FYI.

This story is over 5 years old.

dropkick murphys

Wer Teamsport mag, kann die Patriots nicht hassen

Die Patriots sind das meistgehasste Franchise. Unser Autor und Pats-Fan sprach mit Ken Casey von den Dropkick Murphys über die einzigartige Bostoner Sportkultur und warum man den Patriots Respekt zollen muss.
Foto: Imago

Bist du Football-Fan in Deutschland, hast du in der Regel ein Team. Und das heißt wie in meinem Fall häufig New England Patriots. Die Erfolgsfranchise kann hierzulande eine Menge Fans und noch mehr Hater vorweisen. Die schiere Unbesiegbarkeit am Rande des Erlaubten sorgt außerhalb Neuenglands eben für viel Hass. Doch genau dieser Hass ist – vor allem in Boston – Wasser auf die Mühlen der Pats-Anhänger.

Anzeige

Die Sportvernarrtheit der Bostoner Bevölkerung ist in der US-Metropole förmlich greifbar, egal ob nun in Form des Bruins-Shirts des örtlichen Pizzabäckers oder der aufgehängten Teamlogos in den Feuerwachen. Und auch viele Bands aus „Beantown" schreiben sich ihre Begeisterung für die vier großen Sportmannschaften der Stadt offen auf die Fahne. Bestes Beispiel: die Dropkick Murphys. Die Folk-Punk-Band kennt man am besten für ihre Hymne „I'm Shipping Up To Boston". Mit einem extra für die Boston Bruins geschriebenen Lied oder eindeutigen Merchandise-Designs haben sich die Punkrocker mit irischen Wurzeln das Dasein als eingefleischte Sportfans zu einem ihrer Markenzeichen gemacht.

Will man etwas über Sportkultur Bostons lernen, dann sollte man sich am besten mit Ken Casey, dem Sänger und Bassisten der Dropkick Murphys, unterhalten. Das haben wir getan und erfahren, warum die Bostoner Arbeiterklasse eher die Bruins als die Patriots bevorzugt und warum der Rest der USA neidisch auf die Patriots ist.

VICE Sports: Sind Tom Brady und Bill Belichick wirklich der beste Quarterback bzw. der beste Trainer aller Zeiten, wie es von Patriots-Fans ja oft behauptet wird?
Ken Casey: Wie kann man da anderer Meinung sein? Man muss sich nur mal den anhaltenden Erfolg anschauen. Als wir letztens das AFC Championship-Spiel angeschaut haben, sprachen wir auch darüber, dass es bei den Patriots keine Egos gibt und sich niemand mehr für den Erfolg verantwortlich fühlt als andere. Das hat es im Football so noch nie gegeben.

Anzeige

Viele Leute können Tom Brady aber auch nicht ausstehen. Keine Ahnung, wieso. Die sind wahrscheinlich nur neidisch. Brady wurde erst in der sechsten Runde gedrafted und war anfangs immer nur Backup. Jetzt ist er der beste Quarterback aller Zeiten. Das ist doch die perfekte Underdog-Story.

Herrscht in Boston wirklich eine bedingungslose Liebe zu den Patriots? Oder gibt es dort auch Menschen, die den Erfolg des Teams auch damit erklären, dass es die Regeln manchmal zum eigenen Vorteil auslegt? Stichwort Spy- oder Deflategate?
Nein, bedingungslose Liebe trifft es schon sehr gut. Eigentlich geht es sogar noch darüber hinaus. Wir verteidigen das Team wie unsere Familie, weil die ganze Kritik so ungerechtfertigt ist. Man muss sich nur mal die wissenschaftlichen Fakten hinter der Deflategate-Sache anschauen. Außerdem war es ja nicht so, dass Tom Brady nur mit den weicheren Bällen gut spielte. Der Typ liefert immer Top-Leistungen ab.

Andere Spieler verprügeln ihre Freundinnen oder kommen mit der Einnahme von leistungssteigernden Substanzen davon. Da ist es doch total absurd, Tom Brady unter Beschuss zu nehmen, weil der angeblich die Luft aus einem Football gelassen hat. Und bezüglich Spygate: In NFL-Kreisen sagt man, dass jedes Team solche kleinen Tricksereien macht. Für mich hat das fast schon etwas Reizvolles. Damit will ich jedoch auf keinen Fall sagen, dass die Patriots all das getan haben, was man ihnen vorwirft. Das bedeutet aber nicht, dass ich generelles Bescheißen gut finde.

Anzeige

Vielleicht bald fünf Mal? Foto: imago/Icon SMI

Warum neigen so viele Leute dazu, die Patriots zu hassen?
Wegen des Erfolgs. Das sind halt Hater. Als ich klein war, räumten die Dallas Cowboys alles ab und galten als „Americas Team". Und ich gebe zu, dass auch ich damals sagte: „Herrgott, ich hab die Schnauze voll von den Cowboys! Kann nicht mal jemand anderes gewinnen?" Man ist immer neidisch auf den Sieger.

Genau passend dazu: Ein Jets-Fan erklärt, warum du beim Super Bowl nicht für die Patriots sein darfst

Interessant ist, dass in der NFL keine Zustände wie beim Baseball herrschen, wo es keine Gehaltsobergrenze gibt und die reichen Teams dementsprechend mehr Geld ausgeben können als die ärmeren. Die Patriots sind also in einer Liga und in einer Ära erfolgreich, in der alles auf Gleichheit ausgelegt ist. Das ist schon beeindruckend.

2015 haben die Dropkick Murphys beim ersten Saisonspiel der Patriots im Gillette Stadium gespielt. Dabei kommt es gar nicht so häufig vor, dass ihr dort auftretet. Woran liegt das?
Vorher haben wir dort nur einmal die Nationalhymne gespielt. Es ist allgemein eine Seltenheit, dass Bands im Gillette Stadium auftreten. Dementsprechend war das Ganze eine richtige Ehre für uns – vor allem weil der Championship-Banner von der vorhergegangenen Saison enthüllt wurde, während wir spielten. Das hat sich schon sehr gut angefühlt.

We play during the — Dropkick Murphys (@DropkickMurphys)September 11, 2015

Die Frage ist gerade deswegen interessant, weil die Dropkick Murphys schon öfters bei Baseball- und Eishockeyspielen aufgetreten sind. Es hat sowieso den Anschein, als wären euch die Boston Bruins und die Boston Red Sox wichtiger als die New England Patriots.
Ja, als ich noch jünger war, konnte ich mich nie wirklich für Football begeistern. Als Punkrocker hatte man sowieso etwas gegen die ganzen „fiesen Sportler" und Football war für mich das Sinnbild dieser Jock-Mentalität. Erst als Tom Brady kam, fingen die Patriots damit an, das Feld als Team zu betreten. Es gab keinen Ego-Star mehr und es ging nur noch um die Mannschaft als Ganzes. Es herrschte plötzlich ein Gefühl der Bescheidenheit, was ich so nie mit Football in Verbindung gebracht hätte. So wurde ich zum Fan.

Anzeige

Was damals noch dazu kam: Die Patriots spielen 45 Minuten außerhalb von Boston, also kann man da nicht so einfach mit der U-Bahn hinfahren wie zum Beispiel zu den Bruins-Spielen. Ich meine, ich war 12 und habe mich immer zu den Bruins und zu den Red Sox ins Stadion geschlichen. Die beiden Teams waren einfach ein wichtiger Teil meiner Jugend. Für die Patriots braucht man als Kind natürlich irgendjemanden, der einen zum Stadion fährt–und da hatte ich niemanden. Das ist vielleicht ein weiterer Grund, warum ich früher kein großer Football-Fan war.

Ken im Bruins-Jersey. Foto: imago/ZUMA Press

Haben Eishockey und Baseball einen höheren Stellenwert in Boston? Die beiden Sportarten besitzen einen eher bodenständigen Charakter–was ja auch auf eine typische Arbeiterstadt wie Boston zutrifft.
Traditionell gesehen mag das vielleicht stimmen. Für mich haben die Patriots aber ebenfalls einen gewissen bodenständigen Charakter, weil sie in einer Kleinstadt außerhalb von Boston spielen und zumindest früher nicht wirklich glamourös waren. Vielleicht liegt der von dir angesprochene Umstand aber auch daran, dass die Patriots die New England Patriots sind. Der Name repräsentiert also mehrere US-Bundesstaaten, während die Red Sox, die Bruins und die Celtics alle Boston im Namen tragen.

Meiner Meinung nach haben die Bruins schon immer diesen Arbeiter- und „Anpack"-Charakter von Boston verkörpert. OK, vielleicht hat sich das ein wenig geändert, weil Eishockey in den letzten Jahren eine immer schnellere Sportart geworden ist. Außerdem waren sie nicht immer das beliebteste Team, weil es sportlich gesehen natürlich häufig auf und ab ging. Während der 70er, 80er, 90er und selbst der 2000er stand das Team jedoch sinnbildlich für die Stadt und deren Charakter.

Anzeige

Bruins-Fans während der Parade zur Feier des Stanley-Cup-Gewinns im Jahr 2011. Foto: imago/Icon SMI

War dieser Charakter auch ein Faktor, der dich in die Sport-und Fan-Welt hineingezogen hat?
Auf jeden Fall. Und als Band legen wir diese Einstellung ebenfalls an den Tag. Auf Touren heißt es dann: „Nicht nur unsere Punk-Szene, sondern auch unsere Sportteams sind besser als eure!" Das ist natürlich immer mit einem Augenzwinkern zu verstehen. In Montreal sind die Bruins zum Beispiel total verhasst. Auf der Bühne habe ich dann so übermäßig gegen die dortige Eishockeymannschaft ausgeteilt, dass das Publikum uns mit Gegenständen beworfen hat und richtig wütend geworden ist. Zum Glück haben sie diese Wut dann beim nächsten Lied rausgelassen. Im Grunde weiß ja auch jeder Bescheid, dass das alles nicht böse gemeint ist. Aber es macht halt schon viel Spaß, die anderen Städte aufs Korn zu nehmen.

Früher haben wir unter der Woche öfters direkt nach Bruins-Spielen Konzerte in der Arena gespielt. Das sollte die Ticketverkäufe ankurbeln. Zu den Bruins besteht also schon immer eine gewisse Verbindung–sowohl ideologisch als auch in Bezug auf die Unterstützung in unserer Anfangszeit. Übrigens: Das Team hat nie ein Spiel verloren, nachdem wir aufgetreten sind. Das Gleiche gilt für die Red Sox. Irgendwie cool, eine Art Glücksbringer zu sein.

Apropos Red Sox: Warum ist Baseball in Boston so beliebt?
In Boston ist Baseball mehr eine Familienangelegenheit. Man teilt sich das Ganze quasi mit den Eltern und Großeltern. Im Laufe der Jahre geht man einfach so oft zusammen mit der Familie zum Baseball. Deswegen habe ich 2004, als die Red Sox zum ersten Mal seit 86 Jahren wieder die World Series gewinnen konnten, auch direkt mit meinem Großvater telefoniert, als ich in St. Louis auf dem Feld stand und feierte. Dass ich einen Mann anrufen konnte, dem sein ganzes Leben lang eine Meisterschaftsfeier verwehrt geblieben ist, war schon fast eine spirituelle Erfahrung.

Anzeige

Und als ich mit den Dropkick Murphys sowohl 2007 als auch 2013 bei den entscheidenden Playoff-Spielen einen Auftritt hatte, konnten meine Kinder auf dem Feld herumrennen und den Sieg feiern. Als ich noch klein war, hat mich mein Großvater immer mit zum Baseball genommen. Und weil er die ganzen Sicherheitsleute vom Stadion kannte, durfte ich nach Spielende ebenfalls aufs Feld und so tun, als sei ich ein Spieler. Jetzt können meine Kinder genau die gleiche Erfahrung machen. Das ist ein unbeschreibliches Gefühl und eigentlich besser als alles, was mir jemals durch die Musik passiert ist. Das galt vor allem nach dem World-Series-Gewinn von 2013, weil Boston in diesem Jahr aufgrund des Terroranschlags beim Marathon sehr viel durchmachen musste.

Die Dropkick Murphys spielen die Nationalhymne vor Spiel 6 der 2013er World Series. Foto: imago/UPI Photo

Man sagt, dass Boston mit die loyalsten und leidenschaftlichsten Sportfans in den ganzen USA hat. Wie kommt das?
Dem stimme ich zu 100 Prozent zu–und ich war schon in wirklich vielen anderen Stadien im ganzen Land. Auch von Seiten der Spieler ist sowas oft zu hören. Wir sind einfach eine eingeschworene Gemeinschaft und Sport ist für uns eine Möglichkeit zusammenzukommen. Die Bostoner Sportteams werden immer einen speziellen Platz in unseren Herzen einnehmen. Dazu kommt dann noch der Erfolg. Ich meine, wir haben noch nicht mal über die Celtics gesprochen. Ich bin in der Larry-Bird-Ära großgeworden und es war ein Genuss, damals zu den Spielen zu gehen.

Anzeige

An dieser Stelle muss ich auch Bobby Orr erwähnen, der nicht nur das Eishockeyspiel revolutioniert, sondern auch den Bau vieler neuer Eisflächen und Trainingseinrichtungen in New England vorangetrieben hat. Er hat dort quasi die Zukunft des Sports gesichert. Jedes Kind wollte der nächste Bobby Orr sein. Und endlich konnten auch die ärmeren Gesellschaftsschichten Eishockey spielen, weil es nun so viele Spielstätten und Equipment gab. Bobby Orr lebt übrigens immer noch in Boston und ist ein tolles Vorbild. Im Allgemeinen haben sich viele Spieler nach ihren aktiven Karrieren dort niedergelassen.

Bei den Red Sox kommt das Stadion noch als weiterer Faktor hinzu, denn der Fenway Park ist das älteste noch benutzte Baseballstadion Amerikas. Dieser Ort gilt eigentlich schon als Schrein und versetzt einen irgendwie zurück in die alten Tage des Sports. Ich glaube, dass diese spezielle Spielstätte auch damit zu tun hat, dass wir die Red Sox so lieben.

Gibt es eine Fangemeinde, die sich mit der von Boston messen kann?
Die von Chicago ist ebenfalls sehr leidenschaftlich. New York auch, aber dort gibt es so viele Teams und die Stadt ist außerdem riesengroß. Es wird natürlich keine Fangemeinde von sich behaupten, nicht leidenschaftlich zu sein, aber in Boston wird das Ganze noch mal auf ein ganz anderes Level gehoben. Für mich kommt dort noch das Element der Loyalität hinzu. In Philadelphia ist es zum Beispiel ganz anders: Wenn dort ein Team schlecht spielt, dann bleiben die Fans ganz schnell weg. Echt unglaublich. Es kommt halt immer auf den Stellenwert des Sports in der Stadt an.

Die Stadt feiert 2013 den Gewinn der Baseball World Series. Foto: imago/ZUMA Press

Die Celtics haben jüngst einen Werbevertrag mit General Electrics unterschrieben. Das Team wird ab nächster Saison einen kleinen Werbe-Patch auf dem Trikot tragen. Wie findest du diesen Bruch mit der amerikanischen Tradition?
Mich überrascht es, dass die NBA so etwas zulässt, weil das mit Sicherheit die Tür für noch mehr und auch größere Sponsorenlogos aufstößt. Ich finde das nicht gut. Es sollte eine Regel geben, dass es nur eine Werbung in der Größe eines kleinen Patches auf den Trikots geben darf. Mann, es wäre echt traurig, wenn das jetzt die Jerseys verschandelt.

In Europa ist Werbung auf Trikots ja gang und gäbe. Hattest du schon mal die Gelegenheit, hier zu einer Sportveranstaltung zu gehen?
In Deutschland hat sich da leider noch nie etwas ergeben. Hier habe ich nur ein paar Eishockeyspiele im Fernsehen gesehen. Ich bin aber in Kroatien mal zu einem Eishockeyspiel gegangen und die Atmosphäre hat mich richtig umgehauen. In Sheffield habe ich auch schon beim Eishockey zugeschaut, als in der Nachbarstadt ein Dropkick-Murphys-Konzert anstand. Ach ja, Celtic Glasgow habe ich schon live gesehen, weil wir dort im Stadion gespielt haben. Das war überhaupt das erste Mal, dass wir bei einer Sportveranstaltung aufgetreten sind.

Meiner Meinung nach ist die Stimmung in den europäischen Stadien viel besser als in den US-amerikanischen. Wir Amerikaner sind diesbezüglich einfach viel zurückhaltender. Ich meine, wir kennen uns sehr gut aus und verfolgen unsere Teams, aber in Bezug auf die Atmosphäre seid ihr uns in Europa um Längen voraus. Das Eishockeyspiel in Kroatien war das Verrückteste, was ich jemals erlebt habe–und es hat mir unglaublich viel Spaß gemacht.

Das stimmt. In den USA ist es in den Stadien ja folgendermaßen: Wenn das Team gut spielt, dann gehen die Leute ab, aber wenn es nicht läuft, dann herrscht Totenstille.
Ja. Wenn es richtig schlimm wird, folgen sogar Buhrufe. Diese Verhaltensweise haben wir uns halt angewöhnt. Die Stimmung im Stadion spiegelt das wider, was auf dem Feld oder auf dem Eis passiert. Wir reagieren lediglich auf die Leistung des Teams, während die europäischen Fans ihr Team mit der Stimmung nach vorne peitschen wollen. Und genau so sollte es auch sein.