtige Opfer."

Annabel (rechts) & Freundin

Bei Xanax hört es auch für den Rap-Fan Danny auf. Generell sehe er die Entwicklung im US-Rap kritisch: "Früher haben sie darüber gesprochen, wie sie Drogen vercheckt haben, jetzt labern sie nur noch darüber, wie sie die Scheiße nehmen und übelste Turns schieben." Er vermutet, dass darauf auch die Jugend anspringen würde, so wie er und seine Freunde damals bei Dr. Dre und Snoop Dogg auf Weed.

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Auch er hat diese Sorge, dass "die Jugend" durch Vorbilder zum Drogenkonsum verleitet wird. Aber wird sie das denn überhaupt? Wir fragen Arthur Coffin, Suchtberater in Berlin-Charlottenburg. Einer seiner Schwerpunkte: Suchtarbeit mit Jugendlichen, die maximal 18 Jahre alt sind, darunter auch Insassen der Jugendstrafanstalt. Seiner Aussage nach sei die Zahl der Hilfesuchenden in den letzten Jahren konstant geblieben, Erfahrungen mit Codein habe er nur selten gemacht. "Dass Jugendliche hier herkommen und krasse Probleme mit Benzodiazepine, Opioiden oder Codein haben, ist eher die Ausnahme", sagt er. Und wenn, dann kämen die eher von der Straße und seien nicht Teil der Jugendkultur.

Generell hält er nichts davon, Musik als starken Einfluss auf den Drogenkonsum von Jugendlichen zu betrachten: "Jugendliche sind im Umgang mit solchen Geschichten viel schlauer als wir. Die können sehr gut zwischen Show und Realität unterscheiden." Inwieweit die Grenzen heutzutage durch Instagram gesprengt werden, kann er nicht sagen. Zwar versucht er, den jeweiligen Musikkonsum in die Sitzungen einfließen zu lassen, Insta-Storys seien aber bisher nie ein Thema gewesen. Generell ist er aber der Meinung: Man sollte nicht die Künstler verantwortlich machen, sondern sich fragen, wie die Eltern mit der Musikauswahl ihrer Kinder umgehen.

Richard (22) hängt ebenfalls im Raucherbereich des Prince Charles rum und sieht das alles nicht so eng. Er ist mit Rappern befreundet, die US-Rappern in Sachen Codein- und Xanax-Konsum nacheifern. Die Schuld sieht er nicht bei der Musik: "Jeder, der Ahnung vom Game hat, weiß, dass das ein Stilmittel ist." Jetzt zu sagen, dass man Rapper wie Lil Peep nicht feiern dürfe, weil die zu viel über Drogen rappen, ist seiner Meinung nach falsch – weil beides einfach unabhängig voneinander funktioniere. Kein Hörer nehme automatisch gleich auch die besungenen Drogen, genauso wenig wie Tatort-Zuschauer zu Mördern werden.

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Nicht selten mussten Musiker und andere Künstler schon als Sündenböcke herhalten, wenn gesellschaftliche Problematiken zu Tage traten. So wurde versucht, Marilyn Manson die Verantwortung für das Columbine Massaker in die Schuhe zu schieben und Eminem machte angeblich die Kids zu Frauenhassern. Dass die Probleme und Ursachen woanders lagen und auch heute liegen, ist offensichtlich. Denn meistens greift die Kunst lediglich auf Themen und Entwicklungen zurück, die längst vorhanden sind. In diesem Fall eine unleugbare Opioid-Krise, die an die 150 Menschen pro Tag in den USA das Leben kostet. Die Linie zwischen der Darstellung von Drogen und deren Verherrlichung verschwimmt jedoch leicht.

Salwa Houmsi (21) hält Schuldzuweisungen an Rapper dennoch für übertrieben. Sie hat schon für das Rap-Magazin Juice geschrieben, stand für den Rap-Blog splash! mag vor der Kamera und moderiert auf dem Jugendsender Fritz eine Radioshow. Nur weil heute mehr über Drogen im Deutschrap genuschelt wird, sei das ihrer Meinung nach nicht immer gleich auch eine Glorifizierung. "Sie sagen ja nicht nur, Drogen sind geil, sondern erzählen auch, wie sie darunter leiden", sagt sie.

Salwa Houmsi

Joey Bargelds Track "Drogen" ist ein Beispiel dafür. "Ich habe kein Problem mit Drogen in meinen Venen / Die Leute könn' das nicht verstehen, sie sehen nur das, was sie sehen", rappt Joey. Auch wenn die Lines keine offensichtliche Kritik am Drogenkonsum üben, erledigt das die musikalische Umsetzung zwischen den Zeilen – und das vielleicht eindrücklicher, als es eine "Drogen sind böse, Finger weg Kids!"-Line es könnte. In dem Lied herrscht eine beklemmende, bedrohliche Atmosphäre. Von lustigen bunten Landschaften und irgendwelchen Mädchen, die im Himmel mit Diamanten schweben, ist hier Fehlanzeige. Der Ort, an dem "Drogen" spielt, ist dunkel, einsam und verdreckt und Joey suhlt sich darin. In der Stimme schwingt mehr Schmerz und Wut als Euphorie. Gänsehaut. Die aktuelle Rap-Generation ist emotional und spricht offen über Gefühle, meint auch Salwa. Der verstorbene Lil Peep gilt nach wie vor als Galionsfigur dieser neuen, nach außen gekehrten Emotionalität.

Da Salwa als Musikjournalistin viel mit Rappern zusammenarbeitet, bekommt sie mit, dass Drogen bei ihnen ein Thema sind. Sie selbst legt Wert darauf, dass ihre Freunde keine Drogen nehmen, kann sich aber vorstellen, dass Künstler wie Rin mit ihren Texten über "Teile" und Club-Feiern einfach ein Gefühl bedienen, dass ihre Hörer eben haben.

Joey Bargeld würde den Ansatz noch weiter denken: "Viele Leute sind unzufrieden und verzweifelt." Jeder möchte – nein, muss! – etwas aus seinem Leben machen. Alle Möglichkeiten stehen der Jugend heute schließlich offen, man muss nur fleißig sein und hart arbeiten, dann kann es jeder zu Wohlstand und Anerkennung bringen und das dann am besten auch allen auf Instagram zeigen! So zumindest die Theorie. "Das führt viele junge Menschen in eine Art Identitätskrise", meint Joey. "Jeder nimmt oder macht irgendwas, um sich irgendwie zu entspannen, zu feiern oder auch um sich zu isolieren. Das spiegelt sich in der Kunst wieder."

Jonas, der Koksdealer, sieht das ähnlich. "Jede Generation hat ihre Droge. Für diese sind es eben Hustensaft und Antidepressiva." Vielleicht sagt das mehr über die Gesellschaft, in der wir leben aus, als über die Kids, die versuchen, irgendwie ihren Weg darin zu finden. Und das geht mit einem passenden Soundtrack eben einfach besser.

Im Prince Charles laufen die letztens Beats irgendeines Songs aus und vermengen sich mit dem berüchtigten "Brrrrra"-Adlib aus Miami Yacines Überhit "Kokaina". Die verschwitzten Körper der Jungs, Mädels, Betrunkenen und Nüchternen heben gemeinsam von der Tanzfläche ab, während sie im Chor singen und springen. Jeder so high wie er kann und will.

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