Lederjacken und Kampfgeist: Die Pariser Rockabilly-Banden der 1980er

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Lederjacken und Kampfgeist: Die Pariser Rockabilly-Banden der 1980er

Vikings & Panthers ist eine Fotosammlung der Rockabilly-Gangs der Pariser Vororte in den 1980ern von Elie Cohen. Wir haben Filo Loco, Herausgeber bei Serious Publishing, gebeten, seine Erinnerungen an die coolsten Menschen, die je auf dieser Erde wandelten, niederzuschreiben.

Ich entdeckte Gilles Elie Cohens Arbeit 2002, als ich eine Doku namens Rock contre la montre [Rock gegen die Uhr] ansah, bei der Gilles Elie selbst Regie geführt hatte. Seine opulenten Schwarzweißfotografien erinnerten mich sofort an Bruce Davidsons Bildband Brooklyn Gang, der im Jahr 1959 einer Bande New Yorker Rocker—den Jokers—folgt. Zu jener Zeit war ich noch nicht Herausgeber, aber ich wusste, dass ich eines Tages Gilles Elie Cohens Bilder veröffentlichen würde. Es dauerte bis zum Sommer 2014, bis ich Gilles Elie Cohen, der inzwischen in Amsterdam lebt, aufgespürt hatte. Ich bot ihm einen Verlagsvertrag an und wir wurden uns sofort einig. Auch wenn einige dieser Bilder bereits 2012 in der Amsterdamer Gallery WM, einer der prestigeträchtigsten Galerien der Niederlande, ausgestellt worden waren, so war die Reihe dennoch neu und exklusiv.

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1982 traf Gilles Elie zufällig die Del Vikings auf einem leerstehenden Grundstück im 19. Arrondissement in Paris. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob er zu dem Zeitpunkt Berufsfotograf war. Er fing an, Tag und Nacht mit der kleinen Gang herumzuhängen, und folgte ihnen auf Festivals und Konzerte. Es war zur selben Zeit, dass er die Black Panthers traf, eine weitere Bande, die sich damals in denselben Kreisen herausbildete—nicht die revolutionäre nationalistische Organisation. Beide Banden waren vom Rock 'n' Roll der 1950er beeinflusst: Elvis natürlich, aber auch Gene Vincent, Eddie Cochran, Chuck Berry und Bo Diddley. Im Jahr 1982 war das 1950er-Revival in vollem Gang, angetrieben von Bands wie Stray Cats, die in Frankreich ziemlich erfolgreich waren. Zu jener Zeit zollten viele französische Bands dem Oldschool-Rockabilly Tribut.

Als Gilles ihnen begegnete, waren die Del Vikings und die Black Panthers noch Freunde. Die Lage änderte sich später und sie wurden mehr zu so etwas wie Feinden. Die Del Vikings waren „Cats"—eine von den 1950ern beeinflusste Rock-and-Roll-Subkultur, die sich durch Partys, Tanzen, kitschige Kostüme und eine Vorliebe für Oldtimer auszeichnete. Ihr Stil und die Musik, die sie hörten, stellte sie in Opposition zu anderen Klans der Rock-and-Roll-Szene: die Teddy Boys und die Rockabilly Rebels, die tendenziell eher rechts eingestellt waren.

Die Teds, von denen es in Paris und in den Vororten viele gab, beriefen sich auf Einflüsse sowohl aus England (die Teddy-Boy-Bewegung wurde in den frühen 1950ern in Großbritannien geboren) als auch aus den USA (durch ihren von Westernfilmen inspirierten Kleidungsstil). Sie standen den Rebels nahe, mit denen sie die extravaganten Frisuren—Tollen, die der Schwerkraft trotzten, und riesige Koteletten—sowie eine Leidenschaft für Südstaaten-Rockabilly gemeinsam hatten.

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Die Del Vikings und die Panthers gerieten letztendlich mit den Teds und den Rebels in Konflikt. Beide Banden organisierten Überfälle auf Konzerte und auf den Clignancourt-Flohmarkt, einem ihrer beliebten Treffpunkte. Die Rebels trugen die Südstaatenflagge, welche die Panthers als ein Symbol der Sklaverei sahen. Man kann die Panthers, deren Name sich auf die US-amerikanische Gruppe schwarzer Aktivisten bezieht, als Vorreiter der Antifa und anderer Gruppen von Skinhead-Jägern sehen. Ihre Ausübung von Kampfkunst und ihr Stil—vor allem ihre Vorliebe für die Jacken der amerikanischen Air Force—wurde auch von anderen Gangs übernommen, etwa von den Ducky Boys, den Red Warriors und den Black Dragons.

Mehr als 30 Jahre später rufen diese Fotos einige meiner eindrucksvollsten Erinnerungen wach, als ob sich nichts geändert hätte. Diese Banden lebten während einer unglaublich intensiven Zeit in Frankreich, einer Zeit voller Emotionen und ekstatischer Partys. Sie reflektieren den Höhepunkt einer Jugend, die sich Hals über Kopf ins Leben stürzte.

Das Schicksal von Petit Jean, der das Cover von Vikings & Panthers ziert, spiegelt diese frenetische Zeit recht gut wieder. Nach seiner Zeit bei den Del Vikings schloss er sich 1983 den Punks an, die immer neben der Fontaine des Innocents im Châtelet abhingen, und fing an, der französischen Rockband La Souris Déglinguée zu folgen. Später reiste er nach England, wo er in mehreren besetzten Häusern lebte, und folgte der Band The Meteors. Er kehrte in den späten 1980ern nach Paris zurück, und der Legende nach wurde er bei einem Streit an der Métro-Station Stalingrad ermordet. La Souris Déglinguée widmeten ihm einen Song—„Little John"—welcher auf ihrem neuesten Album, Les Toits du Palace, erschien.

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Auf ihre eigene Art verteidigten diese jungen Menschen eine echte Leidenschaft fürs Leben. Sie repräsentierten eine fordernde Kultur, mit einem bestimmten Ethos und ihrer eigenen Musik. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie heute Sportkleidung tragen und Rapper wie Booba und Rohff hören würden. Vikings & Panthers ist auch eine universelle Reflexion über das Vergehen der Zeit und grausame Jugendträume, wo Unschuld und Aufrichtigkeit neben erbitterter Gewalt existieren.