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Dein Job ist sinnlos

Wir haben uns mit dem Autor Peter Fleming unterhalten, der die derzeit herrschenden Arbeitsbedingungen anprangert und dementsprechend einiges ändern will.

Foto: David Marsh

Wie so viele andere Leute habe auch ich schon mehrere unterschiedliche Jobs gehabt. So habe ich bereits als Deckarbeiter auf einer Fähre, als Müllmann, als Barkeeper, als Administrations-Roboter, als Security, als Kaffeekocher bei L'Oreal, als Copywriter, als Redakteur und als Social-Media-Fatzke gearbeitet. Ich habe Null-Stunden-Verträge unterschrieben, ich war als Freiberufler beschäftigt und ich hatte auch schon mal ein festes Einkommen. Nichts davon hat mich jedoch wirklich erfüllt. In England verbringt der durchschnittliche Arbeiter pro Jahr 36 Tage damit, E-Mails zu schreiben—im Anbetracht dieser Tatsache kommt dann doch die Frage auf, was zum Teufel Arbeit überhaupt ist.

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Gerade dann, wenn einem der tägliche Arbeitstrott mal wieder auf die Nerven geht, fragt man sich doch oft: Warum tue ich mir das eigentlich an?

Peter Fleming, Professor im Bereich Business and Society an der City University London, versucht in seinem Buch The Mythology of Work, genau diese Frage zu beantworten. Als ich mich mit ihm in einem überteuerten Café im Osten der englischen Hauptstadt traf, meinte er zu mir: „Bei der Arbeitsverweigerung geht es nicht um Faulheit oder ums Nichtstun. Wenn du Leuten dabei zusehen willst, wie sie tatsächlich nichts tun, dann musst du dich einfach nur in einem großen Unternehmen umschauen. Einige von uns haben das Glück, einer Arbeit nachzugehen, die sie wirklich mögen, aber das kommt nur relativ selten vor."

Die allgemeine apathische Haltung zum Thema Arbeit lässt es noch viel komischer erscheinen, wenn Großstadtbewohner beim ersten Kennenlernen immer fragen, was man denn so machen würde. Fleming zufolge ist das etwas ganz Natürliches: „Die Arbeitsideologie hat alle anderen traditionellen Statusstrukturen zerstört, die sich auf Religion, künstlerisches Schaffen, Familie und andere Statussymbole innerhalb einer Gemeinschaft beziehen. So sehen wir uns mit einer Situation konfrontiert, bei der uns gesagt wird, dass nur die Arbeit bzw. der Job etwas zählt—und deswegen richten wir unser komplettes Leben danach aus. Das Ganze basiert auf der stetig fortschreitenden Individualisierung der Gesellschaft, die alteingesessene Gemeinschaften auseinandergetrieben hat."

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In einer von Gallup durchgeführten, weltweiten Umfrage aus dem Jahr 2013 wurden Angestellte in drei verschieden Gruppen eingeteilt: Arbeitnehmer mit hoher (13 Prozent), Arbeitnehmer mit geringer (63 Prozent) und Arbeitnehmer ohne (23 Prozent) emotionale Bindung zum Arbeitsplatz.

Angestellte mit hoher emotionaler Bindung sind im Grunde die berüchtigten Bürohengste: „Dabei handelt es sich um Arbeiter, die sich besonders anstrengen, um ihren Arbeitgebern Erfolg zu bescheren, weil sie ihr Wohlergehen direkt mit dem Wohlergehen der jeweiligen Unternehmen in Verbindung setzen. Wenn sie wissen, wie und wo etwas verbessert werden kann, dann informieren sie ihre Vorgesetzten auch darüber."

Ein Angestellter mit geringer emotionaler Bindung hat hingegen bereits aufgegeben, ihm ist einfach alles egal: „Sie kommen von einer Hölle (ihr Zuhause) in die andere (ihr Arbeitsplatz). Und das immer und immer wieder. Sie leiden am sogenannten ‚Präsentismus': Sie tauchen um 9 Uhr morgens auf, machen in den ersten paar Stunden ihre Arbeit und schlagen den Rest des Tages nur noch die Zeit tot."

Falls du diesen Artikel gerade in der Arbeit liest, dann sollte dir dieses Prinzip nicht fremd sein.

Der Angestellte ohne emotionale Bindung zu seinem Job sabotiert derweilen absichtlich den Arbeitsalltag: „Sie schaden dem Unternehmen. Wenn sie ein Problem erkennen und dafür vielleicht auch eine Lösung parat haben, behalten sie das alles für sich. Sie fladern. Sie sind schlecht für ihr Umfeld. Vor Kurzem gab es den Fall eines Anwalts, der seine eigene Scheiße in den Seifenspender seiner Bürotoilette gemischt hat. Die Leute haben die ‚Seife' dann ahnungslos weiterbenutzt. Die Angestellten machen aber auch vor sich selbst nicht Halt—sie begehen Suizid oder fügen sich selbst Verletzungen zu."

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OK, die Geschichte mit den Exkrementen im Seifenspender ist wirklich widerlich, aber wenn du irgendwann schonmal Bürobedarf gestohlen oder einen schlimmen Kater auf der Arbeit auskuriert hast, dann kann ich dich jetzt nur beglückwünschen: Du gehörst zu den 23 Prozent.

Peter Fleming

Fleming spricht auch von einem sadomasochistischen Aspekt des Arbeitslebens, den er als „Dark Economy" [die Schattenseiten der Wirtschaft] bezeichnet. Dabei handelt es sich um einen Teil unserer Kultur, durch den wir uns von den langsamen Schmerzen sinnloser Arbeit befreien können—eine Art selbst eingeleitete, aktive Loslösung.

„Dieser Aspekt wird in den offiziellen Statements der Politiker und Wirtschaftler oft unter den Teppich gekehrt, aber er wird offensichtlich, wenn mal wieder ein Banker von einem Hochhaus springt. Es hat schon seinen Grund, warum hier nur so wenig Steuern auf Alkohol angerechnet werden, denn dabei handelt es sich um eine akzeptierte Möglichkeit, Dampf abzulassen und die Ausbeutung zu vergessen. Die Schattenseiten—wie etwa häusliche Gewalt oder mit der Arbeit zusammenhängende Suizide und so weiter—sind jedoch die Dinge, die wir nicht einfach so akzeptieren."

In der gleichartigen Gallup-Studie aus dem Jahr 2014 kam außerdem heraus, dass Angestellte ohne emotionale Bindung zum Arbeitgeber bei größeren Unternehmen durch Fehltage Kosten in Höhe von rund 1,3 Millionen Euro verursachen.

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Wir verbringen mehr Zeit auf der Arbeit als jemals zuvor—selbst wenn es sich dabei nur um den Präsentismus handelt. Dazu kommt noch, dass in immer mehr Unternehmen das gemeinsame Feierabendbierchen am Schreibtisch zur Norm wird. Man könnte zwar denken, dass ein Beisammensein am Freitagabend nur eine nette Geste des Chefs darstellt, aber Fleming sieht das Ganze etwas zynischer. Er ist der Meinung, dass ein Verschwimmen von Arbeit und Freizeit gefährlich sein kann: „Der moderne Manager will dein Freund sein und ist dann auch dementsprechend nett zu dir. Das ist jedoch das Schlimmste, was dir passieren kann. Wenn dein Vorgesetzter von einer Freundschaft ausgeht und du mit ihm rumscherzen kannst, dann ist eine Beziehung entstanden, die du nie wieder los wird. Wenn du dann einer Anweisung keine Folge leisten willst, sehen sie das sofort als persönliche Beleidigung an—wie ein Kumpel, den man im Stich lässt. Sie können dann zu Recht sagen: ‚So behandelt man doch keine Freunde!'"

Die Beziehung zwischen Alkohol und der Arbeit sah früher ganz anders aus—im 18. Jahrhundert feierten Arbeiter zum Beispiel noch den Blauen Montag. „Damals war es üblich, dass die Angestellten am Montagmorgen ihre Werkzeuge beiseite legten, die Fabrik verließen und sich dann in irgendeiner Kneipe die Lichter ausschossen", erklärte mir Fleming.

Früher haben wir uns also betrunken, um unseren Chef zu ärgern. Heute heben wir zusammen das Glas.

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In seinem Buch verwendet Fleming auch den Begriff „Bio-Proletariertum", um unsere derzeitige Lage zu beschreiben. „Bio-Proletariertum ist ein Fingerzeig darauf, wie eng ‚Bios'—also das Leben an sich—mit der Wirtschaft verknüpft ist. Null-Stunden-Verträge sind dafür ein gutes Beispiel, denn durch einen solchen Vertrag ist man nie nicht verfügbar. Nehmen wir mal an, dass man bei einer Agentur angestellt ist, die Barmitarbeiter zur Verfügung stellt. Man geht davon aus, dass man abends für irgendeine Veranstaltung eingeteilt wird und macht sich dementsprechend fertig, kauft sich extra Kleider und so weiter. Dann bekommt man jedoch einen Anruf vom Manager, dass man doch nicht gebraucht wird, und steht so ohne Arbeit da. Man ist jedoch ständig darauf eingestellt, arbeiten zu müssen—selbst dann, wenn man nicht arbeitet. Unser Leben ist zu einer fortlaufenden Odyssee der Arbeit bzw. des Bereitseins für die Arbeit geworden."

Aber was können wir dagegen tun? Wie widersteht man der Arbeit? Fleming schreibt in diesem Artikel zum Beispiel von einer Grippe, durch die er eine Woche lang abschalten konnte und nicht an seinen Job denken musste. Uns wird immer wieder gesagt, dass Arbeit gut für uns sei. In Wahrheit ist jedoch das Gegenteil der Fall: Sitzen ist das neue Rauchen.

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„Das Problem des Widerstands besteht darin, dass bei der Belegschaft immer weiter eingespart wird", erklärte mir Fleming. „Und um diese Einsparungen zu verwirklichen, individualisiert man alles: Jeder bekommt einen individuellen Vertrag oder wird als Freiberufler angestellt. 2013 berichtete man zum Beispiel davon, dass 70 Prozent der Ryanair-Piloten selbstständig waren. Deswegen mussten sie auch ihre Uniformen und Hotelaufenthalte selbst bezahlen. Wir müssen die Macht der Arbeiterschaft wiederentdecken und neu kollektivieren."

Dafür wirft Fleming auch einige radikale Ideen in den Raum, über die man mal nachdenken sollte: ein höheres Grundeinkommen, verstaatlichte Industrien, eine Drei-Tage-Arbeitswoche und eine Entfetischisierung des Jobs.

Als Erstes will er uns jedoch verdeutlichen, was falsch läuft und warum wir so viel arbeiten. Außerdem sollen wir uns seiner Meinung nach mit so vielen Leuten wie möglich zusammenschließen, denen es so ergeht wie uns. „Historisch gesehen handelte es sich bei Gesellschaften, in denen die Leute mehr als drei Tage die Woche arbeiten mussten, immer um typische Sklavengesellschaften. Wir brauchen wöchentlich nicht mehr als 20 Stunden auf der Arbeit zu verbringen."

Na das ist doch mal ein ordentlicher Denkanstoß.