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Popkultur

Für mich ist 'The Holy Mountain' eine interdimensionale Nachricht von bekifften Gottwesen

Nach diesem Film von Alejandro Jodorowsky aus 1973 machen Ziegenaugen, Verschwörungstheorien und Aliens plötzlich Sinn.
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Wie es sich manchmal ergibt, habe ich neulich mit einem Kollegen über LSD und Psilocybin gequatscht. Wir haben gewisse Erfahrungen ausgetauscht—zum Beispiel, dass man nicht zu häufig Schwammerl nehmen sollte, da man sonst irgendwann beginnt, Stimmen zu hören, Halluzinationen ganz einfach eine Frage der Dosierung sind und das Gefühl, eins mit dem Universum zu sein, etwas sehr Schönes ist.

Und darüber, dass alle Menschen, die Interesse an psychotropen Substanzen haben, aber mit ihrem halbwegs funktionalen Geist nicht russisches Roulette spielen wollen, unbedingt Alejandro Jodorwoskys The Holy Mountain als potentes Ersatzerlebnis schauen sollten.

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1973 hat ein verrückter Chilene dieses gigantische Stück Kino geschaffen. Das im Original Montana Sacra betitelte Meisterwerk war eine komplett bahnbrechende Produktion und hält immer noch Rekorde für filmischen Wahnsinn—mühelos auch im Vergleich zum kontemporären Standard von Weird-Ass-Filmen. The Holy Mountain weist einen ans Unmögliche grenzenden Ausstattungsaufwand auf und ist visuell so bombastisch inszeniert, dass einem tatsächlich ein bisschen schwindlig wird.

Aufgrund dieses Looks und der unfassbaren Dimensionen ist die erwähnte psychedelische Wirkung von The Holy Mountain nicht mal eine Übertreibung. Was sollte man auch anderes erwarten von einem von John Lennon mitfinanzierten Monumentalprojekt, für das Jodoworsky sich zusammen mit zwei spirituellen Gurus, erstmaligen LSD-Konsum und Schlafentzug vorbereitet hat. Die Filmindustrie in den 70ern muss ein anarchistisches Wunderland gewesen sein.

Am Anfang steht der Geschichte steht ein Typ, ein halbnacktes Jesus-Plagiat, der einfach "Dieb" genannt wird. Vorbei an Blutorgien und diversen Minimundus-Massenszenen mit Fröschen bis Echsen, die Tierschützer heutzutage direkt zum Erbrechen bringen würden, beginnt seine Reise in Richtung Gott-Status. Mal erwacht er in einem Meer aus Pappmaschee-Kopien von sich selbst, in Kruzifix-Stellung und buschigem Schritt; mal kackt er Gold.

Der Dieb trifft auf den Alchimisten. Das ist wahrscheinlich die einnehmendste und gruseligste Filmfigur, die sich mir jemals unter die Augen geschlichen hat. Seine esoterische Aura ist hypnotisch, verstärkt durch seinen extravaganten Warhol-Chic und der ihn umgebenden alttestamentarischen Pop-Architektur. Eine abfällige Reaktion "OK, der Scheiß wird mir zu schräg" steht zum Zeitpunkt seines Auftritts gar nicht mehr zur Debatte. Man ist gefangen.

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Unter der Leitung des Alchimisten trifft der Dieb auf andere Jünger, die uns in den den gestörtesten Flashbacks seit Roger Rabbit Geschichten der Sünde und des Betrugs erzählen. Wir werden durch eine allegorische Bildwelt nach der anderen geschleift: Wir sehen Metaphern für Industriegesellschaft, unsinnigen Sex, sakrale Selbstironie und esoterische Höllenvisionen. Unbehagen. Kontrollverlust. Wenn das nicht nach LSD-Trip klingt, weiß ich auch nicht.

Eigentlich völlig unmöglich, dass dieser Film aus menschlicher Hand stammte.

So stelle ich mir eine außerirdische Live-Schaltung in David Bowies Unterbewusstsein vor, kurz bevor er Ziggy Stardust geworden ist. Ich weiß heute gar nicht richtig, was ich wirklich in The Holy Mountain gesehen habe und was ich mir nur assoziativ zusammengeträumt habe—während des und in der langen Verdauungsphase nach dem Film.

Ich kann mich noch erinnern, wie lächerlich unvorbereitet ich als Langzeitstudent der Filmwissenschaften diesen Film von meiner "Sollte man gesehen haben"-Liste streichen wollte. Ich Narr! Nach Jodorowskys Bilder-Bukkake fühlte ich mich eher wie ein Reh vor Autoscheinwerfern und nicht wie ein abgebrühter Cineast (geschweige denn wie jemand, der in seinem Studium auf das hier vorbereitet worden ist). Ich hatte so etwas noch nie gesehen. Eigentlich völlig unmöglich, dass dieser Film aus menschlicher Hand stammte.

Manchmal gibt es eben solche Filme. Lars Van Triers Erstlingswerk The Element of Crime oder Children Of Men von Alfonso Cuarón sind ebenfalls solche Werke, in denen man das volle Ausmaß der Kunst eines perfekt gestalteten, gerahmten und geschnittenen Films zu schätzen lernt. The Holy Mountain übersteigt sogar diese bei weitem—und nebenbei gleich auch noch unser Vorstellungsvermögen. Was Bühnenbildner und Regie hier geleistet haben, ist unheimlich, und fast paranormal.

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MOTHERBOARD: Passend dazu, hier ein dunkles, surrealistisches OMNI Musikvideo.

Nicht nur mir wurde es unheimlich. Jodorowsky bekam Todesdrohungen von Kirchenfanatikern, die sich über "Blasphemie" erzürnten, und auch von mexikanischen Militärgruppierungen gab es Lynch-Gefahr, weil Uniformen ihres Landes bei den gigantischen Massaker-Sequenzen eingesetzt wurden. Wann gab es das letzte Mal solche saftigen Skandale um einen Film? (Offenbar werde ich alt.) Was der Mann mit Dune gemacht hätte, bleibt weitestgehend eine Traumvorstellung, die für sich genommen einen Science-Fiction-Film wert wäre—neben einer ziemlich coolen Doku.

Vielleicht ist es auch gut so, dass es eine Seltenheit bleibt, wenn Filmemacher wie Jodoroswky, Werner Herzog oder Stanley Kubrick die Grenzen des Vorstellbaren sprengen. Einerseits weil es nur so diese Aura der Besonderheit hat, andererseits weil kein menschliches Gehirn so etwas wöchentlich vertragen würde.

Vielleicht ist The Holy Mountain aber in Wirklichkeit auch gar kein Film, sondern eine interdimensionale Kontaktaufnahme von bekifften Gottwesen, um uns in transzendente Licht der Ewigkeit zu führen. Ich persönlich bin inzwischen ziemlich überzeugt davon. Aber das könnte daran liegen, dass ich gerade wieder The Holy Mountain gesehen habe und nicht ganz zurechnungsfähig bin.

Josef auf Twitter: @theZeffo