Politik

Österreich: So bizarr sind die geleakten Regierungs-Chats

"Geld scheißen", nervige "Weiber" und gegenseitiges Eierkraulen: Wir erklären dir den aktuellen Regierungsskandal.
Österreichs Kanzler Kurz und Finanzminister Gernot Blümel schauen gemeinsam aufs Handy, geleakte Chatnachrichten zeigen, wie sich ÖVP-Funktionäre gegenseitig Posten zuschachern.
Foto: IMAGO / photonews.at | Bearbeitung: VICE

Was ist da eigentlich los? In Österreich kriechen die Skandale an allen Ecken und Enden aus den Löchern. Kaum scheint einer unter den Teppich gekehrt, schleicht sich an anderer Stelle schon der nächste heran. Trotzdem scheinen die Politiker nicht wirklich vorsichtiger zu werden. Per WhatsApp schicken sie ungeniert Nachrichten hin und her, in denen sie offen über mutmaßlich korrupte Pläne diskutieren und sich beglückwünschen, wenn die Pläne aufgehen oder ein politischer Gegner besiegt wurde.

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Obwohl es schon gruselig ist, wie wenig diese Politiker offensichtlich von Verfahren halten, die demokratisch legitimierte Entscheidungen ermöglichen, so unterhaltsam ist es auch, diese Gespräche zu lesen. Denn am Ende sind auch Politiker nur Menschen, die sich Smileys schicken und die Zeichensetzung vernachlässigen. 


Auch bei VICE: Was kostet ein neues Gesicht?


Einer, dessen Nachrichten ihm nun zum Verhängnis wurden, ist Thomas Schmid von der Regierungspartei ÖVP. Der Vorstand der ÖBAG musste Dienstag zurücktreten. ÖBAG steht für Österreichische Beteiligungs AG und ist die Gesellschaft, die die staatlichen Beteiligungen an zahlreichen Unternehmen verwaltet. Glücksspiel, Öl und Gas, Post, all so was, mit einem Gesamtwert von fast 27 Milliarden Euro.

Auf dem Papier ist das ärgerlich, denn Schmid, ein Freund von Kanzler Sebastian Kurz, ebenfalls ÖVP, hatte sich die Stellenausschreibung des Jobs, den er selbst wollte, auch selbst schreiben dürfen. Einen qualifizierteren Menschen kann es also per Definition gar nicht geben. Schmid war Kabinettschef und Generalsekretär im Finanzministerium, bevor er im September 2019 zum alleinigen Vorstand der neu gebildeten ÖBAG wurde.

Ein Chat mit seinen Mitarbeitern aus dem Jahr 2018 zur Ausschreibung [Anm. d. Red.: VICE hat im Folgenden die Chats nachgebaut]:

Nachbau eines Chats zwischen Schmid und zwei Mitarbeitenden. Mitarbeiter: International eher streichen Mitarbeiterin: International war die Empfehlung es drinnen zu lassen Schmid: Ich bin aber nicht international erfahren. Ich habe immer in Österreich gearbeitet Schmid: Ich würde einfach sagen, internationale Erfahrung erwünscht.  Mitarbeiterin: Wir brauchen dann ein sehr gutes Motivationsschreiben von dir. Schmid: Wer schreibt das?

Chat von VICE nachgebaut

Obwohl der Deal offensichtlich schon durch war, blieb Schmid vorsichtig. Er wollte verhindern, dass vorzeitig bekannt wird, welch hohen Posten er bald übernehmen würde. Zu dem Zweck manipulierte er auch die Medien. Hier wendet er sich an Kanzler Kurz, damit dieser Helmut Brandstätter, den Chefredakteur des Kurier, bearbeitet. 

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Nachbau eines Chats zwischen Schmid und Kanzler Kurz. Schmid: Hi Sebastian, Martina Salomon macht im Auftrag von Brandi eine ÖBIB story. Unter anderem will sie mich als gesetzt für die ÖBIB neu nennen. Sie sagt mir Brandi hört das und will das in der Story drinnen haben. […] Könntet ihr dem brandi ausreden mich zu nennen und ihm sagen dass das ein Blödsinn ist?” Kurz: Naja, der hasst mich. Was ist wenn ihn Löger anruft, oder du selbst? Ich ruf ihn gern an, bin nur nicht sicher ob das nützt?!

Chat von VICE nachgebaut

Schmid rief "Brandi" dann an und siehe da: Der Artikel erschien weniger eindeutig, als von Schmid ursprünglich befürchtet. Später will die Tageszeitung Die Presse einen Artikel über die ÖBAG bringen. Auch hier wird Schmid nervös und greift ein, diesmal bei Chefredakteur Rainer Nowak.

Nachbau eines Chats zwischen Schmid und seinem Pressesprecher. Schmid: Ruf bitte Rainer an. Sag ihm große Bitte auch von mir, dass der Ball hier flach gehalten wird. Bald sind wir fertig, dann ist er vorne mit dabei. Schmids Pressesprecher: Nowak hat eingewilligt.

Chat von VICE nachgebaut

Am Dienstag ist Schmid nun zurückgetreten, nachdem er angekündigt hatte, den Betriebsrat der ÖBAG zu entmachten. Außerdem ist mittlerweile ziemlich deutlich, dass Österreichs Kanzler Sebastian Kurz die Ernennung Schmids zum ÖBAG-Vorstand beeinflusst hat. Dafür droht Kurz sogar eine Anklage, das wäre nämlich verboten.

Von diesem mutmaßlich illegalen Freundschaftsdienst weiß man auch aus Chat-Protokollen zwischen den beiden – aber auch aus Nachrichten zwischen Schmid und anderen ÖVP-Funktionären. Schmid und Kurz sind nämlich sogar so gute Freunde, dass sie sich "Familie" nennen. 

Einer dieser innigen Chats liest sich so. Es geht um die Aufsichtsräte der ÖBAG:

Nachbau eines Chats zwischen Schmid und Kanzler Kurz. Schmid: Bitte mach mich nicht zu einem Vorstand ohne Mandate (es ging um die Frage der Aufsichtsräte der ÖBAG) Kurz: Kriegst eh alles was du willst :* :* :* Schmid: Ich bin so glücklich :-)))) Schmid: Ich liebe meinen Kanzler *Daumenhoch* *Daumenhoch* “Bizeps* *Bizeps*

Chat von VICE nachgebaut

Was überrascht, ist weniger der Anschein der Korruption. Als Deutsche sollten wir uns ohnehin zurückhalten – man denke an Masken-Deals, Aserbaidschan-Connections und so weiter. Was verwundert, ist viel mehr die Menschlichkeit, die in diesen Chats zum Ausdruck kommt. 

Nachdem der Nationalrat – auch mit Stimmen der Sozialdemokratischen Partei Österreichs – die Neuausrichtung der staatlichen Beteiligungsgesellschaft beschlossen hatte, die Voraussetzung für Schmids neuen Posten, chattete Schmid mit dem Finanzminister Gernot Blümel, ebenfalls ÖVP.

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Nachbau eines Chats zwischen Schmid und Gernot Blümel. Schmid: ÖBAG vom NR beschlossen. Auch mit Stimmen der SPÖ Blümel: SchmidAG fertig! Schmid: :*

Chat von VICE nachgebaut

Diese widerlich männerbündlerische und demokratieverachtende Menschlichkeit, mit der sich die Funktionsträger gegenseitig die Genitalien streicheln, während sie sich Posten zuschieben, über Freunde und Feinde lästern und ihre Verachtung für die Wählerinnen zum Ausdruck bringen, ist typisch für die Chatverläufe zwischen den ÖVP-Funktionären.

Nachdem Schmid den Posten bekommen hatte, schrieb er an Kurz:

Nachbau einer Nachricht von Schmid an Kurz. Schmid: Dass du mir diese Chance gibst mich zu beweisen ist so grenzgenial! Habe mörder Respekt davor und es wird echt cool! Danke für alles und es taugt mir so in Deinem Team sein zu dürfen! :* :* <3

Chat von VICE nachgebaut

Und nicht nur die Ausschreibung für seinen eigenen Posten durfte Schmid designen. Er hatte auch Mitspracherecht bei der Bestimmung der ÖBAG-Aufsichtsräte. Hektisch wurde es, als reihenweise potenzielle Kandidatinnen absprangen, obwohl es die für die Frauenquote brauchte. Aber Schmid hat bald wieder eine Favoritin.

So schreibt er an Kanzler Kurz:

Nachbau einer Nachricht von Schmid an Kurz. Schmid: […] ist wirklich eine Gute! Compliant, Finanzexpertin, Steuerbar, Raiffeisen und sehr gutes Niederösterreich Netzwerk. Sie hat für NÖ auch delikate Sachen sauber erledigt.

Chat von VICE nachgebaut

Bei Kurz’ Partei scheint man generell Probleme mit der Gleichberechtigung. Die ÖVP-Beraterin Gabriela Spiegelfeld schreibt an Schmid: 

Eine Nachricht von Gabriela Spiegelfed an Schmid. Spiegelfeld: Mir gehen die Weiber so am Nerv. Scheiß Quote

Chat von VICE nachgebaut

Doch bei aller Widerwärtigkeit und dummer Arroganz: In den Chats offenbart sich vielleicht auch einfach Politik in seiner schmutzigsten, weil ehrlichsten Form. Denn natürlich geht es dabei um Macht. Es geht um Sieg und Niederlage, um Kompromisse, aber auch darum, die richtigen Karten zur richtigen Zeit zu spielen, um seinem Gegner die größtmöglichen Zugeständnisse abzutrotzen.

Als Schmid noch im Finanzministerium arbeitete, musste er hin und wieder für Kurz unangenehme Termine erledigen. Wie mit dem Generalsekretär der österreichischen Bischofskonferenz Peter Schipka. Schmid fiel es also zu, Schipka mit finanziellen Verschlechterungen der Kirche zu drohen. Und dem Chat nach zu urteilen, lief das Gespräch im Sinne von Kurz.

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Nachbau einer Nachricht von Schmid an Kurz. Schmid: Also Schipka war fertig! Schmid: Er war zunächst rot dann blass dann zittrig. Er bot mir Schnaps an den ich in der Fastenzeit ablehnte weil Fastenzeit. Waren aber freundlich und sachlich. Kurz: Super, danke vielmals!!!!! Du Aufsichtsratssammler :)

Chat von VICE nachgebaut

Freundschaften unter Politikern sind nicht anders aufgebaut als die unter Privatleuten. Wenn ich dir beim Umzug helfe, hilfst du mir beim nächsten Mal und die erste Runde zahlst du, die zweite geht auf mich – wenn ich nicht gerade supermüde werde und morgen ja auch früh raus muss. Unter Politikern funktioniert es ähnlich, nur dass es bei ihnen um Posten und Gelder geht. 

Ein Chat zwischen Schmid und Kurz ermöglicht eine Vermutung, woher die enge Freundschaft der beiden kommen könnte. Im Jahr 2016 war Kurz Außenminister und aufstrebender Star seiner Partei, die er bald darauf vom bisherigen Vorsitzenden Reinhold Mitterlehner übernahm. 

Nachbau einer Nachricht von Schmid an Kurz. Schmid: Du hast eine Budget Steigerung von über 30%! Das haben wir NUR für dich gemacht. Über 160 Mio mehr! Und wird voll aufschlagen. Du schuldest mir was :-)))! LG t

Chat von VICE nachgebaut

Auch Finanzminister Blümel sollte erfahren, dass Kurz’ Budget jetzt neue Möglichkeiten eröffnen würde.

Nachbau einer Nachricht von Schmid an Blümel. Schmid: Ich habe Sebastians Budget um 35 Prozent erhöht. Scheisse mich jetzt an. Mitterlehner wird flippen. Schmid: Kurz kann jetzt Geld scheissen. Blümel: Mitterlehner spielt keine Rolle mehr...

Chat von VICE nachgebaut

In Österreich ist die Welt also noch in Ordnung. Freundschaften werden hier größer geschrieben als demokratische Prozesse, damit wird der eigene Freundeskreis praktisch zur Republik. Und wenn alle miteinander befreundet sind, vielleicht sogar Familie, dann bleibt alles für immer so hübsch und beschaulich, wie es immer war.

So schreibt auch Finanzminister Gernot Blümel einmal an Schmid:

Nachbau einer Nachricht von Blümel an Schmid. Blümel: Du bist Familie

Chat von VICE nachgebaut

Vielleicht ist die Lehre aus der österreichischen WhatsApp-Affäre auch einfach: Egal, wie korrupt du bist, wenn du die Reichtümer deiner Republik zu deinem Nutzen instrumentalisieren willst, dann besprich das lieber am Telefon.

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