Deutschraps Reaktionen auf den Anschlag in Berlin sind entweder unlustig oder überflüssig
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Kommentar

Deutschraps Reaktionen auf den Anschlag in Berlin sind entweder unlustig oder überflüssig

Ja, man darf Witze über den Anschlag von Berlin machen oder Theorien zum Tathergang haben. Aber dann sollen sie doch bitte gut sein.

Als ich vor einigen Jahren das erste Mal nach New York flog, wusste ich gefühlt bereits, was mich erwartet. Diese Stadt, welche den für die westliche Welt folgenreichsten Anschlag der jüngeren Geschichte erlebt hatte, war uns ja allen bekannt. Aus Funk und Fernsehen, aus dem Kino, aus den Erzählungen von Freunden und aus den Filmen von Michael Moore, in denen grenzdebile Paranoiker sich darum sorgen, dass ihnen morgen ein Flugzeug ins Klohäuschen fliegt. All das, gepaart mit den Vorurteilen, die sich auch in meinem Freundeskreis ab und an einschleichen, sorgte für ein ziemlich gefestigtes Bild der Vereinigten Staaten und ihrer heimlichen Hauptstadt. Amerikaner, das sind übergewichtige Kriegstreiber und Islamophobiker, die alles und jeden verdächtigen und ihre Pommes umbenennen, um den Franzosen keine Credits zu geben. Ich flog also nach Boston, fuhr des Nachts mit dem Überlandbus bis nach NYC, kam im Dunkeln an und legte mich direkt schlafen. Am nächsten Morgen fuhr ich den Fahrstuhl aus meinem Penthouse in der 27. Etage hinab (Ja, Sorry!) ohne die Stadt eines Blickes zu würdigen und wartete vor der Tür auf den Bus.

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Der Bus fuhr vor. Die Tür öffnete sich. Auf dem Fahrersitz saß ein ungefähr 50 Jahre alter Mann, in einem weißen, langen Thawb. Das sind diese traditionellen Gewänder für arabische Männer. Wenn man in Deutschland danach googelt, kommt als erstes die Anzeige einer Karnevals-Website und die Überschrift „Arabisches-Scheich-Kostüm für Herren". Der Busfahrer trug zudem einen wallenden Rauschebart, wie aus einem James Bond-Bösewicht-Casting und einen Turban, der jedem AfD-Anhänger den Hut hochgehen lassen würde. Was war passiert? War der Bus entführt worden? Oder war es doch nicht so weit her mit der Panik der New Yorker vor vermeintlichen Muslimen und/oder Islamisten? Ich, in meiner jugendlichen Dummheit, hatte gedacht, dass so jemand nicht mal in einen Bus einsteigen dürfe, in der Stadt der Giulianis und Trumps. Und jetzt fuhr dieser Typ das Vehikel, als ob es das normalste der Welt wäre.

In den folgenden Tagen lernte ich etwas sehr wichtiges: Diese Stadt, die logischerweise wesentlich mehr unter den Anschlägen gelitten hatte als irgendwer sonst, war relativ entspannt. Nationalitäten spielten und spielen hier, zumindest oberflächlich, kaum eine Rolle. Wenn du dein Business hier machst, dann gehörst du dazu. Turbokapitalismus, na klar. Rassismus sowieso. Aber dennoch ist man relativ frei von unsinnigen Integrations-Debatten oder Burka-Verboten. Wenn in Chinatown ganze Straßenzüge nur auf chinesisch ausgeschildert werden, interessiert das keine Sau. Man stelle sich nur mal vor, die Sonnenallee in Berlin-Neukölln würde zusätzlich noch arabische Schriftzeichen anbringen. Das Getöse um den Untergang des Abendlandes wäre enorm, eine mindestens vier Wochen andauernde Debatte samt ekelhafter CSU-Statements wären uns sicher. Das Drama ist immer dort am größten, wo es keine Betroffenen gibt.

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Und auch in Berlin zeigt man sich aktuell relativ gelassen. Oder wie der SPIEGEL so schön titelte: „Maximal unbeeindruckt." Auch ich fühle mich nicht bedroht. Wenn man mich persönlich fragt, würde ich antworten, dass es 2015 in Deutschland durchschnittlich 41 Grippetote gab. Pro Tag! Deswegen erfindet Facebook aber keinen Safety-Button für Influenzia-Erkrankte und mich rufen auch keine Freunde aus Indien an und fragen mich, ob ich noch lebe. Der Berliner an sich trauert zwar kurz oder merkt an, dass das alles natürlich „eine große Scheiße is'", aber die merkwürdige, hasserfüllte oder angsterfüllte Stimmung, die aktuell mal wieder durchs Land fährt, kommt aus ganz anderen Ecken. Wie auch damals bei 9/11 sind es Menschen, die nicht direkt oder auch nur annähernd betroffen sind, die am lautesten schreien. Die einen Anschlag für ihre eigenen Vorteile, Vorurteile oder sogar für ihre Promo nutzen. Von solchen Reaktionen ist natürlich auch die Musikwelt nicht gefeit. Ich habe nichts gegen böse Witze. Im Gegenteil. Humor ist Tragödie plus Zeit, das sollte jedem klar sein, der denkt man dürfe über so etwas nicht lachen. Immer her mit den Jokes. Prädestiniert dafür wäre eigentlich die deutsche Rap-Welt.

Leider kam bisher wenig aus dieser Ecke, was man als gelungene Gags oder pointierte Satire ansehen könnte. Abgesehen von den üblichen Beileidsbekundungen. Zum Beispiel wäre da ein ungewohnt unlustiger Juicy Gay, der mit seinem „Eilmeldung zu Anschlägen in Berlin: Allesio geht es gut"-Tweet weder mein Ehrgefühl als geborener West-Berliner verletzt, noch meine Vorliebe für ziemlich ekelhaften Humor bedient, sondern lediglich zeigt, dass er diesmal Gag-mäßig auf der „Vielleicht wars doch Manuel Neuer"-Etage stecken geblieben ist.

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Dass aus der GUDG-Ecke rund um YSL und Hustensaft Jüngling nichts Gescheites kommt, war ebenfalls zu erwarten. Viel mehr als „LKW Fahrer han sich auf Apple Maps verlassen" kam da auch nicht bei rum. Dabei trennt sich humortechnisch gerade bei solch sensiblen Themen die Spreu vom Weizen. Das unfreiwillige Highlight bisher war definitiv dieser besorgte Kollegah-Fan, der um seinen Imperator fürchtet.

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Screenshot von Instagram/teamkolle1

Jetzt, wenige Tage später, ist man schon wieder auf dem nächsten Dampfer. Aus Spaß ist Ernst geworden, holt die Lupen raus, Sherlock Holmes ist in der Stadt. Es ist die Zeit der Theorien gekommen, in denen man auf Facebook mal ganz gepflegt „ES WURDE EIN AUSWEIS GEFUNDEN!!! ZUFALL?? DENKE NICHT!!" postet oder leise, verschwörerisch „Qui Bono?" raunt. Und das noch bevor die Opfer beerdigt sind, um die man sich ja so unglaublich sorgt. Nach drei Tagen haben die meisten Hobby-Detektive in den Kommentarspalten der Fb-Rapper offenbar genug Abstand zur Tat, um das Ganze mal objektiv zu betrachten. Statt darüber nachzudenken, warum die Täter immer wieder (offenbar absichtlich) ihre Dokumente am Tatort zurücklassen, fühlen sich große Teile der Rap-Welt berufen, den Leuten die „Augen zu öffnen". Ohne irgendetwas zu wissen. Weihnachtszeit heißt Spekulatius und Spekulationen vor dem heimischen Kamin.

Alles in Allem zeigt sich mal wieder, dass die Experten selten die Betroffenen sind. Ob in New York, Berlin oder auch in der Flüchtlingskrise, die ja sowieso mit allem in Verbindung gebracht wird. Ständig sitzen irgendwelche Menschen im TV oder vor den Tastaturen und erklären uns, was wir zu denken, zu fühlen und zu begreifen haben. Nur die eigentlich Betroffenen kommen nicht zu Wort. Wenn bei Maischberger mal ein Geflüchteter reden darf, dann wird er aus dem Publikum eingeblendet. Auf die Couch, neben Wolfgang „Solarium-Boss" Bosbach oder irgendeine Integrationsexpertin kommt er nicht. Wenn es um Aleppo geht, fragt man Nahost-Experten. Und geht es um Terror in Berlin, werden weltfremde Politiker rangekarrt, die das Lebensgefühl dieser Stadt abseits von Sektempfängen längst nicht mehr verstehen. Die BILD titelt „ANGST!". Ich verspüre keine Angst.

Es ist an der Zeit zu verstehen, dass das Internet euch nicht zu Tom Hanks in „Der Da Vinci Code" macht. Wenn 100.000 Rap-Dullis schreiben, dass die ganze Welt verarscht wird und offenbar nur sie sehen, was da vor sich geht, ist das ein erstes Anzeichen, seine Quellen zu überdenken. Wobei Quellen ja generell überflüssig geworden sind. Themenbezogene und wenigstens diskutable Statements wie das des Musikmanagers Hadi El-Dor (der später auch noch in die „Ihr wollt uns doch verarschen??11!!??11!!"-Kerbe schlug), sind eine Ausnahme. Dass man über Hadis teils undifferenzierte Aussage streiten kann und sollte, zeigt aber den Unterschied zu den komplett sinnbefreiten Postings seiner „Kollegen".

Also, ihr ganzen „Anpacker", Rapper mit Kopfgeldjäger-Lizenz, faktenorientierte Massiv-Fans und „OMG, sind die alle dumm, nur ich hier in Brunsbüttel weiß alles besser"-Tastaturhelden: Es gibt keinen Unterschied zwischen euren wahnwitzigen Theorien zum IS und Co. und den postfaktischen Bemühungen von PEGIDA und AfD. Nur der Inhalt ist ein anderer. Es ist immer ratsam, nicht alles zu glauben und sich ein eigenes Bild zu machen. Leider bedeutet „sich ein eigenes Bild machen" inzwischen, das nachzuplappern, was drittklassige Rapper und unterirdisch recherchierende bzw. absichtlich lügende YouTube-Professoren so von sich geben. Am besten informiert man sich immer noch, wenn man dahin geht, wo Menschen betroffen sind. Und das ist selten das Internet.

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