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Jesus, Jesus, Jesus

Flers Jesus-Cover triggert 2019 tatsächlich noch beleidigte Christen

Jesus ist nicht für euch gestorben, damit ihr ihn für rassistische und islamfeindliche Kommentare unter Flers Instagram-Posts missbrauchen könnt.
Fler Jesus
Foto: Screenshot von Instagram.com/fler

Die Geschichte von Musikern, die mit Jesus-Vergleichen kokettieren und dafür eine Menge Peitschenschläge kassieren, ist eine Geschichte voller Missverständnisse und fehlgeleiteter Frömmigkeit. John Lennon musste das lernen, Kanye West ebenfalls – und zwar mehrfach – und nun muss es hierzulande auch Fler.

Bald erscheint sein neues Album Colucci, die Promophase läuft auf Hochtouren. Und wie es für Fler inzwischen fast üblich ist, veröffentlichte er vorab ein neues, potenzielles Albumcover – auf dem er nebst Colucci-Pulli etwas trägt, das stark einer Dornenkrone ähnelt. Wer dachte, dass sich 2019 niemand mehr über dieses biblische Accessoir aufregen würde – tja, der hat wohl drei Tage zu viel in einer einsamen Höhle verbracht.

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Wir bei Noisey haben uns jedenfalls durch die Kommentarspalte des Fotos geklickt, gleichermaßen fasziniert und verwirrt davon, wie viele offenbar beinhart christliche Fler-Fans sich auf den religiösen Schlips getreten fühlten.

Neben den vorhersehbaren "Bitte fang nicht auch noch an, Religion und Musik zu vermischen"-Kommentaren fällt besonders auf, wie viele Menschen die Jesus-Hommage zum Anlass nehmen, rassistische und islamfeindliche Vergleiche zu ziehen.

Kommentare wie "Nächstes mal bitte Mohamed! Mit paar Ziegen", "Macht mal sowas in Richtung Islam. Warum traut sich das keiner ?!" [sic!] oder "würde es Richtung Islam gehen gäbe es hier Millionen hate Kommentare…"[sic!] reihen sich aneinander wie Messdiener auf dem Weg zum Empfang der Hostie.

Religiöse Empfindsamkeiten hin oder her: Solche Kommentare haben nichts mit gekränkten Gefühlen zu tun. Vielmehr wittern die Kommentierer in dem Bild eine Chance, sich endlich auch mal richtig schön in der Opferrolle zu aalen. Eine Position, die sie aus irgendeinem Grund erstrebenswert zu finden scheinen.

Es sind vermutlich dieselben Typen, die jedes Jahr zum Weltfrauentag schnaubend "Diskriminierung!! Wo bleibt der Weltmännertag?" in ihre Twitter-Leiste hacken und wehmütig den Zeiten hinterherhängen, als man Frauen noch ungefragt auf den Po hauen durfte und das Ganze als unschuldige Flirterei abgetan wurde.

Fürs Protokoll: Mohammed und Jesus bildlich darzustellen ist nicht das Gleiche. Jesus gilt in der westlichen Kultur nicht nur als der Sohn Gottes, sondern auch als Popikone. Herrje, der Typ hat ein eigenes Musical! Aber ganz abgesehen vom popkulturellen Hintergrund, ist die religiöse "Gesetzeslage" bei den beiden eine andere.

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Das Gebot "Du sollst dir kein Bildnis machen" fordert im Gegensatz zum Islam nicht, dass man Gott oder Jesus nicht bildlich darstellen darf, sondern vielmehr, keine Bildnisse an ihrer Stelle anzubeten. Ein Vergleich der beiden ist in diesem Fall also nicht nur geschmacklos dank Ziegen-Referenz, sondern auch faktisch falsch.

Dazu kommt, dass wir in der westlichen Geschichte eine säkulare Aufklärung erlebt haben. Blasphemie wird in den meisten europäischen Ländern kaum geahndet. Während in Deutschland zwar der Paragraph 166 StGB ein "Blasphemie-Verbot" formuliert, das jedoch sehr selten in Kraft tritt, kann in Frankreich, England oder Norwegen fröhlich vom religiösen Leder beziehungsweise Leinentuch gezogen werden, ohne dass dabei juristische Konsequenzen befürchtet werden müssen. Im historisch erzkatholischen Italien ist Gotteslästerung lediglich eine Ordnungswidrigkeit. In Spanien gibt es ähnlich wie in Deutschland einen Paragraphen, der Blasphemie verbietet, es kommt jedoch so gut wie nie zu Prozessen.

Im Iran oder Saudi-Arabien ist das anders. Dort werden sogenannte "Gotteslästerer" inhaftiert, gefoltert oder sogar getötet. Es gibt Fatwas und nach wie vor Glaubenskriege. Kurzum: Jeder, der sich ernsthaft über christliche Fingerzeige in der Kunst aufregt und gar mit dem Islam vergleicht, ist entweder ein Bewohner des Vatikans oder hat die letzten Jahrzehnte verpennt. Oder benutzt im Fall von Fler die Religion bloß als Instrument seiner persönlichen Agenda – und ist das nicht das wirklich Unchristliche?

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Zum Schluss also eine kleine Erinnerung an die Maude-Flanders-Fraktion unter den Fler-Fans, die nun plötzlich ihre Religiosität entdeckt hat: Jesus ist nicht für euch am Kreuz gestorben, damit ihr ihn für rassistische und islamfeindliche Kommentare unter Flers Instagram-Posts missbrauchen könnt. Habt ein wenig Respekt.

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