"Wenn Frauen und Schwule die Welt regieren würden, wäre alles besser!" – Ein Interview mit John Waters
Foto: Greg Gorman | mit freundlicher Genehmigung

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Interview

"Wenn Frauen und Schwule die Welt regieren würden, wäre alles besser!" – Ein Interview mit John Waters

Der "Pope of Trash" über Ulrich Seidl, dumme Terroristen und eine handgreifliche Auseinandersetzung im Vatikan.

John Waters ist Gott. Nicht der biblische Gott, mit dem er wahrscheinlich nicht allzu gut klarkommen würde, wenn seine Geschichte über eine Beinahe-Schlägerei im Vatikan irgendwelche Rückschlüsse zulässt. Aber definitiv der Gott des Trash und des Drecks und der unangefochtene Heiland dünner Schnurrbärte und dicker, dampfender Haufen von Hundescheiße.

Er ist sogar noch viel mehr als nur der Regisseur, der in Pink Flamingos seine Drag-Muse Divine beim Verzehr eines frisch abgesonderten Schisses gefilmt hat. Oder der Typ, der mit seinem berühmten Zitat "Wenn du mit jemandem heimgehst und er hat keine Bücher, dann fick ihn nicht!" eigenhändig die wahrscheinlich beste Internet-Kampagne für Literatur lanciert hat.

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John Waters ist auch noch verdammt freundlich, unglaublich unscheinbar (bis auf den erwähnten Bleistift-Schnauzer) und damit ein perfektes trojanisches Pferd, das seine gar nicht so unpolitischen Ideen von Selbstbestimmung und Schmutzigkeit in unsere Köpfe schleust.

Ende September kommt der "Pope of Trash" nach Wien und präsentiert beim /slash Filmfestival eine Auswahl seiner schönsten Filme. Vorab haben wir mit ihm am Telefon über Ulrich Seidl, Sigmund Freud, dumme Terroristen, noch dummere Rechtsextremisten und die Zukunft des Kinos gesprochen.

VICE: Du bist im September ja zu Gast beim /slash Filmfestival in Wien. Warst du schon mal hier?
Ja, einmal. Ich hatte eine Kunstausstellung in der Georg-Kargl-Galerie. Und ich kann mich noch erinnern, dass mich die Leute in einen kleinen Hipster-Videoladen mitgenommen haben, der Norman Shetler gehörte – dem Typen, der jetzt das Kino leitet, in dem An Evening with John Waters stattfinden wird. Ich bin auch ein großer Fan der Künstlergruppe Gelatin.

Die sind super, ja. Wir haben sie mal auf einem unserer österreichischen Heftcover gefeaturet.
Mir kommt vor, als wär ich schon eine Million Mal in Wien gewesen, aber das liegt vermutlich an den ganzen Ulrich-Seidl-Filmen.

Als ich ihn vor ein paar Jahren interviewt habe, hat er auch erzählt, wie sehr ihr euch schätzt.
Ja, ich habe ihn und den Star aus seinem Paradies-Film über Sexspielzeug getroffen.

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Du meinst Paradies: Liebe.
Genau den. Ich bin ein großer Fan. Ich mag, dass er mit einer Art von Theaterensemble arbeitet und nicht nur mit Filmprofis. Und er hat einen extremen Geschmack und einen sehr guten Sinn für Humor.

Freud ist der Beste! Ich habe alle Bücher von ihm gelesen. Mein Therapeut meinte mal zu mir, das wäre das Schlimmste, was ein Patient tun kann.

Mir kommt vor, dass ihr beide einen ähnlichen Zugang zum Filmemachen habt – auch in Bezug auf den Umgang mit Amateuren und darauf, dass ihr nie auf eure Darsteller herunterschaut.
Ja, aus dem Grund habe ich auch einige seiner Filme auf Filmfestivals präsentiert und ich hatte seinen Star aus Paradies: Glaube, Maria Hofstätter, in Baltimore zu Gast. Sie war großartig.

Du hast mal gesagt: "Fassbinder ist tot, deshalb hat uns Gott Ulrich Seidl gegeben". Siehst du auch Ähnlichkeiten zwischen euren Filmen oder ist das nur gegenseitige Bewunderung?
Naja, ich glaube, ich bin ein bisschen netter als er? (lacht) Und meine Filme sind ein bisschen versöhnlicher als seine? Das bedeutet nicht, dass sie besser sind. Ich mag sie genau so wie sie sind; sie sollten auch nicht versöhnlicher sein. Auf jeden Fall liebe ich seinen Zugang.

Und ich liebe übrigens auch Thomas Bernhard. Und Michael Haneke! Ich kann's kaum erwarten, seinen neuen Film zu sehen. Und ich glaube, ich bin die einzige Person, die es für eine gute Idee gehalten hat, noch eine Version von Funny Games zu machen. Wenn ich darüber nachdenke, sind alle Österreicher, die ich schätze, irgendwie wütend und auf eine sehr kluge Art schnittig.

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Das liegt vielleicht am Katholizismus hier. Wir sind alle ein bisschen gemein.
Ja, ich wurde auch katholisch erzogen. Ich meine, in Multiple Maniacs wird ein Rosenkranz anal eingeführt. Sehr viel katholischer kann man kaum sein. Der Film wird übrigens auch in Wien zu sehen sein. Wer weiß, ob Ulrich schon mal Analstimulation mit einem Rosenkranz gesehen hat … Aber alles in allem bin ich ein großer Fan eurer Kunst.


Auch auf VICE: Unser Video-Interview mit Ulrich Seidl


Die meisten denken ja zuerst an die klassischeren Seiten von Wien.
Wie was zum Beispiel? Sigmund Freud? Freud liebe ich auch! Er ist der Beste von allen.

Inwiefern?
Er war einer der klügsten und besten Schriftsteller in der Literaturgeschichte. Ich habe alle Bücher von ihm gelesen. Mein Therapeut meinte mal zu mir, das wäre das Schlimmste, was ein Patient tun kann. Er lag natürlich auch bei ein paar Sachen daneben, aber bei vielen Dingen hatte er sehr recht. Was für eine geniale Idee, sich sowas wie die Gesprächstherapie einfallen zu lassen! Immer, wenn ich schlecht gelaunt bin, denke ich an Dora oder den psychotischen Dr. Schwab oder einen seiner anderen Fälle. Dann geht es mir wieder gut.

Er war vielleicht nicht der genaueste Wissenschaftler, aber ein guter Schreiber, ja.
Er hatte zumindest Unrecht, was Kokain angeht! Aber wir machen alle mal Fehler. Aber ich denke eben nicht nur an ihn, sondern auch an das Kino, das aus Wien kommt. Ihr Österreicher habt so ein Glück – ich meine, in eurem Land zahlt die Regierung für diese Filme. Hier in den Staaten würde die Regierung zahlen, damit sie nicht gemacht werden.

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Das stimmt. Andererseits gibt es in Österreich weniger Anreiz, große Filme zu machen, weil es in der Branche nicht das große Geld zu machen gibt, wie mir ein Festivalkurator erst vor kurzem geschildert hat.
Aber vielleicht sollte es beim Filmemachen gar nicht um das Geld gehen. Das ist das Problem. Sicher, jeder muss Geld verdienen und Mitarbeiter müssen bezahlt werden. Aber die amerikanische Independent-Filmszene im Moment ist … nicht mehr vorhanden. Es gibt sie einfach nicht mehr.

Leute fragen mich, warum ich das Geld nicht einfach auf Kickstarter sammle. Aber ich werde nicht darum betteln. Ich besitze drei Häuser!

Denkst du, es wäre heute schwieriger, deine Filme zu machen? Oder wäre es einfacher, weil es mehr Alternativen zu den großen Studios und Produzenten gibt?
Oh, es wäre auf jeden Fall schwieriger. Ich meine, es ist einfacher, meine alten Filme heute zu finden, weil sie restauriert und neu herausgebracht werden. Aber wenn es wirklich um die Produktion von neuen Filmen geht, musst du heute mit einem Budget von 1 Million Dollar arbeiten. Das kann ich einfach nicht. Ich habe regelmäßig Independent-Filme um 6 Million Dollar gemacht, aber diese Kategorie gibt es heute nicht mehr. Filme kosten entweder 1 Million oder 100 Millionen. Leute fragen mich, warum ich das Geld nicht einfach auf Kickstarter sammle. Aber ich werde nicht darum betteln. Ich besitze drei Häuser! Auf der anderen Seite ist Fernsehen viel besser und größer als je zuvor. Es ist verhext, aber so ist nun mal der heutige Markt.

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Gibt es irgendwelche TV-Projekte, an denen du arbeitest? Vielleicht irgendwas auf Netflix?
Nein, nein, nein. Aber weißt du – ich habe schon einen Job, ich brauche keinen neuen. HBO wollte einmal eine Fortsetzung von Hairspray machen – daraus wurde zwar nichts, aber bezahlt haben sie mich trotzdem. Soviel dazu. Aber ich habe absolut nichts gegen Fernsehen. Es ist nur so: Wenn ich eine Sendung machen würde, dann nur, wenn ich sie auch selber schreiben dürfte. Ich führe nicht Regie für die Geschichten von anderen. Meine Agenten leiten mir auch gar keine Drehbücher weiter, weil sie wissen, dass ich daran kein Interesse habe. Ganz allgemein brauche ich einfach eine Plattform, auf der ich Geschichten erzählen kann. Wie zum Beispiel meine Bücher, die auf allen Bestseller-Listen waren und sich immer noch toll verkaufen. Man bleibt heutzutage dort, wo sie einen mögen.

Abgesehen von Kickstarter – was denkst du sonst von der Internet-Kultur? Genießt du als alter Punk den ganzen weirden Scheiß, aus dem das Netz besteht oder ist es für dich nur ein weiteres Opium fürs Volk?
Ich habe eine Rede an der Rhode Island School of Design gehalten, die jetzt unter dem Titel Make Trouble als Buch herauskommt. Darin sage ich: Nutzt das Internet für radikale Sachen, nicht nur für ein bequemeres Leben. Es sollte nicht nur darum gehen, dass man nie wieder Hosen anziehen oder rausgehen muss. Wenn ich heute ein jugendlicher Straftäter wäre, dann wäre ich wahrscheinlich ein Hacker. Das ist der spannende Aspekt am Internet.

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Das Problem mit Hackern ist, dass sie keinen Sinn für Mode haben. Man braucht heute einfach einen Look und echte Hacker haben keinen. Natürlich wird das Internet nicht so schnell wieder verschwinden – und wer sich ihm verweigert, ist zirka so dumm wie die Leute, die heute sagen "Ich schaue nur Stummfilme". Trotzdem gibt es auch bedenkliche Aspekte. Zum einen habe ich Mitleid mit Fotografen, weil das Internet jeden Copyright-Schutz umgeht und man nirgends mehr richtige Quellenangaben zu Bildern findet. Zum anderen sage ich jungen Leuten, die Nacktfotos von sich hochladen, immer: "Die bekommst du nie wieder zurück!" In den meisten Fällen gehören sie dir nicht mal mehr, wenn du sie über eine Plattform teilst.

Das hängt vielleicht mit dem Gedanken zusammen, dass es jungen Menschen egal ist, solange sowieso jeder peinliche Fotos von sich im Netz hat.
Das stimmt bis zu einem gewissen Grad – bis es deinem Boss eben nicht mehr egal ist und es plötzlich doch eine Rolle spielt. Aber abgesehen von Copyright-Verletzungen, ist je ein Filmemacher berühmt geworden, nur weil er etwas auf YouTube gestellt hat?

Cazzie David, die Tochter von Larry David, hat eine ziemlich gute Miniserie namens Eighty-Sixed auf YouTube.
Es ist sicher ein mächtiges Werkzeug, aber mir fällt kein einziger Film ein, der nur über das Internet berühmt wurde. Du kannst natürlich einen Job in einer Werbeagentur über das Internet bekommen oder als Popstar entdeckt werden, wie Justin Bieber.

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Wenn ich heute ein jugendlicher Straftäter wäre, dann wahrscheinlich ein Hacker. Das Problem mit ihnen ist nur, dass sie keinen Sinn für Mode haben.

Was ist mit anderen Vermarktungsformen im Netz, wie eben Netflix?
Ich bin sehr für Netflix. Die haben damals sogar This Filthy World produziert, im Jahr 2006. Was das für das klassische Kino bedeutet, weiß ich nicht. In Amerika versuchen sie, die Krise mit immer extravaganteren Sälen zu lösen. Sie haben jetzt überall diese Sessel, die wie Erste-Klasse-Plätze in einem Flugzeug aussehen – was toll ist, wenn man schlafen will, aber nicht zum Filmschauen. In Baltimore gibt es ein altes restauriertes Kino, das direkt neben einem Multiplex-Einkaufszentrum steht. Immer, wenn beide den gleichen Film zeigen, verdreifachen sich die Einnahmen im Multiplex-Kino. Ich bin immer wieder verwundert, dass Menschen lieber in ein Einkaufszentrum gehen als in restauriertes Kino.

Das heißt, du denkst, dass das klassische Kino zurückgeht?
Zumindest gehen junge Leute heute weniger ins Kino. Und wenn doch, dann eben lieber in eine Mall, wo es Sitze wie im Stadion gibt, um sich Filme ohne Dialoge, aber mit Explosionen anzuschauen. Und das ist auch völlig OK! Ich mag es nur nicht so gern. Aber ich weiß, dass ich in der Unterzahl bin.

Ist es dir wichtig, wie und wo Menschen deine Filme anschauen, ob am Smartphone oder im Kinosaal?
Mir ist das inzwischen völlig egal. Früher hätte ich gesagt, im Kino. Aber heute sind viele Wohnzimmer netter als die Säle in Programmkinos. Was meine Filme angeht, sehen sie oft besser aus, je kleiner der Bildschirm ist. Vielleicht ist Pink Flamingos perfekt für den Smartphone-Screen und es war alles ein großer Fehler. Multiple Maniacs hingegen wurde kürzlich von Criterion restauriert und sieht jetzt auf der Leinwand wie ein schlechter John-Cassavetes-Film aus. Aber auch den muss man nicht zwangsweise im Kino sehen.

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Du hast vorher die Rosenkranz-Analstimulations-Szene in Multiple Maniacs erwähnt, die viele vermutlich eher als anti-katholisches Statement bezeichnen würden. Aber gibt es auch irgendeinen gemeinsamen Nenner zwischen John Waters und der Katholischen Kirche?Absolut keinen, nein. Ich hasse auch den neuen Papst. Und ich sag dir wieso: Gesellschaftspolitisch hat er nicht eine einzige Sache verändert. Es gibt da diesen alten Rhythm-and-Blues-Song von den The Temptations, in dem es heißt: "Beware of the pat on the back it just might hold you back." Das ist genau, was er macht.

Er sagt vielleicht "Oh, ihr lieben kleinen Schwulen!", aber er ändert nichts an der Position der Kirche in Bezug auf die Agenda der LGBTQ-Community. Ich meine, er hat ein Jahr eingeführt, in dem er Frauen vergibt, die Abtreibungen hatten. Das kann er dann tun, sobald er selbst schwanger werden kann. Also nein, ich stimme der Kirche in absolut gar nichts zu. Und Figuren wie der Papst, die liberal wirken, machen alles nur noch schlimmer. Sie sind die gefährlichsten, genau wie liberale Zensoren.

Warst du schon mal im Vatikan?
Auch nur einmal. Ich liebe die Stadt, aber ich könnte nicht noch mal hinfahren. Ich bin dort fast in eine Schlägerei geraten.

Was? Du hattest fast eine Schlägerei im Vatikan?
Ich war dort eigentlich nur im Buchladen, weil ich natürlich die absolut fürchterlichsten, übertriebensten Postkarten für meine Freunde kaufen wollte. Als ich dann nach einer Rechnung gefragt habe, meinte die Dame an der Kassa: "Der Vatikan stellt keine Rechnungen aus". Worauf ich meinte: "Natürlich tut er das nicht, damit ihr das Geld in eure Anti-Abtreibungs- und Anti-Schwulen-Propaganda stecken könnt!" Sie mussten mich dann raustragen.

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Terroristen sind alle gleich – ein Haufen namenloser Verlierer.

OK. Ein anderer Aspekt an Multiple Maniacs, abgesehen vom Katholizismus, ist auch, dass es auch damals, in der guten alten Zeit, schon einheimischen Terrorismus gab.
Als wir Multiple Maniacs gemacht haben, gab es Terror in der heutigen Form natürlich noch nicht, aber es gab Flugzeugentführungen, und zwar fast täglich, und in manchen Kreisen war es "politisch korrekt", mit Bomben gegen die Polizei oder das Militär oder die Wehrpflicht und Vietnam zu protestieren. Auf eine komische Art gab es also mehr Terrorismus als heute, ja.

Fühlst du dich heute trotzdem mehr betroffen davon?
Überhaupt nicht. Die Wahrscheinlichkeit, in einem Café irgendwo auf der Welt in die Luft gesprengt zu werden, ist vermutlich ähnlich hoch wie die, dass ein Flugzeug in mein Haus stürzt. Werde ich jemals aus Angst zuhause bleiben? Garantiert nicht. Es ist viel gefährlicher, mit dem Auto einkaufen zu fahren.

Die meisten Terroristen heutzutage sind nicht mal richtige Terroristen – sie sind einfach nur gescheiterte Kriminelle, die krampfhaft nach einem anderen Weg suchen, um doch noch berühmt zu werden. Nur dass Terror sie auch nicht bekannter macht. Ich kann mich an keinen einzigen Namen von irgendeinem dieser Attentäter erinnern. Sie sind alle gleich – ein Haufen namenloser Verlierer.


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Was auch ein ziemlicher Unterschied zu Multiple Maniacs ist.
Multiple Maniacs war eigentlich als Witz gedacht, um Hippies zu verärgern. Aber die Hippies haben ihn gefeiert. Immerhin sind sie mein Publikum! Auf eine seltsame Art glaube ich auch, dass er politisch korrekt ist. Ich meine, die Figuren feiern einfach ihre eigene Dreckigkeit und werden von Leuten attackiert, die auf ihr Leben neidisch sind.

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Absolut. Deine Filme haben immer die Perspektive der Unterdrückten eingenommen und sich für Subkulturen stark gemacht.
Ich versuche es zumindest. Weil ich eben kein Separatist sein will. Nicht mal bei Trump. Ich glaube, die beste Art, ihn zu bekämpfen, ist "komischer Terrorismus". Man muss ihn wie einen Idioten aussehen lassen. Aber natürlich sind Terrorismus und Extremismus furchtbar. Und zwar in jeder Religion. Es ist immer dasselbe: Männer, die dumme Dinge tun. Wenn Frauen oder Schwule die Welt regieren würden, wäre alles viel besser.

Denkst du, dass Terrorismus aufhören würde, zu existieren, wenn Frauen oder Schwule die Welt regieren würden?
Naja, es gab vereinzelt auch weibliche Terroristen, aber insgesamt wäre es besser, ja. Ich habe gerade eine Freundin im Gefängnis besucht und wie praktisch jede Frau sitzt auch sie wegen eines Manns ein. Es ist bei allen Frauen dasselbe. Sogar bei den Lesben!

Hier ist ein Update zu meinem Zitat: "Wenn du mit jemandem heimgehst und er hat Bücher im Badezimmer neben dem WC, fick ihn auch nicht!"

Apropos Männer, die die Welt regieren und es falsch machen: In Österreich gibt es Mitte Oktober Wahlen und der führende Kandidat in den Umfragen ist Sebastian Kurz – ein 30-jähriger Antiflüchtlings-Hardliner, der sich als Konservativer ausgibt. Ich möchte dich nicht zu einem politischen Statement drängen, aber …
Oh, ich kann ruhig ein politisches Statement abgeben! Ich kenne eure Situation und euren Kandidaten nicht, aber sagen wir so: Euer Land hat eine gewisse Geschichte mit Rechtsextremismus. Heutzutage ist es in den USA nicht sehr viel anders. Ich bin erst kürzlich quer durch das ganze Land gefahren und soll ich dir was sagen? Amerika hat Platz für alle Flüchtlinge, die es gibt. Unser Land ist halbleer. Keine Ahnung, warum das niemand laut ausspricht. Aber mir kommt auch vor, dass seit Trumps Wahlsieg alle Länder ein bisschen vorsichtiger sind und rechte Politiker nicht mehr so einfach gewinnen. Wie ist das in Österreich?

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Es ist kompliziert. Einerseits hatten wir 2016 Präsidentschaftswahlen, bei denen der rechte Kandidat, Norbert Hofer, verloren hat – nur wenige Wochen nach Trumps Sieg.
Genau das meine ich. Dasselbe ist es in Frankreich. Trump hat den Menschen gezeigt, was alles passieren kann, während sie von ihrer rechten Veränderung träumen. Jetzt sind wir die Witzfigur für den Rest der Welt. Und wir verdienen all euren Spott.

Ja, aber andererseits glaube ich, dass unser rechter Kandidat nur verloren hat, weil er zu offenkundig rechts war. Das hat nur dazu geführt, dass sich Rechte inzwischen vermehrt als Konservative tarnen, wie bei Sebastian Kurz.
Das ist es auch, was ich an Trump-Unterstützern oft nicht verstehe. Er tut genau, was er versprochen hat. Es gibt also keinen Grund, überrascht zu sein. Ihr hättet ihn einfach nicht wählen sollen, ihr Idioten! Wenn ich ein Trump-Unterstützer der ersten Stunde wäre, würde ich mich heute freuen. Alle Liberalen sind stinksauer auf ihn und sogar die Republikaner hassen ihn! Aber das Problem ist wahrscheinlich, dass er viele von seinen Versprechen nicht umsetzen kann – und dass er nicht wirklich daran interessiert ist, anderen zu helfen. Er ist eben einfach neureich ­– die schlimmste Art von reich überhaupt.

Was es umso wichtiger macht, dass junge Menschen ihre Stimme abgeben. Was ich eigentlich fragen wollte: Dein Zitat "Wenn du mit jemandem heimgehst und er hat keine Bücher, dann fick ihn nicht!" ist sowas wie ein Viral geworden. Gibt es vielleicht ein ähnliches Zitat, mit dem man junge Leute zum Wählen motivieren kann?
Zu diesem Zitat muss ich etwas sagen, beziehungsweise ein Update geben: "Wenn du mit jemandem heimgehst und er hat Bücher im Badezimmer neben dem WC, fick ihn auch nicht!" Ich finde das wirklich widerlich – Leute, die von ihren Gästen erwarten, dazusitzen und zu träumen und zu scheißen und währenddessen alte Magazine zu lesen. Aber zum Thema Wählen kann ich sagen: Man sollte ins Gefängnis müssen, wenn man nicht wählen geht.

Ich habe mal einen Button mit der Aufschrift "Vote twice" für The Gap gemacht. Ich dachte nicht, dass sie ihn wirklich verkaufen würden, aber sie haben ihn dann doch produziert. Die Leute sind durchgedreht und The Gap musste ihn aus den Läden zurückziehen. Vielleicht sollte man wirklich zweimal wählen. Ich selbst habe das vor 30 Jahren mal in Kalifornien gemacht. Das war die Zeit vor Wahlkarten mit Fotos, also habe ich die von jemand anders benutzt und meine Stimme doppelt abgegeben. Das zuzugeben, ist in den USA so ziemlich das Schlimmste. Ich habe damals für Shirley Chisholm for President gestimmt; sie war die erste schwarze Frau, die je für eine der beiden großen Parteien angetreten ist, damals im Jahr 1972.

Und was tut sich so in der jüngeren Vergangenheit bei dir?
Ich hatte eine Retrospektive im London Film Institute, ich habe den Preis für mein Lebenswerk von der American Writers' Guild bekommen und jetzt mache ich noch eine große Kunstretrospektive. Alles ziemlich großartig – so als würde man bei seiner eigenen Beerdigung zuschauen. Und dann ist da natürlich noch meine This Filthy World-Tour.

Wirst du eigentlich manchmal wehmütig, wenn du dir deine alten Filme ansiehst?
Weißt du, ich habe auch alle Arten von Filmen gemacht: Hollywood-Kino, Underground-Filme, Midnight-Movies. Keiner davon hat richtig viel Geld eingespielt, deshalb bin ich umso dankbarer und überraschter, dass ich so viele davon machen konnte. Wehmütig bin ich da nicht. Das einzige, das übrigens je wirklich viel Geld eingespielt hat, war Hairspray – nicht der Film, sondern das Broadway-Musical.

Vielleicht, weil es auf den ersten Blick so familienfreundlich wirkt?
Es ist irgendwie komisch – die Menschen sind heute viel empfindlicher, aber aus irgendeinem Grund ist nie jemand böse auf mich. Könnte aber auch an der Erwartungshaltung liegen, wenn man sich ein John-Waters-Programm ansieht.

Ja, Titel wie This Filthy World sind fast schon ihre eigene Trigger-Warnung.
Man weiß bei mir immer, worauf man sich einlässt, das stimmt.

Apropos: Was hältst du eigentlich von der heutigen Welle an Trash-Filmen? Die meisten wirken, als wären sie maßgeblich von dir beeinflusst, nur viel ironischer.
Immer, wenn ich in einer Review lese, dass ein Film "John-Waters-esk" sein soll, hasse ich ihn. Diese Filme sind nie wie meine. Sie geben sich einfach zu viel Mühe, wenn du mich fragst.

Zum Abschluss: Du machst seit über 40 Jahren Q&As. Was ist die absurdeste Frage, die dir dabei gestellt wurde?
Schwierig zu sagen. Aber ich denke, das Seltsamste war nicht mal eine Frage, sondern einfach ein Statement. Es war in Baltimore, als eine junge Frau die Hand gehoben und gesagt hat: "Mein Vater hat mir erzählt, dass er einmal fast mit dir nachhause gegangen wäre."

Was hast du geantwortet?
Ich habe gesagt: "Sag ihm Hallo von mir."


John Waters ist dieses Jahr zu Gast beim /slash Filmfestival und präsentiert neben vier seiner eigenen und drei seiner Lieblingsfilme am 30. September einen ganz besonderen Abend mit dem Titel This Filthy World. Tickets gibt es hier zu gewinnen!