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Lieber Horst Seehofer, ja, es gibt rechte Tendenzen bei der Polizei

Der Innenminister glaubt, alle Polizeibeamten seien lupenreine Demokraten. Offenbar hat er einige Fälle übersehen.
EinBereitschaftspolizist wirft etwas
Natürlich ist unsere Bearbeitung dieses Fotos überspitzt, aber Horst Seehofer muss man offensichtlich ganz genau erklären, dass es Rechte bei der Polizei gibt | Foto: imago | Sebastian Backhaus || Bearbeitung: Sabrina Schrödl     

Unsere Abwehrreflexe sollen alles, was nicht in den Körper gehört, wieder nach draußen befördern. Und bei Horst Seehofer scheinen sie immer dann einzusetzen, wenn Kritik in seinen schwarz durchbluteten Konservativenkörper einzudringen droht. Kritik an Polizei und Geheimdiensten erregt die Abwehrreflexe des Innenministers besonders. Auch jetzt wieder, als er nach dem Ausscheiden Hans-Georg Maaßens als Verfassungsschutz-Chef der Kritik entgegentrat, bei Polizei und Geheimdiensten gebe es rechte Tendenzen.

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"Ich möchte sehr klar sagen, dass unsere gesamten Sicherheitsbehörden und natürlich auch das Bundesamt für Verfassungsschutz total auf dem Boden unseres Grundgesetzes stehen", sagte Seehofer dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Zur Erinnerung: Der Verfassungsschutz wurde bis vor Kurzem von einem Mann geleitet, der laut SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil einen "Hang zu rechten Verschwörungstheorien" hat.


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Aus Seehofers Aussage spricht ein dermaßener Realitätsverlust, dass besonders Polizeibeamte, die gegen rechtsextreme Kolleginnen und Kollegen vorgehen, sich ziemlich verarscht vorkommen müssen. Seehofer tut so, als seien Polizeibeamte über jeglichen Extremismus erhabene Wesen, geformt aus Licht und kosmischer Energie.

Offenbar hat Seehofer einige Berichte über mitunter rechtsextreme Ausfälle unter Polizeikräften verpasst. Aber wir helfen gerne und haben fünf Fälle aus den letzten zwölf Monaten zusammengetragen.

"Uwe Böhnhardt" beim LKA Sachsen

Als der türkische Staatspräsident Erdoğan Ende September Berlin besuchte, beschützte ihn auch ein deutscher Polizist, der sich einen besonderen Decknamen ausgesucht hatte. Ein SEK-Beamter des Landeskriminalamts Sachsen trug sich für den Einsatz in eine Liste als "Uwe Böhnhardt" ein. So hieß der Neonazi, der als Teil des NSU zehn Menschen ermordet hatte. Das LKA Sachsen leitete ein Disziplinarverfahren gegen ihn und einen Kollegen ein, mit dem Ziel, die beiden aus dem Dienst zu entfernen.

Sächsischer LKA-Beamter bei Pegida-Demo

Jedes brave deutsche Kind kennt inzwischen den Pracht-Teutonen mit dem Deutschlandhut, den das LKA Sachsen beschäftigte. Mitte August bepöbelte er am Rande einer Pegida-Demonstration in Dresden ein ZDF-Kamerateam. Die Polizei hielt die Journalisten daraufhin etwa eine Dreiviertelstunde lang fest, was der Dresdner Polizeipräsident später bedauerte. Inzwischen hat der pegida-nahe Mitarbeiter des LKA Sachsen die Polizei verlassen. Dem Internet wird er als Meme jedoch für alle Ewigkeiten erhalten bleiben.

Berliner Anti-Terror-Ermittler soll mit Neonazi-Code gegrüßt haben

Wer bei der Zahl 88 noch von einem Code spricht, glaubt wahrscheinlich auch, Thor Steinar sei ein skandinavisches Bauunternehmen. Die Zahl wird von rechten Klamottenlabels so inflationär verwendet, dass ihre Bedeutung unter Neonazis inzwischen auch außerhalb dieser Szene bekannt ist. Aber hey, Horst, hier noch mal für dich: Die Acht steht für den achten Buchstaben im Alphabet, 88 für: "Heil Hitler".

Entsprechend deutlicher war, was ein Staatsschützer beim Berliner LKA meinte, als er mutmaßlich ein Chatgespräch mit "88" beendete. Davor soll er geschrieben haben: "So, Leute daß wars mal wieder. Kommt jut rinn, haltet euch von Merkel&Co und ihren scheiß gutmenschen fern. Ich erwarte euch im nächsten Jahr. Bis denne." Als der Fall im Juli bekannt wurde, teilte die Polizei mit, dass sie bereits ein Jahr zuvor ein Disziplinarverfahren gegen den Mann eingeleitet habe.

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Ex-Polizeischüler veröffentlicht rassistische Polizei-Chats

Ein Fall, der noch in Seehofers Kurzzeitgedächtnis sein könnte, ging Ende Oktober durch die Medien. Auf Instagram veröffentlichte ein ehemaliger Polizeischüler einen Screenshot aus einem Chat, in dem sich Kollegen fremdenfeindlich äußerten.

Im Interview mit VICE berichtete er von weiteren rassistischen Vorfällen bei der Leipziger Polizei: "Ein Schießausbilder sagte uns, dass wir jetzt besser schießen lernen müssen, weil wir so viel Besuch in Deutschland hätten. Mein Deutschlehrer hat mal den Begriff 'N****' verwendet."

In neun Monaten Ausbildung sei das Thema Rassismus nicht einmal angesprochen worden. Solche Einstellungen seien bei Sachsens Polizei inzwischen salonfähig und das bereite ihm Sorgen, sagte der Ex-Polizeischüler: "Man kann doch keine Asylheime schützen und gleichzeitig hintenrum über Flüchtlinge hetzen."

Racial Profiling ist in Deutschland immer noch möglich

Im August endete vor dem Oberverwaltungsgericht Münster ein Prozess um das Thema Racial Profiling. Bundespolizeibeamte hatten einen Schwarzen Mann 2013 am Bochumer Bahnhof kontrolliert, auch aufgrund seiner Hautfarbe. Laut Gericht war das verfassungswidrig. Dennoch deutete das Gericht in seinem Urteil an, dass es unter strengen Regeln Ausnahmen davon geben könne.

Und das, obwohl Racial Profiling seit einem Gerichtsurteil von 2016 auch offiziell gegen den Gleichheitsgrundsatz im Grundgesetz verstößt. Für die tägliche Polizeiarbeit spielt das offenbar ohnehin keine Rolle. Betroffene berichten genauso wie Polizisten davon, dass Racial Profiling bei der Polizei noch immer regelmäßig vorkommt.

Horst Seehofer könnte als Innenminister viel dazu beitragen, dass er die Polizei in Zukunft nicht mehr gegen Rechtsextremismus-Vorwürfe verteidigen muss. Der erste Schritt wäre, das Problem anzuerkennen. Ein zweiter könnte sein, endlich unabhängige Ermittlungsstellen einzurichten, die Beamte dabei unterstützen, wenn sie Rechtsextremismus in den eigenen Reihen aufdecken.

Wenn du bei der Polizei arbeitest, dort Fremdenfeindlichkeit beobachtet hast und über deine Erfahrungen sprechen möchtest, erreichst du unseren Redakteur Tim Geyer per E-Mail oder Twitter-DM.

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