So gehen Streamingdienste in Deutschland mit rechter Musik um
Foto: imago | Michael Trammer

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So gehen Streamingdienste in Deutschland mit rechter Musik um

Spotify will in den USA rechten Hass aus dem Katalog schmeißen. Doch wie sieht das eigentlich bei uns aus? Wir haben bei den vier größten Streamingdiensten nachgefragt.

Es ist viel passiert in diesem Monat, vor allem viel rechte Scheiße. Zum Beispiel gab es einen Aufmarsch von Rechtsextremen in Charlottesville, Virginia, der in einem tödlichen Terroranschlag endete. Und weil Präsident Donald Trump sich nicht deutlich gegen Neonazis und White Supremacists aussprach, sahen sich plötzlich viele Unternehmen in der Pflicht, öffentlich Position zu beziehen. Apple verbannte Neonazi-Seiten von ihrem Online-Bezahldienst Apple Pay. Google entzog einer großen Neonazi-Seite ihre Domain, wodurch diese nicht mehr erreichbar war. Und auch der Streamingdienst Spotify reagierte. Nachdem die Seite Digital Music News eine Liste mit 37 Nazi-Bands im Katalog des Streaming-Dienstes veröffentlicht hatte, kündigten die Schweden prompt an, derartigen Content von ihrer Plattform zu entfernen.

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Doch diese Aussagen bezogen sich auf die USA und die Kataloge der Streaming-Dienste sind in jedem Land unterschiedlich. Das hat auch mit unterschiedlichen Rechtssituationen und Auslegungen zum Thema Meinungsfreiheit zu tun. So dürfen Spotify, Apple Music und andere Streamingdienste beispielsweise in Deutschland keine indizierten Songs zur Verfügung stellen. Auch ein Gutheißen des NS-Regimes ist explizit vom Recht der freien Meinungsäußerung ausgenommen. Darum ist die Ausgangslage hierzulande eine andere als in den USA, wo "Free Speech" ein beinahe uneingeschränktes Recht ist.


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Deshalb tauchen viele Bands, die von Digital Music News gelistet wurden, gar nicht erst im deutschen Angebot der Streamingdienste auf. Andere aber schon. Und das trotz teils offensichtlicher Runensymbolik auf den Albumcovern von Bands wie Kamaedzitca und Songtiteln wie "Jews", die jeden Anbieter wenigstens stutzig machen und eine genauere Überprüfung nach sich ziehen sollten. Pegida und der Aufstieg der AfD zeigen deutlich, dass rechte Ideologien auch in Deutschland immer noch ein relevantes Thema sind. Und ein Blick auf das Neonazi-Festival in Themar zeigt, wie wichtig Musik zur Gemeinschaftsbildung der rechtsextremen Szene ist.

Als private Unternehmen haben Streaming-Dienste das Recht Regeln aufzustellen, nach denen sie frei entscheiden können, ob sie einen Song aufnehmen oder nicht. Hierbei handelt es sich quasi um eine Art Hausrecht. Denn wie ihr bei euch zuhause, dürfen auch Apple, Spotify und die anderen selbst entscheiden, ob jemand auf ihre Party darf. Dabei spielt es auch keine Rolle, ob die Lieder rechtlich gesehen unproblematisch sind: Wenn die Streamingdienste keine Lust auf einen Song, ein Album oder eine Band haben, können sie problemlos ihren inneren Türsteher channeln und sagen: "Du kommst hier nicht rein."

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Wir haben bei den vier größten Streaming-Diensten in Deutschland nachgefragt: Von Spotify, Apple Music, Google Play Music und Deezer wollten wir wissen, ob sie planen, rechten Hass auch aus den deutschen Katalogen zu verbannen, auch wenn dieser nicht explizit gegen Gesetze verstößt. Nach welchen Regeln entscheiden sie, was bei ihnen laufen darf und was nicht? Wer darf Musik zum Angebot hinzuzufügen? Und wird jedes neu hinzugefügte Lied vorher von einem Menschen kontrolliert? So haben die Streaminganbieter reagiert:

Spotify

Spotify hat auf unsere Anfrage am Ausführlichsten geantwortet. Spannend ist, dass der weltweit größte Streaminganbieter in Deutschland ein komplett anderes Vorgehen wählt als in den USA. Im Gegensatz zu der US-Abteilung richtet sich Spotify hierzulande ausschließlich nach den Vorgaben der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) und legt keine eigenen Maßstäbe an. Was genau uns der Spotify-Sprecher gesagt hat, haben wir für euch aufgeschlüsselt:

"Grundsätzlich sind die jeweiligen Rechteinhaber verantwortlich für die Musik, die sie über Spotify bereitstellen."

Damit hat Spotify eine andere Auslegung ihrer Plattform als beispielsweise Facebook, die durchaus einen Einfluss auf die Inhalte nehmen – nur nicht unbedingt gegen Mobbing, Hate Speech und rechten Hass. Aber wer versucht einen weiblichen Nippel oder gar Geschlechtsteile zu posten, lernt sehr schnell die Macht des Hausrechts kennen.

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"Songs und Alben, die in einem Land von einer Bundesbehörde indiziert sind, werden von Spotify in diesem Land bzw. in mehreren Ländern für Nutzer nicht zugänglich gemacht. In Deutschland richten wir uns nach der BPjM."

Das trifft auf alle Streaming-Dienste zu, da dies keine freiwillige Entscheidung der jeweiligen Unternehmen ist. Sie halten sich damit an deutsche Gesetze.

"Spotify toleriert absolut keine indizierten Inhalte oder solche, die geeignet sind, in irgendeiner Weise Feindseligkeit zu erzeugen – sei es aus rassistischen, religiösen oder anderen Gründen. Sobald wir derartige Inhalte in unserer Bibliothek entdecken, entfernen wir sie umgehend. Wir nehmen dieses Thema sehr ernst. Und da wir ein weltweites Unternehmen sind, nutzen wir auch in vielen anderen Ländern den Index der BPjM als weltweiten Standard für diese Thematik."

Hier wird es wirklich interessant: Spotify entfernt laut eigener Aussage Lieder, die eine sehr vage Definition von Feindseligkeit erfüllen. Doch im deutschen Katalog befinden sich Bands wie Kamaedzitca und Kill, Baby… Kill!, die Spotify USA wegen Hassbotschaften entfernen will.

Andersherum sind im US-Katalog durchaus Bands zu finden, die schon lange auf dem BPjM-Index stehen, der laut Spotify in vielen Ländern als Maßstab für akzeptable Inhalte angewendet wird. Offenbar aber nicht in den USA.

"Unsere Label- und Artist-Services Teams, unser Kundenservice sowie unsere Community-Manager leiten sofort interne Schritte ein, die anstößigen Inhalte zu prüfen und die verbotenen Produkte zu löschen, sobald wir die problematischen Inhalte auf unserem Service entdecken. In dem Moment, in dem wir problematische Inhalte identifizieren, informieren wir unseren Distributionspartner. Wenn diese auf unsere Anfragen nicht reagieren, werden die Inhalte gesperrt und mitunter der Partner geblockt."

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Spotify hat eine Bibliothek, die circa 30 Millionen Songs enthält. Diesen Heuhaufen von lauten Gitarren, leisen Geigen und tiefen Bässen nach einer Nadel in Form von fragwürdigen Inhalten zu durchsuchen, wirkt wie eine kaum leistbare Aufgabe. Zwar hat Spotify eine Funktion, dass Nutzer den Community-Managern unter die Arme greifen und Inhalte melden können – die ist allerdings so schwer zu finden, dass erst eine Google-Suche geholfen hat. Für Interessierte: Der Melden-Button befindet sich nicht im Song- oder Album-Menü, sondern oben auf der jeweiligen Künstler-Seite.

Wir haben Spotify außerdem gefragt, ob sie Menschen beschäftigen, die sich Musik noch einmal anhören, bevor diese für Nutzer freigegeben wird. Dieses Verfahren wendet zum Beispiel Apple beim App-Store an, damit fragwürdige Inhalte gar nicht erst auf den Geräten der Nutzer landen. Auf diese Frage haben wir keine Antwort erhalten.

Apple Music

Die Nummer zwei auf dem Streaming-Markt hat auf unsere Fragen mit einem Verweis auf die öffentlichen Richtlinien reagiert. Doch hinter den Kulissen scheint sich etwas zu bewegen. Als wir unsere Fragen an Apple schickten, waren Bands von der Digital Music News-Liste, wie zum Beispiel Kamaedzitca noch auf Apple Music zu finden. Diese erwähnten wir auch in unserer Anfrage. Inzwischen sind Kamaedzitca jedoch von der Streamingplattform verschwunden. Wir haben also in die Guidelines geschaut, um wenigstens einen groben Überblick über die Positionen von Apple zu bekommen.

Neben indizierter Musik erwähnt Apple dort explizit "Nazi-Propaganda". Damit sind Inhalte gemeint, die gegen Paragraph 86a des Strafgesetzbuches verstoßen, also Nazi-Symbolik verwenden. Von Labels oder Künstlern, die dreimal gegen diese Regel verstoßen, wird der komplette Katalog für bis zu sechs Monate von Apple Music verbannt. Außerdem wird von den Labels, Künstlern und Dienstleistern, die dem Apple-Katalog Musik hinzufügen können, explizit erwartet, dass diese sich mit den rechtlichen Situationen der Länder auskennen und nur Inhalte hochladen, die im jeweiligen Land auch legal sind.

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Da Apple die Band Kamaedzitca aus dem Angebot geschmissen hat, ist auch klar, dass der Konzern sich nicht nur nach den Vorgaben der BPjM richtet, sondern auch eigene Maßstäbe anlegt. Denn die Lieder von der Band stehen bisher nicht auf dem Index. Auf die Frage, wie diese eigenen Maßstäbe aussehen, haben wir keine Antwort erhalten. Ebenfalls erhielten wir keine Antwort auf die Frage, ob Apple für ihre Musik ähnlich wie beim App-Store Leute beschäftigt, die Songs noch einmal überprüfen, bevor diese freigeschaltet werden. Apple Music bietet seinen Nutzern keine Funktion, um fragwürdige Songs zu melden.

Google Play Music

Ähnlich wie Apple hat auch Google uns auf die öffentlichen Richtlinien verwiesen. Allerdings mit einem kurzen Statement eines Unternehmenssprechers, der sagte:

"YouTube und Google Play haben klare Richtlinien, die Verbreitung von Inhalten wie Hate Speech und Anstiftung zur Gewalt untersagen. Inhalte, die gegen diese Richtlinien verstoßen, werden nach einer Meldung durch Nutzer von unseren Plattformen entfernt."

Was die Richtlinien für Google Play besonders schwer verständlich macht, ist die Tatsache, dass diese nicht nur für Musik, sondern auch für Android-Apps geschrieben wurden. Außerdem sind Regeln zu Gewalt, Mobbing und Diffamierung so schwammig gehalten, dass es nicht wirklich möglich ist, eine genaue Auslegung herauszulesen. Denn wann eine Aussage zur Drohung oder Belästigung wird, interpretieren verschiedene Personen sehr unterschiedlich. Wenn nicht genau definiert ist, ab wann eine Aussage eine Drohung ist, nützt auch das Verbot davon nicht viel.

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Google hat nicht auf unsere Fragen geantwortet, weshalb wir nicht sagen können, wie genau Googles Definitionen aussehen. Wir sind allerdings ziemlich sicher, dass Google sich nicht nur nach der BPjM, sondern auch nach eigenen Regeln richtet. Zumindest legt ein Blick auf YouTube das nahe, wenn man bedenkt, dass dort ähnlich wie bei Facebook Brüste komplett tabu sind, obwohl sie nach BPjM-Richtlinien komplett unproblematisch sind. Ob bei Google eine Person Songs überprüft, bevor sie zum Streamen bereitgestellt werden, wurde uns auch nicht beantwortet. Beim Play Store für Android-Apps ist dies aber nicht der Fall.

Deezer

Deezer hat auf unsere Anfrage nicht reagiert, wir konnte auch keine öffentlichen Richtlinien für Labels und Künstler finden. Allerdings hat Deezer zusammen mit dem FC St. Pauli die Aktion Musik ist bunt ins Leben gerufen, auf der aktiv dazu aufgerufen wird, Hass-Inhalte zu melden, damit Deezer diese aus dem Katalog entfernen kann. Auf der Seite heißt es dazu:

"Wir räumen auf. Hieß es schon immer 'NEIN' zur Pegida-Hymne, wurden in den letzten Monaten auch fragwürdige Bands händisch aus dem Katalog entfernt. Mach jetzt auch mit!"

Fazit

Was nach unserer Recherche auf jeden Fall klar ist: In Deutschland handeln die Streamingdienste anders als ihre Konzernschwestern in den Vereinigten Staaten. Nach den Vorfällen in Charlottesville war der Druck in den USA so groß, dass sich nicht nur Streamingdienste, sondern sogar Suppenhersteller zu einer politischen Positionierung genötigt sahen. Dieser Druck hat sich aber anscheinend nicht unmittelbar nach Deutschland übertragen, sodass die großen Vier keine öffentlichen Statements zu ihrer Content-Politik veröffentlichten. Außerdem haben wir in Deutschland mit der BPjM eine Behörde, die zumindest die allerschlimmsten Fälle von rechtem Hass auf Streamingplattformen ausschließt. Dass die Anbieter sich aber trotzdem mit dem Thema befassen, zeigt das Beispiel von Apple, die zwar ohne öffentliches Statement – aber eben trotzdem – die Musik von Kamaedzitca aus dem Programm geschmissen haben.

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