Zu Besuch beim letzten Würstler am Zentralfriedhof

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Zu Besuch beim letzten Würstler am Zentralfriedhof

Drei Millionen Tote und nur eine Würstelbude: Dass das Wiener Traditionsgewerbe Würstelstand ausstirbt, zeigt sich am Zentralfriedhof besonders deutlich.

Alle Fotos: Christopher Glanzl

Zirka drei Millionen Tote teilen sich am Wiener Zentralfriedhof – der zweitgrößten Friedhofsanlage Europas – insgesamt 330.000 Gräber. Darunter finden sich auch zahlreiche Musiker wie Falco, Beethoven oder Brahms; täglich kommen 20 bis 25 neue Dauergäste hinzu.

Der 1874 eröffnete Friedhof erstreckt sich heute über eine Fläche von über 2,5 Quadratkilometern, mit einem Straßennetz von 80 Kilometern und 17.000 Hecken und Bäumen. Außerdem finden sich am Zentralfriedhof eigene Sondergrabstätten, wie zum Beispiel die Gedenkstätte der Anatomie für Personen, die ihren Körper der Wissenschaft zur Verfügung gestellt haben, oder der Wiener Tierfriedhof.

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Im festen Glauben daran, dass Tod und Leben sehr nah aneinander liegen und es demnach am Zentralfriedhof eine überdurchschnittlich hohe Dichte an Würstelständen geben müsste, mache ich mich mit unserem Fotografen Christopher Glanzl auf, um die kulinarische Seite dieses Orts des Todes zu entdecken. Ein bisschen hoffe ich dabei auch, in den kleinen Oasen wurstigen Lebens vielleicht auf den Ursprung der morbiden Wiener Mentalität zu stoßen, die den Zentralfriedhof als "halb so groß wie Zürich, aber dafür doppelt so lustig" beschreibt.

Die Fahrt aus der Inneren Stadt bis an die Mauern des Zentralfriedhofs dauert gut 30 Minuten. Genug Zeit, um irgendwann zu realisieren, dass ich mittlerweile fast alleine im Waggon des 71ers sitze – jener Linie, mit der bekanntlich jeder Wiener irgendwann seine letzte Fahrt bestreitet. Heute ist aber wohl noch niemand gestorben.

Am Tor 1 angekommen, steige ich aus. Zu meiner Überraschung gibt es hier aber nichts als einen kleinen Parkplatz, auf dem ein einsamer Kombi parkt. Kein Kerzenautomat, kein Blumenstand, keine Würstelbude.

Vorbei an einem Steinmetz nach dem anderen fahre ich also zum Tor 2, dem Haupteingang des Zentralfriedhofs (warum nicht Tor 1 das Haupttor ist, wissen wahrscheinlich nur die Toten). Schon vom Bimfenster aus erspähe ich einige Blumenhändler. Auch einen kleinen Maronistand sehe ich. Und dann schiebt sich ein Schild in mein Blickfeld, auf dem in großen Buchstaben geschrieben steht: "Original Wiener WÜRSTELSTAND".

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Doch kaum komme ich dem Stand, der mit seinem braunen Gartenzaun ein bisschen an den Wohnwagen eines Dauercampers in Udine, Jeseolo oder Caorle erinnert, näher, schwindet meine Hoffnung, hier auf Leben zu treffen. Der Eindruck täuscht nicht: Am Eingang der Bude erklärt eine kleine Tafel aus Karton, dass man hier derzeit vergeblich nach einem echten Wiener Burenheidl sucht. "Aufgrund mangelnder Frequenz bleibt unser Verkaufsstand über die Wintermonate geschlossen", lese ich.

Nun weiß man ja nicht genau, was die Leute mit "die Wintermonate" meinen – für den einen fängt der Frühling mit den ersten Schneeglöckchen an und für den anderen erst, wenn die Maiglöckchen sprießen. Also gehe ich zum benachbarten Blumenstand, in der Hoffnung, die Verkäuferin dort könne mir auch etwas über die Blütezeit des Würstelstandes verraten.

Tatsächlich scheint man aber sagen zu können: Am Zentralfriedhof wird kulinarisch fleißig gestorben. Denn wie mir die Blumenverkäuferin erklärt, handelt es sich bei der Bude nur mehr um die seelenlose Hülle eines einstigen Würstelstandes: "De sperrn nimma mehr auf. Dem Besitzer sein Bub ist krank und übernehmen tut's niemand."

Der Würstelstand am Tor 2 sperrt laut einer benachbarten Blumenverkäuferin nicht mehr auf.

Christopher und ich beschließen, dem Zentralfriedhof noch eine letzte Chance zu geben, sich von seiner lebendigen, kulinarischen Seite zu zeigen und fahren zur endgültigen Endstation des 71ers, zum 3. Tor des Wiener Zentralfriedhofs.

Und tatsächlich: Hier werden wir fündig. Seit 20 Jahren steht am Tor 3 ein Würstelstand, seit 16 oder 17 Jahren ist Rainhard Schmidtbauer sein Besitzer. "Eigentlich bin ich übern Winter auch nicht da. Früher hab ich länger zu ghabt, jetzt sperr ich aber schon a bissal früher wieder auf. Aber es is im Winter natürlich so, dass wenn die ganzen Steinmetz' und die ganzen Gärnter nicht arbeiten, schon sehr wenig los ist", erzählt Raini, wie ihn seine Stammgäste nennen.

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Die Stammgäste, das sind die Arbeiter vom Zentralfriedhof, die Zulieferer der Blumenläden, die Steinmetze der Umgebung, die Autobuschauffeure und ein paar Grätzlbewohner. Außerdem kämen auch immer wieder Politiker und Prominente auf eine Wurst vorbei. Als ich frage, wer genau, hält sich der Würstelstandbesitzer aber lieber bedeckt.

Laufkundschaft hingegen gäbe es kaum, erzählt Rainhard, dessen Kunden am liebsten Burenwurst und Käsekrainer bestellen. Aber auch der Pferdeleberkäse komme gut an. "Alles andere geht nur so halb", sagt er durch das Loch in der Plexiglasscheibe und reicht direkt "a Haße" heraus.

"Bsonders gut war aber der Wildschweinleberkas, den er amoi ghabt hat", schwärmt einer der Stammgäste. "Des war was ganz was Feines, da geht nix andres drüber." Generell sei Raini sehr erfinderisch, was seine Angebote angehe. Da gibt es dann auch mal Spargelleberkäse, oder die "Haße" wird mit Knoblauchzehen bespickt. "Da kommt ma gern wieder her, da gibt's immer a Überraschung. Aber essen kannst hier sowieso ois", erklärt der Stammgast, der in der Umgebung wohnt und hier laut eigenen Angaben öfter anzutreffen ist.

Dass Rainhard Schmidtbauer heute überhaupt Besitzer des letzten Würstelstandes am Zentralfriedhof ist, hat – wie könnte es anders sein – mit dem Tod zu tun: "Des war eigentlich a Zufall, der Stand hat einem Freund von mir ghört. Der is dann verstorben und ich hab den Würstelstand übernommen", erzählt er.

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Dass er ausgerechnet am Zentralfriedhof gelandet ist, macht für ihn aber keinen Unterschied. So unterschiedlich sei sein Würstelstand zu jenen in der Stadt eigentlich gar nicht. "Sicherlich, in da Stadt drinn kann man so wie da Bitzinger an Champagner anbieten – des brauch ich da heraust eher nicht machen", meint Rainhard. Einen richtigen Leichenschmauß gab es aber auch bei ihm noch nie. "Hier und da kommt's vor, dass bei den Armenbegräbnissen, die was ja zum Teil schon um 8 Uhr in der Früh sind, dass sich da dann welche bei mir vorher treffen. Oder nachher, weil des Lokas vis a vis erst um 10 Uhr aufsperrt", erklärt er.

Einer von Rainis Stammgästen.

Auch unter den Stammgästen ist man sich einig, dass der Standort Zentralfriedhof an der Situation Würstelstand nicht viel ändert. Die Gesprächsthemen seien dieselben, der Humor gleich derb: "Den Alltag, über was soll ma denn sonst red'n? Über unsere Frauen, die was ma daham lassn und wie mas am besten des nächste Mal anlegen, damit ma länger bleiben können", sagt einer der Gäste. Oft kämen sie auch zum Abschalten nach der Arbeit hierher. "Nach da Hackn geht ma gern noch schnö da her auf a Bier oder a Haße, damit dass du dir da schon dein Stress abbaust, beforst hamgehst."

Der Chef, wie Rainhard auch genannt wird, sei gut im Zuhören – und auch im Zureden. "Es is immer a Wohltat, wenn ma ihn sieht", erzählt der Stammgast und fügt ein bisschen wehmütig hinzu: "Solang es nu geht." Denn auch Rainhard Schmidtbauer wird das Gewerbe bald aufgeben. Im Juli will er in Pension gehen.

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Bis Juli 2017 will Rainhard diesen Blick aus seinem Stand heraus noch genießen. Dann geht er in Pension.

Den Würstelstand würde er gerne verkaufen. Einen Käufer zu finden sei allerdings schwer. "Man muss schon sagen, für junge Leut is des irrsinnig schwer, selbst wenn die wollten. Geld haben's noch keins, a bissl Ablöse müssen's aber zahlen", erklärt Rainhard. "Aber woher solln die des Geld nehmen, die Banken geben's ihnen ja nicht mehr. Und die, die was a Geld haben, die kaufen sich ka Arbeit."

Für die Stammgäste ist es so oder so traurig, dass Rainhard aufhört. Denn den Würstelstand ausmachen ist Chefsache. "Die Würstelbude allein kann's nicht, der Chef macht des aus. Da muss einer hinten stehn, der was an gewissen Schmäh hat und a gute Wurst oder was Gutes zum Trinken", erklärt einer der Stammgäste. Und auch der Preis muss stimmen. Beim Raini stimme er. Trotz des Bioweines, den er verkauft.

Auch wenn er doch noch einen Käufer findet, glaubt Rainhard nicht an den Fortbestand des Wiener Würstelstandes. "Die jungen gehn halt lieber zum McDonalds oder zum Burger King. Dann hama an großen Ausländeranteil, die essen vielleicht lieber a Kebab, oder was, des sie kennen. Und der traditionelle Würstelstand, der stirbt natürlich aus", meint er. Da passe der Standort am Zentralfriedhof dann doch wieder gut, weil die meisten Gäste liegen ja schon drin und die paar heraußen gesellen sich sicher auch irgendwann dazu. "Da hamas dann wenigstens nicht weit", scherzt ein Stammgast.

Rainhard redet über das Würstlersterben, ohne dabei wirklich traurig zu wirken. Vielmehr scheint er das Thema mit einer gewissen Leichtigkeit – oder besser gesagt Wurstigkeit – zu betrachten. "Naja, das ist halt der Trend. Die Jungen zu motivieren, zum Würstelstandl zu gehen, ist schwierig. Vielleicht auf an Hot Dog. Aber so a Haße oder a Eitrige mit am Bugi, das kommt bei den Jungen glaub ich nimma mehr so gut an. Die sind halt mehr auf Nudeln und Burger und solche Sachen. Des ist so eine Trendsache, des muss ma auch akzeptieren."

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Rainhard kann generell wenig aus der Ruhe bringen. Er war einer der ersten, der die Allergenverordnung umgesetzt hat. "Ich hab des schon ghabt, da haben die Red Bull und so noch gar nicht gwusst, was bei ihnen überhaupt drin ist", erzählt der Würstelstandbesitzer. Auch die Registrierkasse sieht er nicht als Problem. Unverständlich findet er nur, dass er sogar für eine Salzgurke oder einen Kaugummi jetzt eine Rechnung ausdrucken muss. "Das ich es einibonnieren muss, das ist eh klar. Dass ich aber immer den Zettl ausergeben muss, versteh ich nicht. Des is a Papierverschwendung. Aber gut, so is die Gesetzeslage und da müssma durch", sagt er.

Ein bisschen stört Rainhard außerdem, dass für die Registrierkasse Thermopapier verwendet wird. "Des derfst eigentlich nicht in den Papiercontainer schmeißen, des is a Sondermüll. Des sollt ma anders regeln, weil des wird ja in ganz Österreich verwendet und des is dann schon a Wahnsinn, vom Müll her. Aber da bin ich wahrscheinlich der erste, der da was sagt."

Bleibt bei ihm am Abend was vom Leberkäse oder der Wurst übrig, landet es nicht im Müll. Das bekommen dann die Hundebesitzer und die Raben vom Zentralfriedhof, erzählt der Würstelstandbesitzer noch kurz, bevor wir uns verabschieden.

Zum Abschied fragt uns Rainhard noch, was er uns zum Trinken mitgeben dürfte und reicht uns zwei Flaschen Eistee aus seiner Bude heraus. "Die gehn aufs Haus", sagt er und wendet sich ein paar Bratwürsten zu, die langsam am Grill vor sich hin braten. Ein paar Monate wird er die Würste in seiner Bude noch hin- und herwenden. Was danach kommt, weiß keiner so genau. Aber das gehört ja schließlich dazu, zum Zentralfriedhof.

Paul auf Twitter: @gewitterland

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