Eine kleine, aber spannende Geschichte darüber, wie Faschisten Punk und Metal infiltrierten
Illustration: Lia Kantrowitz

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Eine kleine, aber spannende Geschichte darüber, wie Faschisten Punk und Metal infiltrierten

Seit den 1970ern versuchen Nazis Punks und Metalheads für ihre Ideologie zu gewinnen. Mit Erfolg.

Alexander Reid Ross ist ein Dozent an der Portland State University, Herausgeber von 'Grabbing Back: Essays Against the Global Land Grab' und Autor von 'Against the Fascist Creep'.

Die Ereignisse von Charlottesville, Virginia, haben uns die Notwendigkeit einer antirassistischen und antifaschistischen Bewegung wieder mehr als deutlich vor Augen geführt. Nach der abgebrochenen Kundgebung rechter Gruppierungen raste ein Neonazi mit seinem Auto in eine Gruppe Gegendemonstranten. Er tötete die 32-jähirge Heather Heyer und verletzte 19 weitere Menschen. Der Täter war zuvor an der Seite der faschistischen Gruppierung Vanguard America gesehen worden. Er trug ihre Uniform – Khaki-Hose und weißes Polohemd – und ein Schild mit ihrem Logo: zwei gekreuzten Fasces. In so einer Aufmachung sind Faschisten leicht zu erkennen – und zu bekämpfen.

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Rechtsextreme sind aber nicht immer so leicht zu erkennen. Ein Blick ins thüringische Themar zum Beispiel, wo im Juli Deutschlands größte Rechtsrockveranstaltung stattfand, zeigt, dass Rassisten und Faschisten auch erschreckend unscheinbar aussehen können – wenn sie sich nicht gerade mit szenetypischer Kleidung oder Tattoos eindecken. Gerade in subkulturellen Räumen finden rechte Rekrutierungs- und Beeinflussungsversuche oft unter dem Deckmantel der Ambiguität statt – bei Konzerten, auf Partys, in Magazinen und natürlich online.


Aus dem VICE-Netzwerk: Unterwegs bei Europas größtem Nationalisten-Treffen


Wieder zurück in die USA: Ende Mai diesen Jahres war es auf der gegenüberliegenden Seite des Landes, in Portland, Oregon, zu einer anderen rechtsradikal motivierten Gewalttat gekommen, als der Rassist Jeremy Joseph Christian zwei Männer im öffentlichen Nahverkehr mit einem Messer tötete und einen weiteren lebensgefährlich verletzte. Zwar traten auch hier schnell entsprechende Verbindungen zu der amerikanischen Alt-Right-Bewegung zutage, aber weder äußerlich noch ideologisch wollte er so recht in das Biedermeierimage der konservativen Rechten passen. Christian hörte Metal und interessierte sich für Anarchie und Nihilismus.

Tatsächlich ist die aktuelle Alt-Right-Bewegung nur der neuste Versuch von Rechtsextremen, verschiedene Subkulturen und ihre Werte zu manipulieren – von konservativen Anti-Interventionisten über linke Anti-Imperialisten bis hin zu Rock-Subkulturen versuchen sie überall, sich mit ihrer Ideologie unterzuhaken. Wir müssen uns also nicht nur den Biedermeiern in ihren Spießeruniformen entgegenstellen, sondern auch jenen, die sich in den Grauzonenbereichen verschiedener Subkulturen verstecken.

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Rassisten und Faschisten dürfen keinen Safe-Space, keinen Rückzugsort und keine Möglichkeit haben, sich zu organisieren.

Metapolitik und rechte Skinheads

Ein Blick auf die Fotos und Videos vom Fackelmarsch, der am Vorabend vor der Demonstration durch die University of Virginia zog, zeigt nicht nur viele Teilnehmer in besagter Country-Club-Uniform, sondern eine ganze Bandbreite verschiedener Stile. Von Hipster-Schnurbärten und -Frisuren, über rechte Bandshirts bis hin zu klassischen Naziskins mit Blood & Honour-T-Shirts war alles vertreten. Anstatt die verschiedenen Szenen der Gegenkultur zu ersetzen, haben Rechte seit Jahrzehnten versucht, sich ihnen anzubiedern oder sie für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Tatsächlich sind "Punk Attitude" und diverse Metal-Subgenres auch heute noch wichtige Rekrutierungsinstrumente und Anschlusspunkte der modernen Faschismusbewegung.

Als sich in den 1970ern die Punk- und Metalszenen bildeten, waren sie das Ventil einer Arbeiterschicht, die sich von Umständen betrogen sah, die außerhalb ihres Einflussbereiches lagen. Rechte versuchten die britische Wirtschaftskrise unter der linken Labour-Regierung für ihre Zwecke auszunutzen, was zum Teil auch gelang. Die rechtsextreme National Front erlebte ihre Hochphase, stieß aber auf heftigen Widerstand von Links. Eine Gruppe von National-Front-Mitgliedern einigte sich schließlich auf einen "metapolitischen" Ansatz. Sie mischten sich in subkulturelle Milieus wie Punk und Metal ein, um dort neue Anhänger zu gewinnen. Dieser Ansatz, den man sich bei den Theoretikern der Neuen Rechten abgeschaut hatte, sollte später auch das Fundament für die Ideologie der amerikanischen Alt-Right-Bewegung formen.

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Inspiriert von den Ideen des faschistischen Vordenkers und Okkultisten Julius Evola und einem Netzwerk terroristischer "nationalrevolutionärer" Zellen, die nach dem Prinzip linksradikaler Kleingruppen organisiert waren, gründete diese Splittergruppe die Official National Front und begann, rechte Skinheads als "Politische Soldaten" zu rekrutieren. Die wohl bekannteste Bezugsperson aus diesem Bereich war Ian Stuart Donaldson, Frontmann von Skrewdriver. Die Band war 1976 aus der Oi!-Punk-Szene hervorgegangen und anfangs unpolitisch gewesen. Nach der Auflösung des Original-Lineups gründete Donaldson die Band als Rechtsrockband mit gleichgesinnten Musikern neu.

Als Linke das Festival Rock Against Racism ins Leben riefen, um eine Graswurzelbewegung gegen die National Front und rechte Skinheads aufzubauen, organisierte die Gegenseite Rock Against Communism, an dem sich auch Donaldson später maßgeblich beteiligte. Einige Jahre später gründete er außerdem das rechtsextreme Netzwerk Blood & Honour. Beide Organisationen gibt es heute noch.

Neofolk und die nationalbolschewistische "Avantgarde"

Enttäuscht von der Linken löste sich die trotzkistische Punkband Crisis 1980 auf und einige Mitglieder fingen an, mit Querfront-Ideen zu liebäugeln (weder Kapitalismus, noch staatlicher Kommunismus, sondern nationaler Sozialismus). Was sie am Ende erschufen, war eine Art faschistoide Avantgarde-Ästhetik, die alldiejenigen ansprach, die sich von den tumben, sauflustigen und aggressiven Naziskins abgeschreckt fühlten.

Mit einem Potpourri aus linken und rechten Ideen, garniert mit Evolas vermeintlich "ideologieüberschreitenden" okkulten Anwandlungen und versteckt hinter einem bleiernen Schleier der Ambivalenz produzierte ihre neue Band, Death In June, einen unheilvollen, monotonen Sound mit oftmals schwermütigen Texten. Darin besingen sie den Untergang der Zivilisation, romantisieren eine diffuse Vergangenheit und die Sehnsucht, sich wie ein Phönix aus der Asche zu erheben. Schon bald hatten Death In June und Konsorten ein enggestricktes Netzwerk um das Genre "Neofolk" gebildet, das auch durch einige Mitglieder lose mit der britischen National Front und rechten Denkfabriken wie der Islands of the North Atlantic (IONA) und Transeuropa verbandelt war.

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Während Donaldsons Blood & Honour-Netzwerk rassistisches und faschistisches Gedankengut auf Skinhead-Konzerten und Partys auf der ganzen Welt verbreitete, erkundeten Neofolk-Bands und verwandte Noise-, Industrial- und Experimentalkünstler wie Boyd Rice und Michael Moynihan die gegenkulturelle Anziehungskraft der Metapolitik und beschäftigten sich mit Satanismus, Paganismus und Faschismus. Hingebungsvolle Musiker sorgten zwar dafür, dass kein Genre – abgesehen von RAC und Hate-Rock – komplett von Rechten eingenommen werden konnte. Der Kampf sollte jedoch schwer und oftmals gewalttätig werden.

In San Francisco kamen die rechte Skinhead- und Avantgardeszene in der American Front zusammen, die wiederum Verbindungen zu anderen politischen Vereinigungen in Europa und Australien aufbaute. Viele dieser Gruppierungen vertraten "nationalbolschewistische" Ideen – also dem Streben nach einer Welt unterteilt in ethnisch homogene Staaten und organisiert in einer Föderation, eine Art ultranationalistische Version der Sowjetunion. Es war das frühste Aufkeimen eines internationalen faschistischen Syndikats, das noch stark vom russischen Neofaschisten Alexander Dugin und seiner Ideologie des "Neo-Eurasismus" beeinflusst werden sollte.

Andere rechte Aktivisten wie Troy Southgate, ein ehemaliges Mitglied der Official National Front, münzten die anarchistische Idee – eine Ideologie, die eng mit Punk, Autonomen und einigen Metalsubkulturen verbunden ist – für ihre Zwecke um. Ihr synkretisches Ideologiekonstrukt tauften sie "Nationalanarchismus" und wählten den trotzkistischen "Entrismus" als ihre bevorzugte Strategie. Sie traten traditionell linksgerichteten Gruppen bei – insbesondere Umwelt- und Tierschutzaktivisten – und versuchten, sie entweder nach ihrer Ideologie auszurichten oder von innen heraus zu zerstören. In einer Methode, die später von der Alt-Right wieder aufgegriffen wurde, setzten Nationalisten linke Ideen gegen die Linke ein, um ihre Gesinnung zu verschleiern, während sie die egalitären und anarchistischen Tendenzen innerhalb der Subkulturen aushöhlten. Wenn man Rechten derartige Anschlusspunkte verweigert, entzieht man ihnen eine große und wichtige Basis.

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National Socialist Black Metal

Durch Labels wie Resistance Records, Elegy Records und Unholy Records, Vertrieben wie Rouge et Noir und Magazinen wie Requiem Gothique und Napalm Rock vermengten Nazis Hate-Rock/RAC und Neofolk mit anarchistischen und nihilistischen Gedanken, um ihre Ideen und Themen subversiven, wenn auch politisch ungefestigten Subkulturen schmackhaft zu machen. Zu diesen Themen gehörten der spirituelle Okkultismus und Nihilismus (wie in: alles muss zerstört werden, damit der wahre Nationalismus entstehen kann), sowie einer Vermengung lokalem Umweltbewusstseins mit der Essenz und dem Geist des Nationalgedankens – gerne auch kitschig verpackt in eine völkisch gefärbte Ideologie über Tradition und Abstammung.

Natürlich fetischisierten die Rechten den Arier-Mythos und die Rückkehr zum Paganismus als natürlicher für Menschen europäischer Abstammung. Letztere Tendenz wurde insbesondere bei der Anbiederung an den skandinavischen Black Metal deutlich. Das als Reaktion auf den überladenen Hair-Metal und den kommerzialisierten Death Metal der 1980er entstandene Genre strebte größtmögliche musikalische Brutalität an und schmückte sich mit einer kargen Ästhetik aus Blut, Gewalt und Christenfeindlichkeit.

Nachdem Burzums Varg Vikernes seinen Szenerivalen und kurzzeitigen Bandkollegen Euronymous ermordet hatte, schrieb Michael Moynihan zusammen mit dem norwegischen Playboy-Redakteur Didrik Søderlind das Buch Lords of Chaos über die Geschichte und Entwicklung der Szene. Das Werk avancierte schnell zur führenden Narrative der Szene und dementsprechend fanden viele junge Menschen, die von der bisweilen radikalen und gewalttätigen Genregeschichte angelockt wurden, ihre Einführung in diese Subkultur durch einen "heidnischen Anarchofaschisten", wie Moynihan von Religionswissenschaftler Mattias Gardell bezeichnet wird.

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Ein Ende des Entrismus?

Bis heute finden rechte Gruppen Zuflucht in politisch uneindeutigen Subkulturen. Paul Waggener, Anführer der bioregionalistischen Gruppe, Wolves of Vinland, die Ableger in den ganzen USA hat, versucht die Ansichten seiner ethnoseparatistischen Weltanschauung durch Neofolk- und Black-Metal-Projekte zu verbreiten. Obwohl Jack Donovan, Anführer des Portland Ablegers der Gruppe, sich selbst als "Anarchofaschist" bezeichnet und auf Alt-Right-Veranstaltungen als Redner aufgetreten ist, stießen Bestrebungen der Rose City Antifa, die Gruppe und ihre Machenschaften offenzulegen, auf Gegenwehr durch Nihilismus-Apologeten.

Es war für viele bezeichnend, dass der Portland-Attentäter Jeremy Christian sein bioregionalistisches, weißes Heimatland im pazifischen Nordwesten "Vinland" nennt – eine Referenz an die Entdeckung Nordamerikas durch die Wikinger. Dieser Begriff wird nicht nur von den WoV verwendet, sondern auch vom inzwischen toten US-Ableger der NSBM-Vereinigung Heathen Front. Deren Anführer war übrigens der berüchtigte Neonazi James Mason, dessen Arbeiten der "Anarchofaschist" Michael Moynihan verlegte.

Christans wilder Mix aus Bioregionalismus, Rassismus und Metal sprach auch Harold Covington, den Anführer der rechtsradikalen Northwest Front, an. Covingtons Nazi-Karriere beinhaltet die Beteiligung an der Planung des Massakers von Greensboro 1979 und die Mitbegründung von Combat 18 in Großbritannien – dem bewaffneten Arm von Blood & Honour. Aktuell ist er damit beschäftigt, sich der populären bioregionalen kaskadischen Bewegung anzuschließen und sie nach Rechts zu lenken. Covington sagte: "Wie es scheint, war Jeremy Christian einer 'unserer' vielen Nebendarsteller." Ähnliche nationalsozialistische Gruppierungen gibt es auch im Umfeld der Neo-Konföderierten-Bewegung in den Südstaaten.

Die Metalszene, Punk, Bioregionalismus und andere verbandelte subkulturelle Milieus stellen weiterhin Menschen ein Zugehörigkeitsgefühl bereit, die eins zu brauchen meinen. Wenn diese Subkulturen von außen kritisiert werden, schotten sie sich schnell ab. Gerade diese Engstirnigkeit macht sie angreifbar für die ständigen Bemühungen rechter Entristen. Nichtsdestotrotz, das Bewusstsein für die Gefahren des schleichenden Faschismus wächst – und damit auch der Widerstand von innen.

In den letzten Jahren hat es zunehmend Proteste vor Veranstaltungsorten gegeben, in denen rechtsoffene Metal- und Neofolkbands spielen sollten. Konzerte von Death in June werden in den USA von Protesten begleitet (was man von dem letztjährigen Auftritt beim Runes & Men-Festival in Leipzig leider nicht gerade sagen kann). Eine große Gruppe demonstrierte in Montreal erfolgreich gegen ein Konzert der völkisch-heidnisch gefärbten NSBM-Band Graveland aus Polen und Satanic Warmaster mussten in Glasgow immerhin auf eine geheime Location ausweichen. Gleichzeitig gewinnen antifaschistische Black-Metal-Bands wie Woe oder Ancst, die Sexismus und Rassismus entschieden ablehnen, zunehmend an Bekanntheit.

Den Beschwerden einiger Fans und Journalisten zum Trotz, die über eine Beschneidung der künstlerischen Freiheit jammern, lässt sich bei dem wachsenden Aktivismus erkennen, dass die Metalszene zunehmend ein Bewusstsein entwickelt – nicht nur bezüglich der Sicherheit ihrer eigenen Mitglieder sondern ihrer eigenen Rolle darin. Entweder hilft sie dabei, die Flammen des globalen Faschismusrevivals weiter zu entfachen oder sie zu löschen.

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