Ich habe versucht, mit WikiHow eine Oper auszuhalten
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Ich habe versucht, mit WikiHow eine Oper auszuhalten

Von drei Stunden Oper habe ich zweieinhalb überlebt. Die restlichen 30 Minuten habe ich verpasst, weil mich die Aufsichtsdame nicht mehr rein gelassen hat.

WikiHow ist eine Plattform, auf der zwei verschiedene Arten von Menschen aufeinanderstoßen: Die einen, die nach völlig legitimen Anleitungen zu existenziellen Fragestellungen suchen – zum Beispiel, wie man sich am besten bei einer Katze entschuldigt. Und dann wären da noch die anderen, die es offensichtlich aufgegeben haben, sich die allgemeine Akzeptanz der Gesellschaft zu erarbeiten, und sich nun Anleitungen darüber durchlesen, wie man sich wie Elsa aus Frozen verhält und dabei auch wie sie aussieht.

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Aber egal, ob es nun pure Verzweiflung oder … pure Verzweiflung ist, jeder von uns wird zugeben, sich schon einmal einen Artikel von WikiHow durchgelesen zu haben. Wir sind halt auch nur Menschen und jeder von uns braucht ab und zu Hilfe. So bin auch ich auf WikiHow gelandet und habe nach einer Anleitung für Opernbesuche gesucht.

Warum? Als Kärntnerin in Wien werde ich von vielen Leuten als Wesen mit unkompensierbaren Defiziten betrachtet. Vor kurzem wurde mir noch gesagt, Kärntnerisch höre sich an wie eine dämliche Sprache, oder als ich fragte, was die Mehrzahl von "Kaff" sei, bekam ich als Antwort nur "Das musst doch gerade du wissen – du kommst ja aus Kärnten".

Ich wollte also Wien beweisen, dass ich ein integrationsfähiger Mensch bin und ich nicht zurück nach Kärnten abgeschoben werden muss. Was eignet sich dazu besser als ein Besuch der Staatsoper, Wiens höchstem kulturellen Erbgut und Symbol des Anti-Kulturbanausentums. Zum Glück gibt es WikiHow, das mir dabei half, das Ganze so gut wie möglich durchzustehen und mich dabei nicht zu blamieren (fast zumindest).

Lies die Inhaltsangabe der Oper

Nachdem ich mich für die Oper "Otello" entschieden habe, beginne ich mit meiner Recherche. Ich bin dankbar, dass ich auf YouTube ein Video mit der Zusammenfassung des Inhalts finde. Auch wenn mich die Brustbehaarung des Mannes im Video sehr irritiert, bekomme ich einen ziemlich guten Überblick. Ich folge seinen erzählerischen Worten inklusive britischem Akzent gespannt – bis zu dem Zeitpunkt, als er sagt "And then he dies." Danke für den Spoiler, Typ mit Brustbehaarung. Er grinst auch noch und zuckt gelassen mit den Schultern. Psychopath.

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Hör dir die Oper schon im Vorhinein an

Eigentlich wollte ich meine Oper-Erfahrung so kurz und schmerzlos wie möglich machen und mich nicht schon Stunden davor einem potenziellen Nervenzusammenbruch aussetzen, aber WikiHow hat Recht – ich muss mich an diese Musik gewöhnen, damit ich sie richtig genießen kann. Also lasse ich mich darauf ein und höre mir den dritten und vierten Akt in voller Länge an. Ich spüre so richtig, wie meine Seele von all dem schmutzigen HipHop gereinigt wird, den ich in letzter Zeit gehört habe.

Lerne ein paar Opern-Begriffe

Ich fühle mich sehr schlau, weil ich die meisten Worte schon kenne – "Akkord" oder "Orchester" zum Beispiel. Ich weiß zwar nicht, wie mir das helfen soll, eine Oper auszuhalten, aber egal. Unter den Vokabeln steht auch das Wort "Zugabe" – passiert laut Internetseite selten, aber doch. Ich stelle mir vor, wie die Wienerinnen mit ihren in Samthandschuhen gekleideten Händen klatschen und begeistert "Zugabe!" zwitschern – würde dann die gesamte Oper wiederholt werden?

Schau nach, wie lange die Oper dauert

Die Oper dauert drei Stunden. So lange hat auch der Flug gedauert, bei dem meine Sitznachbarn eine Mutter und ihr schreiendes Baby waren – und das hab ich auch ausgehalten. Eine Oper ist eh fast dasselbe im Prinzip.


Es gibt auch andere Opern:


Kleide dich dem Anlass entsprechend

Ich bin kurz davor, mein Jägermeister-T-Shirt-Kleid anzuziehen, entscheide mich dann aber doch für einen schwarzen Jumpsuit mit Blazer. Immerhin ist das Ziel ja reinzukommen und mich so wenig wie möglich zu blamieren.

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Plane mindestens eine halbe Stunde früher zu kommen

30 Minuten früher zu kommen wäre schon schlimm genug, aber leider befinden wir uns in Wien und entweder man hat einfach mal so 200 Euro für ein Ticket auf der Seite oder man kümmert sich schon zwei Monate früher um eine Restkarte. Meine einzige Option war also eine Stehplatzkarte, für die man sich 80 Minuten vorher anstellen muss. 80 FUCKING MINUTEN! Ich hasse zu früh kommen und ich hasse zu früh kommende Menschen – wie mein Ex-Gspusi zum Beispiel.

Lies dir die Zusammenfassung in der Broschüre durch

Ich kenne den Inhalt inklusive Ende ja eigentlich schon, aber ich bitte die Aufsichtsdame trotzdem um eine Broschüre. Sie gibt mir eine und ich muss feststellen, dass es sich um den Spielplan von November 2017 handelt – zum Reservieren der Stehplätze, wie sie mir dann später erklärt. Opern sind komplizierter und unlogischer als gedacht.

Konzentriere dich mehr auf die Musik als auf die Dialoge

Mit meinem B1-Level-Italienisch verstehe ich jedes einzelne Wort und den Inhalt kenne ich wie gesagt sowieso schon. Ihr könnt euch also vorstellen, mit welch emotionaler Intensität mich die Oper schon in den ersten paar Sekunden trifft. Ich kann mich voll auf die Musik und den schönen Gesang konzentrieren, der mich übrigens gar nicht an den Klang gefolterter Katzen erinnert.

Nimm ein Opernglas mit, um mehr Details sehen zu können, oder leih dir eines aus

Ich habe keine Lust, mich um ein Opernglas zu kümmern, aber die Bühne ist eh nur zwei Kilometer von mir entfernt. Das geht schon irgendwie.

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Nutze die Pause

Gerade als sich ein Gefühl des Stolzes in mir ausbreitet und ich der Meinung bin, dass ich mich gut schlage, endet der erste Akt und ich versage. Denn als die Leute zu klatschen beginnen, möchte ich den Vorteil ausnutzen, so nahe am Ausgang zu stehen und gehe raus. Schnell bemerke ich, dass ich die Einzige bin, die raus geht und möchte wieder rein. Die Aufsichtsdame stoppt mich jedoch und sagt, dass ich erst wieder nach der Pause rein darf. Ich muss 30 Minuten draußen sitzen und verpasse den gesamten zweiten Akt. Gratuliere, Michi!

Lass dich von der emotionalen Intensität der Oper davontragen

Die Oper "Otello" ist eine Achterbahnfahrt der Gefühle und beinhaltet alles, was eine gute dramatische Oper braucht – Liebe, Verrat und Mord. Ich muss lachen – zum Beispiel als Jago Cassio abfüllt. So lustig, haha! Ich schnappe empört nach Luft, als Otello zu Desdemona "Stirb, du Hure!" sagt und ich muss weinen, als Otello seinen Fehler einsieht und sich selbst umbringt. Aber um mich herum sind gefühlskalte Wiener mit Herzen aus Eis, die nur Sarkasmus lustig finden – Tränen werden sowieso nur beim Wiener Derby vergossen. Bei jedem Laut, den ich von mir gebe, sehen mich mindestens fünf Augenpaare aus der Dunkelheit an.

Als ich die Oper verlasse, fühle ich mich kultivierter denn je, doch werden auch die Wiener meine innerliche Veränderung bemerken und mich in Zukunft als Teil der Gesellschaft betrachten? Ich bezweifle es, aber die Hoffnung stirbt zuletzt – wie Otello. Immerhin kann ich jetzt Opern-Insider-Witze machen.

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