"Aufgeschnittene Menschen sind noch schlimmer als Koks" – ein Interview mit RAF Camora
Alle von Fotos von Matthias Heschl I Red Bull Photography

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Interviews

"Aufgeschnittene Menschen sind noch schlimmer als Koks" – ein Interview mit RAF Camora

Wir haben mit RAF Camora vor seinem Konzert über Österreich, Drogen im Rap und Yung Hurn gesprochen.

Der österreichische Erfolgsrapper RAF Camora hat Wien vergangene Woche im Zuge seines Homecoming-Konzerts in der Marx Halle beehrt. Für das Gratis-Konzert, das von Red Bull Music auf die Beine gestellt wurde, waren die Tickets in kürzester Zeit weg. Kurz war dann auch die Interview-Zeit, die uns mit RAF zur Verfügung stand, aber wie er uns später im Interview erklärte, sind wir verglichen mit anderen Medien eh noch ziemlich super ausgestiegen.

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Aber 15 Minuten sind fast zu wenig für den Manager, Producer und vor allem Rapper: Seine Schaffensgeschichte ist reichhaltig, seine Antworten ehrlich und direkt – eigentlich beste Vorraussetzungen für ein stundenlanges Interview.

Obwohl sein Live-Auftritt kurz nach dem Interview startete, strahlte er eine fast schon buddhistische Ruhe aus. Kurz gesagt: Der Erfolg kommt nicht von irgendwo und die jahrelange Erfahrung als Musiker merkt man ihm an. Wir haben mit ihm alles besprochen, was man in 15 Minuten besprechen kann: Palmen aus Plastik 2, Digitalisierung, Drogen, Österreich, Trap und natürlich auch seine Fünfhaus-Hood.

Noisey: Ich habe mir ja einige Interviews von dir angesehen und du bist dir deiner großen Rolle von Spotify und YouTube durchaus bewusst: Viele Rapper, die ähnlich lange dabei sind, schimpfen darüber. Wie stehst du zur Digitalisierung in der Musik? Gefällt dir die Entwicklung?
RAF Camora: Vor paar Jahren stand ich noch auf der splash!-Bühne und habe eine große Rede darüber gehalten, dass Streaming unser aller Untergang sein wird. Inzwischen finde ich, dass das absolute Gegenteil der Fall ist. Streaming boomt in der Industrie und wir verdienen alle plötzlich Geld damit. Streaming macht jetzt neue Türen auf, die davor verschlossen waren. Man kann einfach eine Single machen und sie sofort raushauen.

Betrifft das nicht nur große Künstler? Pro Stream sind wir ja bei Spotify im Cent-Bereich.
Geht. Bei einer Million Klicks verdient man 3000 Euro. Das ist drei Mal so viel wie bei YouTube. Es ist nur blöd für Künstler, die bei Majors gesignt sind, die bekommen nicht so viel. Aber für Independent-Künstler wie mich ist es ein Jackpot.

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Du regst dich oft über die Geldmacherei im Rap auf. Wie siehst du Boxen? Deutschrap verkauft mit Abstand noch die meisten CDs – ist eine Box nicht der Inbegriff von Geldmacherei?
Das Ding ist: Die Wenigsten wissen, dass man an einer Box weniger verdient als an einer normalen CD. Du musst die Händlerabgabe zahlen, die Herstellung, die GEMA, das Zeug, das du reintust, meistens vier CDs – da verdient man schon mal an einer Box zirka vier Euro. Und wenn du noch etwas reingibst, was irgendeinen Wert hat, dann bist du sogar im Minus. Ich kenne Künstler, die machen pro Box ein Minus.

Alleine für die Charts?
Ja, alleine fürs Charten. Deshalb ist es keine Geldmacherei. Verdienen tut man nichts daran. Wir machen es jetzt inzwischen nicht mehr für die Charts, weil wir auch ohne die Boxen auf die Eins gehen. Wir machen es für die Fans, weil die gerne so etwas zuhause haben.


Londons LGBT-Dancehall Szene:


Wenn wir schon beim Thema Internet sind: Auf Instagram bist du ja auch kein Unbekannter. Wenn du in der Story postest, dass du im Nike-Store bist: Massenpanik. Wenn du ein Svaba Ortak-Lied postest, trendet es auf YouTube. Wie wichtig nimmst du deine Influencer-Rolle?
Eigentlich seh' ich mich als echt schlechten Social-Media-Typen. Ich poste mal ein Foto von mir, dann poste ich ab und zu eine Story von dem, was ich gerade mache. Verglichen mit Bonez, der da wirklich kreativ ist und sich immer Sachen einfallen lässt und auch wirklich witzig ist, seh' ich mich als wirkliche Niete. Ich weiß gar nicht, warum ich 820.000 Follower habe. Wahrscheinlich wegen der Musik. Aber ich sehe mich nicht als Influencer.

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"Ich weiß gar nicht, warum ich 820.000 Follower habe."

Andere Rapper – unter anderem auch gewisse Mitglieder der 187 Strassenbande – zeigen in ihren Stories auch Drogenkonsum. Und damit meine ich nicht nur Weed. Follower, die sie und auch du haben, sind ja doch sehr wahrscheinlich noch jung. Siehst du das problematisch?
Ich sage es mal so: Als ich elf Jahre alt war – da gab’s noch kein Internet – habe ich auch Porno-Hefte im Laden geklaut.

Ja, aber Pornos und Koks sind doch zwei paar Schuhe.
Ja, aber ganz ehrlich: Pornos à la Bukkake und Gang Bang sind auch so Sachen, die ein 14-Jähriger nicht sehen sollte. Oder gehen wir noch weiter: Horrorfilme wie SAW haben sich damals auch 8-Jährige angeguckt. Da werden Menschen aufgeschnitten. Das ist schlimmer als Koks am Tisch. Natürlich ist es schlechter Einfluss. Alles, was wir machen, ist schlechter Einfluss. Andererseits liegt es an der Erziehung von den Eltern, ob die Kinder stabil sind oder nicht. Wenn die Kinder sich jetzt von uns zum Koksnehmen verleiten lassen, dann ganz ehrlich, lassen sie sich auch von Scarface verleiten. Da haben die Eltern drauf zu gucken.

"Andererseits liegt es an der Erziehung von den Eltern, ob die Kinder stabil sind oder nicht."

Ich habe das Gefühl, wenn man hier so durchgeht, dass deine Fans immer jünger werden. Hast du das auch? Schreckt das nicht die alten Fans ab?
Ich war jetzt auf Tour und habe meine Fans hautnah gesehen und ich habe nicht das Gefühl, dass das nur 14-Jährige sind. Aber: Wenn ich mich mit einem 17-Jährigen über Rap unterhalte, dann hat er mehr Ahnung als ein 30-Jähriger. Die Jungen sind am Puls der Zeit und haben richtig viel Ahnung. Deshalb freu ich mich über die 17-Jährigen. Ich habe keine Hardcore-Fans verloren. Ich bin authentisch geblieben.

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Werden wir den "harten" oder den "depressiven" RAF überhaupt wieder hören? Eine Frage für die alten Fans.
Ja, ich weiß. Es ist so: Wenn man sich Anthrazit oder Anthrazit RR anhört, dann sieht man, dass von dem, was ich machen will, eine ziemlich gute Mischung in den Alben vertreten ist. Wer sagt, da sind nur Party-Lieder, der hat wahrscheinlich nur "Primo", "Gotham City" und "Sag nix" gehört. "Serenade" und "Therapie nach Anthrazit" sind alles Songs, die auch von vor acht Jahren gepasst hätten.

Du meintest, dass man ab 40 kein authentischer Rapper ist. Trettmann zum Beispiel ist erst nach 40 so richtig erfolgreich geworden und ich finde ihn ziemlich authentisch. Glaubst du nicht, dass man dann halt andere Themen hat?
Trettmann ist für mich auch kein Rapper. Der kommt aus dem Dancehall und ist auch fast schon Cloud. Wie soll man ihn beschreiben? Trettmann trägt eine Mütze und eine Brille, man sieht sein Gesicht nicht. Er ist quasi eine Kunstfigur. Der macht auch niemals so eine Musik, die ich mache. Er stellt nicht das dar, was ich darstelle. Wenn ich mit 43 das darstelle, was ich jetzt darstelle – dann bin ich fehl am Platz.

Aber vielleicht entwickelt sich deine Musik ja bis 43. Hoffentlich.
Ja, darum geht's. Wenn sich meine Musik so entwickelt, dann ja. Aber da sprechen wir höchstwahrscheinlich nicht mehr von Rap. Zumindest nicht so, wie es jetzt ist.

Du machst ja sehr viel in der Balkan-Gegend – es ist ja auch kein Geheimnis, dass Fünfhaus viel Balkan-Einfluss hat, den du auch feierst. Wie bist du anderen Ländern oder Kontinenten gegenüber eingestellt?
In Afrika gibt’s krasse Sachen, in Jamaica gibt’s krasse Sachen. Ich bin natürlich für alles offen. Die Länder, die mir am nächsten sind, sind natürlich die Balkan-Länder. Sie sind nebenan und in erster Linie bin ich Fan und die sind auch Fan von mir. Wenn man sich meine YouTube-Statistiken ansieht, dann habe ich fast mehr Hörer aus dem Balkan als aus Österreich. Ist echt krass.

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Deutschrap-Fans schauen jetzt schon viel mehr nach Frankreich als zu der Zeit, in der du auf Französisch gerappt hast. Du meintest, dass die Zeit damals nicht reif war. Wird’s dich irgendwann mal wieder auf Französisch geben?
Die Texte, die ich singe, sind mir sehr wichtig. Und wenn ich französisch singe, dann versteht’s halt keiner, beziehungsweise vielleicht 90 Prozent. Ich kann ja Deutsch, es funktioniert auf Deutsch, jetzt ist es auch zu spät, um auf Französisch zu switchen.

Du meintest, dass Gentleman mit nach Jamaica kommt. Kannst du irgendetwas über Palmen aus Plastik 2 sagen?
Palmen aus Plastik 2 ist ein riesiges Mammut-Projekt und wir sind noch mittendrin im GZUZ-Album und auch der 187-Tour. Konkrete Sachen, die man sagen kann, werden erst nach der Tour und dem Album feststehen.

2016 hast du sau viele Auszeichnungen bekommen, 2014 "nur" den Amadeus. Wie wichtig sind dir Preise?
Cool wäre es, wenn man sagt, dass es nicht wichtig ist. Aber mir ist das wichtig. Ich freue mich mega über Gold, mir ist es schon manchmal unangenehm, Gold zu posten, weil es dann nicht mehr besonders ist. Es geht halt aber auch nicht, dass ich es nicht poste, weil es undankbar wäre. Preise sind für mich das, was für einen Boxer die Goldmedaille ist. Sie sind für mich wichtig, man kriegt sie ja nicht für irgendetwas. Ich freue mich immer darüber.

"Preise sind für mich das, was für einen Boxer die Goldmedaille ist. Sie sind für mich wichtig, man kriegt sie ja nicht für irgendetwas. Ich freue mich immer darüber."

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Beobachtest du die Rapszene in Österreich? Es sind ja einige österreichischen Rapper auch in Deutschland bekannt, wie stehst du zu Trap?
Ich kenne nur Yung Hurn. Den find ich Baba ( Anm.d.R.: super). Ansonsten kenn ich niemand.

Naja, da gäbe es noch Crack Ignaz zum Beispiel.
Ja, der geht so. Den habe ich persönlich kennengelernt, er ist super sympathisch – aber seine Musik ist mir zu amerikanisch. Yung Hurn hat einen eigenen Style etabliert.

Darauf stehst du ja, wenn man sein eigenes, innovatives Ding macht.
Ja, genau. Yung Hurn ist sehr eigen und das gefällt mir sehr, sehr gut.

"Yung Hurn ist sehr eigen und das gefällt mir sehr, sehr gut."

Wird es österreichische Features bei dir geben? Du bist ja ein ziemlicher Fünfhaus-Patriot und hast eine riesige Reichweite. Wirst du Österreich bewusst pushen?
Mein Bruder Emirez hat ein Video gemacht, das werde ich natürlich posten und pushen. Wenn ich etwas Cooles sehe, dann bin ich der Erste, der es supportet. Bist jetzt sind viele Sachen, die ich sehe, zwar ein guter Ansatz, in ein paar Jahren sind sie dann aber vielleicht reif. Man zeigt mir aber eher Sachen, ich schaue nicht aktiv.

Bist du jetzt mit der Medienberichterstattung in Österreich zufrieden oder dauert der Krieg an? Frage für einen Freund, haha.
Also Krieg gibt es nicht. Was mich halt ärgert, ist, wie berichtet wird. Die Heute zum Beispiel, die von einem Konzert sprach, als ich eine Autogramm-Stunde gegeben hab. Puls4 wollte ein Interview machen und die haben keinen Kamera-Mann mitgehabt. Ey Puls4, wenn ihr keinen Kamera-Mann habt’s, dann macht ihr eure Arbeit schlecht. ORF hab ich abgelehnt, weil ich kann nicht "Fick ORF seine Mutter" sagen und dann Interviews geben.

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War vor mir nicht FM4 da?
FM4 ist etwas anderes. Die gehören zu ORF irgendwie, aber FM4 war immer da. FM4 hat immer unsere Musik gepusht. Aber ORF habe ich abgesagt und Puls4 hätte ich gemacht, aber wenn die keinen Kamera-Mann haben, dann fickt euch auch. Mir egal.

Und wie siehst du die österreichische Musikwirtschaft jetzt? Vor zehn Jahren war sie ja wirklich am Sand, wahrscheinlich siehst du das genau so, weil du ja nach Berlin bist. Wie ist der Status Quo?
Ich seh' jetzt nicht wirklich einen Unterschied zu damals. Bei Universal sind es nicht mehr Leute geworden. Natürlich, man hat jetzt drei, vier Gruppen. Bilderbuch, Wanda und dieser … wie heißt er? Ah, Gabalier – die ja auf jeden Fall in Deutschland super erfolgreich sind. Natürlich gibt es gerade einen Aufschwung, aber die meisten sind, glaub ich, bei deutschen Managements. Ich kann es dir nicht wirklich sagen.

"ORF hab ich abgelehnt, weil ich kann nicht 'Fick ORF seine Mutter' sagen und dann Interviews geben."

Dein ehemaliger Kollege Nazar äußert sich oft zur Politik in Österreich. Beobachtest du auch die Politik? Hast du eine Meinung dazu?
Er äußert sich zur Politik, aber er setzt sich damit auch auseinander. Ich habe halt keine Ahnung davon. Wenn ich mich äußern würde, ohne mich damit auseinander zu setzen – das wäre richtig peinlich. Deshalb sage ich einfach nichts.

Fünfhaus-Frage: Was sind die Problempunkte, was gehört geändert? Du hast ja eine Wohnung gekauft.
Ich wohne seit zehn Jahren in Berlin. Ich bin sehr oft im 15. Bezirk, ich laufe dort rum, aber ich häng dort nicht mehr jeden Tag im Park rum. Ich bin nicht mehr 17 und auch nicht mehr unbekannt. Also ich kann nicht wirklich sehen, was es da für Probleme gibt. So weit ich gesehen habe, wurde der 15. ordentlich gentrifiziert, viele Studenten wohnen jetzt dort. Deswegen, denk ich, dass es andere Gegenden in Wien gibt, in denen sich mehr Probleme sammeln. Also der 15. bleibt der 15.: Hohe Ausländerquote und alles, aber es gibt auf auf jeden Fall Bezirke – wie den 21. –, die mehr Probleme haben. Es gibt halt in Österreich eine wirklich krasse Parallelgesellschaft, so etwas gibt es in Deutschland nicht, ist vielleicht ein generelles Problem. Österreicher sind sehr konservativ und haben kein Bock auf andere Kulturen, dadurch haben andere Kulturen auch keinen Bock auf Österreicher.

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