"Ich zeige meinen Körper mit Stolz" – Aus dem Leben eines Videogirls
Foto: Alyssa Kachelo

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"Ich zeige meinen Körper mit Stolz" – Aus dem Leben eines Videogirls

In Musikvideos von Rappern räkeln sich regelmäßig Frauen im Bikini. Wie erleben sie die Szene, die als die sexistischste in der Musikwelt gilt?

Alyssa ist ein #babe, wie man heute im Instagram-Sprech sagen würde. Ihre geschwungenen Wimpern, die vollen Lippen und ihre runden Bäckchen lassen sie aussehen wie eine Puppe. Ihre langen schwarzen Haare schlängeln sich bis zur schmalen Taille hinab. Alyssas Körper ist ihr Kapital. Wo die Haare enden, beginnt ein riesiges Schlangen-Tattoo und windet sich bis zu ihrem Knie hinunter. Auf ihrer Brust prangt ein Hanfblatt, auf dem Hals der Schriftzug "Fighter". Alyssa ist kein klassisches Model. Sie ist ein Videogirl.

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Videogirls, amerikanisch "Video Vixen" genannt, kennt man hauptsächlich aus HipHop-Videos. Sie haben oft wenig an und tanzen aufreizend, manchmal stehen sie auch nur sexy im Bild herum. Video Vixen gehören mittlerweile genauso zu Rap-Videos, wie extravaganter Schmuck oder teure Autos. Ein Trend, der zur Jahrtausendwende in den USA entstand und sich von dort seinen Weg in die Musikvideos in Deutschland und dem Rest der Welt bahnte.

Das Videogirl spielt meist eine von zwei Rollen: das sexy Accessoire, mit dem man angibt, oder die ehrenwerte Freundin, die wahlweise beschützt oder gerettet werden muss. Beide Rollen vermitteln den Eindruck, Frauen seien eher passive, unterwürfige Wesen. Dieses Klischee wird immer wieder reproduziert und beschert dem Videogirl bis heute einen schlechten Ruf – ebenso wie dem Gangsta- und Straßenrap selbst. Sexistisch, oberflächlich, dumm: So würden viele sowohl harten Rap beschreiben, aber auch dessen liebstes "Accessoire". Ganz fair ist das nicht.


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Denn leicht bekleidete Frauen tauchen in so gut wie jedem Musikgenre und deren Videos auf. Erfunden wurde das "Sex sells"-Konzept auch weder von Ludacris, noch von Fler. Aber besonders unfair ist: Selbst in der Diskussion um das Videogirl, sprechen alle über, aber nicht mit ihm. Eine eigene Meinung oder Selbst-Reflexion traut den Mädchen wohl kaum jemand zu.

Aber wie erleben diese Frauen die Szene, die als die sexistischste in der Musikwelt gilt? Kann eine Frau, die sich für Rapper in einem Bikini räkelt, Feministin sein? Und wie beeinflusst ein Beruf, in dem sich alles um ihr Aussehen dreht, ihr eigenes Schönheitsideal und Selbstbewusstsein? Wir haben nachgefragt und herausgefunden, dass #babe nur einer von vielen Hashtags ist, der unter die Geschichte eines Video Vixen gesetzt werden sollte. #metoo, #bodypositivity oder #girlpower passen mindestens genauso oft.

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"Schöne Frauen sind ein Statussymbol"

"Schöne Frauen sind ein Statussymbol. Das ist die Gesellschaft, in der wir leben", sagt Alyssa und schiebt sich mit ihrer Gabel ein Stück Steak in den Mund. Ich treffe die 24-Jährige in einem Steakhouse an der Berliner Friedrichstraße kurz vor ihrem Training. Vier mal die Woche treibt Alyssa intensiv Kraftsport. Neben ihrer Karriere als Video-Model und Tänzerin arbeitet sie als Personal Trainerin. "Seien wir doch mal rational: Bei einem Musikvideo geht es vor allem darum, dass es schön ist. Wäre ich Rapper, hätte ich auch zehn nackte Frauen in meinem Video!", sagt sie lachend.

Vor drei Jahren drehte sie ihr erstes Musikvideo, inzwischen sind es über 40. Eines davon ist "Deine Mutter" von SXTN. Als es 2016 rauskam, sorgte das Video für Furore. Denn zwei Frauen machten darin, was bisher vermeintlich nur Männer machten: Mütter ficken, Wohnungsinventar zerstören und eben tanzende, nackte Frauen, die sich ihre Brüste mit Schaum einreiben. "Ich habe diesen ganzen Anti-Feminismus-Vorwurf damals nicht verstanden. Ich kann als Frau auch nackte Frauen in meinem Video haben. Das ist doch Gleichstellung!", meint Alyssa.

Natürlich könnte man jetzt diskutieren, warum es überhaupt notwendig ist, Frauenkörper als Vermarktungstool in Parfüm-Werbungen, auf Auto-Shows oder eben in Musikvideos zu nutzen. Aber darum geht es hier heute nicht und immerhin bezahlt diese uralte Marketing-Strategie auch Alyssas Rechnungen. Und mehr: Sie hat ihr auch berufliche Erfüllung gegeben. Auf die Frage, warum sie einen Beruf ausübt, der so negativ konnotiert ist, antwortet sie: "Ich liebe das einfach! Außerdem werden Frauen in jedem Berufsfeld respektlos oder übergriffig behandelt. Hören die deswegen auf, das zu tun, was sie lieben?"

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Zwischen Selbstbestimmung und Sexismus

Einige tun das tatsächlich. Auch wenn es stimmt, dass Frauen in so gut wie allen Berufsfeldern Ungleichbehandlung, Belästigung oder sogar sexuelle Übergriffe erleben: Einige Branchen sind anfälliger als andere, darunter die Entertainment-Industrie. Spätestens die #metoo-Bewegung hat das bewiesen. "Ich sehe mich gerne in diesen Videos und zeige meinen Körper mit Stolz", sagt Alyssa. "Ich habe hart für ihn gearbeitet, viel Geld für meine Tattoos ausgegeben und ich gucke mir gern die Resultate an. Was ist daran verwerflich?" Sie klingt nicht wütend oder aufgebracht. Eher aufrichtig irritiert. Dann fügt sie einen wichtigen Punkt an. "Außerdem entscheide ich selbst, was ich in dem Video tun oder eben nicht tun will und wie ich dargestellt werden möchte."

In Alyssas Fall ist das: sehr sexy. Knapp bekleidet wirft sie in Videos wie "Jim Beam & Voddi" von AK Ausserkontrolle oder "Riot" von Bass Sultan Hengzt der Kamera lüsterne Blicke zu und twerkt, was das Zeug hält. Manchmal dürfen sie die Rapper auch anfassen. Ob das klargeht, macht sie individuell von der Situation und dem Künstler abhängig. "Ich achte da sehr auf Mimik und Gestik der Männer und entscheide, was bei wem OK ist. Manche Rapper muss ich sogar richtig animieren, ein bisschen aktiver ihre Rolle wahrzunehmen. Die sind total schüchtern." Alyssa ist ein klassisches Videogirl, Typus "sexy Vamp". "Ich sehe das aber nicht als etwas Schlechtes", fügt sie hinzu. "Ich bin eben kein unterwürfiges Mädchen, das gerettet und beschützt werden muss. Ich finde, dieses Frauenbild ist manchmal fast sexistischer als das des sexy, selbstbewussten Luders."

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Für Michelle gibt es eine "sexy"-Grenze. Auch sie ist 24, auch sie hat in zahlreichen Musikvideos mitgespielt und für Ufo361, BRKN oder Genetikk geposed. Nackt oder im Tanga würde sie sich nie zeigen – obwohl auch sie der Ansicht ist, dass viel Haut nicht gleich viel Herabwürdigung bedeuten muss. "Frauen werden natürlich oft nackt gezeigt. Oft werden sie aber auch als wertlose Ex-Freundinnen oder ewige Opfer dargestellt, die alleine Zuhause sitzen und heulen. Würde ich beides nicht machen", sagt Michelle. "In einem Video wollte mir ein Rapper mal eine 'Bitch-Schelle' geben. Eine Bitch-Schelle! Was soll das überhaupt sein? Auf keinen Fall!", erzählt sie und muss lachen. "Das fand ich sexistischer und erniedrigender als jede schöne Pose im Badeanzug – selbst wenn ich dabei einen Rollkragenpullover getragen hätte!"

Nacktheit muss nicht immer sexistisch sein

Zu bewerten, welche klischeehafte Darstellung von Frauen sexistischer ist – Stichwort "Madonna/Hure-Komplex" –, ist eigentlich absurd. Sexismus bleibt Sexismus, egal in welcher Form oder welchem Kontext er auftritt. Aber die beiden haben einen Punkt. Natürlich wird die Rolle der "ehrenwerten" Frau nicht im selben Maße als sexistisch kritisiert, wie die der sexuell freizügigen Frau. Max Herre kann in seinem Video zu "Mit dir" seine Frau Joy Denalane wortwörtlich Wäsche aufhängen lassen, während er damit beschäftigt ist, cool rumzurappen. "Das finden die Leute sogar romantisch", sagt Chehad Abdallah, als wir ihn unweit des Büros der Produktionsfirma EASYdoesit treffen.

Chehad ist freier Videoregisseur und Creative Director, für EASYdoesit drehte er mit unzähligen Frauen Videos für Rapper wie Haftbefehl, Kool Savas oder Frauenarzt. Oft waren auch sie dabei leicht bekleidet – also die Frauen, nicht Haftbefehl oder Frauenarzt. "Ich habe schon von unterschiedlichen Leuten Sexismus-Vorwürfe bekommen und das immer sehr ernst genommen", sagt Chehad. Er könne trotzdem hinter jedem seiner Videos stehen. Sein Bewusstsein dafür, wie Frauen in seinen Videos dargestellt werden, habe sich aber geschärft, egal ob die Vorwürfe nun berechtigt waren, oder nicht. Aber keine Angst! Das heißt nicht, dass der empörte Bild-Leser jetzt auch noch in Rap-Videos auf seine Bikini-Mädels verzichten müsste. "Eine nackte Frau zu zeigen, ist für mich nicht sexistisch. Es kommt darauf an, wie und in welchem Kontext sie dargestellt wird", sagt Chehad.

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Die Videos von Frauenarzt sind prädestiniert, um daran die Darstellung von Frauen in Rapvideos zu diskutieren. Denn Frauen sieht man darin häufig und Sexismus-Vorwürfe sind bei einem Rapper, der sich Frauenarzt nennt, (oft vor-)schnell ausgesprochen. Zum Beispiel sein Video zu "Zieh dein Shirt aus" (das übrigens von Chehad gedreht wurde): Polizisten in Kampfmontur, ein aufgepeitschter Mob, Molotowcocktails und natürlich jede Menge freie Oberkörper, wie es der Songtitel befiehlt. Unter den Demonstranten kämpfen auch Frauen. Eine davon zerreißt sich in einer Szene das Shirt, entblößt ihre Brüste und brüllt den Polizisten entgegen.

Obwohl sie nackter ist als die Videogirls in Sturmmasken, die es in dem Video natürlich auch gibt, hat ihre Nacktheit nichts Sexuelles. Sie ist vielmehr eine Kampfansage. Ein "Komm doch her, wir klären das draußen!", wie man es sonst nur von Männern kennt. "Diese Frau fände ich sehr viel cooler als die, die treu Zuhause sitzt und heult", sagt Chehad.

Auch im Video zu "KKF" von Frauenarzt nutzt Chehad Nacktheit als Stilmittel. Eine der markantesten Szenen zeigt 30 bis 40 Frauen Schulter an Schulter stehend, in mehreren Reihen hintereinander. Alle oben ohne, eine Mauer aus Brüsten, sie werden wortwörtlich zum Objekt. "Es ist so auf die Spitze getrieben, dass Nacktheit, Sex oder Erotik ad absurdum geführt werden. Ich nutze Übertreibung als stilistisches Mittel, um das Ganze zu brechen." Dennoch ist klar: "Wenn ich ein Video für Frauenarzt und Taktloss mache, geht es darin nicht in erster Linie um Frauenpower. Deswegen muss es aber trotzdem nicht sexistisch sein", sagt Chehad.

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Wie sexistisch ist die Realität am Set?

Fair enough. Aber wie sieht die Realität am Set aus? Alyssa hat schon mehrere Videos mit Frauenarzt gedreht, 2016 begleitete sie ihn sogar als Tänzerin bei seiner "Mutterficker-Tour" quer durch die Republik. "Videodrehs, bei denen besonders viele Mädchen sehr wenig anhaben und wild tanzen, mögen sexistisch wirken, waren aber oft genau das Gegenteil", erzählt Alyssa von ihren Erfahrungen am Set. "Ich hatte mit Frauenarzt die angenehmsten Drehs, da er ein intelligenter und respektvoller Mensch ist." Auch Michelle hat ihre Drehs positiv in Erinnerung. Angebote, die ihr schon im Vorhinein komisch vorkamen, lehnte sie stets ab. "Ich hatte immer sehr viel Spaß am Set!"

Horrorgeschichten wie die des amerikanischen Video Vixens Karrine Steffans haben Alyssa und Michelle noch nicht erlebt. In Steffans Bestseller "Confessions of a Video Vixen" erzählt sie von einer permanenten "Komm schon"-Kultur am Set, offenem Tausch von Sex gegen Jobs und emotionalem wie physischem Missbrauch. "Ich hatte bisher noch nie das Gefühl, ausgebeutet zu werden", sagt Alyssa, sie habe auch noch nie "schlimme Übergriffe" am Set erlebt. Aber auch sie lehnte wie Michelle Jobs ab, wenn sie ein ungutes Bauchgefühl hatte. "Aber wenn man das mit der Szene in den USA vergleicht, wo Videomodels teilweise mehrfach vergewaltigt werden, ist das gar nichts."

Das ist natürlich kein Maßstab – einen Übergriff zu verharmlosen, nur weil es irgendwo ein Opfer gibt, das es noch schlimmer getroffen hat. Tatsächlich ist das einer der Gründe, warum so viele Täter niemals Konsequenzen für ihr Handeln tragen müssen. Denn sexuelle Belästigung – auch wenn sie nicht so krass war, wie in den USA – hat Alyssa wie fast jede Frau, mehrfach erlebt. Privat, wie am Arbeitsplatz.

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Sie erzählt von einem langen Dreh. Einige Leute vom Set, inklusive des Rappers, wollten wie so oft noch ein wenig Spaß nach all der Arbeit haben. Alyssa wollte lieber nach Hause. Erstens trinkt sie keinen Alkohol, und zweitens findet sie solche After-Work-Umtrunke unprofessionell. Als der Rapper ihr anbot, sie nach Hause zu fahren, sagte sie also nicht nein. Die Autofahrt war unspektakulär, Smalltalk und Sitzheizung, bis das langweilige Gespräch eine seltsame Richtung nahm. "Plötzlich fragte er mich, wie weit ich denn bereit wäre, zu gehen", erzählt Alyssa. Daraufhin habe sie ganz ruhig gefragt, worauf er hinauswolle. "Er stammelte dann etwas von wegen 'Oh nein, so war das nicht gemeint!' und ich hätte das total falsch verstanden." Es war nicht das einzige Mal, dass Alyssa einem Rapper klar machen musste, was eigentlich keiner expliziten Erklärung bedarf: dass sie nicht, Zitat, "seine scheiß Nutte" ist.

Von betrunkenen Anrufen in der Nacht bis zu obskuren Umgangsformen: Alyssa hat einige Behind-the-Scenes-Geschichten parat, nach denen sich Klatschzeitungen die Finger lecken würden. Einmal begrüßte sie ein Rapper am Set mit den Worten: "Ich lecke voll gern Muschis. Ich liebe Muschilecken!" Alyssa ahmt die tiefe Stimme des Rappers laut nach, wir müssen beide lachen. Die anderen Gäste im Steakhouse drehen sich interessiert zu uns um. "Das waren original die ersten Worte, die er zu mir gesagt hat!", prustet sie zwischen ihren Händen hervor, die sie vor ihr lachendes Gesicht hält. "Später beim Dreh hörte ich einen der Jungs zu seinen Homies sagen: 'Wenn ich anfassen will, dann fass ich auch an!'" Alyssa verdreht die Augen. "Den Zahn hab ich ihm ganz schnell gezogen: 'Versuch das ruhig mal, Alter!'"

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Angefasst wurde Alyssa bei diesem Dreh schlussendlich nicht – zumindest nicht gegen ihren Willen. "Ich habe ein sehr dominantes Auftreten. Deswegen merken Männer meistens, dass sie so etwas mit mir nicht abziehen können", sagt sie. Michelle geht das ähnlich. "Es kam schon vor, dass sich jemand im Video etwas gewünscht hat, was ich nicht machen wollte. Das sagte ich dann immer ganz klar und ließ mich auch nicht unter Druck setzen."

Auch Chehad beschreibt die Videogirls, mit denen er bisher zusammengearbeitet hat (Alyssa gehört auch dazu), als "meistens sehr selbstbestimmte Frauen". Sie wüssten ganz genau, was wie wollen und was nicht. Trotzdem erzählt er uns, dass auch er von Drehs gehört habe, bei denen Grenzen überschritten wurden. "Das sind meist keine professionellen Sets, sondern Videos, die auf 'Homevideo'-Basis gedreht werden", sagt er. Bei einer professionellen Produktionsfirma wie EASYdoesit seien immer viele Videoleute am Set und bestimmten so auch den Vibe beim Dreh. "Aber wenn Drei-Mann-Armeen mit ihren Homies das Sagen haben, kann ich mir vorstellen, dass ein Dreh eklig werden kann."

Dominantes Verhalten von Rappern oder Videogirls hin oder her – auch schüchterne Frauen sollten keine sexuelle Belästigung fürchten müssen, nur weil sie nicht laut genug "nein" sagen können. Denn auch wenn man das wie Alyssa kann, garantiert das offensichtlich nicht, dass man vor Belästigung geschützt ist. Sei es nun verbal oder körperlich. "Aber so ist die Welt nun mal", sagt Alyssa. "Und einige Frauen, die in dem Bereich arbeiten, geben auch alles dafür, diese Strukturen aufrechtzuerhalten."

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"Ich werde meine Pussy nie als Zahlungsmittel einsetzen!"

Was wie Victim Blaming klingt, ist leider auch eine Realität in dem Business. "Natürlich gibt es Frauen, die mit Rappern schlafen, um wieder gebucht zu werden oder einfach, weil sie Groupies sind", sagt Alyssa. Bei dem Thema wird sie wütend, es fallen Sätze wie "Ich krieche niemandem in den Arsch und keine Hand hat was an meinem Arsch verloren!" und "Ich werde meine Pussy nie als Zahlungsmittel einsetzen!". Auf die Frage, was die eine Sache wäre, die sie gerne an ihrem Beruf ändern würde, antwortet sie: "Dass Jobs nicht mehr gegen Sex getauscht werden."

Alyssa ist zurecht wütend. Es sind jedoch die Männer in Machtpositionen, die Frauen überhaupt erst in die Situation bringen, ihre Pussys als Zahlungsmittel einsetzen zu müssen. Frauen, die da mitmachen, begünstigen aber schlimmstenfalls, dass eben diese Männer, die ihr Verhalten für legitim halten – und auch anderen diese miesen Angebote machen.

Auch Chehad sagt: "Wenn du in einem Milieu aufwächst und lebst, in dem dieses Frauenbild immer wieder bestätigt wird – weil du dich nur in Saunaclubs rumtreibst, größtenteils mit Prostituierten oder Groupies Sex hast und alle Frauen, die du kennenlernst, unemanzipiert sind, dann entwickelst du ein Bild von Frauen, das sehr einseitig und zurückgeblieben ist. Es wird schließlich permanent bestätigt. So ein Mann wundert sich dann tatsächlich, wenn eine Frau mal nicht kichert, wenn er ihr in den Arsch kneift."

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Dass Frauen eher den Fehler bei ihren Konkurrentinnen suchen als bei den Männern, ist leider oft der Fall. Viele werden noch immer in dem Gedanken erzogen, dass sie um einen Mann konkurrieren müssen. Ob auf der Arbeit oder im Privaten, zu oft mangelt es an Zusammenhalt unter Frauen. Eigentlich sieht Alyssa das auch so. Vor allem, dass Frauen sich ständig selbst und gegenseitig darüber zerfleischen, wer besser aussieht, findet sie furchtbar.

Zwischen Selbstbewusstsein und Selbstzweifel

Wie Sexismus, ist auch das absurde Schönheitsideal, unter dem vor allem Frauen leiden, kein Problem, das es nur im HipHop gibt. Es ist ein gesellschaftliches Problem. Große Brüste, eine absurd schmale Taille, unter der sich direkt ein riesiger Hintern hervorwölben soll – das klischeehafte Ideal, dem die Frau aktuell im HipHop zu entsprechen hat, ist quasi nur operativ zu erreichen. Alyssa ist eine eher zierliche Frau. Wie sehr hat der Druck, diesem Idealbild zu entsprechen, ihr Selbstbewusstsein beeinflusst? "Ich war sehr unsicher früher", sagt Alyssa. "Ich war immer extrem dünn und habe mich damit unwohl gefühlt. Durch regelmäßigen Kraftsport und richtige Ernährung habe ich mir meine Formen hart antrainiert."

Tatsächlich, sagt Alyssa, fühlt sie sich heute – auch dank ihres Berufs – wohler als je zuvor. "Ich habe sehr viele, sehr schöne Freundinnen mit normalen Berufen und ihnen allen mangelt es an Selbstbewusstsein. Das habe ich auch meinem Job zu verdanken. Weil ich mich aus meiner Komfortzone rausbewegen musste." Ihren Körper – Ergebnis von Disziplin und harter Arbeit – vor der Kamera zu zelebrieren, schenkte Alyssa Selbstbewusstsein. Aber nicht nur das. "Durch meinen Job habe ich gelernt, mit Ablehnung umzugehen und sie nicht als Mangel meiner selbst wahrzunehmen", sagt sie. "Geschmäcker sind so unterschiedlich. Wenn ich jemandem nicht gefalle, ist das OK. Andere Frauen schüchtern mich nicht ein.

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Bei Michelle ist es genau andersum. "Ich habe mich immer stark mit anderen Frauen verglichen. Wenn ich zu einem Casting kam, dachte ich mir meistens, sobald ich den Raum betreten habe, dass ich eigentlich direkt wieder einpacken kann, weil die anderen viel schöner sind als ich." Zwar ist sie stolz auf ihre Videos und freut sich, dass sie später ihren Enkeln mal zeigen kann, was für ein heißer Feger sie früher war. Dennoch meint sie, dass sie ihr Selbstbewusstsein nicht gestärkt haben. Eher im Gegenteil. "Man muss sich selber feiern und cool fühlen, um das machen zu können. Ich guck mir meistens die Videos einmal an und denk mir 'Oh man. Du bist einfach nur peinlich.'" Sie lacht während sie das sagt. Aber sie hat auch deswegen beschlossen, keine Musikvideos mehr zu drehen.

Natürlich sind Videogirls keine Galeonsfiguren der Emanzipation, das ist auch nicht ihre Aufgabe. Aber sie zeigen ein Problem: Frauen sind in vielen Bereichen noch immer unterrepräsentiert. So auch in der Musikbranche und an den Sets von Musikvideos. "Sexismus ist für mich oft nicht das oberste Problem, das mich beschäftigt", sagt Videoregisseur Chehad offen und man kann es ihm nicht zum Vorwurf machen. Es betrifft ihn einfach selbst nicht.

Das ist der Grund, warum es überall mehr Frauen, Ausländer, Andersgläubige – schlicht mehr Diversität – braucht: Repräsentation ist wichtig, denn sie schafft Identifikationspunkte. "If she can see it, she can be it", brachte es die Schauspielerin Geena Davis auf den Punkt (sie hatte Thelma in "Thelma und Louise" gespielt). Außerdem bedeuten mehr Frauen in Machtpositionen auch mehr Sensibilität gegenüber Frauenthemen. Gäbe es mehr Regisseurinnen, Produzentinnen und Kamerafrauen, die die sexy Vamps auf dem Tresen oder weinenden Frauen auf der Couch inszenieren würden, würden alle gewinnen. Denn natürlich sind Frauen schön und sexy. Manchmal weinen sie auch im Rollkragenpullover auf der Couch. Aber eben nicht nur. Manchmal ficken sie eben auch deine Mutter ohne Schwanz und haben eine Menge Spaß dabei.

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