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Bruno Kramm: Freier Handel ist an sich nichts Schlechtes oder Böses. Durch ihn hat zum Beispiel auch ein kleiner Unternehmer auf dem Weltmarkt Chancen. Für den Konsumenten ist es hilfreich, wenn er eine Schuhmarke aus den USA gut findet und sie bestellen kann, ohne horrende Zölle zu zahlen. Aber TTIP wird fast alle Lebensbereiche betreffen. Deshalb sollte auch jeder informiert sein. Derzeit ist das Gegenteil der Fall.Was sind die Bedenken gegenüber TTIP?
Neben der Intransparenz gibt es vor allem welche beim Verbraucher- und Umweltschutz, wegen dem Widerspruch zwischen dem europäischen Vorsorge- und dem amerikanischen Risikoprinzip. In den USA bringst du ein Produkt auf den Markt und da bleibt es, bis jemand die Firma verklagt, weil es schädlich ist. Und dann bekommt er Unsummen. Deshalb sorgen die Firmen per se dafür, dass ihre Produkte sicher sind. Das ist auch der Grund, warum auf amerikanischen Produkten Sätze stehen wie: Steck deine Katze nicht in die Mikrowelle. In Europa ist es anders: Hier muss man bei einem neuen Produkt erst mit vielen Studien nachweisen, dass es unschädlich ist. Wenn sich durch TTIP das Risikoprinzip durchsetzt, haben wir keinen Schutz vor gefährlichen Produkten, weil wir nicht dieselben Klagerechte besitzen.Manche befürchten, dass Unternehmen Einfluss auf den Staat nehmen könnten.
Ja. Ein weiterer Unterschied ist die Daseinsfürsorge: Bei uns ist der Staat dafür verantwortlich, dass Menschen an der Gesellschaft teilhaben können, dazu gehören Sozialsysteme, Wasserversorgung, Verkehrsmittel. In den USA werden diese Dinge ungern in öffentlicher Hand gesehen, für sie bedeutet das eine Diskriminierung des Marktmodells. Durch TTIP könnten Unternehmen unter anderem dagegen klagen, dass bei Ausschreibungen Bewerber bevorzugt werden. Die Rekommunalisierung von Stromnetzen zum Beispiel wäre dann unmöglich.
Die Argumentation der TTIP-Gegner hier folgt meistens der Linie: "Die bösen USA wollen Europa über den Tisch ziehen". Was ist da dran?"Wenn wir eine Handelszone mit maximalem Wachstum einführen, heißt das weniger für andere."
Auch die Amerikaner haben Angst: unter anderem vor der Lockerung der Bankenregulierung. Manche Unternehmen fürchten, dass sie Produkte wie Mozzarella wegen der geschützten Herkunftsbezeichnung in Europa nicht mehr verkaufen können. Leider bedienen kritische Organisationen, selbst Greenpeace, oft die Argumentation: Die USA sind die böse treibende Kraft bei TTIP. Das spielt nationalistischen Kräften in die Hände. Es geht bei TTIP nicht um USA gegen Europa, nicht einmal nur um transnationale Konzerne gegen amerikanische und europäische Bürger. TTIP betrifft vor allem die Menschen in den ärmsten Gegenden der Welt. Wenn wir eine Handelszone mit maximalem Wachstum einführen, heißt das weniger für andere.Hat der Leak von Greenpeace die Befürchtungen bestätigt?
Überraschend war, wie unfertig das Ganze ist. Diese 13 Kapitel sind erst 250 Seiten von einem Abkommen, das einmal viele Tausend haben wird. Bedenklich ist: In den Teilen zu Telekommunikation zum Beispiel wird von nicht zulässigen Handelshemmnissen gesprochen—darunter fallen klar die Netzneutralität und der europäische Datenschutz. Es wurde außerdem behauptet, dass es keinen Regulierungsrat geben würde, aber jetzt steht er in jedem Kapitel drin. Dieser Rat soll TTIP ständig erweitern—besetzt wäre er unter anderem mit Lobby-Vertretern, ohne demokratische Kontrolle. Auch Schiedsgerichte sind vorgesehen: Unternehmen können einen Staat verklagen, wenn er ein Geschäftsmodell hemmt, zum Beispiel durch nationale Gesetze. Wir wissen aus der Erfahrung mit NAFTA, dass das auch gemacht wird.Einige Politiker rudern jetzt zurück. Kommt TTIP trotzdem?
Die Bevölkerung ist so negativ eingestellt wie nie. Die Regierung wird alles tun, damit TTIP noch kommt—nur dürfte das schwer werden. Wir sollten aber nicht vergessen: Es gibt noch CETA, das Freihandelsabkommen mit Kanada, und TiSA, das Abkommen mit den USA zum Handel mit Dienstleistungen. Es könnte sein, dass jetzt alle über TTIP reden—und die gleichen Dinge dort durchgesetzt werden.