Wir umkreisen den Eingang mit den schwarz-rot-goldenen Streifen wie ein Flugzeug, das auf die Landeerlaubnis wartet. In wenigen Minuten öffnet das #fedidwgugl-Haus, das begehbare Wahlprogramm der CDU. An einer der teuersten Adressen in Berlin-Mitte haben wir eine Mission: Wir wollen einen ganzen Tag im CDU-Haus verbringen. 12 Stunden, um aus uns Vorzeige-Konservative zu machen.Das Erste, was wir drinnen sehen, ist das Herzstück des deutschen Konservatismus. Buchstäblich. Ein riesiges Plüschherz, so groß wie eine Milchkuh und genauso schwer. 750 Kilogramm, bestrahlt von roten LEDs, dazu dröhnt ein Puls im immer gleichen Rhythmus.Seit knapp einer Woche wirbt die CDU auf zwei Etagen eines ehemaligen DDR-Möbelhauses mit dem Slogan #fedidwgugl um Wähler. "Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben" – das verunglückte Hashtag sorgte für Häme, die FDP kaperte es. Um zu zeigen, was sich die CDU selbst darunter vorstellt, hat sie das erste begehbare Wahlprogramm der Welt erfunden. Bis zur Bundestagswahl hat es 12 Stunden täglich geöffnet.
10 Uhr, Begrüßung
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Das Plüschherz am Eingang schlägt rund 30 Mal pro Minute, ruhiger als Ruhepuls, so gleichmäßig und unaufgeregt wie die vergangenen zwölf Jahre unter der Regierung von Angela Merkel. Politische Ausreißer wie die Finanzkrise, die Griechenlandkrise oder die Flüchtlingskrise ignoriert der Herzschlag. Immer gleich pumpt er seine Botschaft: Konstanz.Der jungen Frau, die am Einlass arbeitet, gefällt das. "Mein Herzschlag hat sich längst daran angepasst", sagt sie. Sie deutet auf das Plüschherz und erklärt, dass die prallen Arterien, die aus Herz hinauswachsen, zu den einzelnen Themenwelten des CDU-Hauses führen. Bumm bumm. "Wirtschaft." Bumm bumm. "Europa." Bumm bumm. "Familie." Dort beginnen wir.
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Knapp 850 Umzugskartons hat die CDU aufgetürmt und im Inneren die Themenwelt "Familie" aufgebaut. Alles ist aus Pappe, bloß ein riesiger Landschaftsteppich mit Spielzeugautos verströmt etwas Farbe. Kinder spielen hier keine. Die Mitarbeiter haben die Modellautos, allesamt Oberklassemodelle, ordentlich in den Parklücken einer aufgeräumten Kleinstadt drapiert. Der Raum ist für die "8,2 Millionen Familien mit Kindern unter 18 Jahren", denen es gut gehen soll, schreibt die CDU auf einem Flyer. Dass in Deutschland jedes fünfte Kind unter der Armutsgrenze lebt, schreibt die CDU nicht.
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10:30 Uhr
Im Gegenteil: In Dauerschleife läuft ein Clip, in dem Kinder erzählen, was sie mit dem erhöhten Kindergeld machen würden. Sie wollen das Geld sparen oder für Bücher ausgeben. Es sind brave, niedliche Kinder, die so deutsch aussehen, als spielten sie in Heimatfilmen mit. Ein Mädchen antwortet todernst darauf, was sie sich kaufen würde: "Kartoffeln." Kinder-Deutschland 2017, wie es sich die CDU vorstellt.
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11 Uhr
11:30 Uhr
12 Uhr
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14 Uhr
15 Uhr
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16 Uhr
18 Uhr
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Wir kriegen die Raute nicht hin, Christine kümmert sich um uns. "Bei Ihnen überlappen die Zeigefinger", sagt sie. "Sie dürfen die Daumen nicht so spreizen." Jetzt funktioniert es, acht Merkel-Emojis stehen vor dem Screen. Christine kennt Merkels kompletten Kalender auswendig: Braunschweig, Fulda, Quedlinburg – innerhalb von zwei Tagen! "Solche Doppelgänger wie wir jetzt sind, wären ja was für die Kanzlerin!"Im Europa-Raum sucht sich Christine ein Wort aus, unterschreibt mit ihrem Namen und fotografiert den Schriftzug, als der sich auf der Leinwand abzeichnet: "Respekt". Ausgerechnet der zentrale Begriff von SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz.Spät am Abend kommt ein Mann Anfang 30 ins Gebäude. Er arbeitet für einen hochrangigen SPD-Politiker, er sagt, er sei ein Sozi auf Feindbeobachtung. Im Raum der Familie hört er auf einem Lautsprecher die Geschichte eines Vaters, der die Geburt seines Sohnes verpasst hat. Der Grund: Es gab keine Elternzeit für ihn. "Ich habe viele erste Male verpasst", sagt der Vater, erste Schritte, erste Worte, erste Liebe. Wenigstens sein Sohn könne jetzt das Vatersein genießen, wegen der CDU-Elternzeit. Der Sozi verzieht das Gesicht"CDU-Elternzeit?", poltert er. "Ja, klar, ein klassisches Unionsprojekt." Das gleiche sagt er bei Kindergelderhöhung, er ist stinksauer. Beide Projekte gehen auf die SPD zurück, beide reklamiert jetzt die CDU für sich. Ein Etikettenschmuggel, das Dilemma der SPD. Merkels CDU verleibt sich alle sozialdemokratischen Erfolge ein. "Jaaaaa! Deutschland geht's ja so geil!" Er hält das nicht aus. "Ich geh mir jetzt einen ballern", sagt er und rennt nach draußen zum nächstbesten Kiosk, um sich ein Beruhigungsbier zu besorgen. Wir folgen ihm. Das haben wir uns nach 12 Stunden im CDU-Haus verdient.Folge Niclas auf Twitter und VICE auf Facebook, Instagram und Snapchat.