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Gerichtsprozess wegen Missbrauchsvorwürfen gegen deutschen HIV-Arzt vorerst abgesagt

Vor vier Jahren erhob die Staatsanwaltschaft Anklage in fünf Fällen gegen den Mediziner. Nun sind aufgrund der Corona-Pandemie alle Verhandlungstermine abgesagt.
Dem Arzt wird sexueller Missbrauch unter Ausnutzung eines Beratungs- oder Behandlungsverhältnisses vorgeworfen
Symbolische Darstellung einer Behandlungssituation zwischen Arzt und Patient | Illustration: Russlan

Anfang April hätte der Strafprozess gegen einen weltweit anerkannten HIV-Spezialisten aus Berlin beginnen sollen. Ihm wird vorgeworfen, in fünf Fällen Personen mutmaßlich missbraucht zu haben, die in den betreffenden Zeiträumen Patienten von ihm waren. Nun teilte das Gericht auf Anfrage von VICE und BuzzFeed News Deutschland mit, dass alle elf geplanten Verhandlungstermine aufgrund der Corona-Pandemie abgesagt sind.

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Seit dem 20. April arbeitet das Amtsgericht Tiergarten, wo der Prozess hätte stattfinden sollen, zwar offiziell wieder im Regelbetrieb, man sei aber von einem normalen Betrieb noch weit entfernt, heißt es in einer Pressemitteilung. Der zuständige Richter für das Verfahren gegen den HIV-Spezialisten arbeitete zuletzt nur einen Tag in der Woche, teilte eine Pressesprecherin am Telefon in der vergangenen Woche mit. Von den üblicherweise 250 Verhandlungen pro Tag fänden derzeit am Amtsgericht nur 10 bis 15 statt.

Die Anwältin von zwei der Zeugen hat bereits im März die Entscheidung kritisiert, alle Termine abzusagen. Dies könne nicht im Ansatz nachvollzogen werden, sagt sie gegenüber VICE und BuzzFeed News. Die Anklageschrift sei mittlerweile mehr als 4 Jahre alt, in einem der angeklagten Fälle drohe im nächsten Jahr absolute Verjährung. Die Anwältin hatte deshalb beantragt, die bis in den Juni reichenden Termine lediglich teilweise aufzuheben und im Übrigen bestehen zu lassen. Doch dies sei in der derzeitigen Situation nicht möglich, heißt es aus der Pressestelle.

Die Hauptverhandlung war bereits im Jahr 2019 um mehrere Monate verschoben worden. Die Polizei hatte die Ermittlungen im Juli 2014 für beendet erklärt. Das zeigen Unterlagen, die VICE einsehen konnte. Wann die Hauptverhandlung nun stattfinden soll, steht derzeit nicht fest.

Dem weltweit bekannten Arzt wird sexueller Missbrauch unter Ausnutzung eines Beratungs- oder Behandlungsverhältnisses vorgeworfen. Im Spätsommer 2019 hatten VICE und BuzzFeed News Deutschland umfangreiche Vorwürfe solcherart öffentlich gemacht. Der Arzt ging rechtlich gegen die Berichterstattung vor. Ende Oktober entschied die Pressekammer des Landgerichts Berlin im einstweiligen Verfügungsverfahren, dass wir unsere Berichterstattung zu Vorwürfen sexualisierter Gewalt gegen den Arzt nicht weiterverbreiten dürfen. Es handele sich bei dieser um eine unzulässige Verdachtsberichterstattung.

Während der infolge unseres Widerspruchs gegen die einstweilige Verfügung durchgeführten mündlichen Verhandlung Ende Oktober hatte der Vorsitzende Richter bestätigt, dass die von uns veröffentlichten Vorwürfe durch zahlreiche Beweis- und Belegtatsachen gestützt seien und auch das erforderliche öffentliche Berichterstattungsinteresse an den erhobenen Vorwürfen sehe er als gegeben. Auch sei davon auszugehen, dass der Arzt ausreichend Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten habe. Jedoch sei die Berichterstattung vorverurteilend durch die Art, wie sie geschrieben sei.

Weil wir das Urteil des Landgerichts Berlin für falsch halten, haben wir dagegen im November 2019 Berufung eingelegt. Das Berufungsverfahren läuft derzeit. Doch auch das Berliner Kammergericht, das die Berufung verhandelt, arbeitet aufgrund der Corona-Pandemie seit Mitte März im Notbetrieb, nur die notwendigsten Verfahren werden verhandelt. Deshalb scheint sich nun auch unser Verfahren zu verzögern: Einen Termin für eine Verhandlung gibt es nach wie vor nicht. "Der Streit um Presse- und Berichtsfreiheit ist immer dringlich. Wir hoffen sehr auf eine rasche Terminierung", sagt Jan Hegemann von der Berliner Kanzlei Raue, der BuzzFeed News und VICE in dem Verfahren vertritt.

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