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Kann dich MDMA zum Rassisten machen?

Eigentlich ist Molly dafür bekannt, uns glücklich zu machen. Wissenschaftler haben jetzt herausgefunden, dass es aber auch Gefühle verstärken kann, die weniger nett sind.

Ein paar Menschen, die  möglicherweise gerade die Auswirkungen von Oxytocin spüren

Nachdem du dir eine Pille eingeschmissen hast, bleibt nicht mehr viel Zeit für rationale Gedanken. Nach drei von den bunten Dingern bist du vollauf damit beschäftigt, herauszufinden, wie sich die Schals von anderen Menschen anfühlen, oder einfach nur damit, überhaupt irgendetwas zu fokussieren, da sich deine Augen in ein wild flackerndes Strobo verwandelt haben. Neben der ganzen Euphorie und deinem Herzrasen scheint nicht noch wirklich Platz zu sein, dich mit der Ethnizität der Menschen um dich herum auseinanderzusetzen, oder?

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Wie sich allerdings herausstellte, hat das menschliche Gehirn nach dem Konsum von Ecstasy mehr gemein mit einem NPD-Parteitag als einem Wochenende Ferienkommunismus auf der Fusion. Das liegt an einem Hormon mit dem Namen Oxytocin, das auch als Liebes- und Kuschelhormon bekannt ist. Das Hormon wird damit in Verbindung gebracht, beim Stillen Vertrauen zwischen Mutter und Kind herzustellen und auch zwischen Menschen, die gerade Sex hatten. Die Ausschüttung des Hormons wird auch von MDMA angeregt und dieses Ich-könnte-jetzt-die-ganze-Welt-umarmen-Gefühl, das du bekommst, nachdem du eine Pille geschluckt hast, wird den Auswirkungen dieses Hormons auf dein Gehirn zugeschrieben.

Wie jedoch Untersuchungen von Professor Carsten De Dreu an der Universität von Amsterdam gezeigt haben, birgt Oxytocin auch eine dunkle Seite. Um es kurz zusammenzufassen: Die Experimente zeigten, dass das, was von vielen bis dahin als „Moral-Molekül“ angesehen wurde, eigentlich genau das Gegenteil ist und genau das fördert, was von Wissenschaftlern euphemistisch als „Ethnozentrismus“ bezeichnet wird—besser bekannt als „Rassismus“.

Teilnehmer von Professor Dreus Experiment wurden vor ein Dilemma gestellt. Sie mussten einer Person den Zugang zu einem Rettungsbot verweigern, um fünf andere zu retten. In der Doppelblindstudie wurde den holländischen Probanden entweder Oxytocin als Nasenspray oder ein Placebo verabreicht. Die Ergebnisse zeigten, dass die Teilnehmer, die Oxytocin genommen hatten, eher Personen mit holländischen Namen retteten, während sie diese mit muslimisch oder deutsch klingenden Namen opferten. Bei den Placebokandidaten machte der Name der potentiellen Opfer keinen Unterschied.

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Ein paar Faschisten in Brighton, die gerade die potentiellen Effekte von Oxytocin spüren. (Foto von Henry Langston)

Ich fand es ziemlich komisch, dass dieses Hormon, das einen eigentlich dazu bringen sollte, alles um sich herum zu lieben, einen anscheinend auch in diese besondere Art von Arschloch verwandelt, das auf Leute wegen ihrer Hautfarbe losgeht. Um also mehr darüber herauszufinden, habe ich mich mit Professor Anil Seth in Verbindung gesetzt, einem Neurowissenschaftler von der University of Sussex und Ko-Direktor des Sackler Centre for Consciousness Science. Er wies darauf hin, dass dieser Effekt von Oxytocin etwas mit Evolution und sozialem Überleben zu tun haben könnte.

„Die Konzepte von Altruismus und prosozialem Verhalten wurde ausgiebig von Anthropologen und Sozialwissenschaftlern untersucht. Es wurde festgestellt, dass sich solche Verhaltensweisen innerhalb einer Gruppe meistens auszahlen—also unter denen, die gemeinsamen kulturelle Interessen teilen, und vielleicht entfernt verwandt sind. Das Gegenteil kann sich dann aber für die außerhalb der Gruppe bewahrheiten.“

In anderen Worten: Die Diskriminierung von Menschen, die anders sind als du, kann von einem Hormon im menschlichen Gehirn ausgelöst werden. Ich fragte ihn danach, welche Rolle Oxytocin dabei genau einnimmt, und er erzählte mir von einem anderen Experiment von Professor Dreus, in dem die Teilnehmer in zwei Gruppen aufgeteilt wurden und willkürlich darüber entscheiden sollten, ob abstrakte Formen ansprechend aussahen oder nicht. Natürlich gab es dabei keine richtigen oder falschen Antworten—der eigentliche Test bestand darin, zu sehen, in welcher Gruppe größere Einigkeit herrscht.

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„In den Fällen, in denen die Meinungen der Gruppen über eine Form auseinandergingen, förderte Oxytocin die Homogenität innerhalb der einzelnen Gruppe“, sagte mir Professor Seth. „Wenn also alle in einer Gruppe Oxytocin schniefen, ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass alle sagen: ‚Ja genau, dieses Quadrat ist wunderschön—Ich verstehe gar nicht, warum die anderen da drüben das Quadrat so hassen.’ Und natürlich findet das alles relativ unbewusst statt. Die Leute wissen also nicht, dass Oxytocin der Auslöser dafür ist. Die Form an sich ist eigentlich gar nicht das Thema, es geht stattdessen darum, wie ähnlich die Ansichten innerhalb einer Gruppe sind, wenn sie wissen, dass sie von denen einer anderen Gruppe abweichen.“

Was mir dabei sofort in den Sinn kam, war meine Beobachtung, dass Nazis in Gruppen immer viel aggressiver und offensiver auftreten, als vereinzelte Exemplare, die einem ab und zu über den Weg laufen. Das kann natürlich auch daran liegen, dass einzelne Faschos schnell zum Boxsack für kampfsportinteressierte Jugendliche oder Antifas werden.

Ein paar Faschisten in Griechenland, die vielleicht auch gerade die Effekte von Oxytocin erfahren (Foto via)

Vergleiche das doch mal mit den Gefühlen der Verbundenheit, die du bei Raves oder Konzerten bekommst, oder der Masseneuphorie in diesen amerikanischen, evangelikalen Riesenkirchen. In allen Beispielen ist der gemeinsame Nenner eine starke kollektive Ausrichtung. Letztendlich ist das alles ein unvermeidbarer Teil unseres menschlichen Wesens. Wir wollen uns einfach zusammenzuschließen, auch wenn Sinn und Verstand dabei auf der Strecke bleiben.

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An diesem Punkt muss jedoch auf den wichtigen Aspekt hingewiesen werden, dass die Rolle von Oxytocin bei diesem Phänomen nicht die ist, das Misstrauen gegenüber denen, dich sich von dir unterscheiden, zu verstärken. Oxytocin stärkt stattdessen das Zusammengehörigkeitsgefühl mit denen, die dir ähnlich sind. Der Effekt halt also weniger mit Rassismus zu tun, sondern mehr mit Fanatismus.

Oxytocin macht das durch seine Fähigkeit, in einer Gruppe Einfühlsamkeit wie einen Virus zu verbreiten. Professor Seth erklärte mir das im Detail: „Wir alle sind emotional ansteckend. Wenn ich eher fröhlich bin, bist du auch eher fröhlich—wenn ich eher schlecht gelaunt bin, bist du auch eher schlecht gelaunt. Oxytocin spielt zum Teil eine Rolle dabei, den Vorgang zu optimieren, der dich emotionale Zustände besser nachvollziehen lässt.

In anderen Worten, je mehr Oxytocin desto empathischer sind wir. Diese Ansicht wird auch von einer Studie gestützt, die diesen Januar veröffentlicht wurde. Die Studie besagt, dass hohe Oxytocinwerte eine übersteigerte Sensibilität gegenüber den Gefühlen anderer Menschen auslösen kann. Es gibt sogar aktuelle Untersuchungen, die sich damit beschäftigen, ob niedrige Oxytocinwerte im Zusammenhang mit Autismus stehen—einer psychischen Störung, die generell mit dem Mangel an emotionaler Einfühlsamkeit in Verbindung gebracht wird.

Ein paar malaysische Faschisten, die vielleicht auch gerade die Effekte von Oxytocin erfahren. (Foto via)

Wenn also Menschen mit gleichen Ansichten zusammentreffen, wird Oxytocin freigesetzt. Das führt dazu, dass sie sich gut fühlen und bestärkt sie in ihrem Verhalten. Das wiederum führt dazu, dass sie ihre Einstellungen eher beibehalten und diejenigen meiden, die andere Ansichten vertreten. Das geschieht alles in dem evolutionären Streben danach, eine Gruppe von Gleichgesinnten zu schaffen, die zusammenhält, sich gegenseitig beschützt und sich liebt.

Macht dich MDMA also zu einem Rassisten? Nein, nicht wirklich.

Ja, MDMA setzt Oxytocin frei und Oxytocin kann zu Ethnozentrismus führen, aber es gibt keine direkte Verbindung zwischen den beiden Dingen—abgesehen davon hat MDMA noch so viele andere chemische Effekte auf dein Gehirn, dass die individuelle Erfahrung immer höchst subjektiv ist.

Was MDMA aber durchaus machen kann—vor allem in einem intensiven Umfeld gemeinsam geteilter Erfahrungen, wie einem Rave—, ist diese Art von unbeirrbarem, wahnhaftem Fanatismus über dich selber, die Menschen um dich herum und darüber, wie schön doch alles ist, extrem zu verstärken. Ganz ähnlich wie Rassisten noch mal rassistischer werden, wenn sie gemeinsam durch die Straßen marschieren, und Christen noch mal christlicher werden, wenn sie ein Priester in fremden Zungen anschreit.