KC Rebell zeigt Solidarität mit pro-kurdischer Partei und das Internet dreht durch

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Staiger vs das Elend der modernen Welt

KC Rebell zeigt Solidarität mit pro-kurdischer Partei und das Internet dreht durch

„Mit Musik hat das alles nichts zu tun, mit der Lebenswirklichkeit türkisch- und kurdischstämmiger Jugendlicher in Deutschland aber eine ganze Menge.“—Marcus Staiger

Wer in den letzten Tagen die Facebook-Seite des Rappers KC Rebell besucht hat, dem wird vielleicht aufgefallen sein, dass es da einen Post gibt, der offensichtlich auf reges Interesse stößt. Über 18.000 Kommentare sprechen eine deutliche Sprache und auch wenn sich der Erfolg deutschsprachiger Rapper schon seit längerer Zeit in Klicks und Comments misst—das ist dann doch außergewöhnlich. Noch außergewöhnlicher ist, was da den Zulauf und die Klicks generiert hat, nämlich ein zunächst eher harmlos anmutendes Bild mit einer Fiedenstaube, dem Foto eines Mannes im Anzug und dem einfachen Satz „Solidarität mit Selahattin Demirtaş. #hdp". Darüber schreibt der Banger noch die Worte: „Du musst "KEIN KURDE" sein um zu erkennen was Unterdrückung bedeutet … Es reicht ein Mensch zu sein !!! Yan mirin yan Azadi … Freiheit für Selahattin Demirtaş und alle Führungspersonen der HDP!" Keine Beleidigungen. Keine martialischen Beschimpfungen. Keine Drohungen. Trotzdem über 18.000 Kommentare. Was ist da los?

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Nun muss man wissen, dass Selahattin Demirtaş der Co-Vorsitzende der prokurdischen HDP ist, was ausgeschrieben Halkların Demokratik Partisi heißt und übersetzt demokratische Partei der Völker bedeutet. Von Seiten der türkischen Regierung wird der HDP unterstellt, eng mit der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK zusammenzuarbeiten und deren Sprachrohr zu sein. Wegen Unterstützung einer demokratischen Vereinigung wurde Selahattin Demirtaş am letzten Freitag dann auch verhaftet und mit ihm weitere Abgeordnete und Führungspersönlichkeiten der HDP, worauf sich der schriftliche Teil von KC Rebells Facebook-Eintrag bezieht. Ko-Vorsitzender ist  Demirtaş übrigens deshalb, weil es in der kurdischen Bewegung, aus der die HDP kommt, üblich ist, alle öffentlichen Posten mit einer Frau und einem Mann zu besetzen, weswegen es in den vornehmlich von Kurden bewohnten Gebieten im Südosten der Türkei auch immer eine Ko-Bürgermeisterin und einen Ko-Bürgermeister gibt, die gleichzeitig und mit den genau gleichen Machtbefugnissen regieren, selbst wenn nach türkischem Recht offiziell nur eine Person gewählt werden kann.

Die Ko-Vorsitzende der HDP ist Figen Yüksekdağ und befindet sich ebenfalls seit letzter Woche in Haft, nachdem die türkische Justiz und der türkische Staat beschlossen hat, nun auch gegen prominente HDP-Vertreterinnen und -Vertreter vorzugehen. Zunächst wurden die beiden Bürgermeister von Diyarkabir, der größten kurdischen Stadt in der Türkei ihres Amtes enthoben und die Stadt unter Zwangsverwaltung gestellt. Am Freitag dann erfolgte der Schlag gegen das Führungspersonal der HDP. Dieser war möglich geworden durch die Aufhebung der Immunität der Abgeordneten, die im Mai dieses Jahres auf Betreiben von Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan durchgesetzt wurde und die der Staatsanwaltschaft jetzt erlaubt, gegen die Parlamentarier zu ermitteln.

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Nun ist der sogenannte Kurden-Konflikt in der Türkei nichts neues. Nachdem sich in den späten 70er Jahren die kurdische Arbeiterpartei gegründet und diese in den 80er Jahren den bewaffneten Kampf gegen den türkischen Staat aufgenommen hat, kam es immer wieder zu bewaffneten Auseinandersetzungen. Die PKK legte Bomben und verübte Anschläge, der türkische Staat reagierte mit militärischer Härte und bekämpfte die Guerilla in den Bergen, wo sich diese zurück gezogen hat. Andererseits wurden in den 90er Jahren auch immer wieder ganze Dörfer zerstört, die im Verdacht standen, mit den Terroristen zusammenzuarbeiten. Aus dieser Zeit stammen dann auch die sehr restriktiven Anti-Terrorgesetze des Landes, von denen die einen sagen, dass diese zu streng sind, während die türkische Regierung diese zum Schutz der nationalen Einheit für notwendig hält. Ein Streit, der augenblicklich auf höchster politischer Ebene geführt wird und im Rahmen der Verhandlungen zwischen der Türkei und der EU um Visa-Erleichterungen zum unüberbrückbaren Hindernis zu werden scheint.

Doch so verhärtet, wie sich die Türkei und vor allem Staatspräsident Erdoğan zurzeit gibt, war die Lage nicht immer. Im Sommer 2011 startete Erdoğan gemeinsam mit dem Vorsitzenden der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei Abdullah Öcalan, der sich seit 1999 in türkischer Gefangenschaft befindet und auf der Gefängnisinsel Imrali im Marmara-Meer einsitzt, einen Friedensprozess, in dessen Verlauf sich die Guerilla aus der Türkei zurückzog und im Frühjahr letzten Jahres ein Friedensabkommen abgeschlossen wurde. Dieses Abkommen wurde Anfang 2015 von Vertretern der türkischen Regierung unter der Leitung der Erdoğan-Partei AKP und einer kurdischen Delegation zu der auch Vertreterinnen und  Vertretern der HDP gehörten, abgeschlossen.  Die sogenannte Dolmabahçe-Erklärung, benannt nach dem gleichnamigen ehemaligen Sultanspalast, in dem sie am 12.02.2015 verlesen wurde, enthielt einen 10-Punkte-Plan zur endgültigen Beilegung des Konflikts. Präsident Erdoğan, der diesen Friedensprozess mit initiiert hatte, distanzierte sich kurze Zeit später von diesem Abkommen und erklärte, er lehne die Dolmabahçe-Erklärung ab.

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Seitdem geht es Schlag auf Schlag. Als im Juni 2015 die HDP bei der Parlamentswahl mit 13,1% die in der Türkei geltende 10%-Hürde überwand und somit den Plan der AKP-Regierung, ein Präsidialsystem mit Recep Tayyip Erdoğan an der Spitze zu errichten, verhinderte, erklärte die AK-Partei, dass sie keine neue Regierung bilden könne. Neuwahlen wurden angesetzt, die im November 2015 stattfanden und nach Meinung von Kritikern, ein Wahlergebnis produzieren sollten, dass dem Staatspräsidenten besser gefalle.

In der Zwichenzeit explodierte allerdings im Juli 2015 in der türksichen Grenzstadt Suruc eine Bombe, die über 30 Menschen in den Tod riss. Obwohl es sich bei den Opfern des Bombenanschlags, zu dem sich der IS bekannte, meist um linksgerichtete Jugendliche handelt, die sich auf dem Weg nach Syrien befanden, um dort in der überwiegend von Kurden bewohnten Region Rojava Aufbauhilfe zu leisten, erklärte die türkische Regierung, dass sie einen solchen Terroranschlag nicht hinnehmen würde und nun auch militärisch gegen den Terror vorgehen würde. Als dann aber einige Tage später zwei türkische Polizisten in einer Racheaktion von einer PKK nahen Gruppierung umgebracht wurden, weil diese angeblich etwas mit dem Bombenanschlag von Suruc zu tun gehabt hätten, wurde schnell klar, dass sich der Krieg gegen den Terror auch und vor allem gegen die PKK richtete. Die türkische Luftwaffe beschoss dann auch nicht nur Stellungen des IS in Syrien, sondern ging vor allem gegen PKK-Stellungen im Norden des Irak vor. Der Friedensprozess wurde nun auch offiziell für beendet erklärt. Der Konflikt, von dem man jahrelang dachte, er könnte friedlich beigelegt werden, war wieder voll entflammt und breitete sich nun auch auf die vornehmlich von Kurden bewohnten Großstädte im Süden der Türkei aus.

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Mehrere Gmeinden erklärten in diesem Zusammenhang ihre Autonomie und dass der türkische Staat in ihrem Einflussbereich nichts mehr zu sagen habe. Eine Provokation, die von der Staatsmacht mit militärischer Härte beantwortet wurde. Es gab tage- und wochenlange Ausgangssperren. Jugendliche der PKK-nahen Miliz YDG-H lieferten sich schwere Gefechte mit dem türkischen Militär. Zahlreiche Zivilisten und Sicherheitskräfte starben.

Als dann am ersten November 2015 neuerlich gewählt wurde und die HDP immer noch mit 10,8% Prozentpunkten im parlament vertreten war und die AKP somit immer noch nicht zu ihrer zwei-Drittel Mehrheit kam, um den Plan ihres Vorsitzenden umzusetzen und das Präsidialsystem einzuführen, eskalierte die Lage endgültig.

Die kurdischen Städte Cizre, Nussaybin, Van, Şırnak, Silopi sowie der Altstadtbereich Sur von Diyarbakir hielten an ihren Autonomieerklärungen fest und wurden in Folge von türkischen Spezialeinheiten in Zusammenarbeit mit dem Militär belagert. Panzer fuhren auf. Gebäude wurden mit schweren Geschützen beschossen. In Cizre verbrannten Anfang des Jahres über 70 Menschen in einem Keller, der Altstadtbereich von Sur wurde dem Erdboden gleichgemacht, über Hunderttausend Menschen wurden vertrieben, zahlreiche Menschen flohen zu ihren Familien in andere Städte und im Gegenzug dazu intensivierte die PKK ihre Angriffe und lieferte sich Gefechte mit den türkischen Sicherheitskräften. Das alles geschah fast unbemerkt von der europäischen Union, die aufgrund des mit der Türkei geschlossenen Flüchtlingsabkommens nur sehr zaghaft intervenierte und in den deutschen Medien konnte man zu dieser Zeit kaum etwas darüber lesen. Diese beschäftigten sich lieber mit dem Spottgedicht von Jan Böhmermann und dem hohen Gut der Pressefreiheit, das sie durch die Intervention von Präsident Erdoğan in Gefahr sahen.

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In der türkischen und kurdischen Gemeinde von Deutschland allerdings rumorte es. Alte Feindschaften wurden wieder ausgegraben und Leute, die ansonsten ganz gut miteinander auskamen, weil sie in Deutschland ohnehin alle gleichermaßen als „Schwarzköpfe" und „Kanacken" abgestempelt werden, gerieten in Streit, beschimpften sich auf Facebook und standen sich auf Demonstrationen plötzlich als Feinde gegenüber. Dabei beschwerten sich vor allem die türkischstämmigen Deutschländer über die vermeintliche Ungleichbehandlung gegenüber ihrem Land und dem fehlenden Respekt der deutschen Öffentlichkeit gegenüber ihrem Präsidenten.

Auch wenn der Kurdenkonflikt in der deutschen Presselandschaft nur eine sehr untergeordnete Rolle spielte, das harte Vorgehen gegen unliebsame Gegner und das sultanhafte Gebaren von Recep Tayyip Erdoğan steht ja schon seit längerem in der Kritik deutscher Journalisten. Dies änderte sich auch nicht, nachdem gescheiterten Putschversuch vom Juli 2016, sehr zum Unverständnis der türkischstämmigen Jugendlichen in diesem Land. Diese konnten nicht verstehen, dass der Türkei nicht dieselbe Art von Solidarität entgegengebracht wurde, wie etwa Frankreich oder Belgien, nach den Anschlägen von Paris und Brüssel. Sie konnten nicht verstehen, dass der Ausnahmezustand, der nach dem Putschversuch verhängt wurde, von der EU und der deutschen Öffentlichkeit kritisiert wird, wo doch Frankreich nach den Attentaten von Paris ebenfalls einen Ausnahmezustand verhängt hat, in dessen Folge zahlreiche Menschen willkürlich verhaftet wurden.

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Diese Ungleichbehandlung, der verletzte Stolz und die verletzte Ehre erklären vielleicht die übertriebenen Reaktion auf den Post von KC Rebell, der im Grunde nichts anderes gefordert hat, als dass die demokratischen Rechte von gewählten Volksvertretern geachtet werden. Da sich der türkische Staat und mit ihm auch zahlreiche nationalistisch gesinnte Kräfte von dunklen Mächten bedroht fühlen, gelten diese demokratischen Grundrechte nur noch in eine Richtung. Aufgrund der Tatsache, dass die AKP-Regierung mit fast 50% gewählt wurde, leiten ihre Anhänger daraus das Recht auf ein hartes Durchregieren ab, ohne Rücksicht auf Minderheiten. Zunächst traf es die Anhänger der islamistischen Gülen-Bewegung, die für den Putschversuch vom Juli verantwortlich gemacht wurden, mit der Staatspräsident Erdoğan pikanterweise allerdings noch bis 2011 eng verbunden war—nun trifft es die Abgeordneten der HDP.

Mit Musik hat das alles nichts zu tun, mit der Lebenswirklichkeit türksich- und kurdischstämmiger Jugendlicher in Deutschland aber eine ganze Menge. Da sich viele dieser Jugendlichen der politischen Meinung ihrer Eltern verpflichtet fühlen, übernehmen sie ganz einfach deren Einstellung, die noch vom Bürgerkrieg der 90er Jahre geprägt ist.

Die meist geschriebenen Kommentare auf der Seite von KC Rebell zeigen dann auch, wie verhärtet die Fronten sind. Zum einen fühlen sich in Deutschland geborene junge Menschen dazu aufgerufen, das von Atatürk eingeführte türkische Glaubensbekenntnis zu posten, wenn sie schreiben: „Ne mutlu Türküm diyene", was so viel bedeutet wie: „Glücklich derjenige, der sich als Türke bezeichnet."  Zum anderen betont die Gegenseite ihre Verbundenheit zum großen Vorsitzenden der PKK, wenn sie in ständiger Wiederholung „Biji, Biji Serok Apo" schreiben, was so viel bedeutet wie „Es lebe der Anführer Abdullah Öcalan", der von seinen Anhängerinnen und Anhängern Apo genannt wird.

Dass beide Seiten aufgrund ihrer gesonderten Stellung hier in Westeuropa im Grunde sogar bessere Chancen auf eine Aussöhnung hätten, da sie zumeist nicht unmittelbar von den Auseinandersetzungen betroffen sind, wird dabei gerne übersehen. Stattdessen werden die alten und vererbten Konflikte fortgeführt. Dabei sieht selbst die PKK-Führung und auch Abdullah Öcalan ein, dass der Konflikt militärisch nicht zu gewinnen ist—für keine der beiden Seiten. Dafür ist die Guerilla auf der einen Seite zu stark und zum anderen die Türkei als eine der größten NATO-Armeen zu mächtig. Die Lösung des Konflikt kann also nur im Politischen liegen, was allerdings zunehmend schwieriger wird, wenn die türkische Staatsmacht jedwede politische Opposition unterdrückt.

Verständlich ist das alles nicht, aber ihr habt zumindest einen Überblick, um was es bei der ganzen Sache rund um KCs Post überhaupt geht. Folge Noisey auf Facebook, Twitter und Instagram.