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Feminisme

'Insatiable' beweist, dass die Zeit des Fatsuits endgültig vorbei ist

Von Monica in "Friends" zur neuen Netflix-Serie: Hollywood steckte jahrzehntelang schlanke Menschen in groteske Fettanzüge und gab dicke Menschen der Lächerlichkeit preis.
Debby Ryan as Patty in als Patty in Insatiable | Screenshot: Netflix

Als Netflix den Trailer für die neue Serie Insatiable veröffentlichte, folgte der Shitstorm auf dem Fuß. Als Teenie-Comedy-Drama über eine junge Frau, die abnimmt und sich dann an ihren ehemaligen Bullys rächt, scheint es so, als ob Insatiable die vielen Klischees über dicke Frauen nur noch weiter intensiviert. Die Serie impliziert, dass dicke Frauen unattraktiv, unsicher und unbeliebt sind. Wenn sie sich im Spiegel sehen, gibt es nur eine folgerichtige Reaktion: Sie seufzen und versacken mit einer Ladung Eiscreme auf dem Sofa.

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Fettpositive Aktivistinnen haben die Entscheidung, die Serie überhaupt in Auftrag zu geben, bereits heftig kritisiert. Und bei einer Petition zur Absetzung von Insatiable sind schon über 233.000 Unterschriften zusammengekommen. Vor allem die Entscheidung, Debby Ryan für die Hauptrolle zu casten, sorgte für Unverständnis. Weil die Schauspielerin eine schlanke Figur hat, musste sie bei den Dreharbeiten nämlich etwas tragen, das vielen Menschen schon lange ein Dorn im Auge ist – einen Fettanzug. Als übergewichtige Frau weiß ich genau: Wenn eine Schauspielerin im Fettanzug auf dem Bildschirm auftaucht, dann erwartet mich keine einfühlsame Darstellung von Übergewicht, sondern eine weitere Aufbereitung von typischen Klischees. So wird die Stigmatisierung und Ausgrenzung von Menschen mit meiner Figur niemals ein Ende finden.

Kathleen LeBesco ist stellvertretende Dekanin am Marymount Manhattan College und hat Bücher wie Revolting Bodies?: The Struggle to Redefine Fat Identity geschrieben. Gegenüber Broadly sagt sie: "Fettanzüge werden in der Regel nicht dazu genutzt, Geschichten zu erzählen, in denen dicke Menschen ein glückliches Leben führen. So tragen sie dazu bei, dass in unserer Gesellschaft ein schädliches und eindimensionales Verständnis von Übergewicht vorherrscht."

Im Lauf der vergangen 30 Jahre ist die Prothesen-Technologie immer ausgereifter geworden und Hollywood ist deswegen immer mehr auf den Trichter von Fettanzügen gekommen. Manchmal machen auch Schauspieler davon Gebrauch – etwas Eddie Murphy in Der verrückte Professor oder Mike Myers in Austin Powers – Spion in geheimer Missionarsstellung. Viel öfter werden sie aber dazu gebraucht, um ein abgedroschenes Frauenklischee zu bedienen: Für ein Vorher-Nachher-Szenario werfen sich dünne Schauspielerinnen den Fettanzug über, um nach einem drastischen Gewichtsverlust plötzlich erfolgreich und selbstbewusst zu sein.

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Ein Beispiel dafür ist Goldie Hawn, die in Der Tod steht ihr gut abnimmt und sich so von einer trutschigen Autorin in eine glamouröse Schriftstellerin verwandelt. In America’s Sweethearts spielt Julia Roberts die Rolle der persönlichen Assistentin Kiki, deren Gewicht als schier unüberwindbare Hürde zum Selbstvertrauen dargestellt wird (dabei hat sie, gemessen an normalen Standards, eine durchschnittliche Figur). Und in der zweiten Staffel der Sitcom Friends kommt heraus, dass Monica als Teenagerin dick war und deswegen als attraktive, schlanke Erwachsene so neurotisch auftritt. Und natürlich wird das Übergewicht in vielen Flashbacks für "lustige" Witze ausgeschlachtet.

Courteney Cox als Monica (links) in 'Friends' | Screenshot: YouTube

Virgie Tovar ist Fettaktivistin und Autorin von You Have the Right to Remain Fat. Sie sagt, dass sich die Zuschauer durch Fettanzüge mit übergewichtigen Charakteren identifizieren könnten, ohne dafür mit einem wirklich dicken Menschen mitfühlen zu müssen. "Das Publikum weiß, dass unter dem Kostüm eine dünne Person steckt, mit der man mitfiebern kann", erklärt sie. "So ist man auch weiterhin im Einklang mit der gesellschaftlichen Abneigung gegenüber Fett."

In der Popkultur wird mithilfe von Fettanzügen auch oft angedeutet, dass Gewichtszunahme etwas ist, für das man sich schämen muss. In dem Film Girls Club – Vorsicht bissig! versorgt Lindsay Lohan als Cady die Schulzicke Regina George (Rachel McAdams) mit Energieriegeln, durch die sie zunimmt. Deswegen wird George depressiv und ihre Beliebtheit schrumpft. Auch in Insatiable ist eine dünne Figur immer eine Voraussetzung für Selbstrespekt und den Respekt des sozialen Umfelds. Damit Patty ihren Racheplan durchziehen kann, muss sie abnehmen – weil dicke Menschen aufgrund ihrer Faulheit, Nachlässigkeit oder Gier an ihrem Leid selbst schuld sind.

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Das entspricht nicht der Realität. "Daten haben gezeigt, dass es für dicke Menschen sehr schwer ist, abzunehmen und dünn zu bleiben", sagt die Fettaktivistin Tovar. "Durch Fettanzüge nehmen die Leute aber schnell an, dass Übergewicht etwas ist, das man ganz nach Belieben schnell los wird."

"Mitleid zu erzeugen, steht beim Einsatz von Fettanzügen höchstens an zweiter oder dritter Stelle. Der Fokus liegt viel häufiger auf der Belustigung."

In seltenen Fällen darf der Charakter im Fettanzug dick bleiben, wenn sich dünnere Charaktere dadurch emotional weiterentwickeln. Bestes Beispiel: Die 2001er RomCom Schwer verliebt, in der sich Hal (Jack Black) in Rosemary (Gwyneth Paltrow) verliebt, weil er durch eine Hypnose nur ihre innere Schönheit sieht. Als er dann herausfindet, dass Rosemary in echt übergewichtig ist, und trotzdem weiter zu ihr steht, wird das Ganze als total moralisch und mutig dargestellt. Und das, obwohl sich täglich Männer in dicke Frauen verlieben – auch übergewichtige Menschen sind nämlich liebenswert.

Manchmal sollen Schauspielerinnen, die sowieso schon übergewichtig sind, durch einen Fettanzug noch dicker wirken – fast so, als ob ihr optischer Unterschied zu normalgewichtigen Menschen noch mal extra hervorgehoben werden soll. Im 90er Drama The Sculptress und bei der Serie American Horror Story soll mit den Aufnahmen der fleischigen Körper etwas Groteskes angedeutet werden, damit die Zuschauer das Übergewicht als Grund hernehmen können, warum die Charakter nicht mehr zur Gesellschaft gehören und letztendlich ein tragisches Schicksal erleiden.

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Manchmal tragen Frauen auch kaum wahrnehmbare Fettanzüge, um unterschwellig darauf hinzuweisen, dass die Charaktere eigentlich ziemliche Loser sind. Ein Beispiel dafür ist Emma Thompson als unglückliche Mutter und Hausfrau in Tatsächlich… Liebe, die von ihrem Mann mit seiner jüngeren, dünneren Sekretärin betrogen wird.


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Wenn eine Schauspielerin für eine ernsthaftere Rolle mal wirklich 25 Kilogramm oder mehr zunimmt, dann steigen auch die Chance auf eine Auszeichnung (wie etwa bei Charlize Theron in Monster). Natürlich wird dann aber auch erwartet, dass die Pfunde nach Drehschluss sofort wieder purzeln. Zwar werden auch wirklich dicke Schauspielerinnen wie Melissa McCarthy oder Gabourey Sidibe für Auszeichnungen nominiert. Sicher sind ihnen aber in jeden Fall Troll-Angriffe und unschöne Beschimpfungen.

Ab und zu werden mit Fettanzügen auch soziologische Experimente zu den Erfahrungen von übergewichtigen Frauen durchgeführt. So hat das Supermodel Tyra Banks mal künstliche 160 Kilogramm zugelegt und dann laut eigener Aussage einen der schlimmsten Tage ihres Lebens erlebt. Solche Aktionen werden aber nur wenig dazu beitragen, dass man dicke Menschen nicht weiter stigmatisiert – und wie Tovar vermutet, sollen sie das auch gar nicht. "Mitleid zu erzeugen, steht beim Einsatz von Fettanzügen höchstens an zweiter oder dritter Stelle", sagt die Fettaktivistin. "Der Fokus liegt viel häufiger auf der Belustigung."

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Oft nutzen Männer Fettanzüge auch dazu, um selbst in karikatisierte Frauenrollen zu schlüpfen – etwa Martin Lawrence als schwarze, ältere Dame in Big Mama’s Haus. Im Allgemeinen findet man aber kaum schwarze Schauspielerinnen, die Fettanzüge tragen müssen. Tovar ist der Meinung, dass das an den komplexen ethnischen und sexuellen Dynamiken am Arbeitsplatz liegt, die schwarze Frauen erfahren. "Die Körper schwarzer Frauen werden häufig als 'minderwertig' angesehen", sagt sie. "Ein Fettanzug wäre da nur noch eine weitere Schicht auf einem Körper, der sowieso schon als unzureichend gilt."

Egal ob nun bewusst oder nicht, der unterschwellige Rassismus in unserer Gesellschaft hat zur Folge, dass die perfekte Frau fast immer weiß ist. Genau deswegen gelten übergewichtige weiße Frauen als besonders "falsch". "Weiße Frauen sind in unserer Kultur besonders wichtig, weil man sie als unabdingbar für die Zukunft der weißen Menschen ansieht. Wenn sie übergewichtig sind, können sie aber nicht 'normal' sein", erklärt Tovar. "Sie werden so nicht der Erwartung gerecht, eine 'starke' weiße Nation aufzubauen. Deswegen ruft eine weiße Frau im Fettanzug besondere Ängste hervor."

Man nimmt oft fälschlicherweise an, dass in unserer Gesellschaft alle Körperformen akzeptiert sind – immerhin ist Melissa McCarthy eine der gefragtesten Schauspielerinnen in Hollywood und Lindy Wests Memoiren Shrill: Notes from a Loud Woman werden in eine Sitcom über eine dicke Frau verwandelt, die ihr Leben und nicht ihr Gewicht ändern will. Insatiable zeigt uns jedoch, dass man in der Popkultur trotz der vielen Fortschritte auch weiterhin gefährliche Klischees zum Thema Übergewicht breittritt.

Die überwältigende Kritik, die bereits nach der Veröffentlichung des ersten Insatiable-Trailers aufkam, gibt dennoch Grund zur Hoffnung. Wir werden uns immer bewusster, wie wir die Körper übergewichtiger Frauen bloßstellen und verhöhnen. "Man diskutiert immer mehr darüber, welche Schauspieler und Schauspielerinnen welche Rollen spielen dürfen. Deswegen wissen die Zuschauer beim Thema Repräsentanz jetzt besser Bescheid", sagt die stellvertretende Dekanin LeBesco.

Wie lassen sich solche Situationen in Zukunft vermeiden? Indem wir marginalisierte Gruppen ihre eigenen Geschichten erzählen lassen. "Die Mainstream-Medien werden sich nicht mehr lange halten, wenn sie sich nicht dem Zeitgeist anpassen", sagt LeBesco. "Wir leben in einer schnelllebigen Gesellschaft, da muss das Storytelling direkt sitzen. Und für Fettanzüge ist da schon lange kein Platz mehr."

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