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Nur auf Tour

"Ich bin ein Stück Dreck" – Danger Dans Anekdote über die Schattenseite des Tour-Lebens

"Die Demütigung, jede Nacht aufs Neue betrunkene Minderjährige mit halbgaren Raps belustigen zu müssen, hat Koljah von innen zu Stein erstarren lassen" – Danger Dan erzählt von der letzten Tour der Antilopen Gang.
Foto: imago | HMB-Media

"Na, wie war's?" - Eine Frage, die sich Musiker nach einer Tour tausend Mal und in allen möglichen Varianten von ihren lieben Mitmenschen stellen müssen. Wo soll man anfangen – und was kann man alles erzählen, ohne den anderen wegen der durchlebten Abgründe nicht zu vergraulen? "Joah, ganz gut" – Eine Antwort, die niemanden befriedigt und sofort zu weiteren Fragen führt. Verhör, immer und immer wieder. Deswegen lassen wir die Musiker den Mahlstrom aus Konzerten, Aftershows und endlosen Stunden auf der Autobahn und im Backstage lieber erstmal verarbeiten und schieben ihnen dann eine Tastatur vor die Nase. Manche Sachen muss man einfach mal runterschreiben.

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Danger Dan, der am 01. Juni sein Solo-Album Reflexionen aus dem Beschönigten Leben veröffentlicht, war mit seiner Antilopen Gang Anfang des Jahres anderthalb Monate auf Tour und hat sicher hunderte Storys auf Lager, bei denen unser Gesicht ein großes "WTF!?" formen würde. Also haben wir ihn gefragt, ob er uns eine Tour-Anekdote erzählen kann und bekamen eine schonungslos offene Episode aus der abgefuckten Schattenseite des Nightliner-Lebens.


Das große Los

Die Betten in einem Nightliner ähneln in ihrem Grundriss und Raumgefühl in etwa einem Sarg. Nur, dass der Abstand zwischen den einzelnen Gräbern auf einem Friedhof eben größer ist als der zwischen unseren Betten und dass Tote im Schlaf keine Angst vor Autounfällen haben. Von außen schlägt jemand den Kofferraum zu, es dröhnt durch den Bus. Ich erwache leichenblass in einer biergetränkten Jacke und schlammigen Springerstiefeln neben einem angebissenen Brot. Ich bin ein Stück Dreck. Die Klimaanlage hat meine Atemwege ausgetrocknet, ich kann nicht durch die Nase atmen, mein Schädel brummt.

So leise wie möglich versuche ich, aus der Koje zu klettern, denn beim kleinsten Geräusch würde sich der Vorhang meines Nachbarn zur Seite schieben und Koljahs strafender Blick würde versuchen, mich zu töten. Er befindet sich auf dem Zenit seiner künstlerischen Zerrissenheit, hasst alles hier, will in Ruhe seine Bücher lesen und so schnell er kann wieder nach Hause. Die Demütigung, jede Nacht aufs Neue betrunkene Minderjährige mit halbgaren Raps belustigen zu müssen, hat ihn von innen zu Stein erstarren lassen. Das Einzige, was er noch fühlen kann, ist es, Korrekturen an allen Aussagen oder Verhaltensweisen seiner Mitreisenden durchzuführen. Wäre mein Leben ein Buch, wäre darin sicher mehr Tinte aus seinem Rotstift als aus meiner eigenen Feder.

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Orientierungslos suche ich nach einer Toilette. Unser Tourmanager hat den Weg vom Bus zum Backstage extra mit Pfeilen markiert, damit auch die ganz Dummen den Eingang finden. Während ich mich von Pfeil zu Pfeil hangel, denke ich darüber nach, in welcher Stadt ich sein könnte. Die Leute, die im Club arbeiten, grüßen mich nicht wirklich. Hier und da nickt mir jemand verstohlen zu. Ich versuche, so unauffällig wie möglich zu wirken, aber an der Wand prangt ein Plakat mit einem Foto von mir. Die Toilette ist besetzt. In der Nightliner-Toilette ist Kacken strengstens verboten, darum steht unsere Crew jeden Morgen im Backstage Schlange. Vor den Badezimmern mischt sich ein totliebendes Aroma aus Bierschiss und billig parfümiertem Duschgel. Um die Wartezeit zu überbrücken, zünde ich mir eine Zigarette an. Nach dem ersten Zug löst sich ein Brocken schwarzer Schleim aus meiner pfeifenden Lunge und landet in meinem Mund. Angewidert schlucke ich ihn hinunter und suche nach dem Catering.

Ich laufe an einem Spiegel vorbei und bemerke, dass ich, je länger die Tour anhält, mit rasant anziehender Geschwindigkeit auf die Vierzig zugehe. Im Catering-Raum warten mehrere hundert Personen auf mich. Panik Panzer hat sie alle in meine Privatsphäre eingeladen, denn er befindet sich gerade in einem Instagram-Livestream. Als einziger in der Band hat er noch die Muße, unsere Social-Media-Kanäle zu befüllen. Mit einem beneidenswerten Unterhaltungsfaktor beantwortet er die Fragen und versucht, mich sofort professionell einzubinden. Ich täusche mit letzter Kraft etwas Enthusiasmus vor und versuche mich kläglich darin, ihre Jugendsprache zu imitieren. "Gumo!", sage ich mit krächzender Stimme in die Kamera und schäme mich sofort.

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Ich esse eine Banane, weil ich zu faul bin, mir ein Brot zu schmieren und trinke einen schwarzen Kaffee, weil es mir zu viel Arbeit wäre, ihn mit Zucker oder Milch anzurühren. Endlich ist die Toilette frei. Ich ziehe meine Hose runter, meine Hosenträger saugen sich in der Pfütze am Boden voll. Ich hoffe, dass es nur Duschwasser ist, aber habe zu viel Angst, um es zu überprüfen. Die Wände voller Tags und Aufkleber von Bands und Künstlern, die vor mir hier gekackt haben. Broilers, Kraftklub, Jennifer Rostock und jetzt ich. "Ich hab das große Los gezogen", denke ich, und drücke auf den Spülknopf.

Danger Dan auf Beschönigtes Leben-Tour 2018

19.09.2018 Nürnberg - Desi
20.09.2018 München - Kranhalle im Feierwerk
21.09.2018 AT-Wien - Chelsea
22.09.2018 Dresden - GrooveStation
26.09.2018 Münster - Gleis 22
27.09.2018 Köln - Luxor
28.09.2018 Stuttgart - Schräglage
29.09.2018 Wiesbaden - Schlachthof
02.10.2018 Berlin - SO36
04.10.2018 Hamburg - Hafenklang
05.10.2018 Leipzig - Conne Island

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