Popkultur

Panzer auf der Brust: Ein ukrainisches Modelabel druckt den Krieg auf Hoodies

"Unser Einstellung zu Waffen und Panzern hat sich über Nacht verändert."
Eine Frau trägt eine Jacke in Tarnfarben. Sie sitzt auf einem Stuhl. Man sieht ihren Rücken. Auf ihrer Jacke ist eine Frau mit Maschinenpistolen gedruckt.
Fotos: Kiyv Underground | Collage: VICE

Seit über einem Jahr hageln Bomben und Raketen auf die Ukraine nieder. An Mode und Lifestyle denken nur die wenigsten. Oder?  Yuliia Pohorielova, 28 Jahre,  sieht das anders. Sie arbeitet für die Modemarke Kyiv Underground, die Krieg in Fashion umsetzt. Wir haben mit ihr darüber gesprochen, was Sturmgewehre auf Hoodies zu suchen haben - und was das mit Hoffnung zu tun hat.

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VICE: Du arbeitest für das Modelabel Kyiv Underground. Ihr druckt Panzer auf Jacken. Auf euren Hoodies sieht man Frauen mit Messern, Molotowcocktails, Sturmgewehre. Warum glorifiziert ihr den Krieg?
Yuliia Pohorielova:
Wir wollen diesen Krieg nicht und wir verherrlichen ihn nicht. Doch unsere Einstellung zu Waffen und Panzern hat sich über Nacht verändert. Wir brauchen sie jetzt halt, um unser Land zu verteidigen. Tausende Zivilisten sind gezwungen zu kämpfen und sie sind dankbar dafür, nicht unbewaffnet in diesen Kampf zu gehen. Die Illustrationen von Kyiv-Underground zeigen, wenn man genauer hinschaut, in erster Linie Frauen, Freiheit und eine unendliche Liebe für die Ukraine.

Yullia ist unsere Gesprächspartnerin. Sie sitzt im Auto, schaut in die Kamera und trägt einen großen Hut.

Yuliia Pohorielova, 28 Jahre, lebte in der ukrainischen Stadt Odessa, bevor sie nach Berlin kam | Foto: Yuliia Pohorielova

Warum zeigt ihr vor allem junge Frauen, wo doch an der Front vor allem Männer kämpfen?
Bei unserem Label spielt Geschlecht keine Rolle. Aber denkst du, dass Frauen nicht kämpfen? Sie sind auch an der Front! Und es gibt noch einen weiteren Kampf, den sie führen. 90 Prozent aller Flüchtenden sind Frauen und Kinder. Meistens verlieren sie alles. Auch das ist für sie ein harter Kampf.

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Unsere Leute an der Front leisten großartige Arbeit. Es ist unglaublich, wie sie sich wehren. Sie geben ihr Bestes und bezahlen oft auch mit ihrem Leben. Aber am Ende sind wir nur eine Modemarke und der Grund, warum wir Frauen zeigen, ist simpel: Es sind schöne Geschöpfe. Girl Power!

Wie beeinflusst der Krieg junge Menschen in der Ukraine?
Kiew war vor dem Krieg eine Stadt vergleichbar mit Berlin in den 1990ern. Es kamen Techno-Liebhaber aus aller Welt, die von den Partys in der Hauptstadt schwärmten. Überall waren Festivals, Events, Partys. Wer wollte, konnte 24/7 feiern. Es herrschte eine ausgelassene Stimmung. Trotz des Krieges gibt es in Kiew noch Clubs und Restaurants, die geöffnet sind. Musiker und Künstler treten regelmäßig auf, zur Not auch in der dunklen U-Bahn. Alle Menschen, vor allem aber die junge Generation, fühlen und verstehen, dass es sehr wichtig ist, die eigene Identität als Ukrainer und Ukrainerinnen zu bewahren. Dennoch ist es so: Statt um Partys kümmern sich viele in erster Linie um Unabhängigkeit. Alle wollen Frieden. Alle wollen ihr normales Leben zurück. Alle wollen zur Schule gehen oder an die Universität, arbeiten, von Popstars träumen, die erste Liebe erleben, Liebeskummer haben. Nur Frieden und Normalität, keine Sirenen, keine Bomben, kein Verstecken.

Eine Frau trägt ein schwarzes T-Shirt, auf dessen Rücken eine schwer bewaffnete Frau gedruckt ist.

Sturmgewehre auf T-Shirts, Militarisierung von Mode. Darf man das? | Foto: Yuliia Pohorielova

Wie ist Kyiv Underground entstanden?
Mein Bekannter Dino Pavlinovic rief bei mir an: "Hallo Yuliia, wir brauchen deine Hilfe, wir müssen etwas tun, um dein Volk zu unterstützen."

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Und dann?
Dino hatte die Idee ein Modelabel zu gründen. Ich wusste, wie man sowas organisiert. Wir haben uns dann in Berlin zum Brainstorming getroffen. Wir haben besprochen, welche Möglichkeiten wir haben. Welche Art von Leuten brauchen wir für so ein Projekt? Wo finden wir diese?  Dino sprudelt nur so vor Energie. Er machte Pläne, was wir benötigen. Das war eine echt intensive Zeit. Ständig klingelte mein Telefon. In manchen Nächten schlief ich nur vier Stunden.

Klingt nach Stress.
Für so ein Projekt braucht es ganz unterschiedliches Know-how: vom Juristen und Geschäftsführung über Illustratoren und Models bis hin zu Logistikern. Unsere Illustrationen kommen alle aus Kiew. Ich habe vorher in Odessa gelebt und bin jetzt als Brand-Managerin in Berlin. Dort kümmere ich mich um Social Media und Fotoshootings. Außerdem kümmere ich mich um die Kommunikation zwischen Dino und den anderen. Es ist nicht ganz leicht: Unser Team verteilt sich über ganz Europa. Viele Ukrainer sind traumatisiert. Aber: Wir produzieren die Klamotten in Deutschland, wo auch Geflüchtete aus der Ukraine arbeiten. Sie nähen, verpacken die Kleidung oder sind Models. Ich finde: Der Stress lohnt sich. 

Warum macht ihr das alles?
Egal was gerade passiert, wir müssen weitermachen. Wir wollen unsere Botschaft über Kleidung in die Welt tragen. 

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Welche Botschaft?
Wir wollen eine Plattform sein für alle Liebhaber und Träumer, die Spaß an Klamotten haben. Unser Gründer Dino kommt aus Kroatien und hat selbst vor 30 Jahren die Jugoslawienkriege erlebt. Er weiß, was Krieg bedeutet. Er kann sich gut in die Ukrainer hineinversetzen. Es klingt vielleicht paradox, aber auch stilvolle Kleidung kann Menschen inspirieren.

Wie meinst du das?
Kleidung und Mode beeinflussen unser Verhalten und wie andere Menschen auf uns reagieren. Es sagt was über unser Selbstwertgefühl, Selbstvertrauen und Wahrnehmung. Mode kann unsere Stimmung, unsere Gefühle und unser Verhalten verändern. Wenn wir also Kleidung tragen, die Intelligenz symbolisiert, fühlen wir uns klüger. Wenn wir uns für Kleidung entscheiden, die uns Kraft gibt, fühlen wir uns stärker und mächtiger. Und genau das ist das Ziel von Kyiv-Underground. 

Wir bekommen z. B. Unterstützung von Queer-Aktivist Frank Peter Wilde, der mit Elevator-Pics bei Instagram die Ukraine unterstützt oder der Schauspieler Mickey Rourke zeigt die Klamotten auf seinem Account. 

Ihr schreibt, eure Mode sei "designed in streets of Kiew" – kommen die Illustratoren wirklich aus Kiew?

Die meisten Illustrationen stammen von Natasha Le –  aus Kiew. Es ist nicht einfach, in so einer Zeit kreativ zu sein. Auch Dino bringt Ideen ein und spricht sie mit den Illustratoren ab. Wir sind ein kreatives Kollektiv. Unser Ziel ist es, den Menschen was mitzugeben. 

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Und was?
Krieg bedeutet nicht, dass das Leben auf einmal stillsteht. Auch wenn Putin das gerne sehen würde. Mode, Trends, Popkultur gibt es immer noch. Sicherlich sind die Menschen in vielerlei Hinsicht traumatisiert und es fehlen Ressourcen. 

Welche Ressourcen meinst du?
Wir verlieren eine Generation, jeden Tag sterben Menschen. Viele sind verwundet. Diese Generation sollte unser Land weiterentwickeln, nun stirbt sie an der Front. Aber: Es gibt schon Hoffnung, in den Winkeln unserer Herzen. Dass kann man sich schwer vorstellen, wenn um einen herum Raketen und Bomben einschlagen. Viele Menschen sitzen immer noch im Dunkeln ohne Heizung und gehen trotzdem zur Arbeit oder zur

Schule. Egal welches Alter, alle kämpfen für Frieden, Liebe und Freiheit. Auch unsere Jungs an der Front wollen ihr Leben zurück, einfach Normalität in einer unabhängigen und freien Ukraine. Mit Kyiv-Underground tun wir, was wir können, um diesen Geist zu unterstützen.

Was gibt dir Hoffnung?
Überall im Land kann man sehen, dass junge Menschen an verschiedenen Unterstützungsaktivitäten beteiligt sind. Sie werden Soldaten oder organisieren die Unterstützung hinter der Frontlinie. Online-Kommunikation ist für die Ukrainer sehr wichtig. Anrufe, Nachrichten, Chats helfen, in Kontakt zu bleiben. Man darf nicht vergessen, dass viele Familien getrennt sind. Söhne und Väter oft an der Front, Kinder und Ehefrauen irgendwo in der Welt. Soziale Medien helfen, in Verbindung zu bleiben. 

Trotz des Elends gibt es noch Kultur und Schönheit. Manchmal in der Dunkelheit, manchmal im Untergrund, aber wenn man die Augen öffnet, kann man es an jeder Ecke sehen.

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