Menschen

Wir haben Männer gefragt, warum sie ihre Autos lauter machen

Vielleicht müssen ja nicht alle Tuner etwas kompensieren.
JG
London, GB
Ein metallisch-blau lackiertes Tuning-Auto mit Flügeltüren und blauer Unterbodenbeleuchtung
Symbolfoto: Alamy

Es ist Sommer, du sitzt mit deinem Tinder-Date im Café. Es läuft super, die Chemie stimmt, dein Gegenüber hängt dir an den Lippen. Als du gerade davon erzählst, wie du vor vier Jahren quasi im Alleingang die Handballmannschaft deiner Schule zu den Stadtmeisterschaften geworfen hast, unterbricht dich ein dröhnendes Knattern. An der Kreuzung steht ein tiefergelegter Audi mit verdunkelten Heckscheiben. Der Fahrer spielt mit dem Gas. Als die Ampel nach einer gefühlten Ewigkeit auf Grün springt und die Karre endlich weggeknattert ist, verdreht ihr beide Augen, die Stimmung ist im Arsch und du musst wieder von vorne beginnen.

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Lange Rede, kurzer Sinn: Übertrieben laute Autos nerven hart. Niemand ist von ihnen beeindruckt. Den Fahrern wird gerne unterstellt, etwas kompensieren zu müssen: ihre Penisgröße. Aber ist das fair? Und was motiviert Männer trotz aller Vorurteile, die Dezibel-Grenzwerte der Straßenverkehrsordnung auszureizen?


VICE-Video: Verbranntes Gummi in der Luft – Wie Autofans jeden Sonntag die Kreuzungen von L.A. lahmlegen


Sam hat schon einige Autos frisiert, um sie lauter zu machen – auch sein aktuelles. "Für einen Tuner spielt das Motorengeräusch eine wichtige Rolle beim Fahrgefühl und Fahrspaß", sagt er. "Es ist immer ein wichtiger Kaufgrund für meine Autos gewesen. Mein vorheriges war ein Audi S5 mit V8. Die Motoren dieses Modells sind bei Autoliebhabern für ihren guten Klang bekannt. Sie erzeugen ein tiefes und kraftvolles Brummen. Es ist ein extrem gutes Gefühl, das unter seiner Kontrolle zu haben – zusammen mit der Power und der Geschwindigkeit, die der Wagen schafft."

Auch der frühere Besitzer von Sams aktuellem Auto hatte am Auspuff rumgeschraubt, um es lauter zu machen. Sam liebt das. Besonders gerne hört er die lärmende Maschine, wenn er durch einen Tunnel fährt. Aber es geht nicht nur um den Sound: Ein frisierter Auspuff kann auch die Leistung verbessern. "Die Lautstärke ist nicht immer der einzige Grund für das Tuning. Ich versuche immer, den Sound und die Leistung zu verbessern."

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Sam versteht aber auch, dass Menschen von übertrieben laut getunten Autos genervt sind. "Mich ärgert es auch, wenn Arschlöcher durchs Stadtzentrum heizen oder um 23 Uhr an meinem Schlafzimmerfenster vorbeifahren und ihre Motoren aufdrehen", sagt er. "Ich persönlich würde, wenn ich nachts durch Wohngebiete fahre, so leise wie möglich fahren. Ich mache lieber Krach auf offener Straße."

"Allerdings", sagt Sam, "kann das Echo von den Häuserwänden auch sehr schön klingen!"

Obwohl er selbst sein Auto lauter gemacht hat, ist sich Rideout – nicht sein echter Name, wie du dir denken kannst – bewusst, dass das nicht unbedingt das umsichtigste Verhalten ist. "Wenn du jemals Nachbarn mit einem getunten Auto hattest, weißt du, wie furchtbar das für alle anderen sein kann", sagt er. "Mit meinem alten Wagen, einem alten Passat, konnte ich nicht mehr leise fahren, nachdem ich Teile vom Auspuff entfernt hatte. Wenn ich um 5:30 Uhr morgens los zur Arbeit bin, war das verdammt laut. Insbesondere dann, wenn der Motor noch warm werden musste und entsprechend hochtouriger im Leerlauf lief. Meine Nachbarn waren verständlicherweise angepisst."

Zwei junge Männer begutachten ein metallisch-blau lackiertes Auto mit offener Motorhaube

Zwei Männer inspizieren einen Subaru Impreza WRX bei einem Tuner-Treffen | Foto: Radharc Images / Alamy Stock Photo

Dag Balkmar ist Dozent für Gender Studies an der Universität von Örebro, Schweden, und hat eine wissenschaftliche Arbeit über Tuning und Männlichkeit geschrieben. Für seine Forschung verbrachte er viel Zeit mit Gruppen junger Männer – und einigen Frauen –, die in der Tuningszene aktiv waren. "Die Szene hat nach Filmen wie The Fast and the Furious noch einiges an Popularität gewonnen." 

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Die Vorliebe von Tunern für ein lautes Motorengeräusch wird gerne damit erklärt, dass es sich dabei um einen Ausdruck von Männlichkeit handelt. Aber ist es wirklich so einfach? "Diese Menschen wollen ein einzigartiges Auto. Indem sie ihr Auto einzigartig machen, werden sie selbst einzigartig", sagt Dag. "Es geht darum, sich von der Gruppe abzuheben sowie seine technischen Fähigkeiten zu testen und zu erweitern."

Der Sound selbst spielt aber natürlich auch eine Rolle. "Sie wollen damit Eindruck machen. 'Ich bin hier, beachte mich.' Es ist definitiv eine Art, mehr Raum einzunehmen, was wiederum typisch männliches Verhalten ist." Tuning: das Manspreading im Straßenverkehr.

"Es geht auch darum, mit Risiko, Geschwindigkeit und Wettkämpfen assoziiert zu werden", so Dag weiter. "Ein lautes Auto hat definitiv mehr Rennwagen-Appeal als ein herkömmlicher Kombi. Vor allem in der Hinsicht ist es auch stark mit Maskulinität verbunden. Hier spielt der Zusammenhang zwischen Aussehen und Leistung eine Rolle. Es ist relativ einfach, dein Auto wie einen aufgemotzten Rennwagen aussehen und klingen zu lassen, ohne dass es sich wie einer fährt. Das ist viel schwieriger und kostenintensiver. Aber wenn du beides schaffst, dann ist das ein Zeichen für gute Handwerksfähigkeiten und bringt dir in Tuner-Kreisen viel Respekt ein."

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Bei Sam und Rideout klang es schon an, aber auch in der Tuner-Szene, die Dag wissenschaftlich beobachtet hat, gilt es eher als kindisch, sein Auto einfach nur lauter zu machen. Tunern scheint es wichtig zu sein, anderen Menschen nicht zu sehr auf den Keks zu gehen. "Die Gruppe, die ich untersucht habe, war die 'Elite' der Szene", sagt Dag. "Die wollten den Ruf von Tunern verbessern. Ihnen war es wichtig, das Richtige zu tun und nicht zu rasen, asozial aufzutreten oder ihre Motoren unnötig aufheulen zu lassen."

Auch wenn Tuning als typisches Männerhobby gilt, seien zunehmend Frauen in der Szene aktiv, sagt Dag. Auch wenn sie ihre Autos manchmal nach weiblichen Klischees modifizierten, sie zum Beispiel pink lackieren, "sind die meisten von ihnen aus genau den gleichen Gründen dabei wie die Typen", sagt Dag. Dazu gehört auch, die Motoren lauter zu machen.

Also: Auch wenn Typen mit lärmenden Karren einen schlechten Ruf haben, sollten wir sie vielleicht nicht so schnell verurteilen. Wie bei allem gilt auch hier: Du kannst deine Leidenschaft rücksichtsvoll ausleben oder wie ein Arschloch.

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