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Anonymous greift Saudi-Arabien an, um Hinrichtung von 20-Jährigem zu verhindern

Kann ein Hackerkollektiv den Menschenrechtsverletzungen eines autoritären Staates mit Cyberattacken beikommen?
Ali Mohammed al-Nimr. Foto: Facebook

Ali Mohammed al-Nimr war 16 Jahre alt, als er 2011 im Zuge des Arabischen Frühlings in Saudi-Arabien auf die Straße ging, um gewaltlos für mehr Demokratie in seinem von islamischem Fundamentalismus geprägten Land zu demonstrieren. Dafür will ihn die saudi-arabische Regierung jetzt köpfen und anschließend kreuzigen.

Die weltweit agierenden Hacktivisten von Anonymous möchten das nicht akzeptieren und rufen deshalb seit ein paar Tagen zu Denial of Service-Attacken auf saudi-arabische Regierungswebsites auf. Die Internetpräsenzen des saudischen Justizministeriums und des Auswärtigen Amtes waren Anfang der Woche bereits für mehrere Stunden nicht erreichbar.

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Unter den Hashtags #OpNimr und #FreeNimr hat Anonymous außerdem eine Kampagne für die unverzügliche Freilassung des heute 20-Jährigen initiiert—auf Pastebin dokumentiert und informiert die Gruppe über die Aktion und hat eine Liste zukünftiger Ziele für Cyberattacken veröffentlicht.

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Ebenfalls auf Pastebin veröffentlichte Anonymous eine Art (Droh-)Brief an die saudi-arabische Regierung, zeitgleich mit einem—zugegebenermaßen nicht gerade bedrohlich wirkenden—Droh-Video:

Auf die Ansage von Anonymous, nicht länger tatenlos zusehen zu werden, wie unschuldige Menschen aufgrund unter Folter erpresster Geständnisse hingerichtet werden, hat die saudi-arabische Regierung erwartungsgemäß bisher nicht reagiert. Auch nicht, nachdem das Kollektiv noch ein zweites Video hinterherschoss:

„Grüße an die Bürger dieser Welt. Wir sind Anonymous. Diese Nachricht geht an König Salman bin Abdulaziz al-Saud und die saudi-arabische Regierung. Im letzten Video haben wir die Freilassung von Ali Mohammed al-Nimr gefordert. Es scheint, als hättet ihr unseren Brief und unser Video ignoriert. Wir werden nun auf eure Ignoranz reagieren. 13 Richter haben die Todesstrafe gegen Ali Mohammed al-Nimr bereits bestätigt. Nun muss es nur noch von König Salman bin Abdulaziz al-Saud verkündet werden. Wir können und werden dies nicht zulassen. Das Justizministerium wurde vor ein paar Tagen ,offline' gehackt, und dies erwartet auch andere Websites der Regierung. […]".

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Menschenrechtsgruppen gehen allerdings davon aus, dass Alis Todesurteil noch in dieser Woche nach dem Freitagsgebet vollstreckt werden wird. Ali sitzt bereits seit dem 14. Februar 2012 in Haft, wo ihm laut Eigenaussage unter Folter ein Geständnis abgerungen wurde. Die schier unglaubliche Tat, die er verübt haben soll: Er habe einer kompletten Polizeieinheit Waffen und Uniformen abgenommen.

Neben dieser absurden Anschuldigung wird ihm auch noch zur Last gelegt, er habe anderen Demonstranten erklärt, wie sie erste Hilfe leisten könnten—deutlicher hätte das saudische Königshaus seine Einstellung zu Menschenrechtsverletzungen wohl nicht machen können.

Greetings Saudis. Wir sind Anonymous. Es scheint, als hättet ihr unseren Brief und unser Video ignoriert.

Doch mehr noch als seine Teilnahme an den Protesten des Arabischen Frühlings ist Ali Mohammed al-Nimr wohl seine Familie zum Verhängnis geworden: Alis Onkel, Scheich Nimr Baqr al-Nimr zählt zu den bekanntesten schiitischen Oppositionellen zum sunnitischen Königshaus. Auch er sitzt bereits in Haft und ist zum Tode verurteilt. Nachdem dessen Bruder die Öffentlichkeit über Twitter von der Todesstrafe für den Scheich informiert hatte, landete er ebenfalls hinter Gittern.

[Nicht immer sind Anons so menschenfreundlich: Wirre deutsche Anon-Seite erklärt Heidenau-Randale zu linksradikalem Fake](Es scheint, als hättet ihr unseren Brief und unser Video ignoriert. )

Man kann der Art und Weise, wie Anonymous-Aktivisten öffentlich in Erscheinung treten, sowie der Effektivität von DoS-Attacken zur Verhinderung einer Todesstrafe mit gemischten Gefühlen gegenüberstehen: Fakt ist, dass Anonymous' Twitter-Kampagne sowohl dem Fall von Ali Mohammed al-Nimr als auch der generellen menschenrechtlichen Situation in Saudi-Arabien zu neuer Aufmerksamkeit in den Medien und damit auch der Politik verholfen hat—und das just in den Tagen, nachdem der Saudi-Araber Faisal Bin Hassan Trad zum Vorsitzenden eines Expertengremiums des UN-Menschenrechtrats ernannt wurde.

Während eine Avaaz-Petition zur Freilassung Alis bereits von über einer Million Menschen unterzeichnet wurde, haben sich europäische Spitzenpolitiker in Sachen Ali Mohammed al-Nimr bisher—mit der Ausnahme von Frankreichs Ministerpräsident Francois Hollande und des Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung—vornehm zurückgehalten.