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ÖVP

Warum Reinhold Mitterlehner unseren Respekt verdient

Der ÖVP-Chef hatte so ziemlich den undankbarsten Job der Politlandschaft. Für die meisten Menschen wirkte er fad – obwohl er sich wirklich um einen neuen Regierungsstil bemüht hat.
Reinhold Mitterlehner und Sebastian Kurz bei einem Arbeitsbesuch in China (2014). Foto: Dragan Tatic | BMEIA

"Es gibt sehr viele in der Partei, die wünschen sich Sebastian Kurz als Obmann und Spitzenkandidat für die nächste Wahl", sagt Armin Wolf zu Reinhold Mitterlehner. Diesen Satz haben wir zuletzt von fast allen Parteien und Medien gehört.

Das Zitat stammt jedoch nicht aus dem Mai 2017, sondern aus dem August 2014. Wenige Minuten, nachdem sich die ÖVP auf den neuen Parteichef Reinhold Mitterlehner geeinigt hatte, gibt dieser ein ZiB2-Interview. Wolf fährt fort: In der ÖVP sei man aber der Ansicht, dass Sebastian Kurz noch zu jung sei (damals 28) und ein Übergangsobmann herhalten müsse. „Herr Mitterlehner, muss man Ihnen nun kondolieren oder gratulieren?", fragt Wolf. Und weiter: "Sind Sie dieser Übergangsobmann?"

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Anfangs erklärte Mitterlehner noch gelassen, dass ihn die Frage nach Sebastian Kurz ganz und gar nicht ärgere, sondern die vielfältige personelle Stärke der ÖVP symbolisiere. Die Frage verschwand jedoch nicht – im Gegenteil. In drei Jahren ÖVP-Obmannschaft hat er wohl kaum ein Interview gegeben, in dem die Frage nach Sebastian Kurz nicht aufgekommen ist.

Er hatte auch kaum Chancen, sich gegen die Gerüchte und die Obmanndebatte zu wehren. In einem Ö1-Interview im Oktober 2016 etwa wird Mitterlehner – ohne konkreten Anlass – gefragt, ob er bis 2018 Obmann bleiben wolle. Es gäbe "keinen Anlass, diese Diskussion zu führen", antwortete er. Medien titelten daraufhin: "Reinhold Mitterlehner wehrt sich gegen VP-Obmanndebatte" und "Mitterlehner will keine Obmanndebatte". Und schon hatte Mitterlehner seine Obmanndebatte.

Reinhold Mitterlehner bringt seine Zuneigung zu Hypothesen zum Ausdruck.

In zahlreichen Umfragen, die von Österreich, Kurier, profil, Trend, ATV und mehreren Bundesländerzeitungen in Auftrag gegeben wurden, wurde sogar Sebastian Kurz und nicht der amtierende ÖVP-Chef als Spitzenkandidat abgefragt. Heißt das nicht indirekt, dass man Mitterlehner nicht mehr als Parteichef anerkennt? Und greift man damit nicht direkt in das politische Geschehen ein?

Etwas ganz Ähnliches war bei der redaktionellen Berichterstattung über die Regierung der Fall. Im September 2016 rief der Kurier das "Slim-Fit-Duell" aus: "Kern gegen Kurz" – ein Duell, von dem niemand etwas wissen will, wie es einleitend heißt. News ließ die beiden im Mai 2016 auf dem Cover ablichten: "Kern & Kurz – Schaffen sie das Wunder, diese Regierung noch zu retten?"

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Diese Art von Berichterstattung kann man selbstverständlich mit der redaktionellen Freiheit rechtfertigen, aber ein bisschen Selbstreflexion über die Folgen solcher Artikel täte vielleicht ganz gut. Mitterlehner selbst sagte zum Zustand der heimischen Politberichterstattung gegenüber dem Branchenmagazin Der österreichische Journalist Folgendes:

"Heute haben wir eine kaum an den Fakten, sondern vor allem an Sensationen, an neuen Informationen, an Auseinandersetzungen ausgerichtete, schnelllebige Berichterstattung – teilweise, ohne journalistische Grundsätze einzuhalten."

Damit würden sich die österreichischen Medien deutlich von anderen unterscheiden: In Deutschland seien "die Sachauseinandersetzungen wesentlich wichtiger und intensiver als Personality-Geschichten, die wir in Österreich ständig spielen".

Mit Floskeln wie "gemäß informierten Kreisen" würden Konflikte erzeugt werden, die in Wirklichkeit nicht existieren. Journalistisches Bullshit-Bingo mit realpolitischen Auswirkungen, quasi. "Damit wird die Politik nicht nur abgebildet und kommentiert, sondern es wird Politik gemacht", meint Mitterlehner. So vorsichtig man mit Medienkritik von mächtigen Politikern umgehen muss: Auf die Berichterstattung über ihn persönlich dürfte das in vielen Fällen zutreffen.

Relativierend muss man sagen, dass die Gerüchte um Machtkämpfe innerhalb der ÖVP nicht immer aus der Luft gegriffen waren. Mehrere hochrangige ÖVPler stellten öffentlich die Autorität des Parteichefs in Frage. Um das zu illustrieren, reicht es wohl, zwei Namen zu nennen: Wolfgang "Querschuss" Sobotka und Reinhold "Illoyalität" Lopatka.

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Weil die internen Beruhigungsversuche nicht fruchteten, musste Mitterlehner öffentlich ausrücken und seine Leute zurückpfeifen, um seinen letzten Rest Autorität zu wahren. Das Bild, das damit nach außen getragen wurde: Die ÖVP ist zerstritten und Mitterlehner ein Grantler. Dabei wollte es Mitterlehner seine Amtszeit ganz anders anlegen. Sein Regierungsverständnis erklärte er der Krone beim Antrittsinterview so:

"Die Grundregel muss lauten: Bevor jemand in die Medien geht, muss er es intern diskutieren. Er soll mir sein Problem schildern und dann werden wir versuchen, es zu lösen. Ich verfüge dabei nicht apodiktisch über die richtige Meinung. Deshalb sehe ich mich in dem Prozess eher als Moderator."

Unabhängig vom Inhalt seiner Politik, über die man selbstverständlich streiten könnte, muss man Mitterlehner das Bemühen um den "neuen Regierungsstil" zugute halten. Für seinen Pragmatismus und dem sturen Bemühen, Sachpolitik zu machen, wurde er von politischen Beobachtern unterschiedlicher Milieus geschätzt.

"Dem stelle ich mich, wenn es soweit ist" – Reinhold Mitterlehner in gefühlt jedem Interview

Er war keiner, der sich für Gerüchte, Machtspielchen und Was-wäre-wenn-Hypothesen interessierte, was einige Reporter auch auf die eher unfreundliche Art erfahren mussten. Dieser Grant über die dauernde Konzentration auf das Nebensächliche und der Ärger über die existierenden Zustände ist einigen Menschen sicher sympathisch – vor allem in Österreich, wo man sich damit ganz gut abgeholt fühlt.

Die breite Masse dürfte aber kein wirkliches Profil von Mitterlehner gehabt haben. Schon jetzt fällt einem kein Aufreger, keine große, politische Aussage von ihm mehr ein. Für viele galt er wahrscheinlich einfach als fad oder bestenfalls als unfreundlich. In Wirklichkeit hat er sich ernsthaft um den schon viel zu oft propagierten neuen Regierungsstil bemüht. Schade, dass seine Partei und die Öffentlichkeit dafür offenbar noch nicht bereit sind.

Christoph auf Twitter: @Schattleitner