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Unsterblich werden mit Aubrey de Grey

Der britische Bioinformatiker ist davon überzeugt, dass sich das menschliche Leben unbegrenzt verlängern lässt – größtenteils auf Basis von bereits existierendem Wissen.
Aubrey de Grey
Foto: IMAGO / Zuma Press
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Dieser Artikel ist Teil von "The Final Issue", der letzten deutschen Printausgabe von VICE

Wir schreiben das Jahr 2924. Mehrere Hundert Jahre alte Menschen hüpfen fröhlich durch die Gegend. Sie wirken nicht nur frisch und gesund, sie sind es auch. Ihr biologisches Alter beträgt nur einige Jahrzehnte. Klingt wie der Klappentext eines Zombiefilms mit faltenfreien Untoten? Vielleicht. Aber so stellt sich der Bioinformatiker Aubrey de Grey die Zukunft vor. Für eine kalifornische Stiftung forscht er an Wegen, das Altern aufzuhalten. Er sagt: In 900 Jahren könnten wir alle 1.000 Jahre alt werden.

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Die Theorie: Alles Alte aus dem Körper entfernen und gegen Neues ersetzen. Dann stirbt man nicht – oder sehr viel später. In der Praxis bedeutet das: komplizierte medizinische Verfahren, um die verschiedensten Zellen auszuwechseln. Aber wollen wir das? Ist das Leben nicht deshalb so schön, weil es endlich ist?

Wollen wir wirklich 1.000 Jahre alt werden?

Denken wir das mal durch. Wenn wir alle 1.000 Jahre alt werden, geht irgendwann der Platz auf der Erde aus. Wir müssten uns also entscheiden, ob wir selbst ein paar Jahrhunderte abpimmeln oder eigene Kinder in die Welt setzen wollen. Wenn aber nur noch alteingesessene Extremsenioren die Regeln machen, stagnieren Gesellschaft und Kultur. Das kann man dank der CSU so schon heute in Bayern beobachten. Außerdem: Behindern wir nicht die Evolution, wenn wir den natürlichen Tod mehr oder weniger abschaffen? Müssen wir uns nicht fortpflanzen, um uns biologisch anzupassen? Und sowieso: Wer bezahlt diese extrem lebensverlängernden Maßnahmen? Die meisten gesetzlichen Krankenkassen übernehmen nicht einmal eine Zahnreinigung. Wenn sich also nur Selbstzahler die Tausendjährigkeit leisten können, laufen irgendwann nur noch reiche Alte durch die Gegend. Die Welt verkäme zu einem Golfplatz.

Also rufen wir bei Aubrey de Grey in Kalifornien an. Wir treffen auf einen unterhaltsam störrischen Mann, der uns im Laufe des dreißigminütigen Gesprächs dreimal ein herzliches "Grow the fuck up!" entgegnet.

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Forever Young: Was dafür spricht

Menschen, die sagen, dass Sterben zum Leben dazugehöre, sind "kleingeistige Trottel", sagt Aubrey de Grey. Die würden so lediglich versuchen, mit dem Tod fertig zu werden. Alles Bullshit: "Das Altern und die damit einhergehende Gebrechlichkeit sollten wir nicht länger hinnehmen." Der Wissenschaftler fordert, das Altern grundsätzlich neu zu betrachten. Nicht als unumgänglichen Prozess, sondern als Krankheit. Und zwar als eine, die wir in Zukunft heilen können. Er, Aubrey de Grey, sei da schon dran. "Stellen Sie sich den Menschen als Auto vor. Die werden so konzipiert, dass sie vielleicht 15 Jahre halten. Danach ist der Verschleiß so groß, dass vielleicht der Motor den Geist aufgibt. Aber Motoren kann man auswechseln. Das gleiche gilt für Menschen." Wer da mit irgendwelchem Moralgeschwätz ankomme, sei ein infantiler Dummkopf, sagt de Grey, um sich dann auf die Gegenargumente zu stürzen.

Das Szenario einer drohenden Überbevölkerung  lässt de Grey nicht gelten. Platz gebe es genug, nämlich 13 Milliarden Hektar. Selbst wenn sich Eintausendjährige in 900 Jahren fortpflanzen wollen würden. "Derzeit könnte jeder Mensch allein auf 1,6 Hektar Land leben", sagt De Grey. "Bis der Platz ein Problem wird, muss eine Ewigkeit vergehen, und darum können sich dann ja wohl die Menschen in der Zukunft kümmern." OK.

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Und wer soll die wiederkehrenden Zellerneuerungen bezahlen? Die Krankenkassen, sagt de Grey. Ganz sicher werde jedes Land mitmachen. Denn kein Land könne es sich noch viel länger leisten, Menschen mit Alterserscheinungen am Leben zu halten. "Alt werden ist eine wirtschaftliche Katastrophe." Die medizinischen Prozedere, an denen er forscht, seien auch kein Eingriff in die Evolution. Zumindest kein größerer als existierende Verfahren, mit denen man heute schon unerwünschte Gene ausschalten kann.

Und was würde es gesellschaftlich und kulturell bedeuten, wenn Tausendjährige auf der Erde lebten? "Weiß ich doch nicht", sagt De Grey. "Ich bin Biologe."

Uralt werden: Wie soll das funktionieren?

Nach Aubrey de Greys Überzeugung gibt es sieben Auslöser fürs Altern und somit Sterben: Zellverlust, sich unaufhörliche teilende Zellen, todesresistente Zellen, mitochondriale Mutationen, intrazellulärer Abfall, extrazellulärer Abfall und die extrazelluläre Matrixversteifung. Kurz gesagt: tote, defekte oder fehlerhafte Zellen. Im Laufe eines Lebens tummeln sich immer mehr davon im Körper und verursachen schwache Herzen, vergessliche Gehirne und krachende Knie. Aber nicht mit de Grey. In der Theorie habe er für alle Auslöser des Alterns Behandlungsmethoden gefunden. Etwa eine Stammzellentherapie, um Herzen und Gehirne zu flicken. Aber auch eine Therapie mit Enzymen, die kaputte Zellen aus dem Körper räumen. Obendrauf gäbe es dann noch eine Ladung neuer, funktionstüchtiger Mitochondrien, die Energie produzieren.

In der Praxis sei das natürlich alles nicht so einfach und es dauere noch ein paar Jahre, aber wenn er weiter so vorankommt wie bisher, sieht es gut aus. "Heute 60-Jährige könnten schon ihren 150. Geburtstag erleben", sagt de Grey. Und daran finde er auch nichts verwerflich.

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