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Das Schlimmste bei Big Brother ist, wenn man keine Geheimnisse hat

Die Allegorie des Überwachungsstaats ist BB wieder perfekt gelungen. Man möchte seine Privatsphäre schützen. Bei Promi Big Brother stellt sich heraus: Das Schlimmste ist, wenn man nichts zu verbergen hat. Dass man im Kern unspannend ist, darf keiner...

Das Finale von Promi Big Brother ist Geschichte. Zwei Wochen nach Beginn schließt der Container seine Pforte (2,12 Millionen Zuschauer, 4,4 Prozent—das sind fast eine Million Menschen weniger als bei der ersten Sendung, aber gut, ich hab's auch online geschaut). Aber natürlich erst nachdem auch der letzte „Bewohner“ ausgespien worden ist. Und wie beim wahren Erbrechen kommt am Ende der renitenteste Ekel heraus. Der gar nichts mehr Verdorbenes, sondern nur noch Reflex selber ist. Magensäure und irgendwie Sabber. Wenigstens sahen die Kandidaten, die mittlerweile in Sieger und Verlierer verwandelt worden waren, so aus. Zumindest Johnny-Walker Jenny Elvers. Sie hat die gläserne Augenstatue des Siegers mit nach Hause genommen.

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Am Ende werfen sich mir die tiefgründigsten Fragen auf. Was heißt Siegen im PBB-Container? Der/die Beobachteteste gewesen zu sein? Wieso wirken die Verkörperungen von Big Brother, das fünfrohrige Gemächt (siehe unten) zuvorderst, wie die warnende Zukunftsvision des Menschen als Spielball perverser Maschinen? Warum baut Sat.1 die durchschnittlichen Träume von Mitt-40ern detailgetreu nach?

Vorweg noch die offizielle Linie. Da war es wie im Märchen. Eine 41-jährige Ex-Alkoholikerin beweist durch 14 Tage Dauerbeobachtung, dass sie wirklich trocken ist und bekommt am Ende einen Glaspokal. Pamela Anderson steht wie eine sexy moralische Rettungsschwimmerin immer daneben, was Sat.1 circa 300.000 Euro für drei Tage gekostet hat. Wirklich. Ähnlich der Rückkehr aus dem Gulag begrüßen Familie und Freunde die letzten Kontrahenten/Kriegsgefangenen der geläuterten Blonden beim Verlassen des Hauses. Happy End. (Bei dieser Lesart ist man natürlich versucht zu denken, dass Elvers ziemlich schnell einen neuen, größeren Schicksalsschlag benötigt, da der letzte mit dieser Erholung leider aufgebraucht ist. Doch dass Sat.1 „zwei Filme mit dir dreht”, wie Oliver Pocher es Elvers gegenüber formulierte, könnte eine Katastrophe angemessenen Ausmaßes sein.)

Unabhängig davon gab es aber genug Doppelbödiges, um auch düsterere Interpretationen zuzulassen. Besonders da am Freitag hauptsächlich Highlights gezeigt wurden, bekam man ein Gefühl für den größeren Bogen, den die Sendung geschlagen hat. Ich zum Beispiel hatte immer wieder nach Big-Brother-Verkörperungen gesucht, da der ja unabhängig von den Moderatoren nur als Stimme rumwabert.

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Dabei ist mir das fünfrohrige Blech-Gemächt, mit dem Natalia „ge-challenged“ wurde, als besonders demütigende und offensichtliche Anspielung in Erinnerung geblieben. Ich verstehe es als Warnung, dass in der Zukunft ein Zyklop mit fünf Penissen Zeitreisen ermöglicht, damit Lesbierinnen ein und dieselbe Person sein können. DIE Steigerung von Fantasien über Schwestern, nehme ich an.

Noch unglaublicher aber war der Live-Teil des Finalabends. Eine Show, die doch für ihren unmittelbaren Horror bekannt ist, wurde Freitagabend verdammt symbolisch. Ich könnte jetzt beschreiben, dass es Feuer-, Glitsch- und andere Proben gab, aber man kann sich, was zu sehen war, vielleicht am besten so vorstellen: Zwei Freunde treffen sich und führen folgendes Gespräch:

Freund 1: Ich habe immer wieder so merkwürdige Träume.

Freund 2: Ja? Wovon denn so?

Freund 1: Also, ich träume immer wieder, dass ich Prüfungen erfüllen muss, bei denen Pamela Anderson mich beobachtet. Fürs Bestehen gibt‘s High-Fives und beim Scheitern Mitleid.

Freund 2: Was für Prüfungen denn?

Freund 1: Einmal muss ich auf ‘nem Laufband, das aus einem Loch in einer Wand kommt, großen und kleinen Klötzen ausweichen. Und ich soll unter Zeitdruck irgendeinen Buzzer drücken. Das ist in allen Träumen gleich. Ein anderes Mal bin ich an einen Bürostuhl gefesselt, der mit Feuerlöschern gedreht wird. Danach muss ich im Supermarkt bestimmte Produkte einkaufen und zu Pamela an die Kasse bringen.

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Freund 2: Im normalen Supermarkt?

Freund 1: Ne, das ist so’n abstrakter Markt. Irgendwie ist drumherum alles dunkel. Kennst du doch, wie das beim Träumen ist.

Freund 2:  Ok, so bezugslos. Und Pamela steht da dann rum?

Freund 1: Na ja, meistens sitzt sie auf einem rot-goldenen Thron.

Freund 2: Krass, und sonst ist niemand da?

Freund 1: Also, ich hab die Supermarkt-Prüfung und so eine Kletter- und Windprüfung bestanden, aber bei dem Laufband hab ich mich hingepackt und dann kamen Männer in Sturmmasken und wollten mir helfen.

Freund 2: Wieso haben die Masken auf? Schon ein bisschen komisch.

Freund 1: Noch komischer ist, dass die mich mit Marijke angesprochen haben.

Freund 2: Es scheint, als hättest du Probleme mit Anerkennung, oder du schaust zuviel Fernsehen.

ENDE

Ja, Freund 2, so kann man es sehen. Leute, die Probleme mit Aufmerksamkeit haben, werden von anderen, die andere Probleme mit Aufmerksamkeit haben, bis auf ihr langweiliges Selbst abgeglotzt und durchgevotet. Und sie sehen zuviel fern. Heraus kommen dabei die detailverliebten Nachbauten von unkreativen Glatze-Männer-Träumen. Dafür sind 300.000 eigentlich wenig. Denn die Allegorie des Überwachungsstaats ist BB wieder perfekt gelungen. Es kann nicht sein, heißt es in der Diskussion um Vorratsdatenspeicherung andauernd, dass ich alles offenlegen muss, nur weil ich nichts zu verbergen habe. Das ist aber gar nicht der Clou. Hier stellt sich heraus: Das Schlimmste ist, wenn man nichts zu verbergen hat. Denn dass man im Kern unspannend ist, darf keiner wissen.

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Noch nie hatte irgendein Medium mir das so vor Augen geführt wie PBB. Erschöpft von den Erkenntnissen einer so dichten und langen Sendung will ich versuchen, bis zum nächsten Jahr, wenn sich das Spektakel versprochenermaßen wiederholt, alles verarbeitet zu haben. Bis dahin sollten wir uns wohl alle über Marijke Amados feine Einschätzung Gedanken machen. Zum Unfall bei der Laufband-Challenge, nach dem sie bewusstlos liegen blieb, sagte sie nur einen Tag später: „Das war nur ein Sturz auf das Gesicht—ich bin wieder voll […] fit.“

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