Wie man in Tokio stilvoll trinkt, ohne sich komplett zu blamieren
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Wie man in Tokio stilvoll trinkt, ohne sich komplett zu blamieren

Für einen Ausländer, einen gaijin, ist es beängstigend schwer, den Japanbesuch in Würde zu überstehen. Unweigerlich tritt man in ein oder zwei (oder drei oder zehn) Fettnäpfchen. Hier ein paar Punkte für die Dinge-die-man-nicht-in-Tokio-tun...

Ich sitze in einer Bar in Tokio und alle Gäste seufzen auf einmal—ein eindeutiges Zeichen dafür, dass ich irgendwas falsch gemacht hatte. Als ich mein leeres Schnapsglas absetzte, bemerke ich, dass das des Barkeepers noch immer voll war und er mich völlig entgeistert mit offenem Mund anguckt. Völlig panisch fragte ich ihn: „Trinkt man den nicht auf ex?"

Nein, du Vollidiot aus Amerika. Man trinkt Sake nicht auf ex.

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Scheint so, als wären die unzähligen Male, die ich die Sake Bomben in kleinen Sushi-Restaurants auf den heimischen Fressmeilen hintergekippt habe, nicht unbedingt die optimale Vorbereitung waren, stilecht wie ein Einheimischer in Tokio zu trinken. Ich hatte ja keine Ahnung, dass man den japanischen Reisschnaps nicht in einem Zug hinterkippt, obwohl er doch in so einem kleinen Glas serviert wird.

Sake, for sipping.

Sake—nicht auf ex, sondern Schluck für Schluck. Alle Fotos vom Autor.

Für einen Ausländer, einen gaijin, ist es beängstigend schwer, den Japanbesuch in Würde zu überstehen. Unweigerlich tritt man in ein oder zwei (oder drei oder zehn) Fettnäpfchen. Zum Glück gibt es als gaijin eine Art Freifahrtschein und jeder Benimmfehler ist schnell vergessen.

Ich wurde rot vor Scham und der Barkeeper goss mir einfach einen zweiten Kurzen Sake ein, den ich dieses Mal sehr langsam und Schluck für Schluck trinke. Wenn ich lernen wollte, wie ein Japaner zu trinken, dann brauchte ich einen Einheimischen, der mir zeigt, wie es geht.

Also bat ich Frank Cisneros um Hilfe. Er ist wie ich ein gaijin und hat als erster Ausländer für seine Arbeit in einem der renommiertesten Hotels in Tokio eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung von der japanischen Regierung erhalten. Bevor er letztes Jahr hierher gezogen ist, hat Frank sich in New York als Barkeeper bei Prime Meats, Dram und Gin Palace einen Namen gemacht.

Shinjuku

Shinjuku

Ich machte mich auf den Weg mit der U-Bahn von Shimokitazawa nach Shinjuku, um Frank dort im Golden Gai zu treffen. Hier gibt es ein wirres Netz unglaublich vieler alter Bars, die den Abrisswahn der Behörden in den 80ern überlebt haben. Auch wenn die Gegend zu Shinjuku gehört, wo es viele Wolkenkratzer gibt, fühlt es sich an wie in einer anderen Welt: Überall sind kleine, alte, meist zweistöckige Häuser und enge Gassen.

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Viele Bars in Golden Gai wirken wie aus Alice im Wunderland: Unglaublich steile Treppen führen in höhlenartige Keller mit eigenen Mottos, in denen selten mehr als zehn Gäste Platz finden. Frank und ich fingen bei Albatross an, einer Bar perfekt für Ausländer wie mich, mit rotem Samt, Kerzenleuchtern, Hirschköpfen und Discokugeln.

Golden Gai's Albatross Bar

Die Albatross Bar in Golden Gai

Frank bestellte einen Highball—das bedeutet für die Japaner aber etwas vollkommen anderes, als für mich, einen Amerikaner.

„In Japan besteht ein ,Highball' nur aus Whisky und Soda, das heißt, es geht nicht um die Cocktail-Kategorie: Rum mit Cola ist kein Highball, Whisky und Ginger Ale auch nicht. Einfach nur Whisky und Soda", erklärt er mir. „Die Zubereitung ist wie eine Zeremonie. Eine Whiskysorte rührt man, wenn man sie mit einem bestimmten Soda kombiniert, sechs Mal, aber mit einem anderen Whisky vielleicht zehn Mal. Die Gäste schauen dir genau auf die Finger und sind ziemlich empört, wenn du mit der Tradition brichst."

Ich hatte Gerüchte gehört, dass die Yakuza einige Bars in Golden Gai besitzt. Als Frank dazu ausfrage, sieht er mich nur streng an.

„Sag dieses Wort nicht laut. Schon gar nicht hier."

Da die Yakuza immer noch aktiv ist, ist es (rückblickend) gar nicht so blöd, die Mafia lieber nicht in einer Gegend zu erwähnen, die ihr Revier sein soll. Auch das kam auf meine stetig wachsende Dinge-die-man-nicht-in-Tokio-tun-sollte-Liste.

Allegedly, many Golden Gai haunts are owned by Yakuza

Angeblich sind viele Bars in Golden Gai im Besitz der Yazuka.

Von der Yakuza schwenkt Frank um zum Thema Trinkgeld und erklärt mir, dass ein japansicher Barkeeper oder Taxifahrer dir entweder dein nett gemeintes Kleingeld um jeden Preis zurückgeben wollen oder sich zutiefst beleidigt fühlen. Obwohl es kein Trinkgeld gibt, ist der Service dennoch gut. Die Japaner reißen sich ein Bein aus, um guten Service zu leisten, alles im Dienste der motenashi, der Gastfreundlichkeit.

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„Als Mann vom Fach hat mich das richtig begeistert. Ich wollte auch so gastfreundlich sein wie sie. Man tut alles für die Gäste, verdient nicht viel und bekommt kein Trinkgeld dafür", meint Frank.

„Dadurch liebe ich mein Handwerk umso mehr. Ich war nicht mehr nur wegen des Geldes ,gastfreundlich', sondern weil es für mich das Richtige war. Das allein gab mir ein unglaublich befriedigendes Gefühl."

Cocktails crafted with care, tips discouraged.

Cocktails werden mit viel Liebe zubereitet, Trinkgeld ist trotzdem nicht gern gesehen.

Nachdem wir uns mehr Bars im Golden Gai angeguckt hatten, landeten wir am Ende in der Bar Bergerac, wo der Besitzer, ein ziemlich netter Schauspieler, unbedingt wollte, dass wir mit ihm Karaoke singen.

Wir saßen zu viert in der kleinen Karaokekammer: Frank, ich, der Besitzer und sein Barkeeper. Ich bin nicht unbedingt schüchtern, aber die Vorstellung, vor den Fremden im nur halbnüchternen Zustand singen zu müssen, war mir extrem unangenehm. Frank erklärte mir, dass ich mitmachen müsste, sonst wären unsere Gastgeber beleidigt, also schnappte ich mir das Mikro und sang eine schräge Version eines Songs von den Beach Boys.

Die Sonne ging gerade auf, als wir aus der Bar herausgingen. Da es keinen Zapfenstreich und keine Fenster in den Bars von Golden Gai gibt, kann man sich schnell in der Zeit verlieren. Während wir zur U-Bahn liefen, lagen auf den Fußwegen überall betrunkene Geschäftsmänner, die ihren Rausch ausschliefen.

Frank pours something sweet for a customer

Frank Cisneros mixt seinem Kunden einen süßen Drink.

Ein paar Tage später treffe ich Frank auf Arbeit im edleren Stadtteil Nihonbashi. Meine Ohren knacken, als ich mit dem Fahrstuhl in den 37. Stock des Hotels hinauffahre. Im Vergleich dazu könnte man die Bars in Golden Gai Spelunken nennen: Hier gibt es hohe Decken, überall glänzen Marmor und Glas, die Kellner tragen perfekte Uniformen und auf der Karte gibt es Cognac im Wert von 16,000 Dollar.

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Frank bereitet gerade einen alkoholfreien Sahnecocktail für einen Shinto-Priester zu und ich schaue mir die Cocktailkarte an. Ich frage ihn, was am meisten bestellt wird und bereite mich innerlich schon auf einen starken Whisky-Drink vor. Stattdessen aber macht Frank mir eine ziemlich süße Mischung aus Midori, einem japanischem Melonenlikör, Blue Curaçao und Wodka. Frank erklärt mir, dass seine Kunden, und das sind überwiegend Japaner, eher süßere Cocktails mögen.

„Gin Tonics sind auch sehr beliebt und natürlich Mojitos. In puncto Mojitoliebe liegt Japan gut 15 Jahre zurück", sagt Frank.

Frank's most requested cocktail, complete with Blue Curacao

Der beliebteste Cocktail bei Frank

Frank macht sich wieder an seine Cocktails, während ich der Oberschicht von Tokio beim Trinken zusehe. Im Vergleich zu anderen Ländern auf dem asiatischen Kontinent, musste ich feststellen, dass in Japan nur Wenige Englisch sprechen oder zumindest weniger Japaner Englisch sprechen wollen. Wenn ich allein ausging, dann habe ich einfach nur still und heimlich mein Bier getrunken und nur manchmal mit jemandem reden können. Zum Glück weiß ich jetzt, dass es also nicht zwingend an mir lag.

„Japaner sind berühmt für ihre Schüchternheit und Zurückhaltung", erklärt mir Frank. „Es ist eher verpönt, mit einem Fremden ein Gespräch anzufangen oder sich lang und breit mit dem Barkeeper zu unterhalten. Natürlich bestätigen Ausnahmen die Regel, aber hier reißt man eben nicht in der Bar einfach jemanden auf."

Frank meint weiter: „Dieses dreiste und mutige Ansprechen von Fremden, um dann mit ihnen zu schlafen, ist etwas ziemlich Westliches. Das gibt es in Japan nicht."

Eine Bar in Tokio

Als Frank fertig war, sind wir noch auf einen Absacker nach Kanda gefahren. Dort haben wir im 65 Public House kabbechobbi gegessen, warmen Kohl mit Sardellen, der perfekt zum Bier passte. Ein Bier führte zum nächsten und auf einmal war das kein Absacker mehr, sondern eher ein Vorglühen. Draußen regnete es und wir machten uns auf den Weg zu einer Karaokebar, in der alles unglaublich hell und irgendwie steril war, an den Wänden hingen Comic-Figuren. Die Karten waren laminiert und es gab Getränkeautomaten.

Wir haben uns einen privaten Karaokeraum, einen umeshu, Wein und ein paar Highballs am Tresen bestellt. In unserer dunklen Karaokekammer krakeelten wir die Songs von Taylor Swift und Ben E. King. Als wir gingen, war es draußen taghell. Leicht erschöpft stapften wir zurück zur ersten Bar, auf einen (wirklich letzten) Absacker.

Auf dem Weg nach Hause machten sich schon die ersten schmerzhaften Kateranzeichen bemerkbar. Ich akzeptierte es einfach, dass ich niemals wie ein Einheimischer trinken würde. Aber zum Glück gibt's den Freifahrtschein für gaijin.