So wird in Wien Geschäft mit chinesischen Touristen gemacht
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So wird in Wien Geschäft mit chinesischen Touristen gemacht

Das Geschäft Romy Deluxe im fünften Bezirk hat eine klar definierte Zielgruppe: Kaufkräftige Touristen aus China, die nur wenig Zeit haben, aber viel Geld ausgeben möchten.

"Chinesen sind die neuen Russen" – mit diesem Titel berichtete die Presse im Jahr 2016 über chinesische Touristen, die seit einigen Jahren verstärkt nach Wien reisen. Und für den heimischen Tourismus noch wichtiger: Chinesen sind diejenigen, die am meisten Geld von allen internationalen Reisenden hier lassen. Denn obwohl Touristen aus China bei weitem nicht die größte Gruppe sind – Reisende aus Deutschland, Österreich, USA, Italien, Großbritannien, der Schweiz, Spanien, Frankreich und Russland liegen noch weiter vorne, was die Anzahl betrifft – sind Chinesen die kaufkräftigsten Wien-Touristen.

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Im Durchschnitt geben Gäste aus Hongkong 1700 Euro pro Wien-Aufenthalt aus, und die, die sich eine solche Reise leisten können, stammen meist aus eher wohlhabenden Schichten der Gesellschaft. Besonders beliebt sind bei chinesischen Touristen teure Mitbringsel für Freunde und Familie, die als Statussymbol gelten. Da wäre es natürlich einigermaßen dumm, diese Gelegenheit einfach so verstreichen zu lassen und den Bedarf der chinesischen Touristen nicht zu stillen.

Die logische Folge daraus ist, dass in Juweliergeschäften im ersten Bezirk oder Luxushotels chinesische Mitarbeiter angestellt werden, da auch chinesische Touristen spezielle Bedürfnisse haben und beim Einkauf beispielsweise intensivere Betreuung wünschen. Auch startete Wien Tourismus bereits 2015 eine Initiative und lud chinesische Blogger mit hoher Reichweite nach Wien ein.

Romy Deluxe von innen.

Für Chinesen in Wien spielen zum Beispiel Schönbrunn, das sie aus den Sissi-Filmen kennen, und der Musikverein, den sie vom Neujahrskonzert kennen, eine große Rolle. Jeannie Hsu, die seit 1989 chinesische Touristen durch Wien führt, sprach im Kurier von einer "Art Gehirnwäsche", da vor allem ältere Chinesen die Sissi-Filme in- und auswendig kennen würden.

Aber nicht nur das Sightseeing-Programm passiert für chinesische Touristen großteils in einer straff organisierten Blase aus Barock, schönen Gebäuden und abseits vom "echten Leben" in Wien. Auch ein fast zu perfekt auf ihre Bedürfnisse abgestimmtes Shopping-Erlebnis wird geboten. Und Shopping-"Erlebnis" bedeutet in diesem Fall: Geld ausgeben und so schnell wie möglich weiter.

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Auf diesen Wunsch von chinesischen Touristen reagiert nicht nur der erste, touristenstarke Bezirk, sondern auch der Shop Romy Deluxe in Margareten. Seit einigen Jahren wohne ich nun schon in Margareten, in einer Gegend, die eher von türkischen Obstverkäufern und fragwürdigen Etablissements mit zugeklebten Fenstern als von Edeljuwelieren und Touristengruppen geprägt ist. Nur eines hat das Romy Deluxe mit diesen Clubs und Bars gemeinsam: Auch dort sind die Scheiben abgeklebt.

Romy Deluxe von außen.

Für mich als Anrainerin war nie klar, was genau in diesem Geschäftslokal passiert. Draußen prangen übergroße Werbungen für Marken wie Swarovski oder diverse Uhrenhersteller, oft sieht man dort große Reisegruppen. Dass es in dem Geschäft Laufkundschaft gibt und sich jemand, der gerade durch die Arbeitergasse spaziert ist, dort nach einer Luxusuhr umsehen würde, scheint absurd. Kurz: Der Shop wirkt komplett deplatziert.

Als ich mich bei Bekannten, die auch in der Gegend wohnen, umhöre, wissen auch sie nicht wirklich viel über diesen Shop. "Ich hab mal gesehen, dass da die Chinesen mit dem Reisebus angekarrt werden und dort shoppen. Gegenüber ist sogar ein China-Restaurant, das dazugehört", erzählt mir ein Freund bei einem Spaziergang.

Nach einer ersten Kontaktaufnahme per Mail meldet sich ein Herr namens Walter Prigl telefonisch bei mir. Googelt man diesen Namen, stößt man auf einige Ergebnisse: Er ist als Teammitglied des Steuerberatungs- und Wirtschaftstreuhandbüros Prigl aufgelistet, auch so einige Einträge im Firmenbuch finden sich: Treuhändig beteiligt ist er zu 100 Prozent an einem Reisebüro, zu zehn Prozent an der Domisol GmbH und zu 100 Prozent treuhändig an der Romy Deluxe GmbH, also dem unscheinbaren Geschäft in der Ramperstorffergasse. Auch bei diversen anderen Unternehmen war er früher kurzfristig und meist treuhändig beteiligt.

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Ich merke, dass Prigl leicht misstrauisch – oder einfach nur vorsichtig – ist. Er möchte erst einmal wissen, wie wir gegenseitig von unserer "Zusammenarbeit" profitieren könnten. Nach mehreren Telefonaten erklärt er sich bereit, mich im Romy Deluxe Shop herumzuführen. Alles ist kühl, die Raumtemperatur frisch, obwohl draußen der erste richtig warme Tag des Jahres ist. Hier ist nichts einladend, es geht nicht darum, sich wohl zu fühlen, sondern darum, schnell zu kaufen, so mein erster Eindruck. Vor der Tür des Shops geht ein muskulöser Security auf und ab.

"Es kommen sowieso nur die Wohlhabenden."

Im Shop gibt es so ziemlich alles an Schmuck zu kaufen, was man sich vorstellen kann. Alles glitzert und blinkt, die Preisschilder lassen mich auflachen. Ein mit Kristallen besetzter Drache kostet 15.000 Euro. Als ich Prigl frage, wer in aller Welt so etwas einfach mal schnell als "Souvenir" kauft, meint er: "Das sind Asiaten. Wenn sie bei uns nicht shoppen, shoppen sie in Bratislava, Bern oder sonst wo. Und es kommen sowieso nur die Wohlhabenden." Was das Teuerste im Shop ist, möchte er aus "Sicherheitsgründen" nicht in der "Zeitung" stehen haben. Bei unserem Rundgang wünscht er sich "ein gscheites Panoramafoto".

Wenig auffällig sind auch der dazugehörige Beauty-Shop und das China-Restaurant. Aber der Reihe nach. Ein paar Meter weiter liegt eine noch unscheinbarere Tür, die in ein weiteres Romy-Deluxe-Geschäft führt, in dem es keinen Schmuck, aber dafür Beauty-Produkte, Koffer, Reise- und Handtaschen und andere Accessoires zu kaufen gibt, aber auch Küchenmesser und Nagelzwicker. Auch hier ist die Atmosphäre ähnlich: Kühl, clean, lieblos. Hier soll man kaufen und nicht lange hängenbleiben. Immer wieder weist uns Prigl scherzhaft auf einen Rabatt für Freunde des Unternehmens hin.

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Unsere dritte Station ist das China-Restaurant auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Dass es von außen recht unscheinbar aussieht und wohl eher nur wenig Gäste, die zufällig vorbeikommen, hineingelockt werden, muss an dieser Stelle wohl nicht mehr erwähnt werden. Das zweistöckige Restaurant ist leer, sauber und man sieht, dass es auf Gruppen ausgelegt ist. Die Tische sind riesig, in großen Glasvitrinen können sich die Gäste Handcremes und andere Kleinigkeiten kaufen. Prigl will uns unbedingt die moderne Lüftungsanlage zeigen und weist darauf hin, dass auch hier alles tadellos und nach Vorschrift abläuft.

Das dazugehörige Restaurant.

Der obere Stock soll laut Prigl für einheimische Gäste vorgesehen sein – angeschrieben ist hier dennoch alles auf chinesisch. Auch vom Arbeitsinspektorat soll das Unternehmen dafür schon gerügt worden sein. Seine Erklärung: "Ich glaube, in einem internationalen Restaurant ist alles Englisch." Aber auch Englisch ist hier nur wenig. Das Piktogramm auf dem Damenklo würde ich persönlich eher nicht verstehen. Auch Speisekarten sucht man auf den Tischen übrigens vergeblich. "Wir erfüllen die Auflagen mehr, als gefordert wird", erzählt Prigl noch einmal.

Die Reisegruppen buchen pauschal komplett durchgeplante Reisen und werden von Reiseleitern zum Shop und wenn gewünscht auch ins Restaurant gebracht, wo ihnen authentische chinesische Küche serviert wird. "Die Touristen buchen einen Wien-Urlaub und da gibt es dann eben die Möglichkeit, in Wien shoppen zu gehen. Das läuft überwiegend mit asiatischen Reisebüros ab", heißt es im Gespräch im menschenleeren Restaurant.

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Das Restaurant von innen.

Changxin Ge, ein Vertreter der Geschäftsführung, ergänzt: "Die Termine der Reisegruppen sind sehr gestrafft – Sightseeing hier, Sightseeing dort. Die sind vollgebucht den ganzen Tag und wir bieten an, was sie gern haben. Sie schauen in unseren Shop und müssen nicht durch die ganze Innenstadt. Da sie so gedrängt sind, wollen sie möglichst schnell was einkaufen. Das Sortiment, das sie hier sehen, ist das, was die Asiaten wünschen und durch uns können die Reisebüros den Tag besser planen und die Touristen bekommen auch mehr zu sehen. Die machen ja teilweise in zwei Wochen zehn Länder durch." Bei einem solchen Programm fällt es schwer, zu glauben, dass es hier um die Länder an sich geht. Viel mehr geht es darum, zeigen zu können, dass man hier war. Dass die Touristen hier quasi im Nirgendwo "abgeladen" werden, hören meine Gesprächspartner nicht gerne und bitten mich um eine andere Wortwahl.

An diesem Nachmittag höre ich oft, dass alles hier nach Vorschrift läuft und das Geschäft extrem wichtig für die österreichische Wirtschaft ist. Der Jahresumsatz soll im zweistelligen Millionenbereich liegen: "Der Großteil geht davon ja in den Export. Und die Republik sollte daran größtes Interesse haben."

Nachdem das Geschäft 18 Jahre lang ohne Aufsehen funktioniert hat, gibt es seit zwei Jahren Probleme mit dem Bezirk. "Aber Schwierigkeiten sind dazu da, beseitigt zu werden", so Prigl. "Vor zwei Jahren zog ein Jurist zu und meinte, seine Wohnung wird durch das Geschäft entwertet. Er hat eine Kompensation verlangt und nachdem es die nicht gab, haben die Anzeigen angefangen. Es haben sich Nachbarn beschwert, dass die Türen so laut zugehen, auch die Reisebusse, die im Durchschnitt 5,5 pro Tag sind, stören manche Anrainer. Es gibt eine Pressure Group, die gegen diese Geschäfte ist und die Unterstützung der Genossin Bezirksvorsteherin finden. Sie stürzt sich auf das, unter dem Vorwand, dass sie die Bevölkerung schützen will", erzählt Prigl. Dass dieses Thema besprochen wird, ist ihm ein großes Anliegen. Auch gebe es im Geschäft und dem Restaurant verhältnismäßig viele Kontrollen.

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Eine Aufschrift auf einer Toilettentür.

Auf Nachfrage will die Bezirksvorstehung nicht wirklich viel zu dem Fall und den Vorwürfen von Prigl sagen: "Über solche Dinge braucht man gar nicht spekulieren, es ist uns gar nicht möglich, unsachlich und emotional vorzugehen. Wir haben hier ein Geschäft und Reisebusse im Bezirk, für die ein eigenes Verkehrskonzept notwendig ist. Und wir haben auf der einen Seite Menschen, die arbeiten wollen, und auf der anderen Seite Menschen, die wohnen wollen. In diesem Zwiespalt befinden wir uns."

Das Geschäftsmodell von Romy Deluxe wirkt für Außenstehende zugegebenermaßen seltsam und kurios. Die zwei Läden und das dazugehörige Restaurant stehen für die totale Entromantisierung des Reisens und machen aus dem, was sich viele von uns als Erlebnis und Berührungspunkt mit anderen Menschen und Kulturen vorstellen, einen Ausflug in eine kühle, hell ausgeleuchtete, isolierte Blase voller Sissi, Glitzer und authentischem chinesischem Essen. Dass das Geschäft völlig einsam in einer Gegend angesiedelt ist, in der man sonst vergeblich nach Kristall-Tieren und hochwertigen Markenhandtaschen sucht, macht es nur noch wundersamer. Aber das alles scheint zu funktionieren. Als Prigl nach dem teuersten Stück im Juweliershop sucht, um es mir zu zeigen, war es schon verkauft.

Verena auf Twitter: @verenabgnr

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