Wie der Verfassungsschutz das kurdische Neujahrsfest in Salzburg verhindern wollte
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Salzburg

Wie der Verfassungsschutz das kurdische Neujahrsfest in Salzburg verhindern wollte

"Wenn der Verfassungsschutz im kurdischen Milieu Leute zu irgendwas befragt, zeigen sie als allererstes immer ein Foto von meinem Papa her."

"Natürlich darfst du das so schreiben. Wir wollen ja, dass das öffentlich gemacht wird. Was der Verfassungsschutz am meisten fürchtet, ist mediale Berichterstattung", antwortet mir die 18-jährige Nadile auf meine Frage, ob ich ihre Geschichte denn auch niederschreiben und veröffentlichen dürfte.

Gemeinsam mit Nadile sitze ich in einem Salzburger Altstadtcafé. Es ist ein Dienstagabend im April. Wir warten auf Salih, Nadiles Vater. Mit ihm habe ich ein Treffen vereinbart, um mehr über die Geschichte zu erfahren, dass das Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT) angeblich ihr kurdisches Neujahrsfest n Salzburg verhindern wollte.

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Nadile und Salih arbeiten beide ehrenamtlich für das Demokratische Gesellschaftszentrum der KurdInnen in Salzburg. Der Name trügt aber – ein tatsächliches Zentrum gibt es noch nicht. "Wir suchen noch nach einem Raum, der unseren Anforderungen entspricht. Das ist gar nicht so einfach", erzählt Salih, als er schließlich zu uns stößt.

Nadile uns Salih sind Kurden. Für die beiden ist das mehr als eine ethnische Zuschreibung. Kurde zu sein, das bedeutet für Vater und Tochter auch, sich für die Rechte des kurdischen Volks stark zu machen – egal ob in der Türkei, aus der die Familie eigentlich stammt, oder in Salzburg, wo sie seit etwa 10 Jahren leben.

In der Türkei war Salih Mitglied der pro-kurdischen Partei HDP. Wegen seines politischen Engagements landete er immer wieder im Gefängnis, bis er vor mehr als 10 Jahren beschloss, die Türkei zu verlassen. Jetzt organisiert er gemeinsam mit Nadile in Salzburg Demonstrationen gegen Erdoğan und Solidaritätsveranstaltungen für die kurdischen Kämpferinnen und Kämpfer, die im nordsyrischen Rojava gegen die IS-Terroristen vorgehen.


Unser Video über den Kampf in Rojava:


Doch nicht nur im politischen, sondern auch im kulturellen Bereich engagieren sich die beiden. Und so sollte das kurdische Neujahrsfest, auch Newroz-Fest genannt, Ende März heuer zum ersten Mal im Kulturzentrum ARGEkultur stattfinden. Geplant war eine öffentliche Feier – ein Zeichen nach außen, ein Signal an die Community, aber auch darüber hinaus. Dass eine solche kurdische Kulturveranstaltung nicht ganz ohne Politik auskommt, war dabei allen Beteiligten von Beginn an klar.

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"Das Newroz-Fest in der ARGEkultur sollte eine richtige Multi-Kulti-Veranstaltung werden. Ein Frühlingsfest, das wir mit vielen anderen Völkern gemeinsam feiern", erzählt Nadile. Dennoch habe man auch Redebeiträge von zum Beispiel den Grünen, der KPÖ und einer Abgeordneten der HDP geplant.

Das Konzept für die Veranstaltung haben Nadile und Salih bereits vor einem Dreivierteljahr bei der ARGEkultur eingereicht. Dort hat man die Veranstaltung geprüft und schließlich zugesagt. Das Fest wurde außerdem sowohl von der ARGEkultur als auch von Nadile bei der Landespolizeidirektion Salzburg offiziell angemeldet – das es in irgendeiner Form problematisch wäre, wurde weder der ARGE noch Nadile mitgeteilt. Dennoch schaltete sich vier Tage vor dem Fest der Verfassungsschutz ein.

"Ein Beamter des Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung hat mich am Dienstag vor der Veranstaltung das erste Mal aufgesucht und gefragt, ob wir grundsätzlich bereit wären die Veranstaltung abzusagen, da er befürchte, dass es dabei zu Ausschreitungen kommen könnte", erzählt Markus Grüner-Musil, künstlerischer Leiter der ARGEkultur.

Konkrete Verdachtsmomente auf einen Angriff auf die Veranstaltung gab es allerdings keine, weshalb Markus Grüner-Musil auch nicht bereit war, das Fest abzusagen.

Von Seiten des Verfassungsschutzes soll es aber auch geheißen haben, dass ein "entsprechender Druck von türkischer Seite" bestünde und bei der Veranstaltung zumindest keine politischen Symbole gezeigt werden sollen.

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"Wir glauben, dass der Verfassungsschutz hier mit dem türkischen Konsulat zusammenarbeitet."

Doch nicht nur die ARGEkultur bekam im Vorfeld des kurdischen Frühlingsfestes Besuch vom Verfassungsschutz. Auch an der Wohnungstür von Nadile und Salih läutete der selbe Beamte unangekündigt. "Der Herr S. vom Verfassungsschutz ist ein alter Bekannter. Vor knapp zwei Jahren hat er mich das erste mal kontaktiert und seither versucht er immer wieder psychischen Druck auf uns auszuüben. Zum Beispiel indem er plötzlich an der Tür klopft", erzählt Salih.

Nadile und Salih wundert es nicht, dass der Verfassungsschutz versucht hat, gegen das Nowroz-Fest in der ARGEkultur zu intervenieren. Sie glauben auch den ominösen "Druck von türkischer Seite" deuten zu können: "Wir glauben, dass der Verfassungsschutz hier mit dem türkischen Konsulat zusammenarbeitet. 2015 wurde schon einmal eine unserer Veranstaltungen auf drängen des Konsulats abgesagt", erzählt Nadile.

Ob der Verfassungsschutz hier tatsächlich auf Zuruf des türkischen Konsulats agiert hat, bleibt ungewiss – sowohl unsere Anfrage an das türkische Konsulat, als auch an die Landespolizeidirektion Salzburg bleiben unbeantwortet.

Fest steht jedoch, dass der türkische Konsul durchaus bereit ist, selbst die Initiative gegen Veranstaltungen zu ergreifen, die seiner Meinung nach unangenehm für den türkischen Staat sind. So soll er VICE-Informationen zufolge schon vor drei Jahren gegen eine Armenienveranstaltung in der ARGEkultur protestiert haben.

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In den Überlegungen des Verfassungsschutz eine Rolle gespielt haben könnte jedenfalls eine im Endeffekt tatsächlich Abgesagte Veranstaltung in der Salzburger Walserhalle. Dort sollte nämlich nur wenige Tage vor dem kurdischen Neujahrsfest in der ARGEkultur ein türkisches Konzert stattfinden, das mutmaßlich von Sympathisanten der faschistischen "Grauen Wölfe" organisiert wurde. Dass es aus Frust über die Absage der Veranstaltung zu Angriffen von Seiten der "Grauen Wölfe" auf die kurdische Veranstaltung in der ARGEkultur hätte kommen können, ist wohl nicht weit hergeholt.

"Wenn der Verfassungsschutz im kurdischen Milieu Leute zu irgendwas befragt, zeigen sie als allererstes immer ein Foto von meinem Papa her."

Für Salih und Nadile stellt die Intervention des Verfassungsschutzes dennoch einen weiteren Einschüchterungsversuch gegen sie und ihre politische Arbeit dar. "Wenn der Verfassungsschutz im kurdischen Milieu Leute zu irgendwas befragt, zeigen sie als allererstes immer ein Foto von meinem Papa her und fragen die Leute, ob sie ihn kennen", erzählt Nadile.

Salih ist sich sicher, dass er in Österreich seit Anfang an überwacht wird. Wegen seines politischen Engagements, seiner Sympathien für die PKK, aber auch, weil die AKP gezielt Informationen über bestimmte Personen an die österreichischen Behörden weiter gibt, wie Salih meint. "Da gibt es eine Verbindung zwischen dem Verfassungsschutz, dem türkischen Konsulat und AKP-nahen Vereinen wie dem 'Verein der türkischen Geschäftsmänner', oder dem 'Verein der türkischen Studierenden'", so Salih.

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Wirklich beweisen kann Salih diese Verbindungen freilich nicht. Er verlässt sich auf seinen Instinkt, seine Erfahrung, Indizien und Informationen, die er von anderen Mitgliedern der kurdischen und türkischen Community in Salzburg bekommt. Zum Beispiel von Mansur*, der seit etwa eineinhalb Jahren in einem Salzburger Flüchtlingswohnheim lebt.

Wie schon andere Flüchtlinge auch, soll Mansur direkt im Flüchtlingsheim von Verfassungsschützern aufgesucht worden sein, weil er mit Salih auf Facebook befreundet war. Tatsächlich haben Nadile und Salih dem Mann nach seiner Ankunft in Salzburg geholfen – wie vielen anderen Flüchtlingen auch. Mansur habe aber nichts mit ihrer politischen Arbeit oder dem Demokratischen Gesellschaftszentrum der KurdInnen in Salzburg zu tun. Dennoch versuche der Verfassungsschutz immer wieder Mansur als Informanten anzuheuern.

"Mansur hat mittlerweile richtig Angst. Er will überhaupt keinen Kontakt zur kurdischen Gemeinschaft."

"Mansur hat mittlerweile richtig Angst. Er will überhaupt keinen Kontakt zur kurdischen Gemeinschaft, aus Angst dann dem Verfassungsschutz Bericht erstatten zu müssen", erzählt Nadile. Um Mansurs Situation zu verstehen müsse man auch seine Vorgeschichte kennen, ergänzt Salih: Mansur habe als Jugendlicher in der Türkei für eine kritische Zeitung gearbeitet, sei verhaftet und gefoltert worden.

Nadile uns Salih wollen sich in ihrer Arbeit jedenfalls nicht einschüchtern lassen. "Vielleicht sperren sie meinen Papa auch in Österreich irgendwann ein, weil er für uns Kurdinnen und Kurden kämpft. Wir machen aber trotzdem weiter", sagt Nadile.

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Der Unterstützung von Seiten der ARGEkultur dürfen sich die beiden jedenfalls weiterhin sicher sein – sofern es der Kultureinrichtung möglich ist: "Wir als ARGEkultur haben ja auch ein Selbstverständnis, dass politisches und kulturelles Engagement miteinander verbindet. Das Newroz-Fest war jedenfalls eine tolle, friedliche Veranstaltung", sagt Markus Grüner-Musil.

Was das türkische Konsulat zu Vorwürfen sagt, wissen wir nicht. Unsere Anfrage wurde nach über zwei Wochen und mehrmaliger Nachfrage immer noch nicht beantwortet. Bei der offiziellen Pressestelle der Landespolizeidirektion Salzburg teilt man uns mit, dass eine Beantwortung der von uns gestellten Fragen nicht erfolgen wird. Und auch er Beamte S. selbst ist auf seiner Dienstnummer nicht erreichbar.

Paul auf Twitter: @gewitterland

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*Name von der Redaktion geändert.