"Der Teufel macht nur seinen Job": Zu Besuch bei einem Medium und einer Hellseherin

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"Der Teufel macht nur seinen Job": Zu Besuch bei einem Medium und einer Hellseherin

"Immer den Nacken schützen!" Ansonsten können Verstorbene, deren Seele noch nicht im Jenseits angelangt ist, Besitz von dem lebenden Körper ergreifen.

"Sind Sie nervös?"

Anna Müller sitzt mir in ihrem Arbeitszimmer gegenüber. Es befindet sich im Keller ihres Hauses. Orange Wände sorgen für eine freundliche Atmosphäre. Keine mystische Stimmung oder Unbehagen, die in Anbetracht unseres Vorhabens passend wären—immerhin wollen wir Kontakt zum Jenseits herstellen. Ich möchte Müllers Arbeitsweise kennenlernen, also starten wir einen Selbstversuch.

"Es ist schon jemand für Sie da", klärt mich Müller auf. Ihr Name wurde von der Redaktion geändert, weil die Steirerin lieber anonym bleiben möchte. Zwanzig Minuten vor meinem Eintreffen habe mein Schutzengel schon auf mich gewartet. Bereits bei unserem Interview hat mir das Medium versichert, dass immer ein Verstorbener erscheinen würde. Auch, dass es oftmals jemand aus der Familie wäre. Nun bin ich gespannt, ob das bei mir auch der Fall sein wird. Ich kann es mir schwer vorstellen, denn woher soll Müller meine Verwandtschaft kennen?

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Sie fragt mich, ob es losgehen kann und ich bejahe. In den Händen hält sie ein hölzernes Tischchen mit drei Beinen. In einem davon steckt ein Bleistift, mit dem sie die Botschaften der Geister auf einen großen Block schreibt und sie anschließend vorliest. Antonia heißt mein Schutzengel und sie stammt angeblich aus der Ahnenlinie meines Vaters. Ich weiß von keiner Verwandten mit diesem Namen, aber da schreibt Antonia auch schon weiter. Viele, viele Jahre sei es her, dass sie gelebt habe. Gestorben sei sie mit 94. Mit Smalltalk taste ich mich langsam voran.

Die Verstorbenen erkennt man an ihren unterschiedlichen Handschriften. Antonia schreibt größer als Hermann.

Nach jeder meiner Fragen kratzt der Stift auf dem Block. Manchmal schnell, manchmal etwas zögernd und stets ohne Leerzeichen. Alle Wörter in einer Reihe. Es kommt auch vor, dass Anna Müller ihre Buchstaben überschreibt. Wobei es gar nicht ihre Worte sind, wie sie erklärt. Sie ist lediglich die Botschafterin, über die die Verstorbenen Kontakt aufnehmen. Damit ich die Antworten selbst lesen kann, dreht das Medium den Block in meine Richtung.

Es dauert nicht lange, bis mein zweiter Schutzengel erscheint. Dieses Mal ist er männlicher Natur und heißt Hermann. Er verrät mir, dass er nur 23 Jahre alt wurde und zu Lebzeiten als Tischler arbeitete. Den Grund für seinen Tod verschweigt er. Es sei "nicht schön" gewesen. Auch nach häufigem Nachfragen gibt er ihn nicht bekannt.

Will ein Geist etwas nicht verraten, wird ein Strich auf dem Block sichtbar. Das passiert auch, als ich mich nach dem Ausgang der Bundespräsidentenwahl erkundige. Zuerst erhalte ich ein Datum: 24.4. Nach weiterem Nachfragen werde ich vom Jenseits abgewimmelt. Es wäre nicht wichtig. Also widme ich mich anderen Themen.

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Für meine berufliche Laufbahn versichern mir die Schutzengel das Beste, wie auch für die Partnerschaft. Genauere Details gibt es jedoch nicht. Alle Antworten sind eher allgemein gehalten. Es wäre gut für mich, eine Weile das Land zu verlassen. "Eher westlich". Müller selbst hinterfragt diese Aussage. "Also keine genaue Adressenangabe?" Es ist gewöhnungsbedürftig, wie sie die Botschaften der Geister vorliest und gleich darauf selbst Fragen stellt.

Kinder sind angeblich drei für mich vorbestimmt, was allerdings nicht bedeutet, dass ich sie bekomme. Alles ist meine freie Entscheidung. Falls ich mich entschließe, kinderlos zu bleiben, ziehen die vorbestimmten Seelen weiter. Ich werde also nicht mal mit sechzig wissen, ob das Medium Recht behalten hat.

Laut Antonia und Hermann—oder Anna Müller—ist dieses bereits mein viertes Leben. Das erste Mal habe ich vor mehr als 700 Jahren das Licht der Welt in Serbien erblickt. Alt wurde ich nicht mit zwei Jahren starb ich an Fieber. Beim zweiten Mal wurde ich wesentlich älter. Über 70 Jahre lebte ich in England als Gräfin, bis ich schließlich das letzte Mal als Bauer in Südtirol geboren wurde. Über 300 Jahre liegen zwischen diesem und meinem jetzigen Leben.

Die Tatsache, dass ich vor mehreren hundert Jahren als Gräfin ein so hohes Alter erreicht habe, erscheint mir merkwürdig. Immerhin war die Lebenserwartung damals bei weitem niedriger als heute. Müller fragt nach und erhält am Anfang wieder eine leicht kryptische Antwort: "Du hast daran geglaubt." Nach weiterem Nachfragen folgt die endgültige Erklärung: Angeblich war ich in meinem früheren Leben empfänglich für Übernatürliches und habe mein Leben in die Hände einer Heilerin gelegt. Deswegen wurde ich so alt. Mein damaliger Mann glaubte nicht an ihre Kräfte, daher starb er früher.

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Diese Antwort überzeugt mich zwar nicht, aber ich gehe nicht weiter darauf ein. Stattdessen erkundige ich mich, ob oder wie oft meine Seele noch reinkarniert. Auch das verraten mir weder Antonia noch Hermann. Sie beteuern es zu wissen, schweigen aber. Und selbst, wenn sie es nicht täten—überprüfen könnte ich es ohnehin nicht.

Auch der Teufel würde existieren, erzählen die Toten. Hermanns Meinung nach wäre er 'ganz OK'. Er mache nur seinen Job.

Ich will Müller testen und frage meine Schutzengel nach meiner toten Tante Monika. Dabei verschweige ich, dass sie nicht mehr lebt und will lediglich wissen, ob Antonia und Hermann auf Monika aufpassen. Das verneinen die beiden. Angeblich wäre jemand anderes für sie zuständig. Daraufhin kläre ich auf, dass Monika bereits tot ist. Natürlich haben die Geister sofort eine Antwort parat: "ER passt auf sie auf." Müller erklärt, wer gemeint ist: Gott.

Auch der Teufel würde existieren, erzählen die Toten. Hermanns Meinung nach, wäre er "ganz OK". Er mache nur seinen Job. Anscheinend sind eben sowohl das Gute wie auch das Böse erforderlich. Die ganze Sache wird immer abstruser und fühlt sich für mich an wie eine Geschichte, die Kindern erzählt wird.

Eineinhalb Stunden reden wir und es macht Spaß. Wirklich mehr weiß ich danach jedoch nicht. Zumindest habe ich keine Informationen erhalten, die sich wirklich überprüfen lassen. Ich habe auch keine Geister oder sonstige Energien gespürt. Mit 30 Euro weniger in der Tasche verlasse ich Anna Müller. Für gewöhnlich kostet eine Stunde 40 Euro und alle weiteren fünfzehn Minuten jeweils zehn Euro. Es war eine interessante Erfahrung, aber überzeugt bin ich nicht von der Existenz einer jenseitigen Welt.

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An der rechten Wand in Jeannette Pocks Arbeitszimmer schimmert eine große, goldene Sonne. Sie fällt als erstes ins Auge. Lange richtet man den Blick jedoch nicht auf sie, denn es gibt noch viel mehr zu bestaunen hier. Imposant ist wohl das richtige Wort für den spärlich beleuchteten Raum, der in oranges Licht getaucht ist. Auch die Dekoration ist ein Blickfang. Unzählige Engelsfiguren finden sich hier. Eine sticht besonders hervor, denn sie ist größer als die anderen und zeigt einen Engel, der auf einer Flöte spielt. Auf einer runden Schale stehen drei im Dreieck angeordnete Kerzen.

Interessant ist auch die Liege, die an eine Arztpraxis erinnert. Klienten können es sich auf ihr bequem machen. Ich nehme jedoch auf dem Stuhl gegenüber des dunkelbraunen Schreibtischs Platz, auf dem natürlich die Glaskugel nicht fehlen darf.

Mir gegenüber sitzt Hellseherin Jeannette Pock. Nachdem sie mich anfangs mit einem offenen Lächeln willkommen hieß, mustert sie mich nun mit wachsamem Blick. Dabei fühle ich mich ein wenig, als säße ich in einer Therapeutenpraxis. Es wirkt, als nehme sie jede Bewegung wahr und während sie mit mir spricht, hält sie eindringlichen Augenkontakt.

Seit 18 Jahren lebt die Grazerin von dem "übernatürlichen" Geschäft. 50 Minuten mediale Beratung kosten bei ihr 129 Euro. Für meine Recherche darf ich ihre Fähigkeiten 30 Minuten lang kostenlos in Anspruch nehmen. Diese Beratung ist jedoch nicht das einzige Angebot in Pocks Repertoire. Sie channelt Schutzengel, liest Auren, analysiert Chakren und bietet unter anderem Pendelsitzungen an.

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Bereits Pocks Großmutter war hellsichtig, habe allerdings noch in einer Holzhütte im Wald gearbeitet.

Besonders interessant ist das sogenannte "Eye-Channeling", das Unternehmen und sogar schon die Polizei bei ihr in Anspruch genommen haben sollen. Firmen kämen mit den Fotos der letzten drei oder vier Bewerber zu der Hellseherin und stellen ihr Fragen wie: "Wer wird nicht schwanger in nächster Zeit?" Auch wer fähiger ist, bestimmte Aufgaben zu bewältigen, interessiert die zukünftigen Arbeitgeber.

Die Antworten darauf sieht das Medium, nach eigenen Angaben, in den Augen der Bewerber. Über sie will Pock Charaktereigenschaften und Begabungen einer Person erkennen, ohne dem Menschen jemals zuvor begegnet zu sein. Diese Technik funktioniert nicht nur bei Bewerbungsfragen, sondern auch im persönlichen Bereich.

Die Gabe ist angeboren und liegt in der Familie, erzählt die Hellseherin. Bereits Pocks Großmutter war hellsichtig, habe allerdings noch in einer Holzhütte im Wald gearbeitet. Neben Firmenkunden und der Polizei suchen viele Privatkunden—männlich, weiblich und in allen Altersklassen—Rat bei der Hellseherin. Auch im Fernsehen hatte Pock bereits ihren Auftritt—bei ATVs "Teenager werden Mütter".

Wie funktioniert ihre Gabe nun aber? "Stellen Sie sich das so vor: Wenn Sie mir jetzt gegenüber sitzen, brauche ich Augen oder die Stimme als Seelenkontakt. Da ist bei mir eine Verbindung hergestellt und dann laufen Bilder ab. So wie bei einem Diaapparat", erklärt die Hellseherin. "Da bekommst du nacheinander die Bilder und ich hab das Glück, zeitweise Stimmen dazuzubekommen. Also Sätze, Wörter, Information. Und das gebe ich so weiter, wie ich es bekomme."

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Nach meinem Interview mit Medium Anna Müller interessiert mich natürlich, wie die Grazerin über Schutzengel und Verstorbene denkt. Müller ist der Ansicht, dass Schutzengel Verstorbene sind, die nicht mehr reinkarnieren. Pock hat dazu jedoch eine andere Meinung. "Engel sind Lichtwesen. Sie haben nie gelebt. Ein weit verbreiteter Glaube ist, dass meine Mutter ein Engel ist, wenn sie stirbt. Das ist aber falsch, denn sie war ja menschlich und kann demnach nur ein Schutzgeist sein. Schutzengel sind immer Lichtwesen", betont Pock erneut. Diese Lichtwesen entstehen, wie schon der Name sagt, aus Licht. "Aus Energie."

Auch Dämonen gibt es, so die Hellseherin. Diese befinden sich ihrem Wissen nach jedoch nicht in der Hölle, wie der allgemein verbreitete Glaube vermuten lässt. "Es bleibt alles im Himmel, es ist nur ein aufgeteilter Bereich." Dämonen im Himmel also? Pock klärt mich auf. "Es ist alles eine Parallelwelt. Die Toten sind unter uns."

Vorsicht müsse man lediglich am Friedhof walten lassen, erklärt sie mir mit ernstem Blick.

Jetzt will ich es genau wissen. Der zweite Stuhl neben mir ist leer. Kann es sein, dass jemand Verstorbenes darauf Platz genommen hat? Mit einem wissenden Lächeln nickt Pock. "Sie haben sowieso jemanden mitgenommen, der verstorben ist." Mit dieser Aussage bringt sie mich kurzzeitig aus dem Konzept und ich muss ein Grinsen unterdrücken. Die Vorstellung eines übernatürlichen Begleiters ist für mich ziemlich grotesk. Wer genau mein Schutzgeist ist, kann mir Pock nicht sagen. "Jemand aus Ihrer Familie. Kein Bekannter und auch keine Tierseele." Überrascht sehe ich sie an. Ich wusste nicht, dass es auch möglich ist, mit Tieren zu kommunizieren. Doch das ist es. Immerhin sprechen auch menschliche Verstorbene nicht mehr—es ist die Seele, die kommuniziert.

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Im Gegensatz zu Müller ruft Pock nach bestimmten Verstorbenen. Sie sieht dabei keine Gefahr. "Ich schütze mich, ich schütze meinen Klienten und ich schütze den Raum." Vorsicht müsse man lediglich am Friedhof walten lassen, erklärt sie mir mit ernstem Blick. Beinahe ruppig kommt ihre Warnung: "Immer den Nacken schützen!" Ansonsten könnten Verstorbene, deren Seele noch nicht im Jenseits angelangt ist, Besitz von dem lebenden Körper ergreifen. Beispielsweise, um Süchte wie Rauchen oder Alkoholkonsum zu stillen. Dabei könnten Schizophrenien ausgelöst werden, wie auch durch ungeschütztes "Tischerl rücken." Besonders gefährdet sei die Jugend, so Pock. „Die machen sich einen Spaß draus, bedenken jedoch nicht, dass sie in eine andere Welt gehen! Die überschreiten eine Sphäre. Und wenn dann einer durchdreht oder durchknallt, dann wundert mich das nicht!"

Trotz der teils finsteren Thematik lacht die Hellseherin viel und ist ein sehr offener Mensch. Angst vor dem Selbstversuch verspüre ich keine. Jeannette Pock ruft auch keinen Geist für mich—sie sieht, was die Zukunft für mich bringt.

Während Pock mir teils private, teils berufliche Informationen über mich erzählt, versuche ich, ein Pokerface aufzusetzen. Ich habe ihr zuvor nicht viel über mich verraten—über meine Arbeit haben wir natürlich gesprochen—doch ansonsten bin ich bemüht, nichts preiszugeben. Umso erstaunter bin ich, als sie bei den meisten Punkten tatsächlich ins Schwarze trifft. Ob das Zufall sei, frage ich sie.

"Es gibt keine Zufälle", erklärt mir die Hellseherin. "Was ist ein Zufall? Etwas fliegt mir zu." Noch immer bin ich skeptisch. Sie kennt meinen vollständigen Namen und im Zeitalter der Digitalität, in der Google über nahezu jeden Auskünfte bereithält, könnte sie sich natürlich auch im Vorhinein über mich schlau gemacht haben. Seit Jahren tanze ich regelmäßig in der Tanzschule und kurzzeitig bei einem Tanzsportclub. Das kann sie an meinem Facebook-Profil ausfindig gemacht haben und mein "Hobby, das ich sehr gerne mache", ist erklärt.

Viele weitere Aussagen sind sehr allgemein und treffen vermutlich auf 80 Prozent der Menschen zu. Dass irgendjemand in der Familie krank ist, ist keine Seltenheit. Dass ich mich nachts vor dunklen Gassen hüten soll, wenn ich allein bin, bedarf auch keinen Rat einer Hellseherin.

Bis auf eine Ausnahme, die meinen Freundeskreis betrifft und mit der ich rein gar nichts anfangen kann, liegt sie mit ihren Aussagen richtig.

Trotzdem bleibt ein kleiner Hauch des Zweifels. Bis auf eine Ausnahme, die meinen Freundeskreis betrifft und mit der ich rein gar nichts anfangen kann, liegt sie mit ihren Aussagen richtig. Beispielsweise meine nicht vorhandene Partnerschaft betreffend. Pock geht sofort davon aus, dass ich single bin. Das kann sie nicht wissen und auch über keine digitalen Netzwerke erfahren haben. Sicher könnte es einfach richtig geraten sein, aber als sie mir weitere Details liefert, muss ich zugeben, dass sie sehr oft ins Schwarze trifft. Mit gemischten Gefühlen bedanke ich mich bei Jeannette Pock und ziehe den Vergleich zu Anna Müller.

Laut Pock sind zwei Kinder für mich vorgesehen, Müller prophezeit mir drei. Beide Damen versichern mir jedoch, dass es meine Entscheidung ist. Will ich keine Kinder, bekomme ich keine. Na gut, um das zu wissen, braucht man keine übernatürlichen Fähigkeiten. Auch die Verifizierung der nächsten Aussage ist unmöglich: Die Grazer Hellseherin sieht in meinen Handflächen, dass ich "eine alte Seele bin", die sieben Mal gelebt hat. Müllers Aussage nach, befinde ich mich aktuell in meinem vierten Leben.

Etwas lässt sich jedoch sehr wohl überprüfen. Eine von Jeannette Pocks Vorhersehung ist wohl eingetroffen: Meine Arbeit wurde veröffentlicht.