„Das hier ist nüchtern verdammt hart“—Drogenspaß vs. Drogensucht mit NOFX

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Interviews

„Das hier ist nüchtern verdammt hart“—Drogenspaß vs. Drogensucht mit NOFX

Wir haben mit Fat Mike von NOFX über das verdammte Leben als Fat Mike gesprochen.

NOFX waren irgendwie immer schon da. Die vier Typen aus Kalifornien haben sich durch unzählige Punkrock-Klassiker in das jugendliche Bewusstsein von mehreren Generation Punk-Fans gespielt. Fat Mike, El Hefe, Melvin und Smelly haben eben nie aufgehört, immer weiter Alben zu schreiben, um die Welt zu touren und dabei das ein oder andere Bier zu trinken. Es ist fast 30 Jahre her, dass ihr Debüt veröffentlicht wurde.

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Dieses Jahr erschien das erste NOFX-Buch, in dem sie ungewohnt offen persönliche Geschichten teilen. So thematisiert Fat Mike etwa sein bisher schamvoll verstecktes Hobby, sich Frauenklamotten anzuziehen. Ein Thema, dass er auch auf dem neuen Album First Ditch Effort in dem Song „Transvest-Lite" thematisiert. Zwischen den ungestümen Punkern, die Songs wie „Beer Bong" oder „Moron Brothers" gesungen haben und den heutigen, teilweise durch schwere Drogensüchte gezeichneten, 50er-Männern liegen Welten, die sich nur in ihrer Musik verbinden.

Wir haben mit Fat Mike gesprochen, um über seine Medikamentensucht, verhasste alte Songs und den Stand der Punk-Szene gesprochen.

Noisey: Hey Fat Mike, wie gehts dir?
Fat Mike: Es geht, ich komme aus Europa, wo wir viele Shows gespielt haben. Jetzt habe ich zehn Tage Pause … Also mache ich auch eine Pause.

Glückwunsch zu dem neuen Album, es ist sehr ehrlich.
Es ist etwas anderes, als die Leute erwarten.

Vor allem der Track „Transvest-Lite" kam unerwartet.
Das war der letzte Song, den ich für das Album geschrieben habe. Die Lyrics sind verdammt persönlich. Das ging nur durch das Buch. Nachdem wir dort alle Geschichten aufgeschrieben haben, hatte ich nichts mehr zu verbergen.

Wusstet ihr beim Buch schreiben, was die jeweils anderen alles preisgeben?
Nein, wir wurden alle separat interviewt. Bis zum ersten Entwurf sah keiner das Buch. Es gab eine Menge, das wir nicht voneinander wussten … Wir wussten diesen Scheiß nicht.

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Inwieweit hat das euch als Band verändert?
Es hat eher das Bild der Leute von uns verändert. Sie sahen uns als eine melodische Punk-Band der Neunziger. Aber wir waren schon in den 80ern unterwegs, wo es nichts als Hardcore, Gewalt und Drogen gab. Wir kamen aus einer wirklich rohen Szene. Es ist vergleichbar mit „Straight Outta Compton". Zwar gab es nicht so viele Schießereien, aber auf jeder Show wurde geprügelt und Messerstechereien brachen aus. JEDE Show. Da waren keine Cops, weil die Konzerte in schlechten Nachbarschaften stattfanden. Das erste Mal, dass ich die Misfits gesehen habe, war '82 in Compton. Draußen stand eine schwarze Gang und niemand wollte die Show verlassen, weil es zu gefährlich war.

Ich habe mein erstes NOFX-Album mit 14 Jahren gekauft. Würdest du die neue Platte First Ditch Effort einem 14-Jährigen empfehlen, um NOFX erstmalig kennenzulernen?
Wenn wir ein Album fertig haben, können wir für ungefähr ein Jahr nicht sagen, wie sehr wir es wirklich mögen. Wenn ich einem Kid ein NOFX-Album empfehlen würde, wäre das Wolves In Wolves Clothing … oder War On Errorism … oder So Long And Thanks For All The Shoes. Ich würde nicht Punk In Drublic empfehlen. Ich mag das Album, aber so gut wie andere Platten ist es nicht.

Also würdest du eher die neueren Alben empfehlen als die alten, mehr „punkigen" Platten?
Diese Alben waren gut für die Neunziger, aber sie sind nicht so gut wie jene, die danach kamen. Viele Leute sagen mir, dass sie vor allem immer wieder Wolves In Wolves Clothing hören.

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Bei mir ist es War On Errorism, es war eben „das erste Mal".
Viel besser als unser alter Scheiß.

Siehst du denn auf Konzerten noch viele junge Gesichter oder werden die Fans über die Jahre mit euch älter?
Beides. Wenn ich aber beispielsweise auf ein Anti Flag-Konzert gehe, sehe ich kleine Kinder. Unsere Fans sind eher 20 bis 40. Es ist verrückt, aber viele unserer Fans bringen ihre 15-jährigen Kinder mit.

Es gab mal einen Noisey-Artikel darüber, ob Pop-Punk in Würde altern kann. Da eure Musik so simpel und die Jokes so pubertär wären, würden das nur 16-Jährige hören, die da aber bald rauswachsen werden. Tut das weh?
Oaah … Ich habe das nicht gelesen, aber es stimmt absolut nicht. Unsere Songs sind nicht witzig. Wir sind auf der Bühne lustig, aber unsere Songs sind nicht nur sehr ernst, sondern auch kompliziert. Viel komplizierter als Green Day oder The Offspring oder so.

Bekommst du manchmal auf der Bühne auch nostalgische Gefühle, wenn du alte Songs spielst?
Es ist eigenartig, wenn wir live spielen, beschweren sich jetzt die Leute, dass wir zu viele alte Songs spielen. Sie wollen mehr Neues hören—was cool ist. Aber … Ich hatte es in letzter Zeit schwer. Ich war nüchtern, habe dann aber wieder angefangen, zu trinken—aber nur auf Konzerten. Es ist hart für mich, neunzig Minuten lang alte Songs zu spielen. Immer die gleichen Städte … Ich war verdammte 12 Mal in Berlin. Es fühlt sich nicht mehr neu an.

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Bist du denn ansonsten clean? Ihr startet das Album ja mit dem Song „Six Years on Dope".
Nun, der Song ist über Smelly. Das hat mit dem Buch zu tun. Er war sechs Jahre lang auf Heroin. Aber ja, ich bin weg von Schmerzmitteln und Drogen. Vor allem wenn ich Zuhause bin. Auf unserer letzten Europa-Tour habe ich aber wieder angefangen, vor den Shows zu trinken. Es ist so … Ich bin … Es ist schwer. Nichts ist schwieriger, als in einer Punk-Band zu spielen und dann noch nüchtern zu bleiben.

Wegen des Images oder des Spaßes?
Um Spaß zu haben. Ich mache das seit 33 Jahren und hatte immer so verdammt viel Spaß auf der Bühne. Es ist so, als ob du jeden Tag Geburtstag feierst. Jeder ist da, um dich zu sehen und mit dir zu reden. Du musst zu allen nett sein. Wenn du besoffen bist, macht das Spaß. Nüchtern fühlt sich das mehr wie ein Job an. Ich glaube, ab nächstem Jahr werden wir weniger Shows spielen.

Das erinnert mich an den Sum 41-Sänger Deryck Whibley, der ein großes Alkoholproblem hatte. Hast du davon gehört?
Nein.

Das, was du gerade gesagt hast, erinnert mich daran. Auch er meinte, dass er sich zehn Jahre lang auf Tour auf jedem Konzert gesoffen hat.
Es gehörte einfach dazu. Ich spiele ein paar Shows nüchtern, andere mit ein paar Drinks, aber nehme zurzeit keine Drogen.

Ihr habt damals Minor Threats Straight-Edge-Hymne gecovert. Hast du dich beim Clean werden jemals  zu den Idealen dieser Szene verbunden gefühlt?
Nein, ich glaube da überhaupt nicht dran. Jeder sollte irgendwann mal Ecstasy probieren. Es macht zu viel Spaß. Klar, manche Menschen können damit nicht umgehen, aber ich glaube nicht, dass nüchtern zu sein moralisch korrekt ist. Wenn du ein Arschloch bist, dessen Alkoholsucht dein Leben ruiniert, dann hör auf damit. Für mich war das nie der Grund. Umso mehr wir getourt sind …Wir sind mit dem Buch getourt und dann mit einem Album. Das waren sechs Monate, in denen ich nicht aufgehört habe, zu feiern. Und ich wurde süchtig nach Schmerzmitteln. Also ging ich zum Detox—nicht Entzug, sondern Detox. Ich war sechs Tage in einer Anstalt, um mir helfen zu lassen, mit den Drogen aufzuhören. Seitdem ist es sehr einfach. Außer, wenn ich eine Club-Show spielen muss. Dann spiele ich und jemand wirft ein Bier und trifft mich am Kopf und ich denke mir: „Das hier ist nüchtern verdammt hart!"

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Ab welchen Punkt hast du entschieden, von den Schmerzmitteln loszukommen?
Das Ding an Schmerzmitteln ist, dass es dir dadurch so gut geht. Du hast jeden Tag einen Kater, also nimmst du eine Tablette—und kannst einfach nicht aufhören. Sie sind so gemacht, dass du stärker süchtig nach ihnen bist als bei Heroin. Kennst du die Probleme hier in den USA? Wir machen nur einen Teil von 4 % Der Weltpopulation aus, nutzen aber 75 % der Schmerzmittel. Du kriegst diese Dinge nicht in Europa, da bekommst du kein Oxycotin. Wenn dir hier der Rücken wehtut, gibt dir der Doktor Oxycotin. Jeder ist sozusagen auf Heroin.

Punkrock-Bands geht es allgemein heutzutage ziemlich schlecht, oder?
Ist das so? Seltsam, wir erreichen mit Fat Wreck Records zwar nicht die Zahlen der Neunziger, aber all unsere Bands verdienen ziemlich gut. Die Hälfte der Plätze in denen wir mit NOFX spielen, stehen wir vor mehr Zuschauern als wir je gehabt haben. Wir waren gerade mit Pennywise in Hannover und da standen 5000 Leute.

Klar, ihr seid eine längst etablierte Szenegröße.
Das ist das Ding: In jedem Musikgenre geht es den Bands gut, die die besten ihres Fachs sind. Die durchschnittlichen Bands machen sich nicht so gut. Und weil man kein Geld mehr damit verdient, Platten zu veröffentlichen, sind alle Bands nur noch auf Tour. Wenn du also einmal die Woche auf ein Konzert gehst, willst du die beste Band sehen, nicht die durchschnittliche.

Aber heißt das nicht auch, dass junge Bands es deutlich schwerer haben?
Muss es nicht. Guck dir Flogging Molly, Dropkick Murphys, Rise Against oder Against Me! an. Sie alle begannen nach Bad Religion, Rancid, Green Day oder NOFX und wurden bekannt. Du musst eben deinen eigenen Style finden und darin wirklich gut sein. Das ist nicht unmöglich.

Und wenn du dir das Line-up der Warped Tour der letzten Jahre anguckst? Kaum noch Punkrock, eher Emo, Metalcore und sogar EDM.
Es ist witzig, ich habe letztens erst mit Kevin Lyman [Anm.: der Veranstalter der Warped Tour] geredet. Er will nächsten Jahr wieder mehr alte Punkbands spielen lassen—weil die Kids danach fragen. Es ist eben zyklisch. Die Sache bei der Warped Tour ist: Bands wie Bad Religion, Rancid und auch wir wollen Geld. Diesen Emo-Bands muss er nichts bezahlen. Das sind Kinder, denen ist das egal.

Danke, Fat Mike!

First Ditch Effort erscheint am 07. Oktober.
Die Hepatitis-Badewanne und andere Storys erscheint am 12. Dezember.