Warum die 40-Stunden-Woche abgeschafft werden muss
Illustration von Janinski

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Hackler, Jobber, Karrieristen

Warum die 40-Stunden-Woche abgeschafft werden muss

Warum befindet sich die Arbeitswelt durch die Digitalisierung im ständigen Wandel, die 40-Stunden-Woche aber bleibt fester Bestandteil unserer Vorstellung von Arbeit?

Dieser Artikel wird präsentiert von der Arbeiterkammer Wien und ist unabhängig in der VICE-Redaktion entstanden.


An einem gewissen Punkt in meinem Leben wurde mir bewusst, dass das Uni-Leben der reinste Luxus war: Du hast irgendwann am Nachmittag eine Vorlesung, kannst ziemlich oft aufstehen, wann auch immer du willst, zu den absurdesten Tageszeiten Serienmarathons einlegen oder dich mittwochs so besaufen, dass du am nächsten Tag zu nichts mehr fähig bist. Ist diese wunderbare Zeit aber nach einigen Jahren vorbei, beginnt der gnadenlose Ernst des Lebens – für viele von uns in Form der 40-Stunden-Woche. Willkommen im Hamsterrad.

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Sofern du keine reichen Eltern oder mit 16 eine App erfunden hast, wirst du also bald nach deinem Studienabschluss beginnen, Vollzeit zu arbeiten und 40 Stunden in der Woche an einem oder mehreren Arbeitsplätzen verbringen. Plötzlich bist du in einer Situation, in der du deinen nächsten Billa-Einkauf schon mehrere Tage im Voraus planen musst, den Namen deines Zahnarztes vergessen hast, gar nicht mehr weißt, wann du deine Freunde das letzte Mal gesehen hast, und zu einem dieser Menschen wirst, die spätabends ins Fitnesstudio gehen, um keine lebenslangen Rückenprobleme von ihrer schlechten Haltung zu bekommen.

40 Stunden in der Woche sind ziemlich viel. Das sind viele Stunden, die du mit deinen Kollegen an einem Ort verbringst, dem du deine Seele in Form eines Arbeitsvertrags verkauft hast. Was du genau an diesem Ort leistest, ist natürlich relevant – zumindest für deinen Arbeitgeber, im Idealfall aber auch für dich. Du verkaufst deinem Arbeitgeber aber in erster Linie nicht deine Leistung, sondern deine Zeit. Weil es schon immer so war.


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"Stellen Sie sich vor: Wenn man nach Zeit bezahlt wird und täglich acht Stunden seiner Zeit verkauft, arbeitet man im besten Fall natürlich wirklich acht Stunden. Aber es gibt Menschen, die Dinge schneller erledigt haben und eigentlich gehen könnten, oder andere, die sich an anderen Orten besser konzentrieren können. All das ist ja durch die Digitalisierung möglich und es wird einfach nicht wahrgenommen." Angesichts solcher Szenarien beschäftigt sich die Sozialwissenschaftlerin Ursula Maier-Rabler, von der auch dieses Zitat stammt, im Rahmen ihrer Tätigkeit als stellvertretende Leiterin der Abteilung "Center for Information and Communication Technologies & Society" an der Universität Salzburg mit der Frage, wie angemessen ein solches Vollzeitmodell überhaupt noch ist. Warum befindet sich die Arbeitswelt durch die Digitalisierung im ständigen Wandel, die 40-Stunden-Woche aber bleibt fester Bestandteil unserer Vorstellung von Arbeit?

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Dass Arbeitnehmer in erster Linie nach Stunden bezahlt werden, sei laut der Expertin überhaupt nicht mehr zeitgemäß. Außerdem hält sie die Produktivität in unserem aktuellen Modell für geringer als in einem leistungsorientierten Modell.

"Das Problem ist, dass Strukturen, die über viele Jahrzehnte eingeübt sind, viel langsamer sind als technologischer oder gesellschaftlicher Wandel. Wir leben in einer Umbruchszeit – aber die Technologie ist schon viel weiter fortgeschritten als die begleitenden Strukturen in Arbeit und Bildung es sind. Das merkt ja jeder, dass das nicht mehr zusammenpasst", so Maier-Rabler im Gespräch mit VICE.

"Wir müssen zu einer neuen Definition von Arbeit kommen, damit Arbeit nicht mehr Hauptdefinitionsmerkmal von Menschen ist."

Der Sozialwissenschaftler Jörg Flecker sieht in der 40-Stunden-Woche aber auch Vorteile – sowohl für Arbeitgeber als auch die Arbeitnehmer –, wie er gegenüber VICE erklärt: "Der Arbeitsvertrag beinhaltet heute wie früher die Überlassung der Arbeitskraft für eine Zeit, nämlich die Arbeitszeit. Und während dieses Zeitraums bestimmen andere darüber, was wir zu tun haben. Es ist ja der Vorteil für die Unternehmen, flexibel bestimmen zu können, was jemand wann genau tun soll." Aus Sicht der Arbeitnehmer sei eine Begrenzung der Arbeitszeit deswegen wichtig, weil sie einen Schutz der Beschäftigten bedeutet und das Zusammenleben erleichtert. "Aber 40 Stunden sind bei der heutigen hohen Arbeitsintensität sehr viel – vor allem auf Dauer gesehen und wenn man außerhalb des Berufs auch Interessen und Verpflichtungen hat", so der Sozialwissenschaftler.

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Maier-Rabler plädiert längst für ein Ende der Vollzeiterwerbstätigkeit, vor allem, weil man jetzt auch wisse, dass die Digitalisierung jeden betreffe – sowohl "geistige" Arbeitsplätze, als auch Fabriksarbeiter. Deshalb ist es für die Expertin an der Zeit für ein neues Modell, in dem Maschinen und Roboter immer mehr arbeiten und die Arbeit, die übrig bleibt, auf mehr Menschen verteilt wird – was in weiterer Folge mehr Arbeitsplätze schaffen würde.

"Wir müssen zu einer neuen Definition von Arbeit kommen, damit Arbeit nicht mehr Hauptdefinitionsmerkmal von Menschen ist", so Maier-Rabler. Aktuell sei das nämlich der Fall: Menschen, die möglichst viele Stunden arbeiten, werden von ihrem Umfeld dafür belohnt und als ehrgeizig und erfolgreich angesehen.

"Es ist so, dass jetzt noch viel Erwerbsarbeit in möglichst vielen Stunden als positiv gewertet wird. Wenn ich wen frage, ob er Zeit hat, und er sagt 'Ja', denkt man, dass da ja irgendwas nicht stimmen kann. Aber die, die ein soziales Leben haben, müssen genauso anerkannt werden wie die, die 60 Stunden in der Woche arbeiten."

Diese Form der gelernten Selbstprofilierung gegenüber Kollegen wirkt sich laut Jörg Flecker auch zum Nachteil von Teilzeitbeschäftigten, Menschen mit gesundheitlichen Problemen, Eltern oder Menschen mit pflegebedürftigen Eltern aus.

Aber das könne sich ändern: "In Dänemark beispielsweise geht man auch unter der Woche früher nach Hause als in Österreich – Sitzungen am späteren Nachmittag sind verpönt. Es wäre vorteilhaft, wenn alle mithelfen, die 'Kultur langer Arbeitszeiten' zu brechen, denn diese schließt viele aus dem Arbeitsleben oder zumindest von Karrieren aus."

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Mehr Arbeit bedeutet nicht zwingend bessere Arbeit.

Dass es sich bei Maier-Rablers Ideen derzeit lediglich um Denkmodelle handelt, die sich keineswegs auf alle Branchen umlegen lassen, ist der Wissenschaftlerin klar. Für sie steht jedoch fest, dass sich unser Bild von Arbeit wandeln muss. Damit diese Neudefinition passieren kann, müssen viele gleichzeitig handeln: Die Arbeitgeber, die Sozialpartner, die Politik – nur um ein paar zu nennen. Laut der Expertin müssten auch Schulen einen Beitrag zum Wandel leisten: "Die Schule erzieht uns dazu, nach der Uhr zu arbeiten. Auch da müsste es schon projektbezogen losgehen und vor allem Selbstorganisation wäre wichtig."

Die Tatsache, dass technischer Fortschritt und eine Flexibilisierung der Arbeitszeiten viele Arbeitnehmer auf unterschiedlichste Art und Weise entlasten könnten, wäre also ein Ausgangspunkt für ein neues, besseres Arbeitsmodell. Dieses Modell könnte Arbeitnehmern zu mehr Freiheiten und mehr Fairness und den Arbeitgebern zu motivierteren Mitarbeitern verhelfen. Es könnte laut der Arbeiterkammer Oberösterreich auch dazu beitragen, dass die traditionelle Rollenverteilung zwischen Frauen und Männern und damit die ungerechte Aufteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit aufgebrochen werden kann.

Genau so kann es mit sich bringen, dass wir nicht mehr unsere Zeit, sondern unsere tatsächliche Leistung verkaufen, dass sich Arbeitgeber und auch Arbeitnehmer von dem fixen Gedanken der Orts- und Zeitgebundenheit von beruflicher Leistung lösen und wir alle lernen, dass mehr Arbeit nicht auch zwingend bessere Arbeit bedeuten muss.

Eine neue Definition von Arbeit in Form einer Arbeitszeitverkürzung könne vor allem auch durch "starken Druck der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer" passieren. "Sie müssten verstärkt den Gewerkschaften beitreten, damit sich diese besser durchsetzen können. Und sie müssten auch bereit sein, für dieses Ziel in Form von Streiks zu kämpfen", so Flecker abschließend.

Verena auf Twitter: @verenabgnr

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