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Sex

Wir müssen über Brüste sprechen

Wir haben uns mit den Machern von 'Tits' unterhalten, einer neuen Doku über Frauen und ihre Körper.

Was wäre, wenn Brüste sprechen könnten? OK, du hast dir diese Frage vielleicht noch nicht gestellt, trotzdem versuchen Regisseur Tristan Bell und Produzentin Lily Levin, sie mit ihrer neuen Dokumentation zu beantworten. Tits zeigt Frauen aus der Perspektive ihrer Körper.

Alle Protagonistinnen werden oberkörperfrei interviewt. Die Kamera zeigt sie nur von Knie bis Hals. Was sie erzählen, reicht tiefer als Weiblichkeit – es geht um sexuellen Missbrauch, Erbkrankheiten und Ace Ventura.

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Ich habe mit Lily und Tristan über ihr Projekt gesprochen.


Aus dem VICE-Netzwerk: Schönheit zum halben Preis: Zu Besuch in einer brasilianischen Schönheitsklinik


VICE: Wie ist das Konzept für Tits entstanden?
Tristan: Wir haben das Projekt vor einem Jahr begonnen. Mir war aufgefallen, dass viele Bilder von Körpern, Brüsten – bekleidet oder entblößt – sehr standardisiert sind. Es gibt eigentlich nur eine Art. Ich fand, dass es Zeit war, über Titten zu sprechen.
Lily: Ich habe viel Theater gespielt und war auf der Bühne häufig nackt. Ich habe also überhaupt kein Problem mit Nacktheit. Ich fand die Idee sofort richtig gut – gerade Möpse. Das ist das Erste, woran du als Frau denkst, wenn du dich aufreizender machen willst – oder seriöser. Wenn du große Möpse hast, hast du große Möpse und es gibt nichts, was du dagegen tun kannst. Du wirst sexualisiert und es ist nicht deine Schuld.

Eine eurer Interviewpartnerinnen, Emily, sagt, große Brüste zu haben, gebe manchen Leuten den Eindruck, sie anstarren dürfen. Als Mann ohne Brüste hat das meine Sicht verändert. Gab es Momente, die auch eure Perspektive verändert haben?
Lily: Unsere Gesprächspartnerinnen, die sich wegen Krebs ihre Brüste hatten entfernen lassen müssen, waren zu der Erkenntnis gekommen, dass diese eigentlich nichts sind. Sie haben nichts mit irgendwas zu tun und sind einfach nur zwei Fleischstücke, die vorne an deinem Körper hängen. Gleichzeitig haben wir durch die Interviews aber auch gemerkt, wie sehr diese Frauen von ihren Brüsten geprägt worden sind. Ja, sie sind nichts, aber leider haben wir sie zu einem dermaßen großen Thema gemacht, dass sie nicht nichts sein können. In dieser Gesellschaft ist es ihnen nicht erlaubt, nichts zu sein.

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Wie seid ihr an potenzielle Interviewpartnerinnen herangetreten?
Lily: Die meisten kannten wir schon. Emily kenne ich. Katie, die nur eine Brust hat, ist meine Tante. Ich habe es einfach direkt angesprochen. Wenn wir uns kannten, habe ich einfach gesagt: "Willst du für mein Filmprojekt deine Titten vor der Kamera zeigen?"

Titel und Stil eures Projekts sind darauf angelegt, eine Reaktion zu provozieren. War das ein bewusster Versuch, Begriffe und Perspektiven, die Frauen normalerweise einschränken, umzukehren?
Tristan: Tits, also Titten, finde ich einen sehr interessanten Begriff. Meine Mutter erzählte letztens einem Kunden von dem Film und er sagte: "Oh, das ist aber witzig, dieses Wort zu verwenden – Titten. Das ist doch ein Männerwort." Und sie antwortete: "Ich verstehe, was du meinst, aber es beschreibt den Körperteil einer Frau."
Lily: Ich finde es großartig, dass wir das Wort im Titel verwenden. Es wurde mir auch schon hinterhergerufen, obwohl meine quasi nicht existent sind. Wir fordern das Wort damit nicht nur wieder zurück, sondern Titten ist wahrscheinlich auch die gängigste Bezeichnung für Brüste – zumindest in Großbritannien.

In einer der eindrucksvollsten Geschichten des Projekts spricht deine Tante Katie über den Krebstod ihrer Mutter, während wir sichtbar mit ihrer Krebserkrankung konfrontiert sind. War das die erste Szene, die ihr gedreht habt, und wie hat sie euch persönlich und den Film insgesamt beeinflusst?
Tristan: Es war das zweite Interview, das wir geführt haben, und es war wohl auch das Heftigste. Es war sehr hart, über Brustkrebs zu sprechen. Das alles zu hören, hat mich sehr mitgenommen, weil ich vorher noch nie darüber gesprochen habe. Dabei hat meine Oma eine Doppel-Mastektomie. Es ist eins dieser Dinge, über die du nichts hörst und von denen du nichts siehst,
Lily: Viel von dem, was sie erzählt, habe ich da zum ersten Mal gehört. Mein Vater, ihr Bruder, spricht nämlich nicht darüber. Es war sehr emotional für mich.

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Eine andere, Jess, erzählt davon, wie sie von Jungs im Schulbus festgehalten wurde. Die hatten es sich zu einer Art Mutprobe gemacht, die Brüste von Mädchen zu entblößen. Wie war es, so etwas von einer Bekannten zu hören?
Lily: Jess ist eine sehr gute Freundin von mir und ich war wirklich überrascht, dass sie überhaupt zugesagt hat. Wenn du dir den Rest des Interviews anschaust, erfährst du, dass sie erst in den letzten Jahren ihr Selbstbewusstsein und die Hoheit über ihren eigenen Körper zurückerlangt hat.

Maxi, eine Drag Queen, spricht über Brüste als Objekte, die sie wie Upgrades einsetzt. Alexandra, eine Transfrau, spricht hingegen über die negativen Auswirkungen von Ace Ventura – Ein tierischer Detektiv. Waren euch solche Sachen, also die positiven und negativen Seiten des humoristischen Aspekts, vorher bewusst?
Tristan: Ich finde, dass Humor eine gute Methode ist, um jemanden in eine Diskussion einzuführen. Aber das mit Alexandra, das war wirklich hart. Mir war das vorher nie bewusst gewesen, weil ich selbst nie in dieser Situation war.
Lily: Maxi haben wir gefragt, ob er uns eine Tour durch seine verschiedenen Brüste geben will. Ihm hat die Idee gefallen und es ist am Ende ziemlich lustig geworden. Das ist toll, weil es auch einige Teile seines Interviews gibt, die wir noch nicht gezeigt haben, die sehr traurig und sehr düster sind.
Tristan: Ich denke auch, dass Drag eine interessante Art ist, um Weiblichkeit zu dekodieren.
Lily: Ich glaube, viele Frauen fühlen sich von Drag ermutigt – Männer zu sehen, die Weiblichkeit als Ventil nutzen und solche Kraft daraus schöpfen. Frauen können das aus ihrer eigenen Weiblichkeit heraus nicht erreichen. Tonnenweise Make-up, Perücken, Kleider und solche Sachen haben für eine Frau quasi den gegenteiligen Effekt. Je mehr Schminke du trägst, desto mehr siehst du aus, als würdest du dich sehr um dein Äußeres kümmern. In gewisser Hinsicht verschafft dir das vielleicht mehr Wertschätzung, aber man nimmt dich intellektuell nicht mehr so ernst.

Ihr habt jetzt Fördergelder bekommen, was kommt als Nächstes für Tits?
Tristan: Wir werden eine große Launch Gala veranstalten, damit wir den Film zeigen, Brüste zelebrieren und die Teilnehmerinnen unterstützen können. Wir versuchen, eine Basis für den Film zu schaffen, von der aus wir starten können.
Lily: Erst mal müssen wir den Film fertigstellen!

Mehr Informationen zu 'Tits' findest du hier.

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