Körperpolitik: Beyoncé, Teyana Taylor und die Befreiung schwarzer Frauen durch Tanz

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Körperpolitik: Beyoncé, Teyana Taylor und die Befreiung schwarzer Frauen durch Tanz

Für schwarze Frauen wird Tanz zu einem Ort, an dem Schranken aufgebrochen werden können.

Erst im Sommer 2015 ernannte das American Ballet Theatre die Tänzerin Misty Copeland zur ersten schwarzen Primaballerina in der 75-jährigen Geschichte der renommierten Ballettkompanie. In ihrem Interview mit TIME sagte Copeland: „Es ist wichtig für mich, ein Vorbild für ein gesundes Image einer Ballerina zu sein. Dass sie keine weiße Frau sein muss, die extrem dünn ist; dass sie aussehen kann wie jede andere." Afroamerikanische Frauen und Mädchen bekommen nicht viele Möglichkeiten, sich im großen Maßstab in Tanzstilen repräsentiert zu sehen, denen sie nicht vor vornherein zugeschrieben werden—afrikanische Tänze, HipHop oder Dancehall zum Beispiel. In einer frühen Staffel der Reality Show Dance Moms bekam die damals 10-jährige Tänzerin Nia Frazer aufgetragen, einen „ethnischen Tanz" vorzuführen. Ihre Tanzlehrerin Abby Lee Miller begründete das damit, dass „das die Sorte Rolle ist, für die sie später vortanzen wird."

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Copelands Beförderung ist mehr als ein Karrierehöhepunkt. Ihre Errungenschaften sind bis in unsere Gemeinschaft zu spüren und verändern grundlegend, wie schwarze Frauen und Mädchen ihre Rolle in der Welt des Tanzes sehen. Ihr Erfolg war bezeichnend und bildete den Auftakt für eine ganze Reihe schwarzer Frauen in den Medien, die mithilfe von Tanz ihren Raum wieder für sich einforderten und ihre Sexualität neu konzeptualisierten.

Die beiden visuell beeindruckenden Videos zum Album A Seat at the Table, „Cranes in the Sky" und „Don't Touch My Hair", zeigen in ihren Choreographien eine unbeschwerte schwarze Frau. Solanges fließende Bewegungen unterstreichen die selbsterarbeitete Freiheit, die auch das zentrale Thema des Albums darstellt. Tanz ist hier nicht bloß Freizeitbeschäftigung oder Unterhaltung. Er funktioniert hier als visuell-metaphorische Verlängerung der eigenen Sehnsüchte. „Tanz hat mir eine Stimme gegeben", sagt die Choreographin und multidisziplinäre Künstlerin Esie Mensah, die bereits für Janelle Monáe und Flo Rida gearbeitet hat und vor Kurzem auch eine Rolle in der TV-Umsetzung der Rocky Horror Picture Show hatte. „Tanz hat mir auf wundervolle Art meine Stimme gegeben, um herauszufinden, wer ich bin und was mein Zweck auf dieser Erde ist." Sowohl wörtlich als auch im übertragenen Sinn war Tanz für diese Frauen befreiend—für Mensah gar ein Katalysator der Selbstfindung. Nachdem sie ein Solo aufgeführt hatte, für das sie mit dem Rücken zum Publikum ihren BH ausziehen musste, sagte sie: „Ich hatte keine Ahnung, wie befreiend es sein würde, diese eine Sache abzulegen, die mich so schüchtern und unsicher machte. Daran zu arbeiten, es zu proben und schließlich aufzuführen … Ich war unfassbar überrascht über die Reaktionen, die ich bekam; wie sehr meine Performance die Menschen bewegt hat … Ich begann meine ‚Fraulichkeit' zu finden, ich begann zu entwickeln, wer ich als Frau war, und ich begann zu verstehen, wer ich war, was mein Körper sagte [und] was ich von Herzen tue."

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Ein anderes Projekt bietet aktuell Einblicke in die Frauenrollen in der Dancehall-Szene. Beim diesjährigen Toronto International Film Festival (TIFF) räumte Nick Cannons Film King of the Dancehall mit der passiven Rolle von Frauen im Dancehall auf. Der Film zeigt sowohl die Sinnlichkeit schwarzer Frauenkörper, betont aber gleichzeitig auch die wichtige Rolle weiblicher Tanz-Crews. Die Hauptdarstellerin des Films, Kimberly Patterson, die Tarzans (Cannon) angebetete Maya spielt, schrieb mir in einer E-Mail, dass der Film sogar noch mehr Klischees über Dancehall infrage stellt. „Wie man in dem Film sehen kann, gehört zu den Stigmata, dass [Dancehall-Dancing] lediglich auf Geschlechtsverkehr abzielt. Das stimmt einfach nicht. Jamaikaner sehen es als Möglichkeit, sich selbst auszudrücken, aus der Masse herauszustechen und Spaß zu haben. Sobald die Party vorbei ist, war's das. Alles bleibt auf der Tanzfläche … [Ein weiteres] Vorurteil ist, dass Dancehall schlüpfrig und vulgär ist. Frauen im Dancehallbereich schätzen die Möglichkeit ungemein, die Freiheiten, die sie dort haben, auszukosten. Im Dancehall findet man Kreativität in Hochform."

Sie spricht auch über die Sorte Frau, die gerne in der gängigen Dancehall-Narrative übersehen wird: „Meine Rolle [als Maya] zeigt, dass selbst der zurückhaltendste Mensch an Dancehall teilhaben kann, ohne dass das in irgendeiner Weise sexualisiert werden muss. Es zeigt auch, dass es unterschiedliche Tanzformen im Dancehall-Setting gibt—von den anzüglichen Bewegungen zwischen Mann und Frau, bis hin zu den krassen Moves, die im Battle-Kontext bei den Dance-Crews zu sehen sind."

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Für schwarze Frauen entwickelt sich Tanz zu einer Form der Befreiung und des Ausdrucks, wie er gleichermaßen zu einem Schauplatz wird, an dem Schranken eingerissen werden können. „Es wäre großartig, mehr schwarze Tänzerinnen als Vortänzerinnen in großen Shows, Rollen und so weiter zu sehen. Da gibt es definitiv Nachholbedarf", sagt Tré Armstrong, Choreographin, Schauspielerin und Moderatorin der kanadischen Ausgabe von So You Think You Can Dance. Als schwarze Frau definiert Armstrong Tanz als eine Form der „stimmlosen Gedankenfreiheit durch Bewegung. Es ist eine Möglichkeit, unsere Interpretation ALLER Tanzarten durch eine einzigartige kulturelle Perspektive zu illustrieren. Viele Menschen wissen zum Beispiel nicht, dass der Jazz-Tanz in Afrika noch vor der Sklaverei entstand. Sobald er im konventionellen Nordamerika ankam, wurde er umdefiniert." Vielleicht werden wir in Zukunft mehr Visuals sehen, die Armstrongs Aussage widerspiegeln—so wie in Kanyes Video zu „Fade" zum Beispiel. Darin sehen wir Teyana Taylor, die sich dank der kreativen Anleitung durch die Dancehall-Choreographen Jae Blaze, Derek „Fonzworth Bentley" Watkins und Guapo mit Elementen des Jazz, Dancehall und New- und Oldschool HipHop einfach umwerfend durchs Bild bewegt. Kein Wunder, dass Taylor im Sommer so sehr im Zentrum der Aufmerksamkeit stand.

Ein weiteres spektakuläres Projekt dieses Jahr war Beyoncés visuelles Album Lemonade. Unter den vielen Themen, die darauf behandelt werden, ist Heilung der zentrale Aspekt, der ihr dabei hilft, wieder Vertrauen zu ihrem Partner aufzubauen. In diversen Kurzfilmabschnitten des Albums bezieht sich die Künstlerin auf die Yoruba-Wurzeln der afrikanischen Diaspora. Sie demonstriert damit die Macht und die Kraft , die sie aus den Frauen zieht, die ihr vorausgegangen waren—dargestellt durch Tanz. „Wenn man es zu der Zeit unserer Vorfahren zurückverfolgt, dann war es damals eine Form des Entertainments, der Kommunikation und spirituellen Bindung", sagt Patterson. Die Choreographie definiert Tanz für schwarze Frauen in der Hinsicht neu, als dass er eine allumfassende Erfahrung und transformativ bei der Suche des wahren Selbst ist. „Als ich klein war, war ich unglaublich schüchtern. Beim Tanzen nehme ich überhaupt nicht wahr, was um mich herum geschieht … Ich bin einfach ich selbst", sagt Tearrah Beals, ein Captain der Toronto Argonauts Cheerleader.

Natürlich könnte man Tanz bei schwarzen Frauen auch einfach als Hobby abtun. Durch seine Fähigkeit, den Körper zu befreien und die Seele zu festigen, wird er aber zu mehr: Tanz stiftet Identität, er wird ein Mittel zur Neuerfindung. Und viel mehr noch—gerade heute: Tanz wird ein Mittel zum Überleben.

Illustration von Xack Leard

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