FYI.

This story is over 5 years old.

Musik und Politik

Diesem Berliner drohten fünf Jahre Haft, weil er Instrumente an Nordkoreaner verkaufte

"Wir hatten keine Ahnung, dass wir gegen UN-Sanktionen verstoßen."
Foto: Die Holzbläser

Folgende Dinge solltest du nicht nach Nordkorea verkaufen: Waffen, Schiffe, Flugzeuge, Nukleartechnik, Flöten und Klarinetten. Wenn dir an dieser Liste irgendetwas seltsam vorkommt, dann liegt es vielleicht daran, dass du nicht weißt, dass indirekt auch Musikinstrumente auf einer Liste von UN-Sanktionen gegen das nordkoreanische Regime stehen. Auch den beiden Berliner Musikinstrumente-Händlern Andreas Schmucker und Thomas Reichle war laut einem Bericht des Tagesspiegels nicht bewusst, dass sie sich gerade mit dem UN-Sicherheitsrat anlegten, als sie vor zwei Jahren eine Klarinette und eine Flöte an drei Nordkoreaner verkauften.

Anzeige

Erst als sich der Verfassungsschutz bei ihnen meldete und die Staatsanwaltschaft ihnen mit fünf Jahren Gefängnis drohte, wurde beiden klar, dass sie unwissentlich gegen Sanktionen verstoßen hatten.


Auch bei VICE: Warum sich nordkoreanische Zwangsarbeiter in Polen zu Tode schuften


Wir haben Andreas Schmucker, einen der beiden Geschäftsführer, gefragt, wie es sich anfühlt, in einen internationalen Konflikt hineingezogen zu werden.

VICE: Wie kam es dazu, dass ihr Musikinstrumente-Geschäft ins Visier des Verfassungsschutzes geriet?
Andreas Schmucker: Eine Mitarbeiterin hat an diesem Tag drei asiatische Kunden bedient, ich selbst war nicht im Laden. Sie interessierten sich für eine Flöte und eine Klarinette. Zwei waren Musiker, die sich offensichtlich gut auskannten und die Instrumente ausgesucht haben. Der dritte war ein Dolmetscher. Es war ein normaler Vorgang, wir haben häufig asiatische Kunden. Wir haben eine Rechnung gestellt, das Geld kam zügig und sie holten die Instrumente ab. Das einzig Ungewöhnliche war, dass sie einen koreanischen Namen und eine Adresse in Pjöngjang angaben. Zwei Tage später rief der Verfassungsschutz bei uns an.

Wie haben Sie reagiert?
Die Kollegin am Telefon war schockiert. Der Herr vom Verfassungsschutz hat sehr freundlich erklärt, dass ein Embargo gegen Nordkorea besteht und wir dagegen verstoßen hätten. Das Gespräch endete dann in dem Tenor: Passt in Zukunft besser auf und macht das nicht wieder. Es gibt verschiedene Embargostufen. Gegen Waffen und andere Technologien, aber auch gegen Luxusgüter. Dazu gehören auch hochwertige Musikinstrumente. Was genau als "hochwertiges Musikinstrument" gilt oder wie teuer es sein muss, ist jedoch nicht näher ausgeführt. In den meisten Fällen sind Musikinstrumente Handwerkszeug und keine Luxusgüter. Insbesondere wenn Musiker sie kaufen.

Anzeige

Damit war die Sache für Sie erledigt?
Nein. Ein Jahr später standen plötzlich sieben Zollfahnder im Laden. Sie wollten alle Unterlagen zu dem Fall und drohten, andernfalls alle Papiere und Computer zu beschlagnahmen. Wir haben dann alles ausgehändigt. Kurz darauf kam ein Brief der Staatsanwaltschaft. Darin wurden wir offiziell beschuldigt, gegen Paragraf 18 Außenwirtschaftsgesetz verstoßen zu haben, weil wir uns über Sanktionen hinweggesetzt hätten. Das werde mit bis zu fünf Jahren Haft geahndet, hieß es.

Wie fühlten Sie sich, als Sie lasen, dass Ihnen fünf Jahre Haft drohen, weil Sie zwei Musikinstrumente verkauft haben?
Meine Frau öffnete zu Hause den Brief und bekam einen gehörigen Schock. Das war für mich und meinen Geschäftspartner unvorstellbar. Wir dachten, die Instrumente gehen an Privatleute und nicht an den Nordkoreanischen Staat. Wir hatten keine Ahnung, dass wir gerade gegen UN-Sanktionen verstoßen hatten. Wenn wir eine Anfrage vom Nordkoreanischen Heeresmusikcorps erhalten hätten, dann hätten wir das natürlich nicht gemacht.

Halten Sie die ganze Sache trotzdem für gerechtfertigt?
Ich halte es für gerechtfertigt, dass solche Embargos eingehalten werden müssen. Aber die weitere Verfolgung durch Zollfahndung und Staatsanwaltschaft über zwei Jahre halte ich für unangemessen. Der Hinweis und die Ermahnung vom Verfassungsschutz hätten ausgereicht. Vor zwei Wochen wurde das Verfahren eingestellt, weil kein Tatverdacht zu konkretisieren war. Auf den Anwaltskosten von ungefähr 5.000 Euro bleiben wir sitzen.

Anzeige

Was wurde aus den Instrumenten?
Keine Ahnung. Es hat sich kein Nordkoreaner bei uns gemeldet und ich weiß auch nicht, wie der Verfassungsschutz überhaupt darauf aufmerksam wurde. Die meldeten sich ja schon zwei Tage nach dem Kauf bei uns. Ich weiß von den Ermittlern nur, dass die Instrumente nach Moskau an die nordkoreanische Botschaft gehen sollten. Ob die Behörden die Instrumente beschlagnahmt haben, weiß ich nicht.

Hat der Vorfall Ihre Sicht auf den Rechtsstaat verändert?

Das wäre übertrieben. Mein Kollege nannte das eine kafkaeske Situation und es ist grundsätzlich bedenklich, wie schnell man in so eine Lage kommen kann. Rechtlich ist uns nichts nachzuweisen, auch wenn die Sache wohl nicht ganz sauber gewesen ist. Aber das war für uns nicht erkennbar und es bestand auch kein Vorsatz.

Überprüfen Sie Kunden heute genauer?
Wir kennen das Problem jetzt und sind vorsichtiger, aber nach wie vor verstehe ich nicht, dass ich an gewisse Musiker nichts verkaufen darf, zumal der Begriff "hochwertiges Musikinstrument" nicht definiert ist. Es wird auch in Zukunft Fälle geben, die wir ablehnen. Mir ist aufgefallen, dass sich die Ermittler überhaupt nicht dafür interessiert haben, ob wir das regelmäßig machen. Das wäre für mich verständlich gewesen, auch wenn wir das nicht gemacht haben. Wir haben mit dem Staat Nordkorea nichts zu tun.

Haben Sie nachgeforscht, ob Sie in der Vergangenheit bereits versehentlich gegen Embargos verstoßen haben?
Das wäre sehr schwer. Es ist ja alleine schon schwierig zu erkennen, ob jemand aus Nord- oder Südkorea kommt. Es gibt erstaunlich viele Länder, gegen die Sanktionen erlassen wurden, und wir können nicht alle kennen. Zum Beispiel bestehen Embargos gegen Ägypten, ich bin aber nicht sicher, ob das auch für Instrumente gilt. Wir wären aber vorsichtig, wenn eine staatliche Anfrage aus Ägypten käme. Wenn jedoch ein Ägypter kommt, um eine Klarinette bei uns zu kaufen, warum nicht? Es gibt hier in Berlin an der Musikhochschule auch ägyptische Studenten, die brauchen ja auch Instrumente.

Folge Tim auf Twitter und VICE auf Facebook, Instagram und Snapchat.