Kiss FM und der „Nazi-Rapper“—Ein Radiosender taucht ab

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Kommentar

Kiss FM und der „Nazi-Rapper“—Ein Radiosender taucht ab

Nach der Shitstorm-Sendung mit dem Neonazi Makss Damage legte Kiss FM gestern mit einer Fortsetzung nach. Ohne irgendetwas besser zu machen, wie unser Autor findet.

Foto: Screenshot von YouTube

So langsam dürfte jeder seinen Senf dazugegeben haben. Bis auf Kiss FM. Von VICE​ und Süddeutsche über ZEIT und TAZ bis zur BILD-Zeitung, inzwischen weiß so ziemlich jeder, wer Makss Damage ist und wie naiv es ist, wenn Moderatoren denken, es reicht, irgendwie jung, stylish angezogen und flippig zu sein, um einem überzeugten und ideologisch gefestigten Neonazi die Stirn zu bieten. Wobei nach wie vor die Frage bleibt, ob sie das überhaupt vorhatten. Ansätze waren schließlich nicht zu erkennen. Ob das Lob für seine Aussagen, mit jedem reden zu wollen (O-Ton der Moderatorin: „Das find ich gut. Ich habe sogar Freunde, die das nicht machen würden.") oder das gehorsame Erfüllen der paradoxen Forderung des „Nazi-Rappers", den Autor Shahak Shapira bitte doch nicht live dazu zu schalten—kaum ein Fehler, der hier nicht begangen wurde. Konsequenzen bisher: keine.

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Lediglich ein halbgares Statement​, in dem Kiss FM unter anderem mitteilte: „Uns als multikultureller und integrativer Jugendradiosender der Hauptstadt ist es sehr wichtig, harte & emotional aufreibende Themen nicht auszulassen, zu verfluchen oder auch zu ignorieren [ … ] In der Sendung am letzten Sonntag haben wir neben besagtem Rapper auch den jüdischen Schriftsteller Shahak Shapira und den Imam Dr. Ali Özgür Özdil im Gespräch." Verharmlosender geht es kaum. Wenn man es genau nimmt, steht dort im Endeffekt „Faschismus ist ein hartes und emotional aufreibendes Thema und außerdem war auch ein Jude da."  Dann laden wir doch in Zukunft einfach einen Vergewaltiger oder Mörder ein. Und als Ausgleich auch noch ein Vergewaltigungsopfer oder den Sohn des Toten. Jetzt habt euch mal nicht so. Die Sendung wurde von Kiss FM mittlerweile vom Netz genommen, auf rechten Seiten wird das Interview jedoch folgerichtig immer noch gehört und gefeiert.

Man durfte also gespannt sein, auf den gestern ausgestrahlten zweiten Teil der Sendung mit dem Titel „Deutschland, dein Land?". In der letzten Woche wurde unter anderem die angeblich subversive Frage nach dem „Stolz der Deutschen" erörtert. Wie unsinnig eine solche Diskussion über angebliche Denk- und Sprechverbote in Zeiten eines Sarrazins in den Bestsellerlisten, des grölenden Mobs auf den Straßen und einer unverhohlen rassistischen Partei in den Parlamenten ist, wurde an anderer Stelle bereits ausführlich erklärt​. Makss Damage hat die Aufmerksamkeit unterdessen genutzt, um erneut zu beweisen, dass man mit Typen wie ihm keinen Dialog suchen darf. Auf seiner Facebook-Seite bot er Shapira mittlerweile an, ihm monatlich 1€ zu spenden, für jeden Vorfahren, der während der NS-Zeit als Lampenschirm geendet ist. Diese Aussage und alles was danach geschah​, stellt die Frage nach der Strafbarkeit solcher Statements und zeigt erneut, wen man sich da ins Boot beziehungsweise ins Radio geholt hat.

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Ironischerweise lautet das Motto einer Programmaktion des Senders dieser Tage „Vergeben! Vergessen! Bezahlt!". Womit wir unter anderem bei der immer noch ungeklärten Frage wären, ob Kiss FM den Rapper für das Interview auch noch bezahlt hat. Laut eigener Aussage ist das nämlich Voraussetzung für ein Gespräch mit der „Lügenpresse". Auch auf die Frage, wieso Shahak Shapira nicht zugeschaltet wurde, gab es bisher keine Antwort. Sender, Moderatoren und Redaktion scheinen, getreu dem eigenen Slogan, auf das Prinzip „Vergeben und Vergessen" zu setzen, der Shitstorm wird schon vorübergehen, die Empörung wird sich legen. Wegducken und abwarten.

Die gestrige Show verlief nach genau diesem Muster. Eingeladen wurden ein Aktivist von „Kein Bock auf Nazis", Anna Groß vom Label „Springstoff", Herr Nagel vom „Regionalen Beratungsteam gegen Rechtsextremismus" und Bernd Siggelkow, ein Pastor. Man kroch zu Kreuze, ohne sich jedoch wirklich zu entschuldigen. „Die Woche war wirklich heftig für uns, wahrscheinlich die längste unseres Lebens", heißt es gleich am Anfang. Eben, für die beiden Moderator*innen war es ja auch nicht einfach. Eine Runde Mitleid.

„Bezahlt" wird auch mit ein paar Gästen, die sonst eher keine einstündige Sondersendung zur Verfügung hätten, um zu erläutern, wie rechte Propaganda und die Moderation einer Sendung funktioniert. Sebastian von „Kein Bock auf Nazis" erklärt dem Sender, wie man hätte vorgehen sollen. „Nachhaken, nachfragen, die abstruse Doppelmoral der Propaganda entlarven." Dass man Moderatoren so etwas erklären muss, bringt einen schier zur Verzweiflung. „Nazis stellt man nicht bloß, indem man sie fragt, ob sie auch Pizza und Döner essen". Abschließend stellt er vollkommen richtig fest: „Für all das brauch ich jedoch keinen Neonazi in der Sendung, man kann auch einfach mit Leuten reden, die sich mit Neonazismus beschäftigen, statt so jemandem eine Plattform zu geben." Word! Wäre aber nicht ganz so reißerisch.

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Die anderen Gäste schlagen in etwa in dieselbe Kerbe. Allgemeines Unverständnis, im Studio wird schuldbewusst der Kopf gesenkt. Damit ist das Thema für den Sender dann offenbar abgehakt. In den Kommentaren auf Facebook heißt es an die virtuellen Kritiker gerichtet bereits „Was ändert sich für dich jetzt, weil ein rechter Kretin interviewt wurde? Heulst Du dich jetzt jede Nacht in den Schlaf?" oder „Kommt mal klar. Das Thema ist durch!"

Doch genau das darf nicht geschehen, auch wenn der moderne Scheißesturm sicherlich eine zweifelhafte Art der Problembewältigung darstellt. Es gibt aber Fälle, in denen man sich sicher sein kann, dass rein gar nichts passiert, wenn die Öffentlichkeit nicht dran bleibt. Bei Kiss FM scheint dieses Gefühl mehr als berechtigt, von selber hätte dort niemand Kritik an der Sendung geübt. Wahrscheinlich wäre ihnen nicht mal aufgefallen, was dort gerade passiert ist.

Es ist nicht ungewöhnlich, dass sich Menschen überschätzen, so wie es die beiden Moderator*innen getan haben. Die Frage ist nur, wie man damit umgeht. Kiss FM hat sich zu keiner der gestellten Fragen wirklich geäußert, Presseanfragen bleiben unbeantwortet. Die nächste Sau wird sicherlich bald durchs Dorf getrieben. Kein Wort dazu, wie so etwas passieren konnte, keine wirkliche Aufarbeitung der Geschehnisse, stattdessen eine Sendung, in der der Shitstorm in gesitteter Form erneut wiederholt wird. Das Prinzip ist bekannt aus der (amerikanischen) Politik. Man lässt sich ein wenig an den Pranger stellen, anschließend kehrt man zurück an die alte Wirkungsstätte. Einsichtig und geläutert. Strahlender als zuvor.​

Dabei geht es um ein viel tieferliegendes Problem: Die Akzeptanz von rechten Themen in der Medienlandschaft. Und in der Politik. Und im Alltag. Das Traurige ist, dass ein Großteil der Beteiligten auf Nachfrage jederzeit voller Inbrunst behaupten würde, mit so etwas nichts zu tun zu haben. Der konservative Rechtsruck in den Diskussionen, die Fragen „Warum darf man das nicht?" oder „Was können wir denn heutzutage für die Fehler unserer Vorfahren?" sind alltäglich geworden. Wer sie ausspricht, gilt nicht mehr als Außenseiter. „Facetalk mit Lukas und Toyah" hat da keine Ausnahme gebildet. Eine Sendung, geprägt von einem Diskurs, der immer normaler wird. „Was ist denn eigentlich so schlimm an Nationalismus/Patriotismus?" Diese Frage schien letzte Woche allgegenwärtig. Ein Blick in die Geschichtsbücher sämtlicher Nationen könnte helfen. Dabei stellt Kiss bei weitem keinen Einzelfall dar, wie Rap am Mittwoch-Host Ben Salomo vollkommen richtig feststellte: ​

Die Reaktion der Verantwortlichen hingegen kommt, genau wie die gestrige Sendung, nicht über Floskeln und Allgemeinplätze hinaus. Schade, man hätte die Chance gehabt, auf einem prominenten Sendeplatz eine spannende, inhaltsvolle Diskussion zu führen, mit der man Menschen ausserhalb des Anne Will- und Feuilleton-Spektrums erreicht. Diese Chance wurde erneut verpasst. Der Widerspruch in der Öffentlichkeit auf die Einladung von Makks Damage war, abschließend betrachtet, enorm. Das ist zur Abwechslung mal ein gutes Zeichen, zeigt es doch, dass es immer noch Menschen gibt, die nicht bereit sind, so etwas wortlos hinzunehmen. Oder um es mit Feine Sahne Fischfilet zu sagen: Wir sind „noch nicht komplett im Arsch."

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