"Es gibt Parts, die mich zerreißen" – Parkway Drive bewerten ihre eigenen Alben
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"Es gibt Parts, die mich zerreißen" – Parkway Drive bewerten ihre eigenen Alben

Das neue Album 'Reverence' wird alte Fans verstört zurücklassen. Aber wie steht Sänger Winston McCall eigentlich zu dem von Fans heißgeliebten Debütalbum?

Mittwochabend, Berlin-Kreuzberg, Club Lido. Nur wenige hundert Leute warten in dem kleinen und ausverkauften Raum ungeduldig auf Parkway Drive. Die australischen Metalcorer versammeln eigentlich mehrere Tausend Zuschauer auf ihren Konzerten, spielen auch in Deutschland Headliner-Shows bei Festivals wie dem With Full Force. Im Zuge ihrer Promotour für das am 04. Mai erscheinende Album Reverence kehren sie aber lieber zurück zu ihren Underground-Wurzeln und verzichten auf riesige Hallen, Sicherheitszaun und Securitys. Später wird deswegen zeitweise die komplette Bühne voll mit Zuschauern sein, die zusammen mit Sänger Winston McCall neue wie alte Songs singen, während unten der Moshpit unbeeindruckt weiter tobt.

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Vom Rückbesinnen auf die Anfangszeit der inzwischen 15 Jahre alten Band bleibt auf dem neuen Album allerdings nicht mehr viel übrig. Beschwerten sich die Fans von 00s-Metalcore schon beim Vorgänger IRE über den Stadionmetal-Sound und fehlende Härte, wird Reverence sie endgültig aus dem Moshpit vertreiben. Während die erste Single "Whishing Wells" noch nach der alten Parkway-Wut klang, zeigten das an Machine Head erinnernde "The Void" und die totale Stadion-Hymne "Prey", dass man die beengenden musikalischen Wände des Metalcore mit allen möglichen Werkzeugen eingerissen hat.

So singt McCall jetzt stellenweise so klar, dass es der Anti-Clean-Vocals-Fraktion die Kehle zuschnüren dürfte. Mächtiges Schreien, kehliger Gesang, Spoken Word und sogar Rap – er tut auch sonst alles, um den Schmerz zu artikulieren, den die Band die letzten drei Jahre erfahren musste. Erst verstarb der gute Freund Tom Searle (Gitarrist von Architects) nach einem dreijährigen Kampf gegen den Krebs, dann die Partnerin eines Bandmitglieds nach überraschender Krebs-Diagnose, auch McCalls Hund fiel der Krankheit zum Opfer sowie weitere Freunde. Immer wieder gefangen im Strom aus Leugnen, Zorn, Verhandeln, Trauer und schließlich Akzeptanz.


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Das alles floss in Reverence. Im Opener sucht McCall rasend vor Wut erst Gott und dann den Teufel auf, um ihnen die Schuld an seinen Verlusten zu geben und sie dafür büßen zu lassen. Es beginnt eine Reise durch alle inneren Untiefen, an deren Ende dann der schwere Gang zum Friedhof steht. Im letzten Song hat die Band den Verlust akzeptiert. Verletzlich wie nie zuvor singt McCall mit bedrückter Stimme, wie klein er sich im Angesicht des Todes fühlt. Die Musik setzt aus und mit wegbrechender Stimme fragt er die Stille: "Warum verdammt nochmal ist uns das passiert? Wer verdient sowas? Was zu Hölle machen wir jetzt?"

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Dieser Schmerz ist dem Sänger einen Tag nach dem Konzert erst nicht anzumerken. Ein wenig heiser, aber gut gelaunt sitzt er im Konferenzzimmer eines Berliner Hipster-Hotels unweit vom Lido da und teilt lachend die sechs Alben der Bandhistorie vom schlechtesten zum besten ein. Erst als er von Reverance redet, wird er sehr ernst, erklärt ruhig und stolz, warum sie Metalcore und das Urteil von unbelehrbaren Fans hinter sich lassen mussten, um das auszudrücken, was Parkway Drive widerfahren ist.

Hier also alle Alben von Parkway Drive in der ultimativen Reihenfolge – jedenfalls nach Meinung von Winston McCall.

Killing With a Smile (2005)

Winston: Ich habe eine komplett andere Meinung, als die Leute, die das jetzt lesen. Das Album liegt so weit zurück, dass ich mich damit am wenigsten verbunden fühle. Und selbst wenn ich das ignoriere und nur die Musik höre … Die Lyrics mag ich nicht so, oft denke ich, "dieses Riff ist nutzlos", und sowas. Das Songwriting war nicht so gut.

Noisey: Weil du gerade die Lyrics erwähnt hast. Ich habe ein paar Reviews von damals gelesen, die davon sprechen, wie Emo die Texte sind.
So war damals einfach der Style. Ich war sehr jung und das waren meine ersten Albumtexte. Ich war leichter beeinflussbar in dem, wie ich wirken und welche Worte und Ausdrücke ich verwenden wollte. Es ist immer noch ehrlich, für jemanden, der nicht wusste, wie er sich wirklich ausdrückt.

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Wie fühlt es sich an, wenn ein ganzer Saal nach all den Jahren immer noch die Worte "So cry me a fucking river, bitch!" mitschreit?
Es ist saulustig. Der Satz war ein Witz! Es gab diesen Song "Cry Me A River" von Justin Timberlake und ich fand es lustig, das zu nehmen und "fuck" und "bitch" reinzupacken. Und dann nahmen das Leute so ernst und es wurde so eine große Sache. Es ist immer noch wirklich cool, aber solche Witze würde ich nicht mehr in die Texte packen [lacht]. Ich würde nicht sagen, dass es lame ist, aber sowas haben wir halt gemacht, weil wir jung und unbedarft waren, haben ein Sample von Fluch der Karibik und Stirb langsam reingepackt und so. Wir haben ja nie damit gerechnet, mal Album Nummer sechs zu veröffentlichen.

Atlas (2012)

Das Album hat seinen Zweck erfüllt, indem es uns klar gemacht hat, dass es eine Umstellung zu etwas Neuem geben muss. Es war das erste Mal, dass wir kleine DJ-Parts, Trompeten und Streichinstrumente eingebracht haben. "Dark Days" und "Wild Eyes" sind verdammt fantastisch und ich mag "Blue and the Grey" sehr, aber es gibt auf diesem Album eine Handvoll Songs, an die ich mich nicht erinnern kann. Wir haben zu oft nach hinten geguckt und zu viele weitere Songs geschrieben, die wir schon so ähnlich veröffentlicht hatten. Wir haben uns nicht kopiert, aber sind Pfade so oft langgetrampelt, dass wir nicht mal mehr Fußabdrücke ausmachen konnten. Es gab keine wirkliche Identität mehr. Horizons war die erwachsenere Version von Killing With a Smile und unser aktueller Kram ist so weit davon entfernt, dass Atlas wie die Mitte scheint. Es gibt darauf gutes Zeug, aber auch viel Egales.

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Es gab darauf schon Anzeichen auf das, was später auf IRE passieren würde.
Ja, sehr kleine. [ lacht]

Horizons (2007)

[ überlegt lange] Scheiße … Als nächstes kommt wahrscheinlich Horizons. Wieder ist es eine Frage der Zeit, aber auch der Lyrics. Es gibt auch Riffs, die verschwendet wurden. Riffs, die wir jetzt effektiver benutzen oder simpler machen würden, damit die Vocals viel besser rauskommen könnten oder gleich ganz ohne Vocals auskommen müssten. Wir hatten alles von Killing With a Smile maximiert. Schneller, härter, mit einem Hauch Melodie, das war alles. Ich liebe diese Platte immer noch, weiß, warum wir sie geschrieben haben und verstehe auch, warum die Leute sie lieben.

2007 gab es den Deathcore-Hype und damit Bands, die die Grenzen der harten Musik verschoben.
Das war es! Wir haben dieses Album geschrieben, kurz bevor Job For A Cowboy ihre Platte rausbrachten und Deathcore plötzlich ein Ding war. Auf einmal war die Idee komplett absurd, dass wir die Schnellsten und Härtesten sein könnten. Wenn wir wirklich mit diesen Bands konkurrieren hätten wollen, hätten wir nicht mehr nach uns geklungen. [ imitiert Blastbeats und extrem langsame Breakdowns] So wollten wir nie klingen und ich habe solche Musik auch nie gehört. Also waren diese Ziele vom Tisch und führten zum nächsten Album Atlas, auf dem wir überlegen mussten, wie wir denn überhaupt klingen wollen.

Im Zuge von Deathcore gab es auch den Pig-Squeal-Trend. Hast du je daran gedacht, sowas auch mal zu machen?
Nah. Ich habe das nie verstanden. Wie ein Schwein klingen? Warum!? Wir haben das nie auf einer Platte gemacht, ich habe das nicht mal probiert. Wir wollten nie extrem sein, wir wollten maximalen Mosh, aber auch melodische Gitarren. "Es ist so abgefuckt, er klingt wie ein Schwein!" – sowas wollten wir nie. Wir haben darüber immer gekichert und schau dir an, wo es heute ist.

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Deep Blue (2010)

Bei der Platte muss ich echt überlegen, um mich an alle Songs zu erinnern. Ich wollte ein Konzept schreiben, eine Erzählung, die sich durch das ganze Album zieht. Jeder Song sollte individuell sein, aber dazu mussten auch die Lyrics passen. Das alles zu verbinden, war ein massives Vorhaben. Bis dahin hatten wir einfach sechs Songs geschrieben, die nach Parkway klangen, dann noch ein paar und fertig war das Album.

Das war das erste Mal, dass wir sehr seltsame Ideen verwirklicht haben. Zum Beispiel in "Pressures", der mittlere Song des Albums. Der Song läuft bis zum mittleren Part des mittleren Breakdowns, dann spielen wir den Song in umgedrehter Reihenfolge. Er startet genau so, wie er endet. Ich glaube niemand, der den Track je gehört hat, hat dieses Konzept bisher verstanden. [ lacht] Das ist wirklich eine Schande, weil es ein großartiger Song hätte werden können. Wir haben Konzept über Songwriting gestellt, aber dadurch eine wichtige Lektion gelernt.

Deep Blue war das erste Album, das in eurer Heimat Australien mit Gold ausgezeichnet wurde.
Das Album war der Durchbruch für uns. Aus wenigen Tausend wurden 5000 Leute jede Nacht in ausverkauften Hallen. Es hat immer noch einen Platz in meinem Herzen, aber wir mussten eben lernen.

Ire (2015)

Fuck, wo fange ich an. Ich liebe diese Platte. Bis Reverance war ich noch nie so stolz auf etwas, was wir gemacht haben. Die Arbeit und Vision, die wir da reingesteckt haben war so viel mehr, als ich der Band jemals zugetraut hätte. Guck dir an, wie wir bei Killing In A Smile geklungen haben: schnell und heavy. Leute fragen immer, was wir so hören. Alles, wir hören alles. Die Einflüsse, die wir dann in unserer Musik verarbeiteten, waren so klein, weil sie zu "Schnell und Heavy"-Parkway Drive passen mussten. Jetzt war alles anders. Du magst Michael Jackson? Dann ist da jetzt ein "Michael Jackson"-mäßiges Riff drin. All dieser verrückte Scheiß wurde jetzt verarbeitet. Gleichzeitig haben wir es immer geliebt, eine harte Bands zu sein, also wie kannst du Folk in eine harte Band integrieren, ohne cheesy zu klingen? Wir haben das sehr gut hinbekommen und ich höre und liebe die Songs.

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Ich kann mich noch an die Reaktionen auf die erste Single "Vice Grip" erinnern …
Oh, wir auch. [ lacht laut]

Wie fühlt sich das im Nachhinein an? Der Song ist live mittlerweile ein echter Höhepunkt.
Dude, das ist der größte Song, den wir bisher veröffentlicht haben! Es war verrückt. Wir haben damit gerechnet, dass Leute mit einem "WTF!?" reagieren würden. Wir selbst haben mit einem "WTF!?" reagiert, als wir den Song geschrieben hatten! Können wir das machen? So haben wir nie geklungen … Aber es klingt trotzdem noch nach uns. Und ich bekomme diesen Song nicht aus meinem Kopf, ist das nicht ein gutes Zeichen?

Wir wussten also, was kommen würden – wenn auch nicht, dass manche Leute sich so beschweren und ausrasten würden. Es hat aber nur drei Shows gedauert. Beim ersten Mal live haben drei Leute den Song gekannt. Am nächsten Tag kannte ihn das halbe Publikum. Am dritten Tag war er der größte Song, den wir je geschrieben haben.

Reverence (2018)

Letzten Sommer habt ihr noch gesagt, dass ihr an einem neuen Album arbeitet und es wieder "aggressiver" klingen wird. Sagt ihr sowas, um eure Fans zu beruhigen?
Es hat sich eben was geändert. Zu der Zeit hatten wir nur ein paar Songs und die waren echt aggressiv. Währenddessen sind aber auch Dinge hinter den Kulissen passiert, die mich persönlich betroffen und meine Perspektive und die Lyrics verändert haben. Alles in unserem Leben wurde von sehr tragischen Dingen beeinflusst. Der Ton änderte sich. In meinen Texten ging es nur noch darum, dass es keine Sicherheit gibt. Dein Leben kann jederzeit enden, also verschwende nicht deine Zeit. "Hier ist ein heavy Part, hier ein Breakdown, bitte mögt uns" – dafür verschwenden wir keine Zeit mehr. Scheiß drauf, uns egal, wenn uns keiner mehr mag. Letztlich laufe ich in meinen Schuhen, kein anderer.

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Wir haben Familienmitglieder und Freunde verloren, und ich würde dafür töten, noch ein Wort zu ihnen zu sagen oder sie sprechen zu hören. Ich werde also nichts mehr machen, nur um sicher zu gehen. Meine Lyrics reflektieren nur mich. Wir alle hatten diese Offenbarungen, also ist all diese Düsternis in die Songs geflossen.

Ich denke aufrichtig, das ist das härteste Album, das wir je geschrieben haben. Aber nicht im Sinne von präziser, mechanischer Brutalität. Es ist die Brutalität purer menschlicher Emotionen. Es gibt Parts, die mich zerreißen, mich packen und zerdrücken. Etwas, was wir nie zuvor gemacht haben. Wenn du im Leben mit wahrer Härte konfrontiert wirst – etwa, jemanden Geliebtes an eine Krankheit zu verlieren –, realisierst du: Hart ist nicht, darüber zu singen, jemanden zu erstechen oder eine mystische Rache-Fantasie und dazu werden Doppelfußmaschine und prügelnde Gitarren gespielt. Hart ist, sich für immer von jemandem zu verabschieden. Egal, ob Leute das verstehen oder nicht, wir haben immer die Musik geschrieben, die wir wollten. Das ist die ehrlichste Platte, um diese Sachen kommst du nicht einfach so drumherum.

Während du bei IRE noch davon sprachst, zwar clean zu singen, aber es noch rau klingen zu lassen, singst du jetzt vollends sauber.
Genau, weil es eben so gesungen werden musste. Als wir die Musik geschrieben hatten, wussten wir, dass das clean klingen muss. Aber es gibt diese Momente nur, weil es danach total Verrücktes gibt. Der eine Song klingt nur so schön, damit du danach von einem Riff einen Spinkick ins Gesicht bekommst. Wir haben zwar immer gemeint, dass es bei Parkway niemals Clean-Gesang geben wird, aber jetzt ist uns egal, was wir mal gesagt haben. Wir sind nur dem Album verpflichtet.

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Es war noch überraschender, dich in "Shadow Boxing" rappen zu hören.
Ich wollte so schnell wie möglich Wörter loswerden, damit es sich wirklich so anfühlt, als ob man auf dich einschlägt. Die andern meinten: "Klingt wie rappen." OK, so ist es nun mal. Alles konnte passieren, mach es einfach. Und das ist die Kollektivunterschrift des Albums. Parkway Drive werden sein, was auch immer sie sein wollen.

Mein Gedanke, als ich das Album zum ersten Mal durchgehört habe war: OK, jetzt haben sie Metalcore endgültig hinter sich gelassen.
Das ist es, es ist jetzt Parkway. Wenn Leute fragen, was für eine Band und welches Genre wir sind, kann ich sagen: Wir sind Parkway. Ihr müsst uns keinen Stempel aufdrücken, weil ihr nicht wisst, was es noch werden wird. Und ganz ehrlich: Ich bin nicht Metalcore, keiner in der Band ist komplett Punkrock, komplett Metal oder sonst was. Wir hören alles. Und jetzt machen wir auch alles.

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